<lbn="1"xml:id="b54r_lb1"/>daß die Wissenschaft als Ganzes heute ein Ziel, einen Willen, ein Ideal, eine Leidenschaft
<lbn="2"xml:id="b54r_lb2"/>des großen Glaubens habe. Das Gegentheil, wie gesagt, ist der Fall: wo sie nicht die jüngste
<lbn="3"xml:id="b54r_lb3"/>Erscheinungsform des asketischen Ideals ist, – es handelt sich da um zu seltne, vornehme, aus<pcforce="weak">-</pc>
<lbn="4"xml:id="b54r_lb4"/>gesuchte Fälle, als daß damit das Gesammturtheil umgebogen werden könnte – ist die Wissenschaft
<lbn="5"xml:id="b54r_lb5"/>heute ein <hirend="underline">Versteck</hi> für alle Art Mißmuth, Unglauben, Nagewurm, <hirend="latin">despectio sui</hi>, schlechtes Ge<pcforce="weak">-</pc>
<lbn="6"xml:id="b54r_lb6"/>wissen, – sie ist die <hirend="underline">Unruhe</hi> der Ideallosigkeit selbst, das Leiden am <hirend="underline">Mangel</hi> der großen
<lbn="7"xml:id="b54r_lb7"/>Liebe, das Ungenügen an einer <hirend="underline">unfreiwilligen</hi> Genügsamkeit. Oh was verbirgt heute nicht
<lbn="8"xml:id="b54r_lb8"/>Alles Wissenschaft! wie viel <hirend="underline">soll</hi> sie mindestens verbergen! Die Tüchtigkeit unsrer besten
<lbn="9"xml:id="b54r_lb9"/>Gelehrten, ihr besinnungsloser Fleiß, ihr Tag und Nacht rauchender Kopf, ihre Handwerks-Mei<pcforce="weak">-</pc>
<lbn="10"xml:id="b54r_lb10"/>sterschaft selbst – wie oft hat das Alles seinen eigentlichen Sinn darin, <addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e94">sich selbst</add> irgend Etwas nicht <addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e97">mehr</add>
<lbn="11"xml:id="b54r_lb11"/>sichtbar werden zu lassen! Die Wissenschaft als Mittel der Selbst-Betäubung: <hirend="underline">kennt</hi><hirend="underline">ihr</hi>
<lbn="12"xml:id="b54r_lb12"/><hirend="underline">das</hi>?… Man verwundet <addplace="above"rend="insM"seq="1"xml:id="b54r_add_d2e113"><addxml:id="substAdd1_b54r"place="inline"rend="insMExt"seq="2">sie </add>– <substxml:id="b54r_subst_d2e117"><delrend="overwritten">j</del><addplace="superimposed"xml:id="b54r_add_d2e120">J</add></subst>eder erfährt es, der mit Gelehrten umgeht –</add> mitunter durch ein harmloses Wort <addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e124"><delxml:id="substDel1_b54r"rend="hatching"seq="2">sie</del></add> bis auf d<substxml:id="b54r_subst_d2e128"><delrend="overwritten">ie</del><addplace="superimposed"xml:id="b54r_add_d2e131">en</add></subst> Knochen, man er<pcforce="weak">-</pc>
<lbn="13"xml:id="b54r_lb13"/>bittert <substxml:id="b54r_subst_d2e141"><addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e142">seine gelehrten Freunde</add><delrend="hatching">Menschen</del></subst> gegen sich, <substxml:id="b54r_subst_d2e147"><addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e148">im Augenblick, wo man sie zu ehren meint,</add><delrend="hatching">indem man sie ehrt</del></subst>, man bringt sie außer Rand und Band, bloß
<lbn="14"xml:id="b54r_lb14"/>weil man zu grob war, um zu errathen, mit wem man es eigentlich zu thun hat<delrend="hatching">te</del>, mit <hirend="underline">Lei</hi><pcforce="weak">-</pc>
<lbn="15"xml:id="b54r_lb15"/><hirend="underline">denden</hi>, die es sich selbst nicht eingestehn wollen, was sie sind, mit Betäubten und Besinnungs<pcforce="weak">-</pc>
<lbn="16"xml:id="b54r_lb16"/>losen, die nur Eins fürchten: <hirend="underline">zum</hi><hirend="underline">Bewußtsein</hi><hirend="underline">zu</hi><hirend="underline">kommen</hi>…
<lbn="18"rend="indent"xml:id="b54r_lb18"/>– Und nun sehe man sich dagegen jene seltneren Fälle an, von denen ich sprach, die letzten
<lbn="19"xml:id="b54r_lb19"/>Idealisten, die es heute unter Philosophen und Gelehrten giebt: hat man in ihnen vielleicht
<lbn="20"xml:id="b54r_lb20"/>die <addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e203">gesuchten</add><hirend="underline">Gegner</hi> des asketischen Ideals, seine <hirend="underline">Gegen-Idealisten</hi>? In der That, sie <hirend="underline">glauben</hi> sich
<lbn="21"xml:id="b54r_lb21"/>als solche, diese „Ungläubigen“ (denn das sind sie allesammt), es scheint gerade das ihr letzte<substxml:id="b54r_subst_d2e218"><delrend="overwritten">r</del><addplace="superimposed"xml:id="b54r_add_d2e221">s</add><addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e224">Stück</add></subst>
<lbn="22"xml:id="b54r_lb22"/>Glaube, <substxml:id="b54r_subst_d2e229"><addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e230">Gegner dieses Ideals zu sein, so ernsthaft sind sie an dieser Stelle, so leidenschaftlich wird da gerade ihr Wort, ihre Gebärde:</add><delrend="hatching">so ernsthaft ist er, so leidenschaftlich äußert er sich mitunter</del></subst> – brauchte e<substxml:id="b54r_subst_d2e236"><delrend="overwritten">r</del><addplace="superimposed"xml:id="b54r_add_d2e239">s</add></subst> deshalb schon
<lbn="23"xml:id="b54r_lb23"/><hirend="underline">wahr</hi> zu sein<addplace="inline"xml:id="b54r_add_d2e248">, <addplace="above"rend="insM"instant="true"xml:id="b54r_add_d2e250">was sie glauben</add></add>?… Wir „Erkennenden“ sind <addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e253">nachgerade</add> mißtrauisch gegen alle Art Gläubige; unser Miß<pcforce="weak">-</pc>
<lbn="24"xml:id="b54r_lb24"/>trauen hat <substxml:id="b54r_subst_d2e262"><addplace="above"rend="insM"xml:id="b54r_add_d2e263">uns</add><delrend="hatching">sich</del></subst> allmählich darauf eingeübt, umgekehrt zu schließen, als man ehedem schloß:
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