2. Frühere Manuskriptbeschreibung (H. J. Mette)</ab>
<p>„D 20: Eigenhändiges Dm. zu E 40 (auf den Seiten V-VII finden sich offenbar von Nietzsche angeordnete Korrekturen von der Hand der Frau Louise Röder-Wiederhold); 34 einseitig, 4 doppelseitig beschriebene, z. T. aus mehreren Blättern zusammengeklebte Foliobogen (Format im allgemeinen 23×36) und 67 einseitig beschriebene Quartblätter (22×17,5), mit der Paginierung I-VII, 1-102.“ (<ref target="#Mette1932">Mette, Der handschriftliche Nachlass [1932]</ref>, 13)
<note type="msDesc">Identifizierung der fremden Hand als diejenige L. Röder-Wiederholds irrtümlich, Hand von Druckerei-Mitarbeiter, N.N.</note>
</p>
<p>„D 20: Eigenhändiges Dm. zu E 40 (auf den Seiten V-VII sowie den Seiten 27 und 33 der ersten Gruppe finden sich offenbar von Nietzsche angeordnete Korrekturen von fremder Hand); 34 einseitig, 4 doppelseitig beschriebene, z. T. aus mehreren Blättern zusammengeklebte Foliobogen (Format im allgemeinen 23×36) und 67 einseitig beschriebene Quartblätter (17,5×21,5), mit der Paginierung I-VII, 1-13, 13a-c, 14-33, 1-66.“ (<ref target="#Mette1933">Mette, Sachlicher Vorbericht, BAW I [1933]</ref>, XLIVf.)</p>
<material>Folioblatt</material>, <width>22,9</width>×<height>35,9</height>, liniiert. Verso vakat. Für Bogenkorrektur auseinandergeschnitten, nachträglich auf unterlegtem Papierstreifen wieder zusammengeklebt; Papierstreifen Makulatur, auf Klebeseite mit Maschine beschrieben.</desc>
<material>Folioblatt</material>, ca. <width>23</width>×<height>12,2</height>, liniiert, Trennkante unten. Verso vakat. Rekto und Verso geringfügige Eindruckspuren einer Heftklammer (Anheftung von a18rv). Ursprünglich unterer Blattteil: a19rv.</desc>
<material>Folioblatt</material>, <width>23,2</width>×<height>15,2</height>, liniiert, Trennkante unten. Rekto und Verso geringfügige Eindruckspuren einer Heftklammer (Anheftung an a17rv). Ursprünglich Zusatzblatt zum Blatt 17rv/19rv.</desc>
<material>Folioblatt</material>, ca. <width>23</width>×<height>24,2</height>, liniiert, Trennkante oben. Verso vakat. Ursprünglich oberer Blatteil: a17rv.</desc>
<material>Folioblatt</material>, ca. <width>22,8</width>×<height>30,6</height>, liniiert, Trennkante oben. Verso vakat. Ursprünglich oberer Blattteil: Teil 1 von a29vr.</desc>
<material>Folioblatt</material>, ca. <width>22,8</width>×<height>36</height>, liniiert. Verso vakat. Für Bogenkorrektur auseinandergeschnitten, nachträglich auf unterlegtem Papierstreifen wieder zusammengeklebt; Papierstreifen Makulatur, auf Klebeseite mit Maschine beschrieben.</desc>
<material>Folioblatt</material>, ca. <width>23,3</width>×<height>18</height>, liniiert, Trennkante unten. Verso vakat. Ursprünglich unterer Blattteil: Teil 2 von a29rv.</desc>
<material>Folioblatt</material>, ca. <width>23,3</width>×<height>51,9</height>, liniiert. Vier Teile unterschiedlichen Formats zusammengeklebt, Teile 3 und 4 auf zusätzlich unterlegten Blattteil aufgeklebt; Teil 1 und unterlegter Blattteil Makulatur mit Textresten von Ns Hand. Für Bogenkorrektur auseinandergeschnitten, nachträglich auf unterlegtem Papierstreifen wieder zusammengeklebt. Verso Rostspuren einer Heftklammer (Anheftung von a40rv, vermutlich zusammen mit a41vr). Ursprünglich unterer Blattteil von Teil 1: a22vr. Ursprünglich oberer Blattteil von Teil 2: a27rv.</desc>
<material>Blatt</material>, ca. <width>12,7</width>×<height>10</height>, unliniiert, Trennkante unten. Rekto Rostspuren einer Heftklammer (Anheftung, vermutlich zusammen mit a41vr, an a29rv). Rekto und Verso Mitte unten zwei Einstichlöcher von Stecknadel (Anheftung von a41vr). Zusatzblatt zu a29r und a39r.</desc>
<material>Blatt</material>, ca. <width>12,7</width>×<height>10,5</height>, unliniiert, Risskante unten. Verso vakat. Papier mit Wasserzeichen. Rekto und Verso Mitte oben zwei Einstichlöcher von Stecknadel (Anheftung an a40vr). Zusatzblatt zu a40v.</desc>
</p><!-- Wasserzeichen wo? -->
<p>
<locus>b1rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b1rv">
<material>Quartblatt</material>, ca. <width>17,4</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
</p><!-- Text- oder Schriftverlust? fehlt(?) nur ein Trennstrich – besser als note "minimer Schriftverlust durch Beschnitt" -->
<p>
<locus>b2rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b2rv">
<material>Quartblatt</material>, <width>17,3</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
</p>
<p>
<locus>b3rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b3rv">
<material>Quartblatt</material>, <width>17,3</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
</p>
<p>
<locus>b4rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b4rv">
<material>Quartblatt</material>, <width>17,3</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
</p>
<p>
<locus>b5rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b5rv">
<material>Quartblatt</material>, <width>17,3</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
</p>
<p>
<locus>b6rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b6rv">
<material>Quartblatt</material>, <width>17,3</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
</p>
<p>
<locus>b7rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b7rv">
<material>Quartblatt</material>, <width>17,3</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
</p>
<p>
<locus>b8rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b8rv">
<material>Quartblatt</material>, <width>17,3</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
</p>
<p>
<locus>b9rv</locus>: <desc xml:id="folDesc_b9rv">
<material>Quartblatt</material>, <width>17,3</width>×<height>21,7</height>, liniiert, roter Farbschnitt, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat.</desc>
<material>Blatt</material>, <width>12,6</width>×<height>7,9</height>, liniiert, Trennkante Rekto rechts und unten. Verso vakat. Papier mit Wasserzeichen. Mit oberer linker Ecke auf b20r geklebt. Zusatzblatt zur Bogenkorrektur, Cb8 119.</desc>
<material>Blatt</material>, <width>12,6</width>×<height>20,2</height>, unliniiert, Trennkante Rekto links. Verso vakat. Papier mit Wasserzeichen. Rekto und Verso Rostspuren von Heftklammern (Anheftung an @@@). Zusatzblatt zu b61r und b62r.</desc>
<material>Blatt</material>, <width>13,5</width>×<height>21</height>, unliniiert, Trennkante Rekto rechts. Verso vakat. Rekto und Verso Rostspuren von Heftklammern (Anheftung an @@@). Zusatzblatt zur Bogenkorrektur, Cb12 177, 179.</desc>
<material>Blatt</material>, ca. <width>12,8</width>×<height>20,3</height>, unliniiert, Trennkante Rekto links. Verso vakat. Papier mit Wasserzeichen. Rekto und Verso Rostspuren von Heftklammer (Anheftung an @@@). Zusatzblatt zu b62r und b66r.</desc>
<note type="msDesc">Als Bearbeitungsspuren werden sämtliche Ms-Eintragungen von fremder Hand verzeichnet, sofern sie nicht von N angeordnete Textänderungen oder Korrekturen betreffen und als solche in der Ts wiedergegeben sind.</note><!-- so? oder alles inkl. Setzer-Redaktionen angeben + "siehe Ts"? -->
</p><!-- Einfügungszeichen mit typesetter-black und Anstreichung dazu mit typesetter-blue auch hier vermerken? wenns im Text codiert bleibt, nicht (sonst müsste man Entsprechendes auch für andere Stellen nachtragen)??? --><!-- stilisiertes Fragezeichen mit Violettstift extra mitteilen? vgl. auch a27r, a33r -->
<p>
<locus>a29v</locus>: <desc xml:id="addDesc_a29v">Anmerkung (am oberen Rand „Schluß von Nr. 2 der zweiten Abhandlung.“), <ref target="#Koeselitz_redInk">rote Tinte, vermutlich Köselitz</ref>.</desc>
<p>Das Druckmanuskript von GM ist im Juli und August 1887 in Sils-Maria entstanden. Die Vorarbeiten (Entwürfe, Reinschriften, Dispositionen) sind offenbar zum großen Teil verloren gegangen. Laut N wurde die Schrift „rasch beschlossen“ und „gegen den 10. Juli“ begonnen (N an Köselitz, 8.8.1887). Am 17. Juli schickte N das Ms einer Abhandlung (erste Dm-Fassung, weitgehend GM I entsprechend) an seinen Verleger C. G. Naumann, vermutlich noch unter dem Titel „Jenseits von Gut und Schlecht? Eine philosophische Streitschrift“ (Titelblatt und §1 der ersten Fassung sind nicht erhalten geblieben); doch nur drei Tage später, am 20. Juli, verlangte N das Ms telegraphisch wieder zurück. Knapp zwei Wochen später, am 30. Juli, ging das inzwischen mehr als doppelt so umfangreiche Ms wieder an Naumann, mit nunmehr zwei Abhandlungen (GM I-II), einer Vorrede (GM Vorrede 1-7) und neuem Titelblatt: „Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift“. Anfang August wurde mit der Drucklegung begonnen. Ungefähr zur selben Zeit muss N die dritte Abhandlung in Angriff genommen haben, deren Niederschrift schließlich bis Ende des Monats dauerte. Am 28. August sandte N das Ms von GM III sowie einen neuen Schlussabschnitt für die Vorrede (GM Vorrede 8) und das Inhaltsverzeichnis an Naumann. Im Laufe des August oder September, mitunter noch Anfang Oktober, folgten zu GM II, GM III und Vorrede 1-8 Ms-Nachträge und schriftliche Anweisungen zu Textänderungen; die verschiedenen Nachsendungen lassen sich nur ungefähr datieren, der Terminus post quem ergibt sich aus der Postaufgabe der Ms, 30. Juli (GM I-II, Vorrede 1-7, Titelblatt) und 28. August (GM III, Vorrede 8, Inhaltsverzeichnis), den Terminus ante quem stellt der Satz der jeweiligen Korrekturbogen dar, Anfang September (Bogen 4) bis Anfang/Mitte Oktober (Bogen 12 und Titelbogen). Auch noch während des Korrekturdurchgangs konnte N je nach dem größere letzte Textänderungen vornehmen. Als sich mit dem Satz von Bogen 3 am Ende der ersten Abhandlung eineinhalb leere Seiten ergaben, reichte N noch eine längere „Anmerkung“ (GM I Anmerkung) nach, die in kleineren Lettern „an den Schluß der ersten Abhandlung (in den leeren Raum daselbst) zu rücken“ war (N an Naumann, 18.8.1887). Die Korrekturen erfolgten nach dem üblichen Prozedere: Ein Korrekturbogenexemplar ging an N in Sils-Maria, ein zweites zusammen mit den entsprechenden Ms-Seiten an Köselitz in Venedig. Letzterer korrigierte den Satz anhand des Ms und nahm überdies orthographische Vereinheitlichungen vor. Das von Köselitz korrigierte Exemplar ging daraufhin an N, der sodann die eigenen Korrekturen und Textänderungen aus seinem Exemplar in das Köselitz’sche Exemplar übertrug. Das um die eigenen Korrekturen und Änderungen ergänzte Köselitz’sche Exemplar schickte N dann als „druckfertig“ zurück an Naumann. Das Prozedere vereinfachte sich, als N ab dem 21. September bei Köselitz in Venedig weilte und sie die restlichen Bogen (Bogen 7-12 und Titelbogen) gemeinsam erledigen konnten. Die Korrekturen dauerten schließlich vom 9. August bis zum 19. Oktober. Am 5. Oktober sandte N noch einen Ms-Nachtrag mit einem neuen Abschnitt 8 für die Vorrede an Naumann, so dass sie neun Abschnitte umfasst hätte, doch N erklärte den Nachtrag noch am gleichen Tag für ungültig. Die ersten fertigen Exemplare für N und Köselitz verschickte die Druckerei am 10. November.</p>
<p>Vorstufen (Vs): Überlieferung nur sehr lückenhaft, vereinzelte Vs in N VII 2, N VII 3, W I 2, W I 8, Mp XV, Mp XVI, Mp XVII, BW 177, BW 272.</p>
<p xml:id="Cb">Korrekturbogen (Cb): <ref target="K11.xml">K 11</ref> (Mette-Signatur), drei Bogen: Bogen 1 in doppelter Ausführung, Bogen 10 ohne Korrekturen.</p>
<ab>
<list>
<item xml:id="Cb1">Bogen 1, S. 1-16 (GM I 1-10), zwei Korrekturexemplare überliefert: <ref target="K11.xml#Cb1a">Cb1a</ref> mit Korrekturen von Ns Hand, <ref target="K11.xml#Cb1b">Cb1b</ref> mit Korrekturen von Köselitz’ und Ns Hand.</item>
<item xml:id="Cb2">Bogen 2, S. 17-32 (GM I 10-15), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb3">Bogen 3, S. 33-48 (GM I 15-17, GM II Titelblatt, GM II 1-4), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb4">Bogen 4, S. 49-64 (GM II 4-11), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb5">Bogen 5, S. 65-80 (GM II 11-17), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb6">Bogen 6, S. 81-96 (GM II 17-25; S. 95, in Ed GM III Titelblatt, war in Cb6 sehr wahrscheinlich noch eine Vakatseite), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb7">Bogen 7, S. 97-112 (GM III 1-8), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb8">Bogen 8, S. 113-128 (GM III 8-13), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb9">Bogen 9, S. 129-144 (GM III 13-17), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb10">Bogen 10, S. 145-160 (GM III 17-22), Korrekturexemplar nicht überliefert; ein Exemplar ohne Korrekturen überliefert: <ref target="K11.xml#Cb10">Cb10</ref>.</item>
<item xml:id="Cb11">Bogen 11, S. 161-176 (GM III 22-26), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="Cb12">Bogen 12 (½ Bogen), S. 177-[184] (GM III 26-28, Inhaltsverzeichnis, Impressum), nicht überliefert.</item>
<item xml:id="CbTitel">Titelbogen, S. [I]-[XVI] (Titelblatt, Vorrede 1-8, Titelblatt GM I), nicht überliefert.</item>
</list>
</ab>
<p xml:id="Ed">Erstdruck (Ed): <ref target="E40.xml">E 40</ref> (Mette-Signatur): Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. Leipzig: C. G. Naumann 1887.</p>
<p>Handexemplar (He): Exemplar offenbar verschollen. In KSA 14, 380 wurden zu GM III 5 eine Textänderung und die Streichung eines Satzes als die einzigen zwei Varianten aus „He“ mitgeteilt, ein entsprechendes Handexemplar von GM ist aber nicht mehr aufindbar. Möglicherweise handelte es sich dabei um das vermisste GM-Exemplar mit der HAAB-Signatur C 4621, allerdings enthielt dieses Exemplar gemäß dem „Zugangs- und Abgangsverzeichnis der Abt. C = Nietzsche-Bibliothek“ (1956-1966) offenbar keine Korrekturen von Ns Hand (vgl. auch Sommer, Nietzsche-Kommentar 5/2, 4). Der Text in den verschiedenen Ausgaben des N-Archivs folgte ab 1899 (GA VII, ed. A. Seidl) der besagten Textänderung für GM III 5, ebenso MusA XV (1925).</p><!-- br: die erste Stelle, eine Ersetzung (statt "Eliminiren wir …" "die Heren Künstler…"), im Text von GA (Seidl, 1899) und KA (Gast, 1904) übernommen! Die zweite Stelle, die Streichung eines Satzes, nirgends übernommen! Daraus folgt doch, dass es dieses He sehr wahrscheinlich gegeben hat! ps. C 4621 war bei der HAAB-Bestandsaufnahme 1956 offenbar noch vorhanden!) @@@@@Kommentar machen zu Ed GM III 5!!!@@@@@ -->
<p>Weitere Ausgaben (alle Leipzig: C. G. Naumann):</p>
<item>Vierte Auflage 1894 und fünfte Auflage 1896, Nachbericht F. Koegel, <ref target="#GAK">GAK</ref> VII (JGB/GM).</item>
<item>6. und 7. Tausend 1899, Nachbericht A. Seidl, <ref target="#GA">GA</ref> VII (JGB/GM).</item>
<item>8. und 9. Tausend 1899, Nachbericht A. Seidl, <ref target="#KA">KA</ref> VII (JGB/GM).</item>
<item>11. und 12. Tausend 1902, Nachbericht P. Gast [H. Köselitz], <ref target="#KA">KA</ref> VII (JGB/GM).</item>
<item>13. und 14. Tausend 1903, Nachbericht P. Gast [H. Köselitz], <ref target="#GA">GA</ref> VII (JGB/GM).</item>
<item>18. bis 27. Tausend 1906, Nachbericht E. Förster-Nietzsche, <ref target="#TA">TA</ref> 8 (JGB/GM/Aus dem Nachlaß 1885/86).</item>
</list>
</ab>
</history>
</msDesc>
<listBibl>
<head>
5. Bibliographie</head>
<bibl xml:id="Deussen1887">Paul Deussen: Die Sûtra’s des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmânsâ des Bâdarâyana nebst dem vollständigen Commentare des Çankara. Aus dem Sanskrit übersetzt. Leipzig: F. A. Brockhaus 1887. (BN)</bibl>
<bibl xml:id="Doudan1877">X[iménès] Doudan: Mélanges et lettres. Avec une introduction par M. le Comte D’Haussonville et des notices par Mme. de Sacy Cuvillier-Fleury. Band IV. Paris: Calmann Lévy 1877.</bibl><!-- vgl. b66r -->
<bibl xml:id="Gast1908">Peter Gast [Heinrich Köselitz] (Hg.): Friedrich Nietzsches Briefe an Peter Gast. 2. Auflage. Leipzig: Insel 1908.</bibl>
<bibl xml:id="Mette1932">Hans Joachim Mette: Der handschriftliche Nachlass Friedrich Nietzsches. Sechste Jahresgabe der Gesellschaft der Freunde des Nietzsche-Archivs. Leipzig: Richard Hadl 1932.</bibl>
<bibl xml:id="Mette1933">Hans Joachim Mette: Sachlicher Vorbericht zur Gesamtausgabe der Werke Friedrich Nietzsches. In: Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Werke. Band I. München: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1933 [=BAW I], XXXI-CXXVI.</bibl>
<bibl xml:id="Mueller1870">[Friedrich von Müller:] Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich v. Müller. Herausgegeben von C[arl] A[ugust] H[ugo] Burkhardt. Stuttgart: J. G. Cotta’sche Buchhandlung 1870. (BN)</bibl><!-- vgl. b5r -->
<bibl xml:id="Dm_bibl">[Friedrich Nietzsche:] Druckmanuskript zu Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. Leipzig: C. G. Naumann 1887 (Mette-Signatur: D 20; GSA-Signatur: 71/27,1, 71/27,2). Aufbewahrungsort: Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar. [=Dm]</bibl>
<bibl xml:id="Cb_bibl">[Friedrich Nietzsche:] Zur Genealogie der Moral [Korrekturbogenexemplar] (Mette-Signatur: K 11; HAAB-Signatur: C 4616). Aufbewahrungsort: Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar. [=Cb]</bibl>
<bibl xml:id="Ed_bibl">Friedrich Nietzsche: Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. Leipzig: C. G. Naumann 1887 (Mette-Signatur: E 40) [=Ed]. Exemplar HAAB: ed. cit. (HAAB-Signatur: C 4620). Aufbewahrungsort: Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar.</bibl>
<bibl xml:id="GAG">[Friedrich Nietzsche:] Nietzsche’s Werke. Herausgegeben von Peter Gast [Heinrich Köselitz]. Leipzig: C. G. Naumann 1892-1894 (nach 7 Bänden abgebrochen). [=GAG]</bibl>
<bibl xml:id="GAK">[Friedrich Nietzsche:] Nietzsche’s Werke [Großoktavausgabe]. Herausgegeben von Fritz Koegel. Leipzig: C. G. Naumann 1895-1897 (nach 12 Bänden abgebrochen). [=GAK]</bibl>
<bibl xml:id="GA">[Friedrich Nietzsche:] Nietzsche’s Werke [Großoktavausgabe]. Herausgegeben vom Nietzsche-Archiv. Leipzig: C. G. Naumann, [ab 1910:] Alfred Kröner 1899-1913/1926. [=GA]</bibl>
<bibl xml:id="KA">[Friedrich Nietzsche:] Nietzsche’s Werke [Kleinoktavausgabe]. Herausgegeben vom Nietzsche-Archiv. Leipzig: C. G. Naumann, [ab 1910:] Alfred Kröner 1899-1912. [=KA]</bibl>
<bibl xml:id="TA">[Friedrich Nietzsche:] Nietzsche’s Werke. Taschen-Ausgabe. Herausgegeben von Elisabeth Förster-Nietzsche. Leipzig: C. G. Naumann 1906. [=TA]</bibl>
<bibl xml:id="MusA">Friedrich Nietzsche: Gesammelte Werke. Musarionausgabe. Herausgegeben von Richard Oehler, Max Oehler und Friedrich Chr. Würzbach. München: Musarion 1920–1929. [=MusA]</bibl>
<bibl xml:id="KGW">[Friedrich] Nietzsche: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, weitergeführt von Volker Gerhardt, Norbert Miller, Wolfgang Müller-Lauter und Karl Pestalozzi. Berlin/New York/Boston: Walter de Gruyter 1967ff. [=KGW]</bibl>
<bibl xml:id="KGB">[Friedrich] Nietzsche: Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe. Begründet von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, weitergeführt von Norbert Miller und Annemarie Pieper. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1975-2004. [=KGB]</bibl>
<bibl xml:id="KSB">Friedrich Nietzsche: Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München: Deutscher Taschenbuch Verlag und Berlin/New York: Walter de Gruyter 1986. [=KSB]</bibl>
<bibl xml:id="KSA">Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München: Deutscher Taschenbuch Verlag und Berlin/New York: Walter de Gruyter 1988 (2., durchgesehene Auflage). [=KSA]</bibl>
<bibl xml:id="Schaberg2002">William H. Schaberg: Nietzsches Werke. Eine Publikationsgeschichte und kommentierte Bibliographie. Übersetzt von Michael Leuenberger. Basel: Schwabe 2002.</bibl>
<bibl xml:id="Sommer2019">Andreas Urs Sommer: Kommentar zu Nietzsches Zur Genealogie der Moral. Berlin/Boston: De Gruyter 2019. (Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken. Herausgegeben von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. [=Nietzsche-Kommentar] Band 5/2.)</bibl>
</listBibl><!-- fehlt noch: GA, GAG, GAK -->
<!-- <bibl xml:id="KSA5">Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Band 5: Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. München: Deutscher Taschenbuch Verlag und Berlin/New York: Walter de Gruyter 1988 (2., durchgesehene Auflage). [=KSA]</bibl> -->
<!-- <bibl xml:id="KSA14">Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Band 14: Kommentar zu den Bänden 1-13. München: Deutscher Taschenbuch Verlag; Berlin/New York: Walter de Gruyter 1988 (2., durchgesehene Auflage). [=KSA 14]</bibl> -->
<!-- <bibl xml:id="KGWVI2">[Friedrich] Nietzsche: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Band VI 2: Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. (1886-1887). Berlin: Walter de Gruyter 1968. [=KGW]</bibl> -->
<list>
<head>6. Siglen und Abkürzungen</head>
<item>
<abbr>GSA</abbr>
<expan>Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar</expan>
</item>
<item>
<abbr>HAAB</abbr>
<expan>Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar</expan>
</item>
<item>
<abbr>N-Archiv</abbr>
<expan>Nietzsche-Archiv, Weimar</expan>
</item>
</list>
<list>
<item>
<abbr>BAW</abbr>
<expan>Beck’sche historisch-kritische Gesamtausgabe Werke (ed. Stiftung N-Archiv)</expan>
</item>
<item>
<abbr>GA</abbr>
<expan>Großoktavausgabe (ed. N-Archiv)</expan>
</item>
<item>
<abbr>GAG</abbr>
<expan>Gesamtausgabe (ed. Gast)</expan>
</item>
<item>
<abbr>GAK</abbr>
<expan>Großoktavausgabe (ed. Koegel)</expan>
</item>
<item>
<abbr>KA</abbr>
<expan>Kleinoktavausgabe (ed. N-Archiv)</expan>
</item>
<item>
<abbr>KGW</abbr>
<expan>Kritische Gesamtausgabe Werke (ed. Colli/Montinari)</expan>
</item>
<item>
<abbr>KGW IX</abbr>
<expan>Kritische Gesamtausgabe Werke, Abteilung IX (ed. Haase et al.)</expan>
<change xml:id="preliminaryContext1">Trotz großer verlegerischer Bemühungen enttäuschende Verkaufszahlen von JGB, von Naumann vermutlich <date notAfter="1887-06-05" cert="high">Anfang Juni 1887</date> mitgeteilt.</change>
<change xml:id="preliminaryContext2">Biographische Nachfragen zu Ns Großmutter väterlicherseits durch die Weimarer Goethe-Forschung, <date when="1887-07-06">6. Juli 1887</date>.</change>
<change xml:id="GM01beginning">Beginn der Arbeiten an GM laut N ca. <date when="1887-07-10">am 10. Juli 1887</date>.</change>
<change xml:id="GM01redivision">Im Zug der ersten Niederschrift Zwischenrevision von GM I 4-7: Vereinigung von §5 und 6 zu §5 (später GM I 4), Umnummerierung von §7-9 zu 6-8 (später GM I 5-7), Fortsetzung mit §9ff. (später GM I 8ff.), vermutlich <date notBefore="1887-07-10" notAfter="1887-07-15" cert="medium">kurz vor oder um Mitte Juli 1887</date>.</change>
<change xml:id="GM01formerVersion">Erste Dm-Fassung, ca. vom 10. bis 17. Juli 1887 entstanden, <date when="1887-07-17">am 17. Juli 1887</date> an Naumann geschickt. Abhandlung in 18 Abschnitten, Titel vermutlich „Jenseits von Gut und Schlecht? Eine philosophische Streitschrift“; Titelblatt und §1 nicht erhalten geblieben, §2-18 weitgehend GM I 1-17 entsprechend. Von der Druckerei unbearbeitet geblieben, da von N umgehend wieder zurückverlangt.</change>
<change xml:id="GM01MsBack">Dm (erste Dm-Fassung vom 17. Juli 1887) <date when="1887-07-20">am 20. Juli 1887</date> telegraphisch von Naumann zurückverlangt.</change>
<change xml:id="TertullianPassage">Nachtrag der Tertullian-Stelle in GM I 15, <date notBefore="1887-07-20" notAfter="1887-07-29">nach dem 20. Juli, vor Ende Juli 1887</date>. In der ersten, am 17. Juli an Naumann geschickten Dm-Fassung mit Hinweis für den Setzer (a17r: „<hi rend="underline">Lücke</hi>.“) ausgelassen, da N den Tertullian-Text nicht zur Hand hatte. Mit dem Brief vom 17. Juli bei F. Overbeck um den Text nachgefragt und diesen vermutlich nur wenige Tage später zugeschickt bekommen. Ns Abschrift daraufhin von ihm selbst als eingelegtes Blatt (a18rv) dem wahrscheinlich kurz nach dem 20. Juli zurückerhaltenen Dm hinzugefügt.</change>
<change xml:id="GM01finalVersion">Finale Version von GM I, <date notBefore="1887-07-20" notAfter="1887-07-29">nach dem 20. Juli, vor Ende Juli 1887</date>. Entfernung von ursprünglichem Titelblatt und §1 der ersten Dm-Fassung (beides nicht erhalten geblieben); Umnummerierung von §2-18 zu GM I 1-17, in Dm nur bei der ersten Nummer eigenhändig ausgeführt.</change>
<change xml:id="GM02abortedVersion">Erste Version von GM II, nach §1-11 abgebrochen, <date notBefore="1887-07-20" notAfter="1887-07-29">nach dem 20. Juli, vor Ende Juli 1887</date>. Nur fragmentarisch erhalten geblieben, weitgehend GM II 3-5, GM II 8 und GM II 12-13 sowie teilweise GM II 6 und GM II 11 entsprechend.</change>
<change xml:id="GMdefiniteTitle">Erstmalige Erwähnung des definitiven Titels „[Z]ur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift“, Postkarte an Köselitz vom <date when="1887-07-24">24. Juli 1887</date>.</change>
<change xml:id="GM02revision">Um- und Ausarbeitung mit neuer, <ref target="#N_brown">brauner Tinte</ref> von §1-11 der abgebrochenen ersten Version zu GM II 1-13, gegen <date notBefore="1887-07-20" notAfter="1887-07-29">Ende Juli 1887</date>. Ersetzung von §1, §2 und §7 durch GM II 1, 2 und 7, Erweiterung, Ergänzung und gegebenenfalls Umnummerierung von §6 zu GM II 6 und §9-11 zu GM II 11-13, zwei neue Abschnitte hinzugefügt mit GM II 9-10.</change>
<change xml:id="GM02completion">Niederschrift mit <ref target="#N_brown">brauner Tinte</ref> von GM II 14-24 im Anschluss an die Umarbeitung mit <ref target="#N_brown">brauner Tinte</ref> von GM II 1-13, gegen <date notBefore="1887-07-20" notAfter="1887-07-29">Ende Juli 1887</date>.</change>
<change xml:id="GMfrontRecord">Niederschrift mit <ref target="#N_brown">brauner Tinte</ref> von GM Vorrede 1-7 und Titelblatt, nach oder während der Vollendung von GM II 1-24, gegen <date notBefore="1887-07-20" notAfter="1887-07-29">Ende Juli 1887</date>.</change>
<change xml:id="GM01-02finalVersion">Dm von GM I-II <date when="1887-07-30">am 30. Juli 1887</date> an Naumann geschickt: Titelblatt, Vorrede 1-7, GM I, GM II 1-24.</change>
<change xml:id="GM02belatedMod">Nachträgliche Textänderungen zu Dm GM II, teilweise von Druckerei-Mitarbeiter in Dm eingetragen; Ns schriftliche Anordnungen nur zum Teil überliefert. Genauer Zeitpunkt nicht ermittelt, <date notBefore="1887-07-31" notAfter="1887-09-30">frühestens Ende Juli, spätestens Anfang September 1887</date>.</change>
<change xml:id="GMVorrede06-07belatedMod">Nachträgliche Textänderungen zu Dm GM Vorrede 6-7, von Druckerei-Mitarbeiter in Dm eingetragen; Ns schriftliche Anordnungen nicht überliefert. Genauer Zeitpunkt nicht ermittelt, <date notBefore="1887-07-31" notAfter="1887-10-15">frühestens Ende Juli, spätestens Anfang/Mitte Oktober 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreading">Bogenkorrektur zu GM I-II, GM III und Titelei inklusive Vorrede <date from="1887-08-09" to="1887-10-19">von 9. August bis 19. Oktober 1887</date>: 12½ Bogen, die ersten sechs Bogen von August bis Mitte September von N in Sils und von Köselitz in Venedig Korrektur gelesen, die restlichen Bogen von 21. September bis Mitte Oktober gemeinsam in Venedig Korrektur gelesen.</change>
<change xml:id="GM03firstVersion">Erste Version von GM III in 22 Abschnitten (später GM III 2-23) <date notBefore="1887-08-01" notAfter="1887-08-20">Anfang/Mitte August 1887</date>.<!-- wie Datum anegben?? -->
</change>
<change xml:id="proofreadingCb1"> Korrektur von Bogen 1 (S. 1-16), <date notBefore="1887-08-09" notAfter="1887-08-13">zwischen 9. und 13. August 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreadingCb2"> Korrektur von Bogen 2 (S. 17-32), <date notBefore="1887-08-12" notAfter="1887-08-15">zwischen 12. und 15. August 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreadingCb3"> Korrektur von Bogen 3 (S. 33-48), <date notBefore="1887-08-14" notAfter="1887-08-23 ">zwischen 14. und ca. 23. August 1887</date>, Verzögerungen wegen verspäteter Ankunft des Exemplars von Köselitz und wegen Nachtrag von GM I Anmerkung.</change>
<change xml:id="proofreadingGM01Anmerkung">Im Laufe der Korrektur von Bogen 3 Nachtrag von GM I Anmerkung, <date when="1887-08-18">18. August 1887</date>.</change>
<change xml:id="GMUmschlagrueckseiteRecord">Entwurf des Schriften-Verzeichnisses für die Umschlagrückseite, vermutlich <date notAfter="1887-08-20" cert="high">kurz vor 20. August 1887</date>.</change>
<change xml:id="GM03completion">Ergänzung und Erweiterung der ersten Version von GM III zur finalen Version, gegen <date notBefore="1887-08-15" notAfter="1887-08-28">Ende August 1887</date>. Neuer Anfangsabschnitt GM III 1, Umnummerierung von §1-22 zu GM III 2-23, fünf neue Abschnitte GM III 24-28, Inhaltsverzeichnis zu GM I-III.</change>
<change xml:id="GMVorrede08record">Niederschrift von GM Vorrede 8, gegen <date notBefore="1887-08-15" notAfter="1887-08-28">Ende August 1887</date>.</change>
<change xml:id="GM03finalVersion">Dm von GM III <date when="1887-08-28">am 28. August 1887</date> an Naumann geschickt: GM III, Vorrede 8, Inhaltsverzeichnis.</change>
<change xml:id="GM0317belatedMod">Nachträgliche Textänderungen zu Dm GM III 17; Ns schriftliche Anordnungen nicht überliefert. Genauer Zeitpunkt nicht ermittelt, <date notBefore="1887-08-30" notAfter="1887-10-10">frühestens Ende August, spätestens Anfang Oktober 1887</date>.</change><!-- betreffs b40r passim und v.a. vntl. Metamark (+) und Vs N VII 3,37 (=Deussen1887) -->
<change xml:id="GM0320belatedMod">Nachträgliche Textänderung zu Dm GM III 20, von Druckerei-Mitarbeiter in Dm eingetragen; Ns schriftliche Anordnung nicht überliefert. Genauer Zeitpunkt nicht ermittelt, <date notBefore="1887-08-30" notAfter="1887-10-10">frühestens Ende August, spätestens Anfang Oktober 1887</date>.</change>
<change xml:id="GM0326belatedMod">Nachträgliche Textänderungen zu Dm GM III 26; Ns schriftliche Anordnungen überliefert. Genauer Zeitpunkt nicht ermittelt, <date notBefore="1887-08-30" notAfter="1887-10-13">frühestens Ende August, spätestens vor Mitte Oktober 1887</date>.</change><!-- betreffs b63r und b65r – wobei offenbar zu verschiedenen Zeitpunkten (differentes Layout usw.), aber nicht näher bestimmbar, nicht einmal, ob 63r früher als 65r oder umgekehrt… -->
<change xml:id="GMVorrede08belatedMod">Nachträgliche Textänderung zu Dm GM Vorrede 8, von Druckerei-Mitarbeiter in Dm eingetragen; Ns schriftliche Anordnung nicht überliefert. Genauer Zeitpunkt nicht ermittelt, <date notBefore="1887-08-30" notAfter="1887-10-15">frühestens Ende August, spätestens Mitte Oktober 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreadingCb4">Korrektur von Bogen 4 (S. 49-64), <date notBefore="1887-09-07" notAfter="1887-09-10">zwischen 7. und ca. 10. September 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreadingCb5">Korrektur von Bogen 5 (S. 65-80), <date notBefore="1887-09-08" notAfter="1887-09-11">zwischen 8. und ca. 11. September 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreadingCb6">Korrektur von Bogen 6 (S. 81-96), <date notBefore="1887-09-11" notAfter="1887-09-14">zwischen 11. und ca. 14. September 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreadingCb7">Korrektur von Bogen 7 (S. 97-112), <date notBefore="1887-09-21" notAfter="1887-09-24">zwischen 21. und ca. 24. September 1887</date>.</change><!-- ; eine Korrektur dazu von Köselitz in Dm b4r eingetragen -->
<change xml:id="proofreadingCb8">Korrektur von Bogen 8 (S. 113-128), <date notBefore="1887-09-21" notAfter="1887-10-01">Ende September 1887</date>; eine Korrektur dazu in Dm b19r.</change>
<change xml:id="unboundCopySignature1-8">Aushänger von Bogen 1-8, <date when="1887-10-01">1. Oktober 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreadingCb9">Korrektur von Bogen 9 (S. 129-144), <date notBefore="1887-10-01" notAfter="1887-10-14">zwischen ca. 1. und 14. Oktober 1887</date>.</change>
<change xml:id="GMVorredeBelatedNewSection">Ms-Nachtrag mit einem neuen achten Abschnitt zur Vorrede, der GM Vorrede 8 (folglich 9) vorangestellt werden sollte, <date when="1887-10-05">am 5. Oktober 1887</date> an Naumann abgesandt, jedoch noch am gleichen Tag mit Postkarte an Naumann für ungültig erklärt.</change>
<change xml:id="proofreadingCb11">Korrektur von Bogen 11 (S. 161-176), <date notBefore="1887-10-13" notAfter="1887-10-15">zwischen ca. 13. und 15. Oktober 1887</date>.</change><!-- ; eine Notiz dazu von Köselitz’ Hand in Dm b59v -->
<change xml:id="proofreadingCb10">Korrektur von Bogen 10 (S. 145-160), verspätet, <date notBefore="1887-10-15" notAfter="1887-10-19">zwischen 15. und 19. Oktober 1887</date>.</change>
<change xml:id="proofreadingCb12Titel">Korrektur der letzten beiden Bogen, Bogen 12 (S. 177-184) und Titelbogen (S. I-XVI), <date notBefore="1887-10-15" notAfter="1887-10-18">zwischen 15. und 18. Oktober 1887</date>.</change><!-- ; Korrekturen dazu in Dm b64r, Notizen dazu von Köselitz’ Hand in Dm a1r -->
<change xml:id="proofreadingCb12TitelBelatedMod">Nachtrag zur Korrektur des Titelbogens, <date when="1887-10-18"> 18. Oktober 1887</date>.</change><!-- ; von Köselitz in Dm a3v eingetragen, von N Naumann mitgeteilt -->
<change xml:id="unboundCopySignature9-12.Titel">Aushänger von Bogen 9-12 und Titelbogen, <date when="1887-11-03">3. November 1887</date>.</change>
<change xml:id="distribution">Die ersten fertigen Exemplare von GM gehen am <date when="1887-11-10">10. November 1887</date> an N und Köselitz ab.</change>
</listChange>
</creation>
<handNotes><!-- N-Box zb.: Schreibmittel (Grundschicht): Bleistift, N -->
<handNote xml:id="GSA_pencil" scribe="GSA" medium="pencil" scope="minor">Bleistift (GSA)<note type="msDesc">Foliierung durch Mitarbeiter:in des Goethe- und Schiller-Archivs.</note>
<handNote xml:id="N-Archiv_blue" scribe="N-Archiv" medium="blue pencil" scope="minor">Blaustift (N-Archiv)<note type="msDesc">Editorische Markierungen und Anmerkungen von Mitarbeitern des Weimarer Nietzsche-Archivs.</note>
</handNote>
<handNote xml:id="N-Archiv_orangeBrown" scribe="N-Archiv" medium="orange brown pencil" scope="minor">Orangebraunstift (N-Archiv)<note type="msDesc">Editorische Markierungen von Mitarbeitern des Weimarer Nietzsche-Archivs.</note>
<handNote xml:id="N-Archiv_red" scribe="N-Archiv" medium="red pencil" scope="minor">Rotstift (N-Archiv)<note type="msDesc">Paginierung(en) sowie editorische Markierungen und Anmerkungen von Mitarbeitern des Weimarer Nietzsche-Archivs.</note>
<handNote xml:id="typesetter_black1" scribe="typesetter" medium="black ink" scope="minor">schwarze Tinte, N.N. (Druckerei)<note type="msDesc">Eintragung nachträglicher Textänderungen, auf schriftliche Anordnungen Ns hin. Schreiber unbekannt (in <ref target="#Mette1932">Mette, Der handschriftliche Nachlass [1932]</ref>, 13 und in einer dem Dm beiliegenden Archivnotiz irrtümlicherweise wegen ähnlicher Handschrift als Louise Röder-Wiederhold identifiziert).</note>
</handNote>
<handNote xml:id="typesetter_black2" scribe="typesetter" medium="black ink" scope="minor">schwarze Tinte (Druckerei)<note type="msDesc">Satztechnische Markierungen und Hinweise von Mitarbeitern der Druckerei.</note>
</handNote>
<handNote xml:id="typesetter_blue" scribe="typesetter" medium="blue pencil" scope="minor">Blaustift (Druckerei)<note type="msDesc">Satztechnische Markierungen und Hinweise von Mitarbeitern der Druckerei.</note>
</handNote>
<handNote xml:id="typesetter_pencil" scribe="typesetter" medium="pencil" scope="minor">Bleistift (Druckerei)<note type="msDesc">Satztechnische Markierungen und Hinweise von Mitarbeitern der Druckerei.</note>
</handNote>
<handNote xml:id="typesetter_red" scribe="typesetter" medium="red pencil" scope="minor">Rotstift (Druckerei)<note type="msDesc">Satztechnische Markierungen und Hinweise von Mitarbeitern der Druckerei.</note>
</handNote>
<handNote xml:id="unknown_pencil" scribe="unknown" medium="pencil" scope="minor">Bleistift (Urheber unklar)</handNote><!-- bis jetzt nur in b20r -->
</handNotes>
</profileDesc>
<revisionDesc><!-- summarizes the revision history for a file -->
<lb n="16" xml:id="a1r_lb16"/><delSpan type="delPassage" hand="#Koeselitz_blue" resp="#Koeselitz" spanTo="#delEnd2_a1r"/><certainty match="@resp" locus="value" cert="medium"/>als ihren Umweg zu einem neuen
<lb n="17" xml:id="a1r_lb17"/>Buddhismus? zu einem Europäer-
<lb n="18" xml:id="a1r_lb18"/>Buddhismus? zum – <hi rend="underline">Nihilismus</hi>?…<anchor xml:id="delEnd2_a1r"/></ref>
<lb n="24" xml:id="a1r_lb24"/><ref target="#Cb12">177. <del hand="#Koeselitz_blue" resp="#Koeselitz" rend="strikethrough"><certainty match="@resp" locus="value" cert="medium"/>4. Z. v. u. <hi rend="latin">einer <hi rend="underline">unheilbaren</hi> Krankheit</hi></del></ref><note type="editorial" xml:id="a1r_note_d2e230">24: Korrektur zu nicht erhalten gebliebenem Korrekturbogen Cb 12, der Text lautete gemäß Satzvorlage <ref target="#b65r_lb@">„eine <hi rend="underline">unheilbare</hi> Krankheit“ (Ms-Nachtrag b65r,@)</ref>; die von Köselitz notierte Korrektur des Kasus wurde schließlich nicht übernommen, stattdessen formulierte N die Stelle um, vgl. <ref target="#b64r_lb@-@">Korrekturblatt b64r,@-@</ref></note>
<lb n="3" rend="indent" xml:id="a2r_lb3"/>Wir sind uns unbekannt, wir Erkennenden, wir selbst uns selbst: das hat seinen guten Grund. Wir haben nie
<lb n="4" xml:id="a2r_lb4"/>nach uns gesucht, – wie sollte es geschehn, daß wir eines Tags uns <hi rend="underline">fänden</hi>? Mit Recht hat man gesagt: „wo euer
<lb n="5" xml:id="a2r_lb5"/>Schatz ist, da ist auch euer Herz“; <hi rend="underline">unser</hi> Schatz ist, wo die Bienenkörbe unsrer Erkenntniß stehn. Wir sind immer
<lb n="6" xml:id="a2r_lb6"/>dazu unterwegs, als geborne Flügelthiere und Honigsammler des Geistes, wir kümmern uns von Herzen eigentlich
<lb n="7" xml:id="a2r_lb7"/>nur um Eins – etwas „heimzubringen“. Was das Leben sonst, die sogenannten „Erlebnisse“ angeht, – wer von uns
<lb n="8" xml:id="a2r_lb8"/>hat dafür auch nur Ernst genug? Oder Zeit genug? Bei solchen Sachen waren wir, fürchte ich, nie recht „bei
<lb n="9" xml:id="a2r_lb9"/>der Sache“: wir haben eben unser Herz nicht dort<subst xml:id="a2r_subst_d2e76"><del rend="overwritten"><del rend="strikethrough">,</del></del><add place="superimposed" xml:id="a2r_add_d2e80"> –</add></subst> und nicht einmal unser Ohr! Vielmehr wie ein Göttlich-
<lb n="10" xml:id="a2r_lb10"/>Zerstreuter und In-sich-Versenkter, dem die Glocke eben mit aller Macht ihre zwölf Schläge des Mittags in’s
<lb n="11" xml:id="a2r_lb11"/>Ohr gedröhnt hat, mit Einem Male aufwacht und sich fragt „was hat es da eigentlich geschlagen?“ so reiben
<lb n="12" xml:id="a2r_lb12"/>auch wir uns mitunter <hi rend="underline">hinterdrein</hi> die Ohren und fragen, ganz erstaunt, ganz betreten „was haben wir da
<lb n="13" xml:id="a2r_lb13"/>eigentlich erlebt? mehr noch: wer <hi rend="underline">sind</hi> wir eigentlich?“ und zählen nach, hinterdrein, wie gesagt, alle <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="IV"/>die
<lb n="14" xml:id="a2r_lb14"/>zitternden zwölf Glockenschläge unsres Erlebnisses, unsres Lebens, unsres <hi rend="underline">Seins</hi> – ach! und verzählen uns da<pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="a2r_lb15"/>bei… Wir bleiben uns eben nothwendig fremd, wir verstehn uns nicht, wir <hi rend="underline">müssen</hi> uns verwechseln, für
<lb n="16" xml:id="a2r_lb16"/>uns heißt der Satz in alle Ewigkeit „Jeder ist sich selbst der Fernste“, – für uns sind wir keine „Erkennen<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="a2r_lb19"/>– Meine Gedanken über die <hi rend="underline">Herkunft</hi> unsrer moralischen Vorurtheile – denn um sie handelt es sich in dieser Streit<pc force="weak">-</pc>
<lb n="20" xml:id="a2r_lb20"/>schrift – haben ihren ersten, sparsamen und vorläufigen Ausdruck in jener Aphorismen-Sammlung erhalten, die den
<lb n="21" xml:id="a2r_lb21"/>Titel trägt „Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister<del rend="strikethrough" cert="high">.</del>“ und deren Niederschrift in Sorrent begonnen
<lb n="22" xml:id="a2r_lb22"/>wurde, während eines Winters, welcher es mir erlaubte, Halt zu machen wie ein Wandrer Halt macht, und das weite
<lb n="23" xml:id="a2r_lb23"/>und gefährliche Land zu überschauen, durch das mein Geist bis dahin gewandert war. Dies geschah im Winter 1876
<lb n="24" xml:id="a2r_lb24"/>-77; die Gedanken selbst sind älter. Es waren in der Hauptsache schon die gleichen Gedanken, die ich in den
<lb n="25" xml:id="a2r_lb25"/>vorliegenden Abhandlungen wieder aufnehme: – hoffen wir, daß die lange Zwischenzeit ihnen gut gethan hat,
<lb n="26" xml:id="a2r_lb26"/>daß sie reifer, heller, stärker, vollkommner geworden sind! <hi rend="underline">Daß</hi> ich aber heute noch an ihnen festhalte, daß sie
<lb n="27" xml:id="a2r_lb27"/>sich selber inzwischen immer fester an einander gehalten haben, ja in einander gewachsen und verwachsen sind, das
<lb n="28" xml:id="a2r_lb28"/>stärkt in mir die frohe Zuversichtlichkeit, sie möchten von Anfang an in mir nicht einzeln, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="V"/>nicht beliebig, nicht spo<pc force="weak">-</pc>
<lb n="29" xml:id="a2r_lb29"/>radisch entstanden sein, sondern aus einer gemeinsamen Wurzel heraus, aus einem in der Tiefe gebietenden, im<pc force="weak">-</pc>
<lb n="30" xml:id="a2r_lb30"/>mer bestimmter redenden, immer Bestimmteres verlangenden <hi rend="underline">Grundwillen</hi> der Erkenntniß. So allein nämlich ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="31" xml:id="a2r_lb31"/>ziemt es sich bei einem Philosophen. Wir haben kein Recht darauf, irgend worin <hi rend="underline">einzeln</hi> zu sein: wir dürfen weder
<lb n="32" xml:id="a2r_lb32"/>einzeln irren, noch einzeln die Wahrheit treffen. Vielmehr mit der Nothwendigkeit, mit der ein Baum seine
<lb n="33" xml:id="a2r_lb33"/>Früchte trägt, wachsen aus uns unsre Gedanken, unsre Werthe, un<retrace>s</retrace>re Ja’s und Nein’s und Wenn’s und Ob’s –
<lb n="34" xml:id="a2r_lb34"/>verwandt und bezüglich allesammt unter einander und Zeugnisse Eines Willens, Einer Gesundheit, Eines Erd<pc force="weak">-</pc>
<lb n="35" xml:id="a2r_lb35"/>reichs, Einer Sonne. – Ob sie <hi rend="underline">euch</hi> schmecken, diese unsre Früchte? – Aber was geht das die Bäume an!
<lb n="36" xml:id="a2r_lb36"/>Was geht das <hi rend="underline">uns</hi> an, uns Philosophen!…</p>
<lb n="38" xml:id="a2r_lb38"/>Bei einer mir eignen Bedenklichkeit, die ich ungern eingestehe – sie bezieht sich nämlich auf die <hi rend="underline">Moral</hi>,
<lb n="39" xml:id="a2r_lb39"/>auf Alles, was bisher auf Erden als Moral gefeiert worden ist –, einer Bedenklichkeit, <del rend="hatching">die</del> welche in meinem <pb xml:id="a3r" corresp="#contents_a3r #folDesc_a3rv #addDesc_a3r #N_brown1" facs="#D-20a_V" change="#GMfrontRecord #GM01-02finalVersion #GMVorrede06-07belatedMod #proofreadingCb12Titel"/>
<lb n="1" xml:id="a3r_lb1"/>abliegt (in der <hi rend="latin">Dr. Rée</hi>, gleich allen englischen Moralgenealogen, die moralische Werthungsweise <hi rend="underline">an</hi> <hi rend="underline">sich</hi> sieht); ins<pc force="weak">-</pc>
<lb n="2" xml:id="a3r_lb2"/>gleichen S. <del>29</del>74. <hi rend="latin">Wand.</hi> S. 29. <add place="above" rend="insM" xml:id="a3r_add_d2e64"><hi rend="latin">Morgenr.</hi> S. 99</add> über die Herkunft der Gerechtigkeit als eines Ausgleichs zwischen ungefähr Gleich-
<lb n="3" xml:id="a3r_lb3"/>Mächtigen (Gleichgewicht als Voraussetzung aller Verträge, folglich alles Rechts); insgleichen über die Herkunft der Strafe
<lb n="4" xml:id="a3r_lb4"/><hi rend="latin">Wand.</hi> S. 25. 34. für die der terroristische Zweck, <add place="above" rend="insM" xml:id="a3r_add_d2e76">weder ursprünglich,</add> wie <hi rend="latin">Dr. Rée</hi> meint, noch essentiell ist (– er ist ihr vielmehr erst
<lb n="5" xml:id="a3r_lb5"/>eingelegt, unter bestimmten Umständen, und immer als ein Nebenbei, als etwas Hinzukommendes)</p>
<lb n="7" rend="indent" xml:id="a3r_lb7"/>Im Grunde lag mir gerade damals etwas viel Wichtigeres am Herzen als eignes oder fremdes Hypothesenwesen über den
<lb n="8" xml:id="a3r_lb8"/>Ursprung der Moral (oder vielmehr: das letztere nur um eines Zweckes willen, zu dem es eins unter vielen Mit<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="a3r_lb9"/>teln war) Es handelte sich für mich um den <hi rend="underline">Werth</hi> der Moral, – und darüber hatte ich mich fast allein mit meinem
<lb n="10" xml:id="a3r_lb10"/>großen Lehrer Schopenhauer auseinanderzusetzen, an den wie an einen Gegenwärtigen jenes Buch, die Leidenschaft <choice xml:id="a3r_choice_d2e115"><sic>und
<lb n="11" xml:id="a3r_lb11"/>und</sic><corr>und</corr></choice> der geheime Widerspruch jenes Buchs sich wendet <add place="inline" xml:id="a3r_add_d2e122">(</add>– denn auch jenes Buch war eine „Streitschrift.“) Es handelte sich
<lb n="12" xml:id="a3r_lb12"/>in Sonderheit um den Werth des „Unegoistischen“, der Mitleids- Selbstverläugnungs- Selbstopferungs-Instinkte, welche
<lb n="13" xml:id="a3r_lb13"/>gerade Schopenhauer so lange vergoldet, vergöttlicht und verjenseitigt hatte, bis sie ihm schließlich als die „Werthe an
<lb n="14" xml:id="a3r_lb14"/>sich“ übrig blieben, auf Grund deren er zum Leben, auch zu sich selbst, <hi rend="underline">Nein</hi> <hi rend="underline">sagte</hi>. Aber gerade gegen <hi rend="underline">diese</hi> In<pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="a3r_lb15"/>stinkte redete aus mir ein immer grundsätzlicherer Argwohn, eine immer tiefer grabende Skepsis! Gerade hier sah
<lb n="16" xml:id="a3r_lb16"/>ich die <hi rend="underline">große</hi> Gefahr der Menschheit, ihre <choice xml:id="a3r_choice_d2e152"><sic>sublimsten</sic><corr>sublimste</corr></choice> Lockung und Verführung – wohin doch? in’s Nichts? – gerade
<lb n="17" xml:id="a3r_lb17"/>hier sah ich den Anfang vom Ende, das Stehenbleiben, die nihilistische Müdigkeit, den Willen <hi rend="underline">gegen</hi> das Leben
<lb n="18" xml:id="a3r_lb18"/>sich wendend, die letzte Krankheit sich zärtlich und schwermüthig ankündigend: ich <subst xml:id="a3r_subst_d2e163"><add place="above" rend="insM" xml:id="a3r_add_d2e164">verstand</add><del rend="hatching">begriff</del></subst> die immer mehr um sich grei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="a3r_lb19"/>fende Mitleids-Moral, welche selbst die Philosophen ergriff und krank machte, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="X"/>als das unheimlichste Symptom einer
<lb n="20" xml:id="a3r_lb20"/>unheimlich gewordnen europäischen Cultur, als ihren Umweg – zum Nihilismus?… Zu einem neuen Buddhis<pc force="weak">-</pc>
<lb n="21" xml:id="a3r_lb21"/>mus, einem Zukunfts-Buddhismus?… Diese moderne Philosophen-Bevorzugung und Überschätzung des Mitlei<subst xml:id="a3r_subst_d2e185"><add place="above" rend="insM" xml:id="a3r_add_d2e186">dens</add><del rend="hatching">ds</del></subst> ist
<lb n="22" xml:id="a3r_lb22"/>nämlich etwas Neues: gerade über den <hi rend="underline">Unwerth</hi> des Mitleidens waren bisher die Philosophen übereingekommen.
<lb n="23" xml:id="a3r_lb23"/>Ich nenne nur Plato, Spinoza, <choice xml:id="a3r_choice_d2e198"><sic>La<subst xml:id="a3r_subst_d2e201"><del rend="overwritten">r</del><add place="superimposed" xml:id="a3r_add_d2e204">R</add></subst>ochefoucauld</sic><corr>La Rochefoucauld</corr></choice> und Kant, vier Geister so verschieden von einander als möglich, aber
<lb n="24" xml:id="a3r_lb24"/><seg xml:id="trans1_a3r">Eins</seg> <metamark function="transposition" rend="transLine"/> <seg xml:id="trans2_a3r">in Einem</seg>: in der Geringschätzung des Mitleidens. –</p>
<lb n="26" rend="indent" xml:id="a3r_lb26"/>Dies Problem vom <hi rend="underline">Werthe</hi> des Mitleids und der Mitleids-Moral <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a3r_add_d2e237">(– <subst change="#GMVorrede06-07belatedMod" xml:id="a3r_subst_d2e239"><add hand="#typesetter_black1" place="above" seq="3" xml:id="a3r_add_d2e240">ich bin ein Gegner der schändlichen modernen Gefühlsverweichlichung –</add><del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough" seq="3">in allen meinen Schriften, namentlich <add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="a3r_add_d2e244"><del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough" seq="3">in der</del></add> <hi rend="latin">Morgenr.</hi> und <add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="a3r_add_d2e251"><del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough" seq="3">der</del></add> <hi rend="latin">fröhl. Wiss.</hi> stark unter<pc force="weak">-</pc><add place="above" rend="insM" instant="true" seq="1" xml:id="a3r_add_d2e260"><del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough" seq="3">strichen –</del></add></del></subst><add place="above" rend="insM" instant="true" seq="1" xml:id="a3r_add_d2e263">)</add></add> scheint zunächst nur etwas Vereinzeltes, ein Frage<pc force="weak">-</pc>
<lb n="27" xml:id="a3r_lb27"/>zeichen für sich; wer aber einmal hier hängen bleibt, hier fragen <hi rend="underline">lernt</hi>, dem wird es gehn, wie es mir ergangen ist –
<lb n="28" xml:id="a3r_lb28"/>eine ungeheure neue Aussicht thut sich ihm auf, eine Möglichkeit faßt ihn wie ein Schwindel, jede Art Mißtrauen,
<lb n="29" xml:id="a3r_lb29"/>Argwohn, Furcht springt hervor, der Glaube an die Moral, an alle Moral wankt, – endlich wird eine neue Forderung
<lb n="30" xml:id="a3r_lb30"/>laut. Sprechen wir sie aus, diese <hi rend="underline">neue</hi> <hi rend="underline">Forderung</hi>: wir haben eine <hi rend="underline">Kritik</hi> der moralischen Werthe nöthig, <hi rend="underline">der</hi>
<lb n="31" xml:id="a3r_lb31"/><hi rend="underline">Werth</hi> <hi rend="underline">dieser</hi> <hi rend="underline">Werthe</hi> <hi rend="underline">ist</hi> <hi rend="underline">selbst</hi> <hi rend="underline">erst</hi> <hi rend="underline">einmal</hi> <hi rend="underline">in</hi> <hi rend="underline">Frage</hi> <hi rend="underline">zu</hi> <hi rend="underline">stellen</hi> – und dazu thut eine Kenntniß der Bedingungen
<lb n="32" xml:id="a3r_lb32"/>und Umstände noth, aus denen sie gewachsen, unter denen sie sich ent<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="XI"/>wickelt und verschoben haben (Moral als
<lb n="33" xml:id="a3r_lb33"/>Folge, als Symptom, als Maske, als Tartüfferie, als Krankheit, als Mißverständniß, aber auch Moral als Ursache, als
<lb n="34" xml:id="a3r_lb34"/>Heilmittel, als <hi rend="latin">Stimulans</hi>, als Hemmung, als Gift), wie eine solche Kenntniß weder bis jetzt da war, noch auch nur
<lb n="35" xml:id="a3r_lb35"/>begehrt worden ist. Man nahm den <hi rend="underline">Werth</hi> dieser „Werthe“ als gegeben, als thatsächlich, als jenseits aller In-Fra<pc force="weak">-</pc>
<lb n="36" xml:id="a3r_lb36"/><subst xml:id="a3r_subst_d2e351"><add place="inline" xml:id="a3r_add_d2e352">ge-</add><del rend="strikethrough">ge</del><del rend="overwritten">st</del><add place="superimposed" xml:id="a3r_add_d2e358">St</add></subst>ellung; man hat bisher auch nicht im Entferntesten daran gezweifelt und geschwankt, <add place="inline" xml:id="a3r_add_d2e362">„</add>den <del rend="strikethrough">„</del>Guten“ <subst xml:id="a3r_subst_d2e368"><add place="above" rend="insM" xml:id="a3r_add_d2e369">für</add><del rend="hatching">als</del></subst> höherwerthig</p>
<lb n="3" rend="indent" xml:id="a4r_lb3"/>– Wenn diese Schrift irgend Jemandem unverständlich ist und schlecht zu Ohren geht,
<lb n="4" xml:id="a4r_lb4"/>so liegt die Schuld, wie mich dünkt, nicht nothwendig an mir. Sie ist deutlich genug,
<lb n="5" xml:id="a4r_lb5"/>vorausgesetzt, was ich voraussetze, daß man zuerst meine früheren Schriften <del xml:id="substDel1a_a4r" rend="hatching">Zeile für</del>
<lb n="6" xml:id="a4r_lb6"/><del xml:id="substDel1b_a4r" rend="hatching">Zeile</del> gelesen und einige Mühe dabei nicht gespart hat: diese sind in der That nicht
<lb n="7" xml:id="a4r_lb7"/>leicht zugänglich. Was zum Beispiel meinen „Zarathustra“ anbetrifft, so lasse ich
<lb n="8" xml:id="a4r_lb8"/>Niemanden als dessen Kenner gelten, den nicht jedes seiner Worte irgendwann
<lb n="1" xml:id="a8r_lb1"/>Das dafür ausgeprägte Wort <foreign xml:lang="grc"><reg>ἐσϑλός</reg></foreign> bedeutet der Wurzel nach Einen, der <hi rend="underline">ist</hi>, der Realität hat, der wirklich ist, der wahr ist;
<lb n="2" xml:id="a8r_lb2"/>dann, mit einer subjektiven Wendung, den Wahren als den Wahrhaftigen: in dieser Phase der Begriffs-Verwandlung wird
<lb n="3" xml:id="a8r_lb3"/>es zum Schlag- und Stichwort des Adels und geht ganz und gar in den Sinn „adelig“ über, zur Abgrenzung vom <hi rend="underline">lügenhaften</hi>
<lb n="4" xml:id="a8r_lb4"/>gemeinen Manne, so wie <hi rend="latin">Theognis</hi> ihn nimmt <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="8"/>und schildert – bis endlich das Wort, nach dem Niedergange des Adels, zur
<lb n="5" xml:id="a8r_lb5"/>Bezeichnung der seelischen <hi rend="latin">noblesse</hi> übrig bleibt und gleichsam reif und süß wird. Im Worte <foreign xml:lang="grc"><reg>κακός</reg></foreign> <add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e92">wie in <foreign xml:lang="grc"><reg>δειλός</reg></foreign></add> (der Plebejer im
<lb n="6" xml:id="a8r_lb6"/>Gegensatz zum <foreign xml:lang="grc"><reg>ἀγαϑός</reg></foreign>) ist die Feigheit unterstrichen: dies giebt vielleicht einen Wink, in welcher Richtung man die
<lb n="7" xml:id="a8r_lb7"/>etymologische Herkunft des mehrfach deutbaren <foreign xml:lang="grc"><reg>ἀγαϑός</reg></foreign> zu suchen hat. Im lateinischen <hi rend="latin">malus</hi> (dem ich <foreign xml:lang="grc"><reg>μέλας</reg></foreign> zur Seite
<lb n="8" xml:id="a8r_lb8"/>stelle) könnte der gemeine Mann als der Dunkelfarbige, vor allem als der Schwarzhaarige („<hi rend="latin">hic niger est</hi> –“) gekennzeich<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="a8r_lb9"/>net sein, als der vorarische Insasse des italischen Bodens, der sich von der herrschend gewordnen blonden, nämlich arischen
<lb n="10" xml:id="a8r_lb10"/>Eroberer-Rasse durch die Farbe am deutlichsten abhob; wenigstens bot mir das Irische den genau entsprechenden Fall –
<lb n="11" xml:id="a8r_lb11"/><hi rend="latin">fin<del rend="strikethrough">g<anchor xml:id="appAnchor_a8r11"/></del></hi> (zum Beispiel im Namen <hi rend="latin">Fin-Gal</hi>) das abzeichnende Wort des Adels, ursprünglich der Blondkopf, zuletzt der Gute,
<lb n="12" xml:id="a8r_lb12"/>Edle, Reine, im Gegensatz zu den dunklen schwarzhaarigen Ureinwohnern. Die Kelten, beiläufig gesagt, waren durch<pc force="weak">-</pc>
<lb n="13" xml:id="a8r_lb13"/>aus eine blonde Rasse; man thut Unrecht, wenn man jene Streifen einer wesentlich dunkel<del rend="hatching" instant="true">farbigen</del>haarigen Bevölke<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="a8r_lb14"/>rung, die sich auf sorgfältigen ethnographischen Karten Deutschlands bemerkbar machen, mit irgend <choice xml:id="a8r_choice_d2e153"><sic>welchen</sic><corr>welcher</corr></choice> keltischen Her<pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="a8r_lb15"/>kunft und Blutmischung in Zusammenhang bringt, wie dies noch <hi rend="latin">Virchow</hi> thut: vielmehr schlägt an diesen Stellen die
<lb n="16" xml:id="a8r_lb16"/><hi rend="underline">vorarische</hi> Bevölkerung Deutschlands vor. (Das Gleiche gilt beinahe für ganz Europa: im Wesentlichen hat die unter<pc force="weak">-</pc>
<lb n="17" xml:id="a8r_lb17"/>worfne Rasse schließlich <add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e176">daselbst</add> wieder die Oberhand bekommen, in Farbe, Kürze des Schädels, vielleicht sogar in den in<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="a8r_lb18"/>tellektuellen und socialen Instinkten: wer steht uns dafür, <subst xml:id="subst1a_a8r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e185">ob</add><del rend="hatching">daß</del></subst> nicht <add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e190">die moderne</add> Demokratie, <add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e193">der noch modernere</add> <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="9"/>Anarchismus und namentlich
<lb n="19" xml:id="a8r_lb19"/>jener Hang zur „<hi rend="latin">commune</hi>“, zur primitivsten Gesellschafts-Form, der allen Socialisten Europa’s <add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e204">jetzt</add> gemeinsam ist, <subst xml:id="subst1b_a8r" seq="1"><add place="above" xml:id="a8r_add_d2e208">in</add><del rend="hatching">das</del>
<lb n="21" xml:id="a8r_lb21"/>nische <hi rend="latin">bonus</hi> glaube ich als „den Krieger“ auslegen <subst instant="true" xml:id="a8r_subst_d2e273"><del rend="overwritten">d</del><add place="superimposed" xml:id="a8r_add_d2e276">zu</add></subst> dürfen: vorausgesetzt, daß ich mit Recht <hi rend="latin">bonus</hi> auf ein
<lb n="23" xml:id="a8r_lb23"/><hi rend="latin">Bonus</hi> somit als Mann des Zwistes, der Entzweiung (<hi rend="latin">duo</hi>), als Kriegsmann: man sieht, was im alten Rom
<lb n="24" xml:id="a8r_lb24"/>an einem Manne seine „Güte“ ausmachte. Unser deutsches „Gut“ selbst: sollte es nicht „den Göttlichen“, den
<lb n="25" xml:id="a8r_lb25"/>Mann göttlichen Geschlechts bedeuten? Und mit dem Volks- (ursprünglich Adels-)Namen der Gothen identisch
<lb n="26" xml:id="a8r_lb26"/>sein? Die Gründe zu dieser Vermuthung gehören nicht hierher. – </p>
<lb n="23" xml:id="a4r_lb23"/><add hand="#typesetter_black1" place="inline" instant="true" xml:id="a4r_add_d2e175"><metamark xml:id="mark2b_a4r" target="#mark2a_a4r">╒</metamark></add> erst dann nämlich darf er des Vorrechts
<lb n="24" xml:id="a4r_lb24"/>genießen, an dem halkyonischen Element,
<lb n="25" xml:id="a4r_lb25"/>aus dem jenes Werk geboren ist, an seiner
<lb n="26" xml:id="a4r_lb26"/>sonnigen Helle, Ferne, Weite und
<lb n="28" xml:id="a8r_lb28"/>Von dieser Regel, daß der politische Vorrangs-Begriff sich immer in einen seelischen Vorrangs-Begriff auslöst, macht es
<lb n="29" xml:id="a8r_lb29"/>zunächst noch keine Ausnahme (obgleich es Anlaß zu Ausnahmen giebt), wenn die höchste Kaste zugleich die <hi rend="underline">priesterliche</hi>
<lb n="30" xml:id="a8r_lb30"/>Kaste ist und folglich zu ihrer Gesammt-Bezeichnung ein Prädikat bevorzugt, <choice xml:id="a8r_choice_d2e348"><sic>daß</sic><corr>das</corr></choice> an ihre priesterliche Funktion er<pc force="weak">-</pc>
<lb n="31" xml:id="a8r_lb31"/>innert. Da tritt zum Beispiel „rein“ und „unrein“ sich zum ersten Male als Ständeabzeichen gegenüber; und auch hier
<lb n="32" xml:id="a8r_lb32"/>kommt später ein „gut“ und ein „schlecht“ in einem nicht mehr ständischen Sinne zur Entwicklung. Im Übrigen sei
<lb n="33" xml:id="a8r_lb33"/>man davor gewarnt, diese Begriffe „rein“ und „unrein“ nicht von vornherein zu schwer, zu weit oder gar symbolisch zu neh<pc force="weak">-</pc>
<lb n="34" xml:id="a8r_lb34"/>men: alle Begriffe <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="10"/>der älteren Menschheit sind vielmehr <add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e370">anfänglich</add> in einem uns kaum ausdenkbaren Maaße grob, plump,
<lb n="35" xml:id="a8r_lb35"/>äußerlich<subst xml:id="a8r_subst_d2e375"><add place="inline" xml:id="a8r_add_d2e376">, </add><add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e378">eng,</add><del rend="strikethrough" cause="insM">,</del></subst> geradezu und insbesondre <hi rend="underline">unsymbolisch</hi> <subst xml:id="a8r_subst_d2e386"><add place="above" rend="insM" xml:id="a8r_add_d2e387">verstanden worden.</add><del rend="hatching">zu verstehen</del></subst>. Der „Reine“ ist von Anfang an bloß ein Mensch, der sich
<lb n="36" xml:id="a8r_lb36"/>wäscht, der sich gewisse Speisen verbietet, die Hautkrankheiten nach sich zieh<subst instant="true" xml:id="a8r_subst_d2e395"><del rend="overwritten">t</del><add place="superimposed" xml:id="a8r_add_d2e398">n</add></subst>, der nicht mit den schmutzigen Weibern
<lb n="37" xml:id="a8r_lb37"/>des niederen Volkes schläft<add place="inline" xml:id="a8r_add_d2e404">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a8r_add_d2e406">der einen Abscheu vor Blut hat<anchor xml:id="appAnchor_a8r37"/></add></add> – nicht mehr, nicht viel mehr! Andrerseits erhellt es freilich aus der ganzen Art einer
<lb n="38" xml:id="a8r_lb38"/>wesentlich priesterlichen Aristokratie, warum hier gerade frühzeitig sich die Werthungs-Gegensätze <del rend="hatching">leicht</del> auf eine ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="1" xml:id="a9r_lb1"/>Weise <subst xml:id="a9r_subst_d2e54"><add place="above" rend="insM" seq="3" xml:id="a9r_add_d2e55">verinnerlichen und verschärfen konnten;</add><del rend="hatching" seq="3">verschärf<subst xml:id="a9r_subst_d2e59"><del rend="overwritten" seq="1">en</del><add place="superimposed" seq="1" xml:id="a9r_add_d2e62"><del rend="strikethrough" seq="2">t</del>en</add></subst> und <hi rend="underline">verinnerlich<subst xml:id="a9r_subst_d2e69"><del rend="overwritten" seq="1">en</del><add place="superimposed" seq="1" xml:id="a9r_add_d2e72"><del rend="strikethrough" seq="2">t</del>en</add></subst></hi>;</del></subst> und in der That sind durch sie <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e78">schließlich</add> Klüfte zwischen Mensch und Mensch aufgerissen
<lb n="2" xml:id="a9r_lb2"/>worden, über die selbst ein Achill der Freigeisterei nicht <del rend="hatching">mehr</del> ohne Schauder hinwegsetzen wird. Es ist <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e87">von Anfang an</add> etwas
<lb n="3" xml:id="a9r_lb3"/><hi rend="underline">Ungesundes</hi> <subst xml:id="a9r_subst_d2e94"><add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e95">in solchen priesterlichen Aristokratien und in den daselbst</add><del rend="hatching">in den hier</del></subst> herrschenden dem Handeln abgewendeten, theils brütenden, theils gefühls-explosiven Gewohn<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="a9r_lb4"/>heiten, <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e106">als</add> deren Folge jene den Priestern aller Zeiten fast unvermeidlich anhaftende intestinale Krankhaftigkeit und
<lb n="5" xml:id="a9r_lb5"/>Neurasthenie erscheint<subst instant="true" cert="unknown" xml:id="a9r_subst_d2e111"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="a9r_add_d2e114">;</add></subst> <del xml:id="substDel1_a9r" rend="hatching" seq="1">und</del> was <add xml:id="substAdd1_a9r" place="above" rend="insM" seq="1">aber</add> von ihnen selbst gegen diese <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e123">ihre</add> <choice xml:id="a9r_choice_d2e127"><sic>Krankheit<subst xml:id="a9r_subst_d2e130"><add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e131">haftigkeit</add><del rend="hatching">en</del></subst></sic><corr>Krankhaftigkeit</corr></choice> als Heilmittel erfunden worden ist, <subst xml:id="a9r_subst_d2e137"><add xml:id="substAdd2a_a9r" place="above" rend="insM" seq="1">– muß man nicht sagen,</add><del xml:id="substDel2a_a9r" rend="hatching" seq="1">hat</del>
<lb n="6" xml:id="a9r_lb6"/><add xml:id="substAdd2b_a9r" place="above" rend="insM" seq="1">daß es </add></subst>sich zuletzt in seinen Nachwirkungen <subst xml:id="a9r_subst_d2e147"><add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e148">noch hundert Mal</add><del rend="hatching">fast</del></subst> gefährlicher erwiesen <add xml:id="substAdd2c_a9r" place="above" rend="insM" seq="1">hat</add> als die Krankheit<subst xml:id="a9r_subst_d2e156"><add xml:id="substAdd2d_a9r" place="inline" seq="1">, </add><add xml:id="substAdd2e_a9r" place="above" rend="insM" seq="1"><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a9r_add_d2e160"><del rend="hatching" seq="3">selbst</del><del rend="none" seq="3">, </del></add>von der es erlösen sollte?</add><del xml:id="substDel2b_a9r" rend="strikethrough" cause="insM" seq="1">,</del> <del xml:id="substDel2c_a9r" rend="hatching" seq="1">–</del> <del xml:id="substDel2d_a9r" rend="overwritten" seq="1">d</del><add xml:id="substAdd2f_a9r" place="superimposed" seq="1">D</add></subst>ie Menschheit <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e177">selbst</add> krankt noch an
<lb n="7" xml:id="a9r_lb7"/>den Nachwirkungen dieser priesterlichen Kur-<subst xml:id="a9r_subst_d2e183"><add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e184">Naivetäten!</add><del rend="hatching">Methoden!</del></subst> Denken wir zum Beispiel an gewisse Diätformen (Ver<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="a9r_lb8"/>meidung des Fleisches), an das Fasten, an die geschlechtliche Enthaltsamkeit, an die Flucht „in die Wüste“ (<hi rend="latin">Weir Mit<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="a9r_lb9"/>chell</hi>’sche Isolirung, freilich ohne die <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="11"/>darauf folgende Mastkur und Überernährung, in der das wirksamste Gegenmittel
<lb n="11" xml:id="a9r_lb11"/>notisirung <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e237">nach Art</add> des Fakirs und Brahmanen <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e240">– <hi rend="latin">Brahman</hi> als gläserner Knopf und fixe Idee benutzt –</add> und das schließliche <subst xml:id="a9r_subst_d2e246"><del rend="hatching" instant="true">allgemeine Satthaben und Verlangen nach einer <hi rend="latin">unio my</hi><pc force="weak">-</pc></del><add place="above" instant="true" xml:id="a9r_add_d2e253">nur zu begreifliche allgemeine Satthaben mit seiner <choice xml:id="a9r_choice_d2e255"><sic>Radikulkur</sic><corr>Radikalkur</corr></choice>, </add>
<lb n="12" xml:id="a9r_lb12"/><add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a9r_add_d2e261">dem <hi rend="underline">Nich<retrace>t</retrace>s</hi> (oder Gott: – das Verlangen nach einer <hi rend="latin">unio mystica</hi> mit Gott ist das Verlangen des Buddhisten ins Nichts, <hi rend="latin">Nirvâna</hi><subst instant="false" xml:id="a9r_subst_d2e273"><del rend="overwritten">)</del><add place="superimposed" xml:id="a9r_add_d2e276"> –</add></subst><add place="inline" rend="insMExt" instant="false" xml:id="a9r_add_d2e278"> und nicht mehr!</add></add><del rend="hatching" instant="true"><hi rend="latin">stica</hi>, sei es mit Gott, sei es mit dem Nichts (– es ist Ein Verlangen*)</del></subst> <space unit="char" quantity="100"/> Bei den Priestern
<lb n="13" xml:id="a9r_lb13"/>wird eben <hi rend="underline">Alles</hi> gefährlicher, <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e293">nicht nur <del rend="hatching">ihre</del> Kurmittel und Heilkünste, sondern auch</add> Hochmuth, Rache, Scharfsinn, Ausschweifung, Liebe, Herrschsucht, Tugend, Krankheit; – mit einiger
<lb n="14" xml:id="a9r_lb14"/>Billigkeit ließe sich allerdings auch hinzufügen, daß erst auf dem Boden dieser <hi rend="underline">wesentlich</hi> <hi rend="underline">gefährlichen</hi> Daseinsform des
<lb n="15" xml:id="a9r_lb15"/>Menschen, der priesterlichen, der Mensch überhaupt <hi rend="underline">ein</hi> <subst xml:id="a9r_subst_d2e313"><add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e314"><hi rend="underline">interessantes</hi></add><del rend="hatching">krankes</del></subst> <hi rend="underline">Thier</hi> geworden ist, <del rend="hatching" seq="1">–</del> daß erst hier die menschliche Seele
<lb n="16" xml:id="a9r_lb16"/>in einem höheren Sinne <hi rend="underline">Tiefe</hi> bekommen hat und <hi rend="underline">böse</hi> geworden ist <subst xml:id="a9r_subst_d2e335"><del rend="hatching" seq="1">(</del><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a9r_add_d2e338">– und das sind <add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a9r_add_d2e340">ja </add></add></subst>die beiden Grundformen der bisherigen Überlegen<pc force="weak">-</pc>
<lb n="17" xml:id="a9r_lb17"/>heit des Menschen über <subst xml:id="a9r_subst_d2e349"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a9r_add_d2e350">sonstiges Gethier<add place="inline" seq="2" xml:id="a9r_add_d2e352">!…</add></add><del rend="hatching" seq="1">das Thier</del><del rend="hatching" seq="2">)</del></subst></p>
<lb n="19" xml:id="a9r_lb19"/><add place="inline" xml:id="a9r_add_d2e381">– </add>Man wird bereits errathen haben, wie leicht sich die priesterliche Werthungs-Weise <del rend="hatching">sich</del> von der ritterlich-aristokratischen
<lb n="20" xml:id="a9r_lb20"/>abzweigen und <subst xml:id="a9r_subst_d2e390"><del rend="hatching">unter Umständen sich</del><add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e393">dann</add></subst> zu deren Gegensatze fortentwickeln kann; wozu es in Sonderheit jedes Mal einen
<lb n="21" xml:id="a9r_lb21"/>An<subst xml:id="a9r_subst_d2e399"><add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e400">stoß</add><del rend="hatching">satz</del></subst> giebt, wenn die Priesterkaste und die Kriegerkaste einander eifersüchtig entgegentreten und über den Preis mit
<lb n="22" xml:id="a9r_lb22"/>einander nicht einig werden. <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e407">wollen.</add> Die ritterlich-aristokratischen Werthurtheile <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="12"/>haben zu ihrer Voraussetzung eine mächtige Leiblich<pc force="weak">-</pc>
<lb n="23" xml:id="a9r_lb23"/>keit, eine blühende<add xml:id="substAdd5a_a9r" place="inline" seq="2">, <add xml:id="substAdd5b_a9r" place="above" rend="insM" seq="2" instant="true">reiche</add></add><subst xml:id="subst5_a9r" seq="2"><del rend="strikethrough" cause="insM">,</del><add place="inline" xml:id="a9r_add_d2e425">,</add></subst> selbst überschäumend<restore xml:id="substRestore5_a9r" rend="dotUnderline" seq="2"><del rend="strikethrough" seq="1">e</del></restore> <del xml:id="substDel5_a9r" rend="hatching" seq="2">reiche</del> Gesundheit, sammt dem, was deren Erhaltung bedingt, Krieg, Abenteuer,
<lb n="24" xml:id="a9r_lb24"/>Jagd, Tanz, Kampfspiele und alles überhaupt, was starkes <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e440">freies frohgemuthes</add> Handeln in sich schließt. Die priesterlich-vornehme Werthungs-
<lb n="25" xml:id="a9r_lb25"/>Weise hat – wir sahen es – andre Voraussetzungen: schlimm genug für sie, wenn es sich um Krieg handelt! Die Prie<pc force="weak">-</pc>
<lb n="26" xml:id="a9r_lb26"/>ster sind, wie bekannt, die <hi rend="underline">bösesten</hi> <hi rend="underline">Feinde</hi> – weshalb doch? Weil sie die ohnmächtigsten sind. Aus der Ohnmacht wächst
<lb n="27" xml:id="a9r_lb27"/>bei ihnen der Haß ins Ungeheure und Unheimliche, ins Geistigste und Giftigste. Die ganz großen Hasser in der Weltgeschichte
<lb n="28" xml:id="a9r_lb28"/>sind immer Priester gewesen, auch die geistreichsten Hasser: – gegen den Geist der priesterlichen Rache kommt überhaupt
<lb n="29" xml:id="a9r_lb29"/>aller übrige Geist kaum in Betracht. Die menschliche Geschichte wäre eine gar zu dumme Sache ohne den Geist, der von
<lb n="30" xml:id="a9r_lb30"/>den Ohnmächtigen her in sie gekommen ist: – nehmen wir sofort das größte Beispiel. Alles, was auf Erden gegen „die
<lb n="31" xml:id="a9r_lb31"/>Vornehmen“, „die Gewaltigen“, „die Herren“, „die Machthaber“ gethan worden ist, ist nicht der Rede werth im Vergleich mit dem,
<lb n="32" xml:id="a9r_lb32"/>was <hi rend="underline">die</hi> <hi rend="underline">Juden</hi> gegen sie gethan haben: die Juden, jenes priesterliche<del rend="strikethrough" instant="true">n</del> Volk, das sich an seinen Feinden und Überwäl<pc force="weak">-</pc>
<lb n="33" xml:id="a9r_lb33"/>tigern zuletzt nur durch eine radikale Umwerthung von deren Werthen, also durch einen Akt der <hi rend="underline">geistigsten</hi> <hi rend="underline">Rache</hi> Genug<pc force="weak">-</pc>
<lb n="34" xml:id="a9r_lb34"/>thuung zu schaffen wußte. So allein war es eben einem priesterlichen Volke gemäß, dem Volke der zurückgetretensten prie<pc force="weak">-</pc>
<lb n="35" xml:id="a9r_lb35"/>sterlichen Rachsucht. Die Juden sind es gewesen, die gegen die aristokratische Werthgleichung (gut = vornehm = mächtig = schön
<lb n="36" xml:id="a9r_lb36"/>= glücklich<subst xml:id="a9r_subst_d2e504"><del rend="hatching">)</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e508">= gottgeliebt)</add></subst> mit einer furchteinflößenden <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="13"/>Folgerichtigkeit die Umkehrung gewagt und mit den Zähnen des abgründlichsten Has<pc force="weak">-</pc>
<lb n="37" xml:id="a9r_lb37"/>ses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten haben, nämlich „die Elenden sind allein die Guten, die Armen, Ohnmächtigen,
<lb n="38" xml:id="a9r_lb38"/>Niedrigen sind allein die Guten, die Leidenden <add place="above" rend="insM" xml:id="a9r_add_d2e521">Entbehrenden</add> Kranken Häßlichen sind auch die einzig Frommen, die einzig Gottseligen, für sie <pb xml:id="a10r" corresp="#contents_a10r #folDesc_a10rv #addDesc_a10r #N_black1" facs="#D-20a_6" change="#GM01formerVersion #GM01finalVersion #GM01-02finalVersion #proofreadingCb1"/>
<lb n="1" xml:id="a10r_lb1"/>allein giebt es Seligkeit<add place="inline" cert="high" xml:id="a10r_add_d2e51">,</add> – dagegen ihr, ihr Vornehmen und Gewaltigen, ihr seid in alle Ewigkeit die Bösen, die Grausamen,<anchor xml:id="appAnchor_a10r1"/>
<lb n="2" xml:id="a10r_lb2"/>die Lüsternen, die Unersättlichen, die Gottlosen, ihr werdet auch ewig die Unseligen, Verfluchten und Verdammten sein!“…
<lb n="3" xml:id="a10r_lb3"/>Man weiß, <hi rend="underline">wer</hi> die Erbschaft dieser jüdischen Umwerthung gemacht hat… Ich erinnere in Betreff der ungeheuren und
<lb n="4" xml:id="a10r_lb4"/>über alle Maaßen verhängnißvollen Initiative, welche die Juden mit dieser grundsätzlichsten aller Kriegserklärungen ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="a10r_lb5"/>geben haben, an den Satz, auf den ich bei einer andren Gelegenheit gekommen bin („<hi rend="latin">Jenseits von Gut und Böse</hi>“ <hi rend="latin">p.</hi> 118)
<lb n="6" xml:id="a10r_lb6"/>– daß nämlich mit den Juden <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Sklavenaufstand</hi> <hi rend="underline">in</hi> <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Moral</hi> beginnt: jener Aufstand, welcher eine zweitausendjährige
<lb n="7" xml:id="a10r_lb7"/>Geschichte hinter sich hat und der uns heute nur deshalb aus den Augen gerückt ist, weil er – siegreich gewesen
<lb n="10" rend="indent" xml:id="a10r_lb10"/><add place="inline" xml:id="a10r_add_d2e116">– </add>Aber ihr versteht das nicht? Ihr habt keine Augen für Etwas, das zwei Jahrtausende gebraucht hat, um zum Siege zu kom<pc force="weak">-</pc>
<lb n="11" xml:id="a10r_lb11"/>men?… Daran ist Nichts zum Verwundern: alle langen Dinge sind schwer zu sehn, zu übersehn. <hi rend="underline">Das</hi> aber ist das Ereigniß:
<lb n="12" xml:id="a10r_lb12"/>aus dem Stamme jene<retrace>s</retrace> Baums der Rache und des Hasses, des jüdischen Hasses – des tiefsten und sublimsten, nämlich Ideale
<lb n="13" xml:id="a10r_lb13"/>schaffenden, Werthe umschaffenden Hasses, <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="14"/>dessen Gleichen nie auf Erden dagewesen ist – wuchs etwas ebenso Unvergleichliches
<lb n="14" xml:id="a10r_lb14"/>heraus, eine <hi rend="underline">neue</hi> <hi rend="underline">Liebe</hi>, die tiefste und sublimste aller Arten Liebe: – und aus welchem andren Stamme hätte sie auch
<lb n="15" xml:id="a10r_lb15"/>wachsen können?… Daß man aber ja nicht vermeine, sie sei etwa als die eigentliche Verneinung jenes Durstes nach Ra<pc force="weak">-</pc>
<lb n="16" xml:id="a10r_lb16"/>che, als der Gegensatz des jüdischen Hasses emporgewachsen! Nein, das Umgekehrte ist die Wahrheit! Diese Liebe wuchs
<lb n="17" xml:id="a10r_lb17"/>aus ihm heraus, als seine Krone, als die triumphirende, in der reinsten Helle und Sonnenfülle sich breit und breiter entfalten<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="a10r_lb18"/>de Krone, welche mit demselben Drange gleichsam im Reiche des Lichts und der Höhe auf die Ziele jenes Hasses, auf Sieg,
<lb n="19" xml:id="a10r_lb19"/>auf Beute, auf Verführung aus war, mit dem die Wurzeln jenes Hasses sich immer gründlicher und begehrlicher in Alles,
<lb n="20" xml:id="a10r_lb20"/>was Tiefe hatte und böse war, hinunter senkten. Dieser Jesus von Nazareth, als das leibhafte Evangelium der Liebe,
<lb n="21" xml:id="a10r_lb21"/>dieser den Armen, den Kranken, den Sündern die Seligkeit und den Sieg bringende „Erlöser“ – war er nicht gerade die
<lb n="22" xml:id="a10r_lb22"/>Verführung in ihrer unheimlichsten und unwiderstehlichsten Form, die Verführung und der Umweg zu eben jenen <hi rend="underline">jüdischen</hi>
<lb n="23" xml:id="a10r_lb23"/>Werthen und Neuerungen des Ideals? Hat Israel nicht gerade auf dem Umwege dieses „Erlösers“, dieses scheinbaren
<lb n="24" xml:id="a10r_lb24"/>Widersachers und Auflösers Israel’s, das letzte Ziel seiner sublimen Rachsucht <hi rend="underline">erreicht</hi>? Gehört es nicht in die geheime
<lb n="25" xml:id="a10r_lb25"/>schwarze Kunst einer wahrhaft <hi rend="underline"><retrace>g</retrace>roßen</hi> Politik der Rache, einer weitsichtigen, unterirdischen, langsam-<retrace>g</retrace>reifenden und
<lb n="26" xml:id="a10r_lb26"/>vorausrechnenden Rache, daß Israel selber das <del rend="hatching" instant="true">W</del> eigentliche Werkzeug seiner Rache vor aller Welt wie etwas Todfeind<pc force="weak">-</pc>
<lb n="27" xml:id="a10r_lb27"/>liches verleugnen und an’s Kreuz schlagen mußte, damit „alle Welt“, nämlich alle Gegner Israels unbedenklich ge<milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="15"/>rade
<lb n="28" xml:id="a10r_lb28"/>an diesen Köder einbeißen konnten? Und wüßte man sich andrerseits, aus allem Raffinement des Geistes heraus,
<lb n="29" xml:id="a10r_lb29"/>überhaupt noch einen <hi rend="underline">gefährlicheren</hi> Köder auszudenken? Etwas, das an verlockender berauschender betäubender verderben<pc force="weak">-</pc>
<lb n="30" xml:id="a10r_lb30"/>der Kraft jenem Symbol des „heiligen Kreuzes“ gleichkäme, jener schauerlichen Paradoxie eines „Gottes am Kreuze“,
<lb n="31" xml:id="a10r_lb31"/>jenem Mysterium einer unausdenkbaren letzten äußersten Grausamkeit und Selbstkreuzigung Gottes <hi rend="underline">zum</hi> <hi rend="underline">Heile</hi> <hi rend="underline">des</hi> <hi rend="underline">Men</hi><pc force="weak">-</pc>
<lb n="32" xml:id="a10r_lb32"/><hi rend="underline">schen</hi>?… Gewiß ist wenigstens, daß <hi rend="latin">sub hoc signo</hi> Israel mit seiner Rache und Umwerthung aller Werthe bisher über
<lb n="33" xml:id="a10r_lb33"/>alle anderen Ideale, über alle <hi rend="underline">vornehmeren</hi> Ideale immer wieder triumphirt hat. – –</p>
<lb n="35" xml:id="a10r_lb35"/>– „Aber was reden <subst xml:id="a10r_subst_d2e260"><del rend="overwritten">s</del><add place="superimposed" xml:id="a10r_add_d2e263">S</add></subst>ie noch von <hi rend="underline">vornehmeren</hi> Idealen! Fügen wir uns in die Thatsachen: das Volk hat gesiegt – oder „die
<lb n="36" xml:id="a10r_lb36"/>Sklaven“ oder „der Pöbel“ oder „die Heerde“ oder wie Sie es zu nennen belieben – wenn dies durch die Juden geschehn
<lb n="37" xml:id="a10r_lb37"/>ist, wohlan! so hatte nie ein Volk eine welthistorischere Mission. „Die Herren“ sind abgethan; die Moral des gemeinen
<lb n="38" xml:id="a10r_lb38"/>Mannes hat gesiegt. Man mag diesen Sieg zugleich als eine Blutvergiftung nehmen <add place="above" rend="insM" xml:id="a10r_add_d2e276">(er hat die Rassen durch einander gemengt)</add> – ich widerspreche nicht; unzweifel<pc force="weak">-</pc>
<lb n="1" xml:id="a11r_lb1"/>ist aber diese Intoxikation <hi rend="underline">gelungen</hi>! Die „Erlösung“ des Menschengeschlechts <add place="above" rend="insM" xml:id="a11r_add_d2e61">(nämlich von „den Herren“)</add> ist auf dem besten Wege; Alles verjüdelt oder ver<pc force="weak">-</pc>
<lb n="2" xml:id="a11r_lb2"/>christlicht oder verpöbelt sich zusehends (was liegt an Worten!) Der Gang dieser Vergiftung, durch den ganzen Leib der Mensch<pc force="weak">-</pc>
<lb n="3" xml:id="a11r_lb3"/>heit hindurch, scheint unaufhaltsam, ihr <hi rend="latin">tempo</hi> und Schritt darf sogar von nun an immer langsamer, feiner, unhörbarer, be<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="a11r_lb4"/>sonnener <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="16"/>sein – man hat ja Zeit… Kommt der Kirche in die<milestone unit="page" edRef="#Cb" n="16"/>ser Absicht heute noch eine <hi rend="underline">nothwendige</hi> Aufgabe, überhaupt noch
<lb n="5" xml:id="a11r_lb5"/>ein Recht auf Dasein zu? Oder könnte man ihrer entrathen? <hi rend="latin">Quaeritur</hi>. Es scheint, daß sie jenen Gang eher hemmt und zu<pc force="weak">-</pc>
<lb n="6" xml:id="a11r_lb6"/>rückhält, <del rend="hatching" instant="true">als</del> statt ihn zu beschleunigen? Nun, eben das könnte ihre Nützlichkeit sein… Sicherlich ist sie nachgerade Etwas Gröb<pc force="weak">-</pc>
<lb n="7" xml:id="a11r_lb7"/>liches und Bäurisches, das einer zarteren Intelligenz, einem eigentlich modernen Geschmacke widersteht. Sollte sie sich zum
<lb n="8" xml:id="a11r_lb8"/>Mindesten nicht etwas raffinieren?… Sie entfremdet heute mehr als daß sie verführte… Wer von uns würde wohl Freigeist
<lb n="9" xml:id="a11r_lb9"/>sein, wenn es nicht die Kirche gäbe? Die Kirche widersteht uns, <hi rend="underline">nicht</hi> ihr Gift… Von der Kirche abgesehn lieben auch wir
<lb n="10" xml:id="a11r_lb10"/>das Gift…“ – Dies der Epilog eines „Freigeistes“ zu meiner Rede, eines ehrlichen Thiers, wie er reichlich verrathen hat,
<lb n="11" xml:id="a11r_lb11"/>überdies eines Demokraten; er hatte mir bis dahin zugehört und hielt es nicht aus, mich schweigen zu hören. Für mich
<lb n="12" xml:id="a11r_lb12"/>nämlich giebt es an dieser Stelle <subst xml:id="subst1_a11r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="a11r_add_d2e125">viel</add><del rend="hatching">Viel</del></subst> zu <del xml:id="substDel1_a11r" rend="hatching" seq="1">ver</del>schweigen. –</p>
<lb n="14" xml:id="a11r_lb14"/>– Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit, daß das <hi rend="underline"><hi rend="latin">Ressentiment</hi></hi> selbst schöpferisch wird und Werthe gebiert: das <del rend="strikethrough" instant="true">-<anchor xml:id="appAnchor_a11r14"/></del>
<lb n="15" xml:id="a11r_lb15"/><hi rend="latin">Ressentiment</hi> solcher Wesen, denen die eigentliche <hi rend="latin">Reaction</hi>, die durch die That, versagt ist und sich durch eine imaginäre Rache schad<pc force="weak">-</pc>
<lb n="16" xml:id="a11r_lb16"/>los halten. Während alle vornehme Moral aus einem triumphirenden Ja-sagen zu sich selber herauswächst, sagt die Sklaven-Moral
<lb n="17" xml:id="a11r_lb17"/>von vornherein Nein zu<del rend="strikethrough" instant="true">m</del> einem „Außerhalb“, zu einem „Anders“, zu einem „Nicht-selbst“: und <hi rend="underline">dies</hi> Nein ist ihre schöpferi<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="a11r_lb18"/>sche That. Diese Umkehrung des werthe-setzenden Blicks – diese <hi rend="underline">nothwendige</hi> Richtung nach <subst xml:id="a11r_subst_d2e188"><del rend="overwritten">a</del><add place="superimposed" xml:id="a11r_add_d2e191">A</add></subst>ußen statt zurück auf sich <milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen2"/><milestone unit="page" edRef="#Ed" n="17"/>selber –
<lb n="19" xml:id="a11r_lb19"/>gehört eben zum <hi rend="latin">Ressentiment</hi>: die Sklaven-Moral bedarf, um zu entstehn, immer zuerst einer Gegen- und Auß<retrace>en</retrace>welt, sie
<lb n="20" xml:id="a11r_lb20"/>bedarf, physiologisch gesprochen, äußerer Reize, um überhaupt zu agiren – ihre Aktion ist von Grund aus Reaktion. Das
<lb n="21" xml:id="a11r_lb21"/>Umgekehrte ist bei der Vornehmen Werthungsweise der Fall: sie <add place="above" rend="insM" xml:id="a11r_add_d2e209">agirt und</add> wächst spontan, sie sucht ihren Gegensatz nur auf, um
<lb n="22" xml:id="a11r_lb22"/>zu sich selber noch dankbarer, noch frohlockender Ja zu sagen – ihr negativer Begriff „niedrig“ „gemein“ „schlecht“ ist nur ein
<lb n="23" xml:id="a11r_lb23"/>nachgebornes blasses Contrastbild im Verhältniß zu ihrem positiven, durch und durch mit Leben und Leidenschaft durchtränk<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="a11r_lb24"/>ten Grundbegriff „wir Vornehmen, wir Guten, wir Schönen, wir Glücklichen!“ Wenn die vornehme Werthungsweise sich
<lb n="25" xml:id="a11r_lb25"/>vergreift und an der Realität versündigt, so geschieht dies in Bezug auf die Sphäre, welche ihr <hi rend="underline">nicht</hi> genügend bekannt
<lb n="26" xml:id="a11r_lb26"/>ist, <subst instant="true" xml:id="a11r_subst_d2e230"><del rend="overwritten">ge</del><add place="superimposed" xml:id="a11r_add_d2e233">ja</add></subst> gegen deren wirkliches Kennen sie sich spröde zur Wehre setzt: sie verkennt unter Umständen die von ihr verach<pc force="weak">-</pc>
<lb n="27" xml:id="a11r_lb27"/>tete Sphäre, die des gemeinen Manns, des niedren Volks; andrerseits erwäge man, daß jedenfalls der Affekt der Verachtung,
<lb n="28" xml:id="a11r_lb28"/>des Herabblickens, des Überlegen-Blickens, gesetzt, daß er das Bild des Verachteten <hi rend="underline">fälscht</hi>, bei weitem hinter der Fälschung
<lb n="29" xml:id="a11r_lb29"/>zurückbleiben wird, mit der der zurückgetretene Haß, die Rache des Ohnmächtigen sich an seinem Gegner – <hi rend="latin">in effigie</hi>
<lb n="30" xml:id="a11r_lb30"/>natürlich – vergreifen wird. In der That ist in der Verachtung zu viel Nachlässigkeit, zu viel Leicht-Nehmen, zu viel
<lb n="31" xml:id="a11r_lb31"/>Wegblicken und Ungeduld mit eingemischt, selbst zu viel eignes Frohgefühl, als daß sie im Stande wäre, ihr Objekt zum
<lb n="32" xml:id="a11r_lb32"/>eigentlichen Zerrbild und Scheusal umzuwandeln. Man überhöre doch die beinahe wohlwollenden <hi rend="latin">nuances</hi> nicht, welche zum
<lb n="33" xml:id="a11r_lb33"/>Beispiel der griechische Adel <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="18"/>in alle Worte legt, mit denen er das niedere Volk von sich abhebt; wie sich fortwährend eine
<lb n="34" xml:id="a11r_lb34"/>Art Bedauern, Rücksicht, Nachsicht einmischt und anzuckert, bis zu dem Ende, daß fast alle Worte, die dem gemeinen Man<pc force="weak">-</pc>
<lb n="35" xml:id="a11r_lb35"/>ne zukommen, schließlich als Ausdrücke für „unglücklich“ „bedauernswürdig“ übrig geblieben sind (vergleiche <foreign xml:lang="grc"><reg>δειλός</reg></foreign> <foreign xml:lang="grc"><reg>δείλαιος</reg></foreign>
<lb n="36" xml:id="a11r_lb36"/><foreign xml:lang="grc"><reg>πονηρός</reg></foreign>, <foreign xml:lang="grc"><reg>μοχϑηρός</reg></foreign>, letztere zwei eigentlich den gemeinen Mann als Arbeitssklaven und Lastthier kennzeichnend) – und wie andrer<pc force="weak">-</pc>
<lb n="37" xml:id="a11r_lb37"/>seits „schlecht“ „niedrig“ „unglücklich“ nie wieder aufgehört haben, für das griechische Ohr in Einen Ton auszuklingen<add place="inline" xml:id="a11r_add_d2e292">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a11r_add_d2e294">mit einer Klangfarbe, in der „unglücklich“ überwiegt</add></add>: dies als
<lb n="38" xml:id="a11r_lb38"/>Erbstück der alten <add place="above" rend="insM" xml:id="a11r_add_d2e300">edlen</add> aristokratischen Werthungsweise, die sich auch im Verachten nicht verleugnet (– Philologen seien daran erin<pc force="weak">-</pc>
<lb n="6" xml:id="a20r_lb6"/><add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e185">hinzugerechnet,</add><del rend="hatching">somit dem</del></subst>, was aus ihr folgen mußte, <subst xml:id="subst1c_a20r" seq="2"><add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e191">die</add><del rend="hatching"><subst xml:id="a20r_subst_d2e194"><del rend="overwritten">der</del><add place="superimposed" xml:id="a20r_add_d2e197">die</add></subst></del></subst> Wiederherstellung der <del rend="hatching">alten</del> Kirche – <subst xml:id="subst1d_a20r" seq="2"><add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e205">die</add><del rend="hatching">der</del></subst> Wiederherstellung <add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e210">auch</add> der alten
<lb n="7" xml:id="a20r_lb7"/>Grabesruhe <add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e215">des klassischen</add> Rom<del rend="hatching" seq="2">’s</del>. In einem <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a20r_add_d2e221">sogar <add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a20r_add_d2e223">entscheidenderen und</add></add><del rend="hatching">noch</del> <del rend="hatching">viel</del> tieferen Sinne <add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e232">als damals</add> kam Judaea noch einmal mit der französischen Revolution zum
<lb n="8" xml:id="a20r_lb8"/>Siege<add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e237"> über das klassische Ideal</add>: die letzte politische Vornehmheit, die es in Europa gab, die des siebzehnten und achtzehnten <hi rend="underline">französischen</hi> Jahr<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="a20r_lb9"/>hunderts brach unter den volksthümlichen Ressentiments-Instinkten zusammen – es wurde niemals auf Erden ein
<lb n="10" xml:id="a20r_lb10"/>größerer Jubel<add place="inline" xml:id="a20r_add_d2e251">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a20r_add_d2e253">eine lärmendere Begeisterung</add></add> gehört! Zwar geschah mitten darin das Ungeheuerste<add place="inline" xml:id="a20r_add_d2e256">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a20r_add_d2e258">das Unerwartetste</add></add>: das antike Ideal <add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e261">selbst</add> trat <hi rend="underline">leibhaft</hi> <add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e268">und mit unerhörter Pracht</add> vor Auge und Ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="11" xml:id="a20r_lb11"/>wissen der Menschheit – und <add xml:id="substAdd2_a20r" place="above" rend="insM" seq="1">noch einmal, stärker, einfacher, eindringlicher als je, erscholl,</add> gegenüber der alten Lügen-Losung des Ressentiment<del rend="strikethrough">s</del> <add xml:id="substAdd3a_a20r" place="above" rend="insM" seq="1">vom <hi rend="underline">Vorrecht</hi> <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Meisten</hi></add>, gegenüber dem Willen zur Nie<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="a20r_lb12"/>derung, zur Erniedrigung, zur Ausgleichung, zum Abwärts und Abendwärts des Menschen <del xml:id="substDel2_a20r" rend="hatching" seq="1">erscholl</del> die furchtbare und
<lb n="17" xml:id="a20r_lb17"/><add place="inline" xml:id="a20r_add_d2e443">– </add>War es damit vorbei? Wurde jener größte aller Ideal-Gegensätze damit für alle Zeiten <hi rend="latin">ad acta</hi> gelegt? Oder
<lb n="18" xml:id="a20r_lb18"/>nur vertagt, auf lange vertagt?… Sollte es nicht irgendwann einmal ein noch viel furchtbareres, viel länger vor<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="a20r_lb19"/>bereitetes Auflodern des alten Brandes geben müssen? Mehr noch: wäre nicht gerade <hi rend="underline">das</hi> aus allen Kräften
<lb n="20" xml:id="a20r_lb20"/>zu wünschen? <subst xml:id="a20r_subst_d2e462"><del rend="overwritten">S</del><add place="superimposed" xml:id="a20r_add_d2e465">s</add></subst>elbst zu wollen? selbst zu fördern?… Wer an dieser Stelle anfängt, gleich meinen Lesern, nach<pc force="weak">-</pc>
<lb n="21" xml:id="a20r_lb21"/>zudenken, weiter zu denken, der wird schwerlich bald damit zu Ende kommen – Grund genug für mich, selbst zu Ende
<lb n="22" xml:id="a20r_lb22"/>zu kommen, vorausgesetzt, daß es <subst xml:id="a20r_subst_d2e476"><add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e477">längst</add><del rend="hatching">wenigstens</del></subst> zur Genüge klar geworden ist, was ich <hi rend="underline">will</hi>, was ich gerade mit
<lb n="23" xml:id="a20r_lb23"/>jener <add place="above" rend="insM" xml:id="a20r_add_d2e487">gefährlichen</add> Losung will, welche meinem letzten Buche auf den Leib geschrieben ist „<hi rend="underline">Jenseits</hi> <hi rend="underline">von</hi> <hi rend="underline">Gut</hi> <hi rend="underline">und</hi> <choice xml:id="a20r_choice_d2e503"><sic><hi rend="underline">Böse</hi></sic><corr><hi rend="underline">Böse</hi>“</corr></choice>…
<lb n="24" xml:id="a20r_lb24"/>Dies heißt zum Mindesten <hi rend="underline">nicht</hi> „Jenseits von Gut und Schlecht“. – –
<lb n="25" rend="centered" xml:id="a20r_lb25"/>x x x
<lb n="4" xml:id="a21r_lb4"/>Ein Thier heranzüchten, das <hi rend="underline">versprechen</hi> <hi rend="underline">darf</hi> – ist das nicht gerade jene paradoxe Aufgabe selbst, welche sich die Natur in Hin<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="a21r_lb5"/>sicht auf den Menschen gestellt hat? ist es nicht das eigentliche Problem <hi rend="underline">vom</hi> Menschen?… Daß dies Problem bis zu einem
<lb n="6" xml:id="a21r_lb6"/>hohen Grad gelöst ist, muß dem um so erstaunlicher erscheinen, der die entgegenwirkende Kraft, die der <hi rend="underline">Vergeßlichkeit</hi>, voll<pc force="weak">-</pc>
<lb n="7" xml:id="a21r_lb7"/>auf zu würdigen weiß. Vergeßlichkeit ist keine bloße <hi rend="latin">vis inertiae</hi>, wie die Oberflächlichen glauben, sie ist vielmehr ein ak<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="a21r_lb8"/>tives, im strengsten Sinne positives Hemmungsvermögen, dem es zuzuschreiben ist, daß was nur von uns erlebt, erfahren,
<lb n="9" xml:id="a21r_lb9"/>in uns hineingenommen wird, uns im Zustande der Verdauung (man dürfte ihn „Einverseelung“ nennen) ebenso wenig ins
<lb n="10" xml:id="a21r_lb10"/>Bewußtsein tritt, als der ganze tausendfältige Prozeß, mit dem sich unsre leibliche Ernährung, die sogenannte „Einverleibung“
<lb n="11" xml:id="a21r_lb11"/>abspielt. Die Thüren und Fenster des Bewußtseins zeitweilig schließen; von dem Lärm und Kampf, mit dem unsre Un<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="a21r_lb12"/>terwelt von dienstbaren Organen für und gegen einander arbeitet, unbehelligt bleiben; ein wenig Stille, ein wenig
<lb n="13" xml:id="a21r_lb13"/><hi rend="latin">tabula rasa</hi><subst xml:id="a21r_subst_d2e108"><del rend="overwritten">,</del><add place="superimposed" instant="true" xml:id="a21r_add_d2e111"> d</add></subst>es Bewußtseins, damit wieder Platz wird für Neues, vor Allem für die vornehmeren Funktionen und
<lb n="14" xml:id="a21r_lb14"/>Funktionäre, für Regieren, Voraussehn, Vorausbestimmen (denn unser Organismus ist oligarchisch eingerichtet) – das
<lb n="15" xml:id="a21r_lb15"/>ist der Nutzen der, wie gesagt, aktiven Vergeßlichkeit, einer Thürwärterin gleichsam, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="42"/>einer Aufrechterhalterin der seeli<pc force="weak">-</pc>
<lb n="16" xml:id="a21r_lb16"/>schen Ordnung, der Ruhe, der Etiquette: womit sofort abzusehn ist, inwiefern es kein Glück, keine Heiterkeit, keine
<lb n="17" xml:id="a21r_lb17"/>Hoffnung, keinen Stolz, keine <hi rend="underline">Gegenwart</hi> geben könnte ohne Vergeßlichkeit. Der Mensch, in dem dieser Hemmungsappa<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="a21r_lb18"/>rat beschädigt wird und aussetzt, ist einem Dyspeptiker zu vergleichen und nicht nur zu vergleichen – er wird mit Nichts
<lb n="19" xml:id="a21r_lb19"/>„fertig“… Eben dieses nothwendig vergeßliche Thier, an dem das Vergessen eine Kraft, eine Form der <hi rend="underline">starken</hi> Gesundheit dar<pc force="weak">-</pc>
<lb n="20" xml:id="a21r_lb20"/>stellt, hat sich nun ein Gegenvermögen angezüchtet, ein Gedächtniß, mit Hülfe dessen für gewisse Fälle die Vergeßlichkeit
<lb n="21" xml:id="a21r_lb21"/>ausgehängt wird, – für die Fälle nämlich, daß versprochen werden soll: somit keineswegs bloß ein passivisches Nicht-wieder-los--
<lb n="22" xml:id="a21r_lb22"/>werden-können des einmal eingeritzten Eindrucks, nicht bloß die Indigestion an einem ein Mal verpfändeten Wort, mit dem
<lb n="23" xml:id="a21r_lb23"/>man n*icht wieder fertig wird, sondern ein aktives <subst xml:id="a21r_subst_d2e156"><del rend="overwritten">n</del><add place="superimposed" xml:id="a21r_add_d2e159">N</add></subst>icht-wieder-los-werden-<hi rend="underline">wollen</hi>, ein Fort- und Fortwollen des ein Mal
<lb n="24" xml:id="a21r_lb24"/>Gewollten, ein eigentliches <hi rend="underline">Gedächtniß</hi> <hi rend="underline">des</hi> <hi rend="underline">Willens</hi>: so daß zwischen das ursprüngliche „ich will“ „ich werde thun“ und
<lb n="25" xml:id="a21r_lb25"/>die eigentliche Entladung des Willens, seinen Akt unbedenklich eine Welt von neuen fremden Dingen, Umständen, selbst
<lb n="26" xml:id="a21r_lb26"/>Willensakten dazwischengelegt werden darf, ohne daß diese lange Kette des Willens springt. Was setzt das aber Alles voraus!
<lb n="27" xml:id="a21r_lb27"/>Wie muß der Mensch, um dermaaßen über die Zukunft vorauszuverfügen, erst gelernt haben, das nothwendige vom zufälligen
<lb n="28" xml:id="a21r_lb28"/>Geschehen scheiden, causal denken, das Ferne wie gegenwärtig sehn und vorwegnehmen, was Zweck ist, was Mittel <add place="above" rend="insM" xml:id="a21r_add_d2e186">dazu</add> ist, mit
<lb n="29" xml:id="a21r_lb29"/>Sicherheit ansetzen, überhaupt rechnen, berechnen können – wie muß dazu der Mensch selbst vorerst <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="43"/><hi rend="underline">berechenbar</hi>, <hi rend="underline"> regelmä<pc force="weak">-</pc>
<lb n="30" xml:id="a21r_lb30"/>ßig</hi>,<hi rend="underline"> nothwendig</hi> geworden sein, auch sich selbst für seine eigne Vorstellung, um endlich dergestalt, wie es ein Versprechender
<lb n="31" xml:id="a21r_lb31"/>thut, für sich <hi rend="underline">als</hi> <hi rend="underline">Zukunft</hi> gut sagen zu können!
<lb n="33" xml:id="a21r_lb33"/>Eben das ist die lange Geschichte von der Herkunft der <hi rend="underline">Verantwortlichkeit</hi>. Jene Aufgabe, ein Thier heranzuzüchten, das
<lb n="34" xml:id="a21r_lb34"/>versprechen darf, schließt, wie wir bereits begriffen haben, als Bedingung und Vorbereitung die nähere Aufgabe in sich, den
<lb n="35" xml:id="a21r_lb35"/>Menschen zuerst bis zu einem gewissen Grade nothwendig, einförmig, gleich unter Gleichen, regelmäßig und folglich berechen<pc force="weak">-</pc>
<lb n="36" xml:id="a21r_lb36"/>bar zu <hi rend="underline">machen</hi>. Die ungeheure Arbeit dessen, was von mir „Sittlichkeit der Sitte“ genannt worden ist (vergl. <hi rend="latin">Morgen<pc force="weak">-</pc>
<lb n="37" xml:id="a21r_lb37"/>röthe</hi> S. 7. 13. 16) – die eigentliche Arbeit des Menschen an sich selber in der längsten Zeitdauer des Menschengeschlechts, seine
<lb n="38" xml:id="a21r_lb38"/>ganze <hi rend="underline">vorhistorische</hi> Arbeit hat hierin ihren Sinn, ihre große Rechtfertigung, wie viel ihr auch von Härte, Tyrannei, Stumpf<pc force="weak">-</pc>
<lb n="39" xml:id="a21r_lb39"/>sinn und Idiotismus innewohnt: <subst xml:id="a21r_subst_d2e264"><del rend="overwritten">D</del><add place="superimposed" xml:id="a21r_add_d2e267">d</add></subst>er Mensch wurde mit Hülfe der Sittlichkeit der Sitte und der socialen Zwangsjacke wirk<pc force="weak">-</pc>
<lb n="40" xml:id="a21r_lb40"/>lich berechenbar <hi rend="underline">gemacht</hi>. Stellen wir uns dagegen ans Ende des ungeheuren Prozesses, dorthin, wo der Baum endlich seine
<lb n="41" xml:id="a21r_lb41"/>Früchte zeitigt, wo die Societät und ihre Sittlichkeit der Sitte endlich zu Tage bringt, <hi rend="underline">wozu</hi> sie nur das Mittel war: so
<lb n="42" xml:id="a21r_lb42"/>finden wir <add place="above" rend="insM" xml:id="a21r_add_d2e286">als reifste Frucht an ihrem Baume</add> das <hi rend="underline">souveraine</hi> <hi rend="underline">Individuum</hi>, das nur sich selbst gleiche, das von der Sittlichkeit der Sitte <add place="above" rend="insM" xml:id="a21r_add_d2e295">wieder</add> losgekommene<subst instant="true" xml:id="a21r_subst_d2e299"><add place="inline" xml:id="a21r_add_d2e300">, </add> <del rend="hatching"><hi rend="latin">ego</hi>, das</del></subst>
<lb n="43" xml:id="a21r_lb43"/> das autonome <hi rend="underline">un</hi>sittliche <subst xml:id="a21r_subst_d2e315"><add place="above" rend="insM" xml:id="a21r_add_d2e316">Individuum</add><del rend="hatching"><hi rend="latin">ego</hi></del></subst> (denn „autonom“ und „sittlich“ sind Gegensätze), kurz den Menschen des eignen unabhän<pc force="weak">-</pc>
<lb n="44" xml:id="a21r_lb44"/>gigen langen Willens, der <hi rend="underline">ver<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="44"/>sprechen</hi> <hi rend="underline">darf</hi> – und in ihm ein stolzes, in allen Muskeln zuckendes Bewußtsein davon,
<lb n="45" xml:id="a21r_lb45"/><hi rend="underline">was</hi> da endlich errungen und in ihm leibhaft geworden ist, ein eigentliches Macht- und Freiheits-Bewußtsein, ein Vol<pc force="weak">-</pc>
<lb n="46" xml:id="a21r_lb46"/>lendungs-Gefühl des Menschen überhaupt. Dieser Freigewordne, der wirklich versprechen <hi rend="underline">darf</hi>, dieser Herr des <hi rend="underline">freien</hi>
<lb n="47" xml:id="a21r_lb47"/>Willens, dieser Souverain – wie sollte er es nicht wissen, welche Überlegenheit er damit vor Allem voraus hat,
<lb n="48" xml:id="a21r_lb48"/>was nicht versprechen und für sich selbst gut sagen darf, wie viel Vertrauen, wie viel Furcht, wie viel Ehrfurcht er
<lb n="49" xml:id="a21r_lb49"/>erweckt – er <hi rend="underline">verdient</hi> alles Dreies – und wie ihm, mit dieser Herrschaft über sich, auch die Herrschaft über die Umstände,
<lb n="50" xml:id="a21r_lb50"/>über die Natur und alle willenskürzeren und unzuverlässigeren Creaturen nothwendig in die Hand gegeben ist? Der
<lb n="51" xml:id="a21r_lb51"/>„freie“ Mensch, der Inhaber eines langen unzerbrechlichen Willens, hat in diesem Besitz auch sein <hi rend="underline">Werthmaaß</hi>: von sich
<lb n="52" xml:id="a21r_lb52"/>aus nach den Andern hinblickend, ehrt er oder verachtet er; und eben so nothwendig als er die ihm Gleichen, die Starken
<lb n="53" xml:id="a21r_lb53"/>und Zuverlässigen (die welche versprechen <hi rend="underline">dürfen</hi>) ehrt – also Jedermann, der wie ein Souverain verspricht, schwer, sel<pc force="weak">-</pc>
<lb n="54" xml:id="a21r_lb54"/>ten, langsam, der mit seinem Vertrauen geizt, der <hi rend="underline">auszeichnet</hi>, wenn er vertraut, der sein Wort giebt als etwas, auf
<lb n="55" xml:id="a21r_lb55"/>das Verlaß ist, weil er sich stark genug weiß, es selbst gegen Unfälle, selbst „gegen das Schicksal“ aufrecht zu halten –:
<lb n="56" xml:id="a21r_lb56"/>eben so nothwendig wird er seinen Fußtritt für die schmächtigen Windhunde bereit halten, welche versprechen, ohne es
<lb n="57" xml:id="a21r_lb57"/>zu dürfen, und seine Zuchtruthe für den Lügner, der sein Wort bricht, im Augenblick schon, wo er es im Munde hat.
<lb n="58" xml:id="a21r_lb58"/>Das stolze Wissen um das außerordentliche Privilegium der <hi rend="underline">Verantwortlichkeit</hi>, das Bewußtsein <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="45"/>dieser seltenen Frei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="59" xml:id="a21r_lb59"/>heit, dieser Macht über sich und das Geschick hat sich bei ihm bis in seine unterste Tiefe hinabgesenkt und ist
<lb n="60" xml:id="a21r_lb60"/>zum Instinkt geworden, zum <choice xml:id="a21r_choice_d2e407"><sic>domirenden</sic><corr>dominirenden</corr></choice> Instinkt: – wie wird er ihn nennen, diesen dominirenden Instinkt, ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="61" xml:id="a21r_lb61"/>setzt, daß er ein Wort dafür bei sich nöthig hat? Aber es ist kein Zweifel: dieser souveraine Mensch nennt ihn
<lb n="2" rend="indent" xml:id="a22r_lb2"/><add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e75">Sein<anchor xml:id="appAnchor_a22r2a"/> Gewissen?… </add>Es läßt sich voraus errathen, daß der Begriff „Gewissen“, dem wir <subst xml:id="subst1a_a22r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e81">hier</add><del rend="hatching">eben</del></subst> in seiner höchsten<add place="inline" xml:id="a22r_add_d2e86">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a22r_add_d2e88">fast befremdlichen<anchor xml:id="appAnchor_a22r2b"/></add></add> Ausgestaltung begegne<subst xml:id="subst1b_a22r" seq="1"><del rend="overwritten"><del rend="strikethrough">ten</del></del><add place="superimposed" xml:id="a22r_add_d2e96">n</add></subst>, be<pc force="weak">-</pc>
<lb n="3" xml:id="a22r_lb3"/>reits eine lange Geschichte und Form-Verwandlung hinter sich hat. Für sich gut sagen dürfen und mit Stolz<add place="inline" xml:id="a22r_add_d2e107">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a22r_add_d2e109">also auch zu sich <hi rend="underline">Ja</hi> <hi rend="underline">sagen</hi> <hi rend="underline">dürfen</hi></add></add> – das ist, wie
<lb n="4" xml:id="a22r_lb4"/>gesagt, eine reife Frucht, aber auch eine <hi rend="underline">späte</hi> Frucht: – wie lange mußte diese Frucht herb und sauer am Baume hän<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="a22r_lb5"/>gen! Und eine noch viel längere Zeit war von einer solchen Frucht gar nichts zu sehn – Niemand hätte sie versprechen
<lb n="6" xml:id="a22r_lb6"/>dürfen, so gewiß auch Alles am Baume vorbereitet und <add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e133">gerade</add> auf sie hin im Wachsen war! – „Wie macht man dem
<lb n="7" xml:id="a22r_lb7"/>Menschen<add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e138">-Thiere</add> ein Gedächtniß? Wie prägt man diesem <add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e141">theils</add> stumpfen, theils faseligen Augenblicks-Verstande, dieser leibhaften
<lb n="8" xml:id="a22r_lb8"/>Vergeßlichkeit etwas so ein, daß es gegenwärtig bleibt?“… Dies uralte Problem ist, wie man denken kann, nicht ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="a22r_lb9"/>rade mit zarten <add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e152">Antworten und</add> Mitteln gelöst worden; vielleicht ist sogar nichts furchtbarer und unheimlicher an der ganzen Vorgeschichte
<lb n="10" xml:id="a22r_lb10"/>des Menschen, als seine <hi rend="underline">Mnemotechnik</hi>. „Man brennt Etwas ein, damit es im Gedächtniß bleibt: nur was nicht auf<pc force="weak">-</pc>
<lb n="11" xml:id="a22r_lb11"/>hört, <hi rend="underline">weh zu thun</hi>, bleibt im Gedächtniß“ – das ist ein <subst xml:id="a22r_subst_d2e169"><add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e170">Hauptsatz</add><del rend="hatching">Satz</del></subst> aus der allerältesten (leider <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="46"/>auch allerlängsten) Psycho<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="a22r_lb12"/>logie auf Erden. Man möchte selbst sagen, daß es überall, wo es jetzt noch auf Erden Feierlichkeit, Ernst, Geheim<pc force="weak">-</pc>
<lb n="13" xml:id="a22r_lb13"/>niß, düstere Farben im Leben von Mensch und Volk giebt, Etwas von der Schrecklichkeit <hi rend="underline">nachwirkt</hi>, mit der ehemals
<lb n="14" xml:id="a22r_lb14"/><subst xml:id="a22r_subst_d2e192"><add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e193">überall auf Erden</add><del rend="hatching">auf</del> <del rend="hatching">Erden</del></subst> versprochen, <seg xml:id="trans1_a22r">verpfändet,</seg> <metamark function="transposition" rend="transLine"/> <seg xml:id="trans2_a22r">gelobt</seg> worden ist: die Vergangenheit, die längste tiefste härteste Vergangenheit, haucht
<lb n="15" xml:id="a22r_lb15"/>uns an und quillt in uns herauf, wenn wir „ernst“ werden. Es gieng niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn
<lb n="16" xml:id="a22r_lb16"/>der Mensch es nöthig hielt, sich ein Gedächtniß zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlings<pc force="weak">-</pc>
<lb n="17" xml:id="a22r_lb17"/>opfer gehören), die widerlichsten Verstümmelungen (zum Beispiel die Castrationen), die grausamsten Ritualformen
<lb n="18" xml:id="a22r_lb18"/>aller religiösen Culte <del rend="hathching">–</del> (und alle Religionen sind auf dem untersten Grunde Systeme von Grausamkeiten) – Alles Das
<lb n="19" xml:id="a22r_lb19"/>hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste Hülfsmittel der Mnemonik errieth. In
<lb n="20" xml:id="a22r_lb20"/>einem gewissen Sinne gehört die ganze Asketik hierher: ein paar Ideen sollen unauslöschlich, allgegenwärtig,
<lb n="21" xml:id="a22r_lb21"/>unvergeßbar, „fix“ gemacht werden, zum Zweck der Hypnotisirung des ganzen nervösen und intellektuellen Sy<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="a22r_lb22"/>stems durch diese „fixen Ideen“ – und die as<subst instant="true" xml:id="a22r_subst_d2e237"><del rend="overwritten">s</del><add place="superimposed" xml:id="a22r_add_d2e240">k</add></subst>etischen Prozeduren <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a22r_add_d2e243">und Lebensformen</add> sind <subst xml:id="a22r_subst_d2e246"><del rend="strikethrough" seq="2">wiederum</del><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="a22r_add_d2e249"><del rend="strikethrough" seq="3">eben die einzigen</del></add> <del rend="strikethrough" seq="2">das</del></subst> Mittel <add place="above" rend="insM" seq="999" xml:id="a22r_add_d2e256">dazu</add>, um jene Ideen
<lb n="23" xml:id="a22r_lb23"/>aus der Concurrenz mit allen übrigen Ideen zu lösen, um sie „unvergeßlich“ zu machen. Je schlechter die Mensch<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="a22r_lb24"/>heit „bei Gedächtniß“ war, um so furchtbarer ist immer der Aspekt ihrer Bräuche; die Härte der Strafgesetze giebt
<lb n="25" xml:id="a22r_lb25"/>in Sonderheit einen Maßstab dafür ab, wie <retrace>v</retrace>iel Mühe sie hatte, gegen die Vergeßlichkeit zum Sieg zu kom<pc force="weak">-</pc>
<lb n="26" xml:id="a22r_lb26"/>men und ein paar primitive Erfordernisse des socialen Zusammenlebens diesen Augenblicks-Sklaven des Affekts
<lb n="27" xml:id="a22r_lb27"/>und der Be<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="47"/>gierde <hi rend="underline">gegenwärtig</hi> zu erhalten. Wir Deutschen betrachten uns gewiß nicht als ein besonders grausa<pc force="weak">-</pc>
<lb n="28" xml:id="a22r_lb28"/>mes und hartherziges Volk, noch weniger als besonders leichtfertig und in-den-Tag-hineinleberisch; aber man sehe
<lb n="29" xml:id="a22r_lb29"/>nur unsre alten Strafordnungen an, um dahinter zu kommen, was es auf Erden für Mühe hat, ein „Volk von
<lb n="30" xml:id="a22r_lb30"/>Denkern“ heranzuzüchten (will sagen: <hi rend="underline">das</hi> Volk Europa’s, unter dem auch heute noch das Maximum von Zu<pc force="weak">-</pc>
<lb n="31" xml:id="a22r_lb31"/>trauen, Ernst, Geschmacklosigkeit und Sachlichkeit zu finden ist und das mit diesen Eigenschaften ein Anrecht dar<pc force="weak">-</pc>
<lb n="32" xml:id="a22r_lb32"/>auf hat, <subst xml:id="a22r_subst_d2e308"><del rend="hatching" seq="2">einmal die</del> <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a22r_add_d2e312"><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a22r_add_d2e313">alle Art von </add>Mandarinen</add><del rend="hatching" seq="1">Chinesen</del></subst> Europa’s <subst xml:id="a22r_subst_d2e319"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a22r_add_d2e320"><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a22r_add_d2e321"><retrace>heran</retrace> </add>zu züchten</add><del rend="hatching" seq="1">abzugeben</del></subst>) Diese Deutschen haben sich mit furchtbaren Mitteln ein Ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="33" xml:id="a22r_lb33"/>dächtniß gemacht, um über ihre pöbelhaften <add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e333">Grund-</add>Instinkte und deren brutale <add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e337">Plumpheit</add><del rend="hatching">Plötzlichkeit</del> Herr zu werden: man
<lb n="34" xml:id="a22r_lb34"/>denke an die <add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e344">alten</add> deutschen Strafen, <add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e347">zum Beispiel an</add> das S*teinigen<add place="above" rend="insM" xml:id="a22r_add_d2e350"> (– schon die Sage läßt den Mühlstein auf das Haupt des Schuldigen fallen)</add>, das Rädern (die eigenste Erfindung und Spezialität des deutschen
<lb n="35" xml:id="a22r_lb35"/>Genius im Reich der Strafe!), das Werfen mit dem Pfahle, das Zerreißen- oder Zertretenlassen durch Pferde<add place="inline" xml:id="a22r_add_d2e356">, <add place="below" rend="insM" instant="true" xml:id="a22r_add_d2e358">(das „Viertheilen“)</add></add>, das
<lb n="1" xml:id="a23r_lb1"/>Sieden des Verbrechers in Öl oder Wein (<add xml:id="substAdd1_a23r" place="above" rend="insM" seq="1">noch im </add>vierzehnte<subst xml:id="subst1a_a23r" seq="1"><del rend="overwritten">s</del><add place="superimposed" xml:id="a23r_add_d2e71">n</add></subst> und fünfzehnte<subst xml:id="subst1b_a23r" seq="1"><del rend="overwritten">s</del><add place="superimposed" xml:id="a23r_add_d2e77">n</add></subst> Jahrhundert), das beliebte Schinden („Riemen<pc force="weak">-</pc>
<lb n="2" xml:id="a23r_lb2"/>schneiden“), das Herausschneiden des Fleisches aus der Brust; auch wohl daß man den Übelthäter mit Honig
<lb n="3" xml:id="a23r_lb3"/>bestrich und bei brennender Sonne den Fliegen überließ. Mit Hülfe solcher Bilder und Vorgänge behält man end<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="a23r_lb4"/>lich fünf, sechs „ich will nicht“ im Gedächtnisse, in Bezug auf welche man sein <hi rend="underline">Versprechen</hi> gegeben hat, um unter
<lb n="5" xml:id="a23r_lb5"/>den Vortheilen der Societät zu leben – und wirklich! mit Hülfe dieser Art von Gedächtniß kam man endlich
<lb n="6" xml:id="a23r_lb6"/>„zur Vernunft“! – Ah, die Vernunft, der Ernst, die Herrschaft <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="48"/>über die Affekte, diese ganze düstere Sache, welche
<lb n="7" xml:id="a23r_lb7"/>Nachdenken heißt, alle diese Vorrechte und Prunkstücke des Menschen: wie theuer haben sie sich gezahlt gemacht!
<lb n="8" xml:id="a23r_lb8"/>wie viel Blut und Grausen ist auf dem Grunde aller „guten Dinge“!…
<lb n="10" xml:id="a23r_lb10"/>Aber <add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e120">wie ist denn jene andre „düstre Sache“, das Bewußtsein der Schuld, das ganze „schlechte Gewissen“ auf Erden entstanden? – Und hiermit</add> kommen wir auf unsre Genealogen der Moral zurück. Nochmals gesagt – oder habe ich’s noch gar nicht gesagt? – sie tau<pc force="weak">-</pc>
<lb n="11" xml:id="a23r_lb11"/>gen nichts. Eine fünfspannenlange eigne <add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e128">bloß „moderne“</add> Erfahrung; kein Wissen, kein Wille zum Wissen<add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e132"> des Vergangnen</add>; noch weniger ein historischer In<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="a23r_lb12"/>stinkt<subst xml:id="a23r_subst_d2e140"><add place="inline" xml:id="a23r_add_d2e141">,</add> <del rend="hatching">und</del><add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e146">ein hier gerade nöthiges</add></subst> „zweites Gesicht“ – und dennoch Geschichte der Moral treiben: das <subst xml:id="subst2_a23r" seq="1"><del rend="hatching">endet</del><add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e152">muß</add></subst> billigerweise mit Ergebnissen<add xml:id="substAdd2_a23r" place="above" rend="insM" seq="1"> enden</add>, die zur
<lb n="13" xml:id="a23r_lb13"/>Wahrheit in einem nicht bloß spröden Verhältnisse stehn. Haben sich diese bisherigen Genealogen der Moral auch nur von
<lb n="14" xml:id="a23r_lb14"/>Ferne etwas davon träumen lassen, daß zum Beispiel <subst xml:id="a23r_subst_d2e164"><add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e165">jener</add><del rend="hatching">der</del></subst> moralische <subst xml:id="a23r_subst_d2e170"><add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e171">Hauptbegriff</add><del rend="hatching">Begriff</del></subst> „Schuld“ seine Herkunft aus dem sehr ma<pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="a23r_lb15"/>teriellen Begriff „Schulden“ genommen hat? Oder daß die Strafe <add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e182">als eine <hi rend="underline">Vergeltung</hi></add> sich vollkommen abseits von jeder Voraussetzung
<lb n="16" xml:id="a23r_lb16"/>über Freiheit oder Unfreiheit des Willens entwickelt hat? – und dies bis zu dem Grade, daß es vielmehr immer erst einer
<lb n="17" xml:id="a23r_lb17"/>hohen Stufe der <del rend="strikethrough">„</del>Vermenschlichung<del rend="strikethrough">“</del> bedarf, damit <subst xml:id="a23r_subst_d2e198"><add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e199">das Thier „Mensch“</add><del rend="hatching">ein Volk</del></subst> anfängt, jene viel primitiveren Unterscheidungen „absichtlich“ „fahr<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="a23r_lb18"/>lässig“ „zufällig“ „zurechnungsfähig“ und deren Gegensätze zu machen und bei der Zumessung der Strafe in Anschlag zu bringen.
<lb n="19" xml:id="a23r_lb19"/>Jener jetzt so wohlfeile und <milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen4"/><milestone unit="page" edRef="#Ed" n="49"/>scheinbar so natürliche, so unvermeidliche Gedanke, der wohl gar zur Erklärung, wie überhaupt das
<lb n="20" xml:id="a23r_lb20"/>Gerechtigkeitsgefühl auf Erden zu Stande gekommen ist, hat herhalten müssen „der Verbrecher verdient Strafe, <hi rend="underline">weil</hi> er
<lb n="21" xml:id="a23r_lb21"/>hätte anders handeln können“ ist thatsächlich eine überaus spät erreichte, ja raffinirte Form des menschlichen Urtheilens
<lb n="22" xml:id="a23r_lb22"/>und Schließens; wer sie in die Anfänge verlegt, vergreift sich mit groben Fingern an der Psychologie der älteren Mensch<pc force="weak">-</pc>
<lb n="23" xml:id="a23r_lb23"/>heit. Es ist die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch durchaus <hi rend="underline">nicht</hi> gestraft worden, <hi rend="underline">weil</hi> man den Übelan<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="a23r_lb24"/>stifter für seine That verantwortlich machte, also <hi rend="underline">nicht</hi> <subst xml:id="a23r_subst_d2e244"><add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e245">unter der Voraussetzung, daß nur der Schuldige zu strafen sei</add><del rend="hatching">zur</del> <del rend="hatching">Vergebung einer Schuld</del></subst>: – vielmehr, so wie jetzt noch
<lb n="25" xml:id="a23r_lb25"/>Eltern ihre Kinder strafen, aus Zorn über einen erlittenen Schaden, <add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e256">der sich am Schädiger ausläßt –</add> dieser Zorn aber in Schranken gehalten und mo<pc force="weak">-</pc>
<lb n="26" xml:id="a23r_lb26"/>difizirt durch <del rend="hatching" instant="true">jene</del> die Idee, daß jeder Schaden <add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e267">irgend worin</add> sein <hi rend="underline">Äquivalent</hi> habe und wirklich abgezahlt werden könne – sei es
<lb n="27" xml:id="a23r_lb27"/>selbst durch einen Schmerz des Schädigers<subst xml:id="a23r_subst_d2e276"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="a23r_add_d2e279">. –</add></subst> Woher diese uralte, tiefgewurzelte, vielleicht jetzt nicht mehr ausrottbare
<lb n="28" xml:id="a23r_lb28"/>Idee <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a23r_add_d2e284"><del xml:id="substDel3a_a23r" rend="hatching" seq="2">der Äquivalenz von Schaden und Leid</del></add> ihre Macht genommen hat<subst xml:id="a23r_subst_d2e288"><add xml:id="substAdd3a_a23r" place="inline" seq="2">, </add><add xml:id="substAdd3b_a23r" place="above" rend="insM" seq="2">die <retrace>I</retrace>dee einer Äquivalenz von Schaden und <subst xml:id="a23r_subst_d2e295"><del rend="hatching" seq="3">Leid?</del> <add place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="a23r_add_d2e299">Schmerz?</add></subst></add><del xml:id="substDel3b_a23r" rend="hatching" seq="2">?</del></subst> Ich habe es bereits verrathen: in dem Vertragsverhältniß zwischen <hi rend="underline">Gläubiger</hi> und
<lb n="29" xml:id="a23r_lb29"/><hi rend="underline">Schuldner</hi>, das so alt ist als es überhaupt „Rechtssubjekte“ giebt und seinerseits wieder auf die Grundformen von
<lb n="32" xml:id="a23r_lb32"/>Die Vergegenwärtigung dieser Vertragsverhältnisse weckt allerdings, wie es nach dem <subst xml:id="a23r_subst_d2e327"><add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e328">Voraus-Bemerkten</add><del rend="hatching">vorangehenden Paragraphen</del></subst>
<lb n="33" xml:id="a23r_lb33"/>von vornherein zu erwarten steht, gegen die ältere <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="50"/>Menschheit, die sie schuf oder gestattete, mancherlei Verdacht
<lb n="34" xml:id="a23r_lb34"/>und Widerstand. Hier gerade wird <hi rend="underline">versprochen</hi>; hier gerade handelt es sich darum, dem, der verspricht, ein Gedächt<pc force="weak">-</pc>
<lb n="35" xml:id="a23r_lb35"/>niß zu <hi rend="underline">machen</hi>; hier gerade, so darf man argwöhnen, wird eine Fundstätte für Hartes, Grausames, Peinliches sein. Der
<lb n="36" xml:id="a23r_lb36"/>Schuldner, um Vertrauen für sein Versprechen der Zurückbezahlung einzuflößen, um eine Bürgschaft für den Ernst und
<lb n="37" xml:id="a23r_lb37"/>die Heiligkeit seines Versprechens zu geben, um bei sich selbst die Zurechtbezahlung als Pflicht, Verpflichtung seinem
<lb n="38" xml:id="a23r_lb38"/>Gewissen einzuschärfen, verpfändet Kraft eines Vertrags dem Gläubiger für den Fall, daß er nicht zahlt, etwas, das <add place="above" rend="insM" xml:id="a23r_add_d2e358">er</add> sonst
<lb n="9" xml:id="a30r_lb9"/><add xml:id="substAdd1f_a30r" place="above" rend="insM" seq="1">es für alle Art Historie gar keinen wichtigeren Satz<add xml:id="substAdd1g_a30r" place="above" rend="insM" seq="1"> als jenen</add>, der mit solcher Mühe errungen ist, aber auch wirklich errungen <hi rend="underline">sein</hi> <hi rend="underline">sollte</hi> – daß nämlich </add><del xml:id="substDel1q_a30r" rend="hatching" seq="1">lich</del> die Ursache der Entstehung eines Dings <subst xml:id="subst2e_a30r" seq="2"><del rend="hatching">von</del><add place="below" xml:id="a30r_add_d2e469">und</add></subst> <subst xml:id="subst1b_a30r" seq="1"><del rend="hatching">seiner</del><add place="below" xml:id="a30r_add_d2e475">dessen</add></subst> schließliche<subst xml:id="a30r_subst_d2e478"><del xml:id="substDel1r_a30r" rend="overwritten" seq="1">n</del><add xml:id="substAdd1h_a30r" place="superimposed" seq="1"><del xml:id="substDel2m_a30r" rend="hatching" seq="2">r</del></add></subst> Nützlichkeit, <subst xml:id="subst1c_a30r" seq="1"><del rend="hatching">seiner</del><add place="below" xml:id="a30r_add_d2e488">dessen</add></subst> thatsächliche<subst xml:id="a30r_subst_d2e491"><del xml:id="substDel1s_a30r" rend="overwritten" seq="1">n</del><add xml:id="substAdd1i_a30r" place="superimposed" seq="1"><del xml:id="substDel2n_a30r" rend="hatching" seq="2">r</del></add></subst> Verwendung und Einord<pc force="weak">-</pc>
<lb n="10" xml:id="a30r_lb10"/>nung in ein System von Zwecken <hi rend="latin">toto coelo</hi> auseinander liegen; daß etwas Vorhandenes, irgendwie Zu-Stande-Gekom<pc force="weak">-</pc>
<lb n="11" xml:id="a30r_lb11"/>menes immer wieder von einer ihm überlegnen Macht auf <subst xml:id="subst6a_a30r"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e514">neue</add><del rend="hatching">deren</del></subst> Absichten ausgelegt, <add xml:id="substAdd6_a30r" place="above" rend="insM">neu</add> in Beschlag genommen, zu <subst xml:id="subst6b_a30r"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e524">einem neuen</add><del rend="hatching">deren</del></subst>
<lb n="12" xml:id="a30r_lb12"/>Nutzen umgebildet und umgerichtet wird; daß alles Geschehen <add xml:id="substAdd7_a30r" place="above" rend="insM">in der organischen Welt</add> ein <hi rend="underline">Überwältigen</hi>, <hi rend="underline">Herrwerden</hi> und daß wiederum alles
<lb n="13" xml:id="a30r_lb13"/>Überwältigen und Herrwerden <del xml:id="substDel7a_a30r" rend="hatching">in der organischen und</del> <del xml:id="substDel7b_a30r" rend="hatching">unorganischen Welt</del> ein Neu-Interpretieren, ein Zurechtmachen ist,
<lb n="14" xml:id="a30r_lb14"/>bei dem der bisherige „Sinn“ <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e551">und „Zweck“</add> nothwendig verdunkelt oder ganz ausgelöscht werden muß. Wenn man die <hi rend="underline">Nützlichkeit</hi>
<lb n="15" xml:id="a30r_lb15"/>von irgend welchem physiologischen Organ (oder auch einer Rechts-Institution, einer <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e560">gesellschaftlichen</add> Sitte, eines <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e563">politischen</add> Brauchs, einer Form <subst xml:id="a30r_subst_d2e566"><add place="above" xml:id="a30r_add_d2e567">in den</add><del rend="hatching">des</del>
<lb n="16" xml:id="a30r_lb16"/><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e573">Künsten oder im</add></subst> religiösen Cultus) noch so gut begriffen hat, so hat man damit noch nichts in Betreff seiner Entstehung<subst xml:id="a30r_subst_d2e576"><del rend="hatching">, noch nicht ein</del><del rend="none"><pc force="weak">-</pc></del>
<lb n="17" xml:id="a30r_lb17"/><del rend="hatching">mal in Betreff seiner bisherigen</del> <del rend="hatching">Entwicklung</del></subst> begriffen: so unbequem und unangenehm dies älteren Ohren klingen
<lb n="18" xml:id="a30r_lb18"/>mag, – denn <subst xml:id="a30r_subst_d2e594"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e595">von Alters her</add><del rend="hatching">bisher</del></subst> hatte man in dem nachweisbaren Zwecke<add place="inline" xml:id="a30r_add_d2e600">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a30r_add_d2e602">in der Nützlichkeit</add></add> eines Dings, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="68"/>einer Form, einer Einrichtung auch <subst xml:id="a30r_subst_d2e607"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e608">deren</add><del rend="hatching">ihren</del></subst> Ent<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="a30r_lb19"/>stehungsgrund zu begreifen <subst xml:id="a30r_subst_d2e619"><del rend="hatching" seq="1">gewähnt</del><del rend="strikethrough" seq="1" cause="insM">.</del><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a30r_add_d2e624">geglaubt, das Auge <subst xml:id="a30r_subst_d2e626"><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="a30r_add_d2e627">als gemacht zum</add><del rend="hatching" seq="2">aus dem</del></subst> Sehen, die Hand <subst xml:id="a30r_subst_d2e632"><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="a30r_add_d2e633">als gemacht <hi rend="underline">zum</hi></add><del rend="hatching" seq="2">aus dem</del></subst> Greifen.<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a30r_add_d2e640"> So hat man sich auch die Strafe vorgestellt als erfunden <hi rend="underline">zum</hi> Strafen.</add></add></subst> Aber alle Zwecke, alle Nützlichkeiten sind nur <hi rend="underline">Anzeichen</hi> davon, daß <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e649"><del rend="hatching">wieder</del></add> ein Wille zur
<lb n="20" xml:id="a30r_lb20"/>Macht über etwas weniger Mächtiges Herr geworden ist und ihm von sich aus den Sinn einer Funktion aufgeprägt hat; und
<lb n="21" xml:id="a30r_lb21"/>die ganze Geschichte eines „Dings“ <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e657">eines Organs, eines Brauchs</add> kann dergestalt eine fortgesetzte <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e661">Zeichen-</add>Kette von immer neuen Interpretationen und Zurechtma<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="a30r_lb22"/>chungen sein, deren Ursachen selbst unter sich nicht im Zusammenhange zu sein brauchen, vielmehr <add xml:id="substAdd8_a30r" place="above" rend="insM" seq="2">unter Umständen sich</add> bloß zufällig <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a30r_add_d2e672"><del xml:id="substDel8_a30r" rend="hatching" seq="2">sich</del></add> hinter
<lb n="23" xml:id="a30r_lb23"/>einander folgen und ablösen. „Entwicklung“ <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a30r_add_d2e679">eines Dings<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a30r_add_d2e681">, eines Brauchs<add place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="a30r_add_d2e683">, eines Organs</add></add></add> ist demgemäß nichts weniger als sein <hi rend="latin">progressus</hi> auf ein Ziel hin, noch weni<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="a30r_lb24"/>ger ein logischer und kürzester, mit dem kleinsten Aufwand von Kraft und Kosten erreichter <hi rend="latin">progressus</hi>, – sondern die Auf<pc force="weak">-</pc>
<lb n="25" xml:id="a30r_lb25"/>einanderfolge von mehr oder minder tiefgehenden, mehr oder minder von einander unabhängigen <add xml:id="substAdd9_a30r" place="above" rend="insM" seq="1"><add xml:id="substAdd11_a30r" place="inline" rend="insMExt" seq="3">an ihm sich abspielenden<space unit="char" quantity="5"/></add> <del xml:id="substDel11a_a30r" rend="hatching" seq="3">an irgend etwas Festerem und Widerstehenden </del><add xml:id="substAdd10_a30r" place="above" rend="insM" seq="2"><del xml:id="substDel11b_a30r" rend="hatching" seq="3">sich abspielenden</del></add><del xml:id="substDel10a_a30r" rend="hatching" seq="2">zu Stande</del><add place="below" seq="1" instant="true" xml:id="a30r_add_d2e715"><del xml:id="substDel10b_a30r" rend="hatching" seq="2">gekommenen</del></add></add> Überwältigung<subst xml:id="subst10_a30r" seq="2"><del rend="overwritten">en</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e723">s-</add><add place="below" xml:id="a30r_add_d2e725">-Prozessen</add></subst><subst xml:id="subst9_a30r" seq="1"><add place="inline" xml:id="a30r_add_d2e728">,</add> <del rend="hatching">und Versu<pc force="weak">-</pc></del>
<lb n="26" xml:id="a30r_lb26"/><del rend="hatching">chen</del> <del rend="hatching">der Überwältigung</del></subst>, hinzugerechnet die dagegen <add xml:id="substAdd12a_a30r" place="above" rend="insM" seq="1">jedes Mal</add> aufgewendeten Widerstände, die <add xml:id="substAdd12b_a30r" place="above" rend="insM" seq="1">jedesmaligen</add> Form-Verwandlungen zum Zweck der
<lb n="27" xml:id="a30r_lb27"/>Vertheidigung und Reaktion, <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e752">auch</add> die Resultate von gelungenen Gegenaktionen<subst xml:id="subst14_a30r" seq="2"><del rend="overwritten">,</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e758">.</add></subst> <del xml:id="substDel14a_a30r" rend="hatching" seq="2">von spontanen</del><del xml:id="substDel14b_a30r" rend="hatching" seq="2"><subst instant="true" xml:id="a30r_subst_d2e764"><del rend="overwritten">,</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e767"> <del rend="hatching" seq="2">A</del></add></subst>ngriffen</del><del xml:id="substDel14c_a30r" rend="hatching" seq="2">, Eingriffen, Aneignungen</del>.<add xml:id="substAdd13a_a30r" place="above" rend="insM" seq="1"><del xml:id="substDel14d_a30r" rend="hatching" seq="2">seitens des Dings, das sich entwickelt</del>.</add>
<lb n="28" xml:id="a30r_lb28"/><del xml:id="substDel14e_a30r" rend="strikethrough" seq="2">Denn <subst xml:id="a30r_subst_d2e784"><add xml:id="substAdd13b_a30r" place="above" rend="insM" seq="1"><del xml:id="substDel14f_a30r" rend="strikethrough" seq="2">dies „Ding“, als ein</del></add><del xml:id="substDel13a_a30r" rend="hatching" seq="1">jedes</del></subst> Quantum von organisirter Kraft</del> <subst xml:id="a30r_subst_d2e792"><add xml:id="substAdd13c_a30r" place="above" rend="insM" seq="1"><del xml:id="substDel14g_a30r" rend="strikethrough" seq="2">muß sich auch seinerseits, so schwach es auch sein mag</del>,</add> <del xml:id="substDel13b_a30r" rend="hatching" seq="1">bewegt sich auch seinerseits</del></subst> <del xml:id="substDel14h_a30r" rend="strikethrough" seq="2">von innen her nach außen<add xml:id="substAdd13d_a30r" place="above" rend="insM" seq="1"> <del xml:id="substDel14i_a30r" rend="strikethrough" seq="2">bewegen</del></add>, um sich an diesem „Au<pc force="weak">-</pc></del>
<lb n="29" xml:id="a30r_lb29"/><del xml:id="substDel14j_a30r" rend="strikethrough" seq="2">ßen“ zu bethätigen und zu bereichern, um es in sich hineinzunehmen und ihm <hi rend="underline">sein</hi> Gesetz, <hi rend="underline">seinen</hi> Sinn aufzuprägen. </del><subst xml:id="a30r_subst_d2e820"><del xml:id="substDel13c_a30r" rend="hatching" seq="1">Selbst</del>
<lb n="30" xml:id="a30r_lb30"/><add xml:id="substAdd13e_a30r" place="above" rend="insM" seq="1">Die Form ist flüssig, der „Sinn“ ist es <add place="above" rend="insM" seq="999" xml:id="a30r_add_d2e827">aber</add> noch mehr, selbst</add></subst> innerhalb jedes einzelnen Organismus steht es nicht anders: mit jedem wesentlichen Wachsthum des Ganzen verschiebt sich auch
<lb n="31" xml:id="a30r_lb31"/>der „Sinn“ der einzelnen Organe, – unter Umständen kann deren theilweises Zu-Grunde-Gehn, deren Zahl-Verminderung (zum
<lb n="32" xml:id="a30r_lb32"/>Beispiel durch Vernichtung der Mittel<subst xml:id="a30r_subst_d2e836"><add hand="#N_brown1" place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e837">glieder</add><del hand="#N_brown1" rend="hatching">bildungen</del></subst>) ein Zeichen wachsender Kraft und <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="69"/>Vollkommenheit sein. Ich wollte sagen: auch
<lb n="33" xml:id="a30r_lb33"/>das theilweise <hi rend="underline">Unnützlichwerden</hi>, das Verkümmern und Entarten, das Verlustiggehn von Sinn und Zweckmäßigkeit gehört <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e850">unter Umständen</add> zu
<lb n="34" xml:id="a30r_lb34"/>de<subst xml:id="a30r_subst_d2e855"><del rend="overwritten">m</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e858">n</add> <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e861">Bedingungen <subst xml:id="a30r_subst_d2e863"><del rend="overwritten">ein</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e866">d</add></subst>es</add></subst> wirklichen <hi rend="latin">progressus</hi>: als welcher immer in Gestalt eines Willens und Wegs zu <hi rend="underline">größerer</hi> <hi rend="underline">Macht</hi> erscheint und immer auf
<lb n="35" xml:id="a30r_lb35"/>Unkosten zahlreicher kleinerer Mächte durchgesetzt wird. Die Größe eines „Fortschritts“ <hi rend="underline">bemißt</hi> sich <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e885">sogar</add> nach der Masse dessen, was
<lb n="36" xml:id="a30r_lb36"/>ihm <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e890">Alles</add> <hi rend="underline">geopfert</hi> werden mußte<subst xml:id="a30r_subst_d2e897"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e900">;</add> <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e903">die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer </add><add place="below" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e905">einzelnen stärkeren <hi rend="latin">Species</hi> Mensch <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e910">geopfert</add> – das <hi rend="underline">wäre</hi> ein Fortschritt…</add></subst> – Ich hebe diesen <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e917">Haupt-</add>Gesichtspunkt <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e920">der historischen Methodik</add> hervor, <subst xml:id="a30r_subst_d2e923"><del rend="hatching">so sehr</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e927">um so mehr als<add place="inline" xml:id="a30r_add_d2e929"> er</add></add> <del rend="hatching">er</del></subst> <del rend="hatching">auch</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e938">im Grunde <add xml:id="substAdd15_a30r" place="inline" rend="insMExt">dem gerade</add></add> <del xml:id="substDel15_a30r" rend="hatching">dem</del> herrschenden<anchor xml:id="appAnchor_a30r36"/> Instinkte <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e949">und Zeitgeschmacke</add> entgegengeht,
<lb n="37" xml:id="a30r_lb37"/>welcher lieber sich noch mit der absoluten Zufälligkeit, ja <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e954">mechanistischen</add> Unsinnigkeit alles Geschehens <del instant="unknown">sich</del> vertragen würde als mit der The<pc force="weak">-</pc>
<lb n="38" xml:id="a30r_lb38"/>orie eines in allem Geschehen sich abspielenden <hi rend="underline">Macht-Willens</hi>. D<subst xml:id="subst16a_a30r"><del rend="overwritten">er</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e972">ie</add></subst> demokratische <subst xml:id="subst16b_a30r"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e976">Idiosynkrasie</add><del rend="hatching">Haß</del></subst> gegen alles, was herrscht und herrschen
<lb n="39" xml:id="a30r_lb39"/>will, der moderne <hi rend="underline">Misarchismus</hi> <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a30r_add_d2e987">(um ein <subst xml:id="subst17a_a30r" seq="2"><del rend="overwritten">neues</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e992">schlechtes</add></subst> Wort für <subst xml:id="subst17b_a30r" seq="2"><del rend="overwritten">diese</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e998">eine</add></subst> <subst xml:id="subst17c_a30r" seq="2"><del rend="overwritten">neue</del><add place="superimposed" xml:id="a30r_add_d2e1004">schlechte</add></subst> Sache zu bilden)</add> hat sich <subst xml:id="a30r_subst_d2e1008"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1009"><del rend="hatching">allmählich</del> <add place="inline" rend="insMExt" xml:id="a30r_add_d2e1013">allmählich</add></add><del rend="hatching">bereits</del></subst> dermaaßen <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1018"><del rend="hatching">schon</del></add> ins Geistige, Geistigste umgesetzt<add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1022"> und verkleidet</add>, daß er <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1025">heute</add> <subst xml:id="a30r_subst_d2e1029"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1030"><del rend="hatching">bereits</del></add><del rend="hatching">bereits</del></subst> <subst xml:id="a30r_subst_d2e1036"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1037">Schritt für Schritt <del rend="strikethrough" instant="true">bere</del></add><del rend="hatching">in den streng</del><del rend="none"><pc force="weak">-</pc></del>
<lb n="40" xml:id="a30r_lb40"/><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1048">bereits in die streng<pc force="weak">-</pc></add></subst>sten<subst xml:id="a30r_subst_d2e1053"><add place="inline" xml:id="a30r_add_d2e1054">,</add> <del rend="hatching">und</del></subst> anscheinend<anchor xml:id="appAnchor_a30r40"/> objektivsten Wissenschaften <subst xml:id="a30r_subst_d2e1062"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a30r_add_d2e1063">eindringt<add place="inline" seq="2" xml:id="a30r_add_d2e1065"><del rend="overwritten" seq="3">;</del><add hand="#N_brown1" place="superimposed" seq="3" xml:id="a30r_add_d2e1068">,</add></add> <del rend="hatching" seq="2">und in ihnen Unfug</del> <add hand="#N_brown1" place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="a30r_add_d2e1074">eindringen <hi rend="underline">darf</hi>;</add></add><del rend="hatching" seq="1">sein Unwesen</del> <del rend="hatching" seq="2">treibt;</del></subst> ja er scheint mir <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a30r_add_d2e1086"><subst xml:id="subst18_a30r" seq="2"><del rend="hatching">bereits</del> <add place="inline" rend="insMExt" xml:id="a30r_add_d2e1091">schon über</add></subst></add> die ganze Physiologie und Lehre
<lb n="41" xml:id="a30r_lb41"/>vom Leben <subst xml:id="a30r_subst_d2e1097"><add xml:id="substAdd18_a30r" place="above" rend="insM" seq="2">Herr geworden zu sein<add hand="#N_brown1" place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="a30r_add_d2e1100">, zu ihrem Schaden, wie sich von selbst versteht,</add></add><del xml:id="substDel18_a30r" rend="hatching" seq="2">in eine falsche Richtung gedrängt zu haben</del></subst>, indem er ihr <subst xml:id="a30r_subst_d2e1105"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1106">einen Grundbegriff, den der</add><del rend="hatching">den Begriff</del></subst> der eigentlichen <hi rend="underline">Aktivität</hi>, <subst xml:id="a30r_subst_d2e1114"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1115">eskamotirt hat.</add><del rend="hatching">vorenthält oder</del>
<lb n="42" xml:id="a30r_lb42"/><del rend="hatching">eskamotirt</del></subst>. Man stellt dagegen <add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1124">unter dem Druck jener Idiosynkrasie</add> die „Anpassung“ in den Vordergrund<add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1128"> das heißt eine Aktivität zweiten Ranges, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="70"/>eine bloße Reaktivität</add>, ja man hat das Leben selbst als eine immer zweckmäßigere
<lb n="43" xml:id="a30r_lb43"/>innere Anpassung an äußere Umstände definirt (<hi rend="latin">Herbert Spencer</hi>) Damit ist aber das Wesen des Lebens verkannt, sein <hi rend="underline">Wille</hi> <hi rend="underline">zur</hi>
<lb n="44" xml:id="a30r_lb44"/><hi rend="underline">Macht</hi>; damit ist der principielle Vorrang übersehn, den die spontanen, angreifenden, übergreifenden, neu-auslegenden, neu-richtenden
<lb n="45" xml:id="a30r_lb45"/>und gestaltenden Kräfte haben, auf deren Wirkung erst die „Anpassung“ folgt; <subst xml:id="a30r_subst_d2e1151"><add place="above" rend="insM" xml:id="a30r_add_d2e1152">damit ist im Organismus selbst die herrschaftliche Rolle der höchsten </add><del rend="hatching">als eine Reaktion und Unterwerfungsform dessen, was</del>
<lb n="46" xml:id="a30r_lb46"/><add place="above" xml:id="a30r_add_d2e1158">Funktionäre abgeleugnet, in denen der Wille zum Leben aktiv und aggressiv erscheint. Man erinnert sich, was <hi rend="latin">Huxley Spencer’n</hi> zum Vorwurf gemacht hat – seinen „<hi rend="latin">admini<pc force="weak">-</pc></hi></add><del rend="hatching">zu schwach ist, um über den Feind Herr zu werden, und eben noch stark genug, um sein Sonderdasein aufrecht zu erhalten</del><add place="below" xml:id="a30r_add_d2e1169"><hi rend="latin">strativen Nihilismus</hi>“: aber es handelt sich noch um <hi rend="underline">mehr</hi> als um’s „Administriren“…</add></subst>
<lb n="2" xml:id="a31r_lb2"/><add place="inline" xml:id="a31r_add_d2e67">– </add>Man hat also, um zur Sache, nämlich zur <hi rend="underline">Strafe</hi> zurückzukehren, zweierlei an ihr zu unterscheiden: einmal das relativ
<lb n="3" xml:id="a31r_lb3"/><hi rend="underline">Dauerhafte</hi> an ihr, den Brauch, den Akt, das „Drama“, eine <add hand="#N_brown1" place="above" seq="2" xml:id="a31r_add_d2e77"><metamark function="transposition" target="#trans1_a31r">(2</metamark></add><seg xml:id="trans1_a31r">strenge</seg> <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a31r_add_d2e84"><add hand="#N_brown1" place="above" seq="2" xml:id="a31r_add_d2e85"><metamark function="transposition" target="#trans2_a31r">(1</metamark></add><seg xml:id="trans2_a31r">gewisse</seg></add> Abfolge von Prozeduren, andrerseits das <hi rend="underline">Flüssige</hi>
<lb n="4" xml:id="a31r_lb4"/>an ihr, den Sinn, den <retrace>Z</retrace>weck, die Erwartung, welche sich an die Ausführung solcher Prozeduren knüpft. Hierbei wird
<lb n="6" xml:id="a31r_lb6"/>res<add place="inline" xml:id="a31r_add_d2e134">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a31r_add_d2e136">Früheres</add></add> als <subst xml:id="subst1_a31r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e140">ihre Benützung zur</add><del rend="hatching">der ganze Begriff</del></subst> Strafe sein <subst xml:id="a31r_subst_d2e146"><add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e147">wird</add><del rend="hatching">muß</del></subst>, daß letztere<del xml:id="substDel1_a31r" rend="strikethrough" seq="1">r</del> erst in die <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e155">(längst vorhandene, aber in einem anderen Sinne übliche)</add> Prozedur <hi rend="underline">hineingelegt</hi>, hineingedeutet worden ist,
<lb n="7" xml:id="a31r_lb7"/>kurz, daß es <hi rend="underline">nicht</hi> so steht, wie unsre naiven Moral- und Rechtsgenealogen bisher annahmen, welche sich <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e167">allesammt</add> die Pro<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="a31r_lb8"/>zedur <hi rend="underline">erfunden</hi> <subst xml:id="a31r_subst_d2e178"><add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e179">dachten</add><del rend="hatching">denken</del></subst> <restore type="strikethrough"><hi rend="underline">zum</hi></restore> <restore type="strikethrough"><hi rend="underline">Zweck</hi></restore> <restore type="strikethrough"><hi rend="underline">der</hi></restore> <restore type="strikethrough"><hi rend="underline">Strafe</hi></restore>, so wie man sich ehe<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="71"/>mals die Hand erfunden dachte zum Zweck des
<lb n="9" xml:id="a31r_lb9"/>Greifens. Was nun <subst xml:id="a31r_subst_d2e205"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a31r_add_d2e206">jenes<add xml:id="substAdd2a_a31r" seq="2" place="inline" rend="insMExt"> andre</add></add><del rend="hatching" seq="1">das</del> <del xml:id="substDel2_a31r" rend="hatching">flüssige</del></subst> Element an der Strafe betrifft<add xml:id="substAdd2b_a31r" place="inline" seq="2">, <add seq="2" place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a31r_add_d2e219">das flüssige</add></add>, ihren „Sinn“, so stellt in einem sehr späten Zustan<pc force="weak">-</pc>
<lb n="10" xml:id="a31r_lb10"/>de der Cultur (zum Beispiel im heutigen Europa) der Begriff <subst xml:id="a31r_subst_d2e227"><del rend="overwritten">d</del><add place="superimposed" instant="true" xml:id="a31r_add_d2e230">„S</add></subst>trafe“ in der That <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e233">gar</add> nicht mehr Einen Sinn vor, sondern
<lb n="11" xml:id="a31r_lb11"/>eine <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e239">ganze</add> Synthesis von „Sinnen“: die <subst xml:id="a31r_subst_d2e242"><add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e243">bisherige</add><del rend="hatching">ganze</del></subst> Geschichte der Strafe<add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e248"> überhaupt</add>, die Geschichte ihrer Ausnützung zu den verschiedensten Zwecken
<lb n="12" xml:id="a31r_lb12"/>krystallisirt sich zuletzt in eine Art von Einheit, welche schwer löslich, schwer zu analysiren und<add place="inline" xml:id="a31r_add_d2e253">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a31r_add_d2e255">was man hervorheben muß,</add></add> ganz und gar <hi rend="underline">unde<pc force="weak">-</pc>
<lb n="13" xml:id="a31r_lb13"/>finirbar</hi> ist. <subst xml:id="a31r_subst_d2e267"><del xml:id="substDel3a_a31r" rend="hatching" seq="1">(</del><add xml:id="substAdd3a_a31r" place="above" rend="insM" seq="1"><retrace>(</retrace>Es ist heute <hi rend="underline">unmöglich</hi>, bestimmt zu sagen, <hi rend="underline">warum</hi> eigentlich <add place="above" rend="insM" seq="999" xml:id="a31r_add_d2e279">heute</add> gestraft wird<subst xml:id="subst4_a31r" seq="2"><del rend="overwritten">*.</del><add place="superimposed" xml:id="a31r_add_d2e285">:</add></subst><del rend="strikethrough" seq="2">)</del><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a31r_add_d2e289"> alle</add></add><del xml:id="substDel4_a31r" rend="hatching" seq="2">Alle</del></subst> Begriffe, in denen <add xml:id="substAdd3b_a31r" place="below" rend="insM" seq="1">sich</add> ein ganzer Prozeß semiotisch zusammen<del xml:id="substDel3b_a31r" rend="hatching" seq="1">ge</del>faßt <del xml:id="substDel3c_a31r" rend="hatching" seq="1">wird</del>, entziehn sich der Defini<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="a31r_lb14"/>tion; definirbar ist nur das, was keine Geschichte hat.<add xml:id="substAdd4_a31r" seq="2" place="inline">)</add><del xml:id="substDel3d_a31r" rend="hatching" seq="1">)</del> In einem früheren Stadium erscheint dagegen jene Synthesis
<lb n="15" xml:id="a31r_lb15"/>von „Sinnen“ noch löslicher, auch noch verschiebbarer; man kann <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e316">noch</add> wahrnehmen, wie für jeden einzelnen Fall die Elemen<pc force="weak">-</pc>
<lb n="16" xml:id="a31r_lb16"/>te der Synthesis <del rend="hatching">noch</del> ihre Werthigkeit verändern und sich demgemäß umordnen, so daß bald dies, bald jenes Element
<lb n="17" xml:id="a31r_lb17"/>auf Kosten der übrigen hervortritt und dominirt, ja unter Umständen Ein Element (etwa der Zweck der Abschreckung)
<lb n="18" xml:id="a31r_lb18"/>den ganzen Rest von Elementen aufzuheben scheint. Um wenigstens eine Vorstellung davon zu geben, wie unsicher,
<lb n="19" xml:id="a31r_lb19"/>wie nachträglich, wie accidentiell „der Sinn“ der Strafe ist und wie ein und dieselbe Prozedur auf grundverschiedne Ab<pc force="weak">-</pc>
<lb n="20" xml:id="a31r_lb20"/>sichten hin benützt, gedeutet, zurechtgemacht werden kann: so stehe hier das Schema, das sich mir selbst auf Grund
<lb n="21" xml:id="a31r_lb21"/>eines verhältnißmäßig kleinen und zufälligen Materials ergeben hat. Strafe als Unschädlichmachen, als Verhinderung wei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="a31r_lb22"/>teren Schädigens. Strafe <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="72"/>als Abzahlung des Schadens an den Geschädigten, in irgend einer Form (auch in der <subst xml:id="a31r_subst_d2e349"><add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e350">einer</add><del rend="hatching">der</del></subst> Affekt-
<lb n="23" xml:id="a31r_lb23"/>Compensation) Strafe als Isolirung einer Gleichgewichts-Störung, um ein Weitergreifen der Störung zu verhüten. Strafe
<lb n="24" xml:id="a31r_lb24"/>als Furchteinflößen vor denen, welche die Strafe bestimmen und <choice xml:id="a31r_choice_d2e360"><sic>Exekutiren</sic><corr>exekutiren</corr></choice>. Strafe als eine Art Ausgleich für die Vortheile,
<lb n="25" xml:id="a31r_lb25"/>welche der Verbrecher bis dahin genossen hat (zum Beispiel wenn er als Bergwerkssklave nutzbar gemacht wird). Strafe
<lb n="26" xml:id="a31r_lb26"/>als Ausscheidung eines entartenden Elementes (unter Umständen eines ganzen Zweigs, wie nach chinesischem Rechte:
<lb n="27" xml:id="a31r_lb27"/>somit als Mittel zur Reinerhaltung der Rasse oder <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e370">zur Festhaltung</add> eines socialen Typus). Strafe als Fest, nämlich als Verge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="28" xml:id="a31r_lb28"/>waltigung und Verhöhnung eines endlich niedergeworfnen Feindes. Strafe als ein Gedächtniß-machen, sei es für den,
<lb n="29" xml:id="a31r_lb29"/>der die Strafe erleidet – die sogenannte „Besserung“, sei es für die Zeugen der Exekution. Strafe als <subst xml:id="a31r_subst_d2e381"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a31r_add_d2e382">Zahlung eines Honorars</add><del rend="hatching" seq="1">ein Lohn</del><add place="inline" seq="1" xml:id="a31r_add_d2e386">,</add> <del rend="overwritten" seq="1">an</del><add place="superimposed" seq="1" xml:id="a31r_add_d2e391"><del hand="#N_brown1" rend="hatching" seq="2">als</del></add>
<lb n="30" xml:id="a31r_lb30"/><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a31r_add_d2e396"><del hand="#N_brown1" rend="hatching" seq="2">eine Vergütigung der Dankbarkeit gegen </del><add hand="#N_brown1" place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a31r_add_d2e399">ausbedungen Seitens der</add></add><del hand="#N_brown1" rend="hatching" seq="2">die</del></subst> Macht, welche den Übelthäter vor den Ausschweifungen der Rache schützt<del rend="strikethrough">e</del>. <add place="above" rend="insM" change="#version0" xml:id="a31r_add_d2e407">Strafe als Compromiß mit<add xml:id="substAdd5a_a31r" place="inline" rend="insMExt"> dem Naturzustand<del rend="strikethrough">*e</del></add></add><note type="authorial" hand="#N_black1" xml:id="a31r_note_d2e414"><del rend="hatching">–</del> <del rend="hatching">Fortsetzung folgt</del>.</note><space unit="char" quantity="3"/> der Rache, sofern
<lb n="31" xml:id="a31r_lb31"/>letztere<add xml:id="substAdd5b_a31r" place="inline">r</add> durch mächtige Geschlechter <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e430">noch</add> aufrecht erhalten und als Privilegium in Anspruch <choice xml:id="a31r_choice_d2e434"><sic>genomen</sic><corr>genommen</corr></choice> wird. Strafe als Kriegserklärung <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e439"><choice xml:id="a31r_choice_d2e440"><abbr>u</abbr><expan>und</expan></choice> Kriegsmaßregel</add> ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="32" xml:id="a31r_lb32"/>gen einen Feind des <add hand="#N_brown1" place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e450">Friedens, des</add> Gesetzes, der Ordnung, der Obrigkeit, den man als gefährlich für das Gemeinwesen, als vertragsbrüchig
<lb n="33" xml:id="a31r_lb33"/>in Hinsicht auf dessen Voraussetzungen, als einen Empörer, Verräther <choice xml:id="a31r_choice_d2e456"><abbr>u</abbr><expan>und</expan></choice> Friedensbrecher mit <subst xml:id="a31r_subst_d2e460"><add hand="#N_brown1" place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e461">allen</add><del hand="#N_brown1" rend="hatching">den</del></subst> Mitteln bekämpft, die <del hand="#N_brown1" rend="hatching">nur</del>
<lb n="34" xml:id="a31r_lb34"/>der Krieg <subst xml:id="a31r_subst_d2e471"><add hand="#N_brown1" place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e472">an die Hand giebt.<add hand="#N_brown1" place="inline" xml:id="a31r_add_d2e474"> –</add></add><del hand="#N_brown1" rend="hatching">erlaubt.</del></subst>
<lb n="36" rend="indent" xml:id="a31r_lb36"/>Diese Liste ist gewiß nicht vollständig; ersichtlich ist die Strafe mit Nützlichkeiten aller Art überladen. <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="73"/>Um so eher darf
<lb n="37" xml:id="a31r_lb37"/> man von ihr eine <hi rend="underline">vermeintliche</hi> Nützlichkeit in Abzug bringen, die allerdings im populären Bewußtsein als ihre wesentlich<pc force="weak">-</pc>
<lb n="38" xml:id="a31r_lb38"/>ste gilt, – der Glaube an die Strafe, der heute aus mehreren Gründen wackelt, findet <del rend="hatching">heute</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="a31r_add_d2e508">gerade</add> an ihr immer noch
<lb n="39" xml:id="a31r_lb39"/> seine kräftigste Stütze. Die Strafe soll den Werth haben, das <hi rend="underline">Gefühl</hi> <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Schuld</hi> im Schuldigen aufzuwecken, man sucht in
<lb n="1" xml:id="a33r_lb1"/>oder einem Unglücke oder dem Tode unterwirft, mit jenem beherzten Fatalismus ohne Revolte, durch den zum Beispiel heute
<lb n="2" xml:id="a33r_lb2"/>noch die Russen in der Handhabung des Lebens gegen uns Westländer im Vortheil sind. Wenn es damals eine Kritik
<lb n="3" xml:id="a33r_lb3"/>der That gab, so war es die Klugheit, die an der That Kritik übte: – in der That müssen wir die eigentliche <hi rend="underline">Wirkung</hi>
<lb n="4" xml:id="a33r_lb4"/>der Strafe vor Allem in einer Verschärfung der Klugheit suchen, <add place="above" rend="insM" xml:id="a33r_add_d2e58">in einer Verlängerung des <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="76"/>Gedächtnisses,</add> in einem Willen, fürderhin vorsichtiger, mißtrauischer, heim<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="a33r_lb5"/>licher zu Werke zu gehn, in der Einsicht, daß man für Vieles ein-für-alle-Mal zu schwach sei, in einer Art Verbesse<pc force="weak">-</pc>
<lb n="6" xml:id="a33r_lb6"/>rung der Selbstbeurtheilung. Das, was durch die Strafe im Großen erreicht werden kann, bei Mensch und Thier, ist die
<lb n="7" xml:id="a33r_lb7"/>Vermehrung der Furcht, die Verschärfung der Klugheit, die Bemeisterung der Begierden: damit <hi rend="underline">zähmt</hi> die Strafe den
<lb n="8" xml:id="a33r_lb8"/>Menschen, aber sie macht ihn nicht „besser“, – man dürfte mit mehr Recht noch das Gegentheil behaupten. <add xml:id="substAdd1a_a33r" place="inline" seq="1">(„Scha<pc force="weak">-</pc></add>
<lb type="addLine" n="9" xml:id="a33r_lb9"/><add xml:id="substAdd1b_a33r" place="inline" seq="1">den macht klug“, sagt <subst xml:id="subst2a_a33r" seq="2"><add hand="#typesetter_black1" place="below" xml:id="a33r_add_d2e90">das Volk</add><del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">der Pöbel</del></subst>: soweit er klug macht, macht er auch schlecht<subst xml:id="subst2b_a33r" seq="2"><del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">)</del><add hand="#typesetter_black1" place="inline" xml:id="a33r_add_d2e98">. Glücklicher Weise macht er oft genug dumm.)</add></subst></add>
<lb n="11" rend="indent" xml:id="a33r_lb11"/>An dieser Stelle ist es nun nicht mehr zu umgehn, meiner eignen Hypothese über den Ursprung des „schlechten Ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="a33r_lb12"/>wissens“ zu einem ersten vorläufigen Ausdrucke zu verhelfen: sie ist nicht leicht zu Gehör zu bringen und will
<lb n="13" xml:id="a33r_lb13"/>lange bedacht, bewacht und beschlafen sein. Ich nehme das schlechte Gewissen als die tiefe Erkrankung, <del rend="hatching" instant="true">der</del> welcher der
<lb n="14" xml:id="a33r_lb14"/>Mensch unter dem Druck jener gründlichsten aller Veränderungen verfallen mußte, die er überhaupt erlebt hat – je<pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="a33r_lb15"/>ner Veränderung, als er sich endgültig in den Bann der Gesellschaft und des Friedens eingeschlossen fand. Nicht anders
<lb n="16" xml:id="a33r_lb16"/>als es den Wasserthieren ergangen sein muß als sie gezwungen wurden, entweder Landthiere zu werden oder zu Grunde
<lb n="17" xml:id="a33r_lb17"/>zu gehn, so gieng es diesen der Wildniß, dem Kriege, dem Herumschweifen, dem Abenteuer glücklich angepaßten
<lb n="18" xml:id="a33r_lb18"/>Halbthieren – mit Einem Male waren alle ihre Instinkte entwerthet und „ausgehängt“. Sie sollten nunmehr auf
<lb n="19" xml:id="a33r_lb19"/>den Füßen gehn und „sich selber tragen“, wo sie bisher vom <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="77"/>Wasser getragen wurden: eine entsetzliche Schwere lag
<lb n="20" xml:id="a33r_lb20"/>auf ihnen. Zu den einfachsten Verrichtungen fühlten sie sich ungelenk, sie hatten für diese neue unbekannte Welt
<lb n="21" xml:id="a33r_lb21"/>ihre alten Führer nicht mehr, die regulirenden unbewußt-sicherführenden Triebe – sie waren auf Denken, Schließen, Be<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="a33r_lb22"/>rechnen, Combiniren von Ursachen und Wirkungen reduzirt, diese Unglücklichen, auf ihr „Bewußtsein“, auf ihr<del rend="strikethrough">e</del> ärm<pc force="weak">-</pc>
<lb n="23" xml:id="a33r_lb23"/>lichstes und fehlgreifendstes Organ! Ich glaube, daß niemals auf Erden ein solches Elends-Gefühl, ein solches blei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="a33r_lb24"/>ernes Mißbehagen dagewesen ist – und dabei <choice xml:id="a33r_choice_d2e165"><sic>hatte</sic><corr>hatten</corr></choice> jene alten Instinkte nicht mit Einem Male aufgehört, ihre For<pc force="weak">-</pc>
<lb n="25" xml:id="a33r_lb25"/>derungen zu stellen! Nur war es schwer und <del rend="strikethrough">nur</del> selten möglich, ihnen zu Willen zu sein: in der Hauptsache
<lb n="26" xml:id="a33r_lb26"/>mußten sie sich neue und gleichsam unterirdische Befriedigungen suchen. Alle Instinkte, welche sich nicht nach außen
<lb n="27" xml:id="a33r_lb27"/>entladen, <hi rend="underline">wenden</hi> <hi rend="underline">sich</hi> <hi rend="underline">nach</hi> <hi rend="underline">innen</hi> – dies ist das, was ich die <hi rend="underline">Verinnerlichung</hi> des Menschen nenne: damit wächst
<lb n="28" xml:id="a33r_lb28"/>erst das an den Menschen heran, was man später seine „Seele“ nennt. Die ganze innere Welt, ursprünglich dünn
<lb n="29" xml:id="a33r_lb29"/>wie zwischen zwei Häute eingespannt, ist in dem Maaße auseinander- und aufgegangen, hat Tiefe, Breite, Höhe bekom<pc force="weak">-</pc>
<lb n="30" xml:id="a33r_lb30"/>men, als die Entladung des Menschen nach außen <hi rend="underline">gehemmt</hi> worden ist. Jene furchtbaren Bollwerke, mit denen sich
<lb n="31" xml:id="a33r_lb31"/>die <subst xml:id="a33r_subst_d2e213"><add place="above" rend="insM" xml:id="a33r_add_d2e214">staatliche</add><del rend="hatching">feindliche</del></subst> Organisation gegen die alten Instinkte <add place="above" rend="insM" xml:id="a33r_add_d2e219">der Freiheit</add> schützte – die Strafen gehören vor Allem zu diesen Bollwerken –
<lb n="32" xml:id="a33r_lb32"/>brachten zu Wege, daß alle jene Instinkte des wilden freien schweifenden Menschen sich rückwärts, sich <hi rend="underline">gegen</hi> <hi rend="underline">den</hi> <hi rend="underline">Men<pc force="weak">-</pc>
<lb n="33" xml:id="a33r_lb33"/>schen</hi> <hi rend="underline">selbst</hi> wandten. Die Feindschaft, die Grausamkeit, die Lust an der Verfolgung, am Überfall, am Wechsel, an der
<lb n="34" xml:id="a33r_lb34"/>Zerstörung – Alles das gegen die Inhaber solcher In<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="78"/>stinkte sich wendend: das ist der Ursprung des „schlechten Gewissens“.
<lb n="35" xml:id="a33r_lb35"/>Der Mensch, der sich, aus Mangel an äußeren Feinden und Widerständen, eingezwängt in eine drückende Enge und Regel<pc force="weak">-</pc>
<lb n="36" xml:id="a33r_lb36"/>mäßigkeit der Sitte, ungeduldig selbst zerriß, verfolgte, annagte, aufstörte, mißhandelte, dies an den Gitterstangen seines
<lb n="37" xml:id="a33r_lb37"/>Käfigs sich wund <subst xml:id="a33r_subst_d2e256"><add place="above" rend="insM" xml:id="a33r_add_d2e257">stoßende</add><del rend="hatching">reibende</del></subst> Thier, das man „zähmen“ will, dieser Entbehrende und vom Heimweh der Wüste Verzehrte,
<lb n="38" xml:id="a33r_lb38"/>der aus sich selbst eine Wildniß, eine Folterstätte, eine unsichere und gefährliche Wüste schaffen mußte – dieser Mensch,
<lb n="39" xml:id="a33r_lb39"/><add place="above" rend="insM" xml:id="a33r_add_d2e266">dieses sehnsüchtige <choice xml:id="a33r_choice_d2e268"><orig>u</orig><reg>und</reg></choice> verzweifelte Thier</add> war der Erfinder des „schlechten Gewissens“<subst instant="true" xml:id="a33r_subst_d2e273"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="a33r_add_d2e276"> auf</add></subst> Erden. Damit <add place="above" rend="insM" xml:id="a33r_add_d2e279">aber</add> war <subst xml:id="a33r_subst_d2e282"><add place="above" xml:id="a33r_add_d2e283">die</add><del rend="hatching">das</del></subst> größte und unheimlichste Erkrankung vorbereitet,
<lb n="2" rend="indent" xml:id="a37r_lb2"/>Dies vorläufig im Kurzen und Groben über den Zusammenhang <subst xml:id="a37r_subst_d2e66"><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="a37r_add_d2e67">der Begriffe „Schuld“, „Pflicht“ mit religiösen Voraussetzungen:</add><del rend="hatching" seq="2">in der Geschichte des</del> <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a37r_add_d2e72"><del rend="hatching" seq="2">religiösen</del></add> <del rend="hatching" seq="2">Schuldgefühls („Schulden“-Gefühls):</del></subst>
<lb n="3" xml:id="a37r_lb3"/>ich habe absichtlich die eigentliche Moralisirung dieser Begriffe (die Zurückschiebung derselben ins Gewissen, noch bestimmter,
<lb n="4" xml:id="a37r_lb4"/>die Verwicklung des <hi rend="underline">schlechten</hi> Gewissens mit dem Gottesbegriffe) bisher bei Seite gelassen und am Schluß des vorigen Ab<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="a37r_lb5"/>schnittes sogar geredet, wie als ob es diese Moralisirung gar nicht gäbe, folglich, wie als ob es mit jenen Begriffen nun<pc force="weak">-</pc>
<lb n="6" xml:id="a37r_lb6"/>mehr nothwendig zu <subst instant="true" xml:id="a37r_subst_d2e97"><add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e98">Ende</add><del rend="hatching">E*he</del></subst> gienge, nachdem deren Voraussetzung gefallen ist, der Glaube an unsern „Gläubiger“, an
<lb n="7" xml:id="a37r_lb7"/>Gott. Der Thatbestand weicht davon in einer furchtbaren Weise ab. Mit der Moralisirung der Begriffe Schuld und
<lb n="8" xml:id="a37r_lb8"/>Pflicht<add place="inline" xml:id="a37r_add_d2e108">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a37r_add_d2e110">mit ihrer Zurückschiebung ins <hi rend="underline">schlechte</hi> Gewissen</add></add> ist ganz eigentlich der Versuch gegeben, die Richtung der eben beschriebenen Entwicklung <hi rend="underline">umzukehren</hi>, min<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="a37r_lb9"/>destens ihre Bewegung stillzustellen: jetzt <hi rend="underline">soll</hi> gerade die Aussicht auf eine <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="87"/>endgültige Ablösung ein-für-
<lb n="10" xml:id="a37r_lb10"/>alle-Mal sich <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e132">pessimistisch</add> zuschließen, jetzt <hi rend="underline">soll</hi> der Blick trostlos vor einer ehernen Unmöglichkeit abprallen<add place="inline" xml:id="a37r_add_d2e138">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a37r_add_d2e140">zurückprallen</add></add>, jetzt <hi rend="underline">sollen</hi>
<lb n="11" xml:id="a37r_lb11"/>jene Begriffe „Schuld“ und „Pflicht“ sich rückwärts wenden – gegen <hi rend="underline">wen</hi><choice xml:id="a37r_choice_d2e151"><sic> den</sic><corr>denn</corr></choice>? <subst xml:id="a37r_subst_d2e155"><add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e156">Man kann nicht zweifeln: zunächst</add><del rend="hatching">Zuerst</del></subst> gegen den „Schuldner“, in
<lb n="12" xml:id="a37r_lb12"/>dem nunmehr das schlechte Gewissen sich dermaaßen festsetzt<add place="inline" xml:id="a37r_add_d2e163">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a37r_add_d2e165">einfrißt, ausbreitet</add></add> und polypenhaft in <subst xml:id="a37r_subst_d2e169"><add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e170">jede</add><del rend="hatching">die</del></subst> Breite und Tiefe wächst, bis endlich
<lb n="13" xml:id="a37r_lb13"/>mit der Unlösbarkeit der Schuld auch die Unlösbarkeit der Bu<retrace>ß</retrace>e, <add xml:id="substAdd1a_a37r" place="above" rend="insM">der Gedanke</add> ihre<add xml:id="substAdd1b_a37r" place="inline">r</add> Unabzahlbarkeit (<subst xml:id="subst1_a37r"><add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e186">der</add><del rend="hatching">die</del></subst> „<hi rend="underline">ewige</hi><add xml:id="substAdd1c_a37r" place="inline"><hi rend="underline">n</hi></add> Strafe“) conci<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="a37r_lb14"/>pirt ist –<subst xml:id="a37r_subst_d2e203"><del rend="overwritten">:</del><add place="superimposed" xml:id="a37r_add_d2e206">;</add></subst> endlich aber sogar gegen den „Gläubiger“, <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e209">an die <hi rend="latin">causa prima</hi> des Menschen,</add> denke man dabei nun an den <subst xml:id="a37r_subst_d2e216"><add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e217">Anfang des menschlichen Geschlechts und seine*n <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a37r_add_d2e219">Ahnherrn</add></add><del rend="hatching">Ursprung des Menschen überhaupt</del></subst>,
<lb n="15" xml:id="a37r_lb15"/>der <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e226">nunmehr</add> mit einem Fluche behaftet wird („Adam“, „Erbsünde“, „Unfreiheit des Willens“) oder an die Natur, aus deren
<lb n="16" xml:id="a37r_lb16"/>Schooß der Mensch entsteht und in die nunmehr das böse Princip hineingelegt wird („Verteufelung der Natur“) oder
<lb n="17" xml:id="a37r_lb17"/>an das Dasein überhaupt, das als <hi rend="underline">unwerth</hi> <hi rend="underline">an</hi> <hi rend="underline">sich</hi> übrig bleibt (nihilistische Abkehr von ihm, Verlangen ins Nichts
<lb n="18" xml:id="a37r_lb18"/>oder Verlangen in seinen „Gegensatz“, <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e245">in ein Anders-sein</add> Buddhismus und Verwandtes) – bis wir mit Einem Male vor dem para<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="a37r_lb19"/>doxen und entsetzlichen Auskunftsmittel stehn, an dem die <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e254">gemarterte</add> Menschheit eine zeitweilige Erleichterung gefunden
<lb n="20" xml:id="a37r_lb20"/>hat, jenem Genie<subst xml:id="a37r_subst_d2e259"><add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e260">streich</add><del rend="hatching">blitz</del></subst> des <hi rend="underline">Christenthums</hi>: Gott selbst sich für die Schuld des Menschen opfernd, Gott selbst sich an
<lb n="21" xml:id="a37r_lb21"/>sich selbst bezahlt machend, Gott als der Einzige, der vom Menschen ablösen kann, was für den Menschen selbst un<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="a37r_lb24"/>Man wird bereits errathen haben, <hi rend="underline">was</hi> eigentlich <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e347">mit dem Allen und <hi rend="underline">unter</hi> dem Allen</add> geschehen ist: jener Wille zur Selbstpeinigung, jene zurückge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="25" xml:id="a37r_lb25"/>tretene Grausamkeit des innerlich gemachten, in sich selbst zurückgescheuchten Thiermenschen, <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e359">des zum Zweck der Zähmung in den „Staat“ Eingesperrten,</add> der das schlechte Gewissen
<lb n="26" xml:id="a37r_lb26"/>erfunden hat, um sich wehe zu thun, nachdem der <hi rend="underline">natürlichere</hi> Ausweg dieses Wehe-thun-wollens verstopft war, <subst instant="true" xml:id="a37r_subst_d2e367"><del rend="overwritten">d</del><add place="superimposed" xml:id="a37r_add_d2e370">–</add></subst>
<lb n="27" xml:id="a37r_lb27"/>dieser Mensch des schlechten Gewissens hat sich der religiösen Voraussetzung bemächtigt, um seine Selbstmarterung
<lb n="28" xml:id="a37r_lb28"/>bis zu ihrer schauerlichsten Härte und Schärfe zu treiben. <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a37r_add_d2e380">Eine Schuld gegen <hi rend="underline">Gott</hi>: dieser Gedanke wird ihm zum Folterwerkzeug.<add xml:id="substAdd5_a37r" place="inline" rend="insMExt" seq="2"> Er ergreift in „Gott“</add></add><del xml:id="substDel5_a37r" rend="hatching" seq="2">Er ergreift</del> die letzten Gegensätze, die er zu seinen ei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="29" xml:id="a37r_lb29"/>gentlichen und unablöslichen Thier-Instinkten zu finden vermag, <add xml:id="substAdd2a_a37r" place="above" rend="insM">er deutet diese Thier-Instinkte selbst um als Schuld gegen Gott (als Feindschaft, Auflehnung, Aufruhr <add place="inline" rend="*red-marking" instant="true" xml:id="a37r_add_d2e397"><metamark xml:id="mark1a_a37r" target="#mark1b_a37r #substAdd2b_a37r">(+)</metamark></add></add> er spannt sich in den Widerspruch „Gott“ und „Teufel“,
<lb n="30" xml:id="a37r_lb30"/>er wirft alles Nein, das er zu sich selbst, zur Natur, Natürlichkeit, Thatsächlichkeit seines Wesens sagt, aus sich her<pc force="weak">-</pc>
<lb n="31" xml:id="a37r_lb31"/>aus als ein Ja, als seiend, leibhaft, wirklich, als Gott, als Heiligkeit Gottes, als Richterthum Gottes, als Henker<pc force="weak">-</pc>
<lb n="32" xml:id="a37r_lb32"/>thum Gottes, als Jenseits, als Ewigkeit, als Marter ohne Ende, als Hölle, als Unausmeßbarkeit von Strafe und
<lb n="33" xml:id="a37r_lb33"/>von Schuld. Dies ist eine Art <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e416">Willens-</add>Wahnsinn in der <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e420">seelischen</add> Grausamkeit, der schlechterdings nicht seines Gleichen hat: der
<lb n="34" xml:id="a37r_lb34"/><hi rend="underline">Wille</hi> des Menschen, sich schuldig und verwerflich zu finden bis zur Unsühnbarkeit, <subst xml:id="subst3a_a37r"><add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e428">sein</add><del rend="hatching">der</del></subst> <hi rend="underline">Wille</hi>, sich bestraft zu
<lb n="35" xml:id="a37r_lb35"/>denken, ohne daß die Strafe je der Schuld äquivalent werden könne, <subst xml:id="subst3b_a37r"><add place="above" xml:id="a37r_add_d2e440">sein</add><del rend="hatching">der</del></subst> <hi rend="underline">Wille</hi>, den unter<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="89"/>sten Grund der Dinge
<lb n="36" xml:id="a37r_lb36"/>mit dem Problem von Strafe und Schuld zu inficiren und giftig zu machen, um sich aus diesem Labyrinth <add xml:id="substAdd4_a37r" place="above" rend="insM" seq="1"><subst xml:id="subst4a_a37r" seq="2"><del rend="strikethrough">der</del> <add place="inline" rend="insMExt" xml:id="a37r_add_d2e457">von</add></subst></add> „fixe<subst xml:id="subst4b_a37r" seq="1"><del rend="overwritten">r</del><add place="superimposed" xml:id="a37r_add_d2e463">n</add></subst>
<lb n="37" xml:id="a37r_lb37"/>Idee<restore xml:id="substRestore4_a37r" type="dotUnderline" seq="2"><del xml:id="substDel4_a37r" rend="hatching" seq="1">n</del></restore>“ <add place="above" rend="insM" xml:id="a37r_add_d2e473">ein für alle Mal</add> den <del rend="hatching">letzten</del> Ausweg abzuschneiden, <subst xml:id="subst3c_a37r"><add place="above" xml:id="a37r_add_d2e480">sein</add><del rend="strikethrough">der</del></subst> <hi rend="underline">Wille</hi>, ein Ideal aufzurichten – das des „heiligen Gottes“ – um An<pc force="weak">-</pc>
<lb n="38" xml:id="a37r_lb38"/>gesichts desselben seiner absoluten Unwürdigkeit handgreiflich gewiß zu sein. Oh über diese wahnsinnige traurige
<lb n="39" xml:id="a37r_lb39"/>Bestie Mensch! Welche Einfälle kommen ihr, welche Widernatur, welche Paroxysmen des Unsinns, welche
<lb n="1" xml:id="a38r_lb1"/><hi rend="underline">Bestialität</hi> <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Idee</hi><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a38r_add_d2e59"> <subst seq="2" xml:id="a38r_subst_d2e61"><add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e62">bricht</add><del rend="hatching">kommt</del></subst> sofort heraus</add>, wenn sie nur ein wenig verhindert wird, <hi rend="underline">Bestie</hi> <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">That</hi> zu sein!… Dies Alles ist
<lb n="2" xml:id="a38r_lb2"/>interessant bis zum Übermaaß, aber auch von einer schwarzen düsteren <add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e80">entnervenden</add> Traurigkeit, daß man es sich gewaltsam
<lb n="3" xml:id="a38r_lb3"/>verbieten muß, zu lange in diese Abgründe zu blicken. Hier ist <hi rend="underline">Krankheit</hi>, es ist kein Zweifel, die furchtbarste
<lb n="4" xml:id="a38r_lb4"/>Krankheit, die bis jetzt im Menschen gewüthet hat: – und wer es noch zu <restore type="strikethrough"><hi rend="underline">hören</hi></restore> vermag (aber man hat heute nicht
<lb n="5" xml:id="a38r_lb5"/>mehr die Ohren dafür! –) wie in dieser Nacht von Marter und Widersinn der Schrei <del rend="strikethrough">„</del><hi rend="underline">Liebe</hi><del rend="strikethrough">“</del>, der Schrei des sehn<pc force="weak">-</pc>
<lb n="6" xml:id="a38r_lb6"/>süchtigsten Entzückens, der Erlösung in der <hi rend="underline">Liebe</hi> geklungen hat, der wendet sich ab, von einem unbesieglichen
<lb n="7" xml:id="a38r_lb7"/>Grausen erfaßt… Im Menschen ist so viel Entsetzliches!… Die Erde war <subst xml:id="a38r_subst_d2e115"><add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e116">so </add><del rend="hatching">allzu</del></subst>lange ein Irrenhaus!…
</p>
<ab xml:id="a37r_ab_d2e500">
<add xml:id="substAdd2b_a37r">
<lb n="40" xml:id="a37r_lb40"/><add place="inline" rend="red-marking" instant="true" xml:id="a37r_add_d2e505"><metamark xml:id="mark1b_a37r" target="#mark1a_a37r">(+)</metamark></add> gegen den „Herrn“, den „Vater“
<lb n="41" xml:id="a37r_lb41"/>den Urahn und Anfang der Welt</add></ab></div2><substJoin n="a38r,29" target="#subst1_a38r #substAdd1a_a38r #substAdd1b_a38r #substDel1_a38r"/><substJoin n="a38r,31" target="#subst2_a38r #substAdd2_a38r"/><substJoin n="a38r,36" target="#substAdd3a_a38r #substAdd3b_a38r #substAdd3c_a38r"/><substJoin xml:id="substJoin4_a38r" corresp="#substJoin1_a39r" n="a38r,36-37, a39r,1" target="#subst4a_a38r #subst4b_a38r #substAdd1_a39r"/><div2 xml:id="GM0223"><anchor xml:id="a38r_div2_GM0223"/>
<head xml:id="a38r_head_d2e124">
<lb n="8" xml:id="a38r_lb8"/>23.</head>
<p>
<lb n="9" rend="indent" xml:id="a38r_lb9"/>Dies genüge ein für alle Mal über die Herkunft des „heiligen Gottes“. – Daß <hi rend="underline">an</hi> <hi rend="underline">sich</hi> die Conception von Göttern
<lb n="10" xml:id="a38r_lb10"/>nicht nothwendig zu dieser Verschlechterung der Phantasie führen muß, deren Vergegenwärtigung wir uns für einen
<lb n="11" xml:id="a38r_lb11"/>Augenblick nicht erlassen durften, daß es <hi rend="underline">vornehmere</hi> Arten giebt, sich der <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="90"/>Erdichtung von Göttern zu bedienen, als zu
<lb n="12" xml:id="a38r_lb12"/>dieser Selbstkreuzigung und Selbstschändung des Menschen, in der die letzten Jahrtausende Europa’s ihre Meisterschaft
<lb n="13" xml:id="a38r_lb13"/>gehabt haben – das läßt sich zum Glück aus jedem Blick noch abnehmen, den man auf die <hi rend="underline">griechischen</hi> <hi rend="underline">Götter</hi> wirft,
<lb n="14" xml:id="a38r_lb14"/>diese Wiederspiegelungen vornehmer und selbstherrlicher Menschen, in denen das <hi rend="underline">Thier</hi> im Menschen sich vergöttlicht
<lb n="15" xml:id="a38r_lb15"/>fühlte und <hi rend="underline">nicht</hi> sich selbst zerriß, <hi rend="underline">nicht</hi> gegen sich selber wüthete! Diese Griechen haben sich die längste Zeit ihrer
<lb n="16" xml:id="a38r_lb16"/>Götter bedient, gerade um sich das „schlechte Gewissen“ vom Leibe zu halten, um ihrer Freiheit der Seele froh
<lb n="17" xml:id="a38r_lb17"/>bleiben zu dürfen: also in einem umgekehrten Verstande als das Christenthum Gebrauch von seinem Gotte ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="a38r_lb18"/>macht hat. Sie giengen darin <hi rend="underline">sehr</hi> <hi rend="underline">weit</hi>, diese prachtvollen und <subst xml:id="a38r_subst_d2e189"><add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e190">löwen</add><del rend="hatching">über</del></subst>müthigen Kindsköpfe; und keine geringere
<lb n="19" xml:id="a38r_lb19"/>Autorität als die des homerischen Zeus <add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e198">selbst</add> giebt es ihnen hier und da zu verstehn, daß sie es sich zu leicht ma<pc force="weak">-</pc>
<lb n="20" xml:id="a38r_lb20"/>chen. „Wunder! sagt er einmal – es handelt sich um den Fall des Ägisthos<subst xml:id="a38r_subst_d2e206"><add place="inline" xml:id="a38r_add_d2e207">,</add> <del rend="hatching">–</del></subst> um einen <hi rend="underline">sehr</hi> schlimmen Fall –</p><p>
<lb n="21" rend="indent" xml:id="a38r_lb21"/>„Wunder, wie sehr doch klagen die Sterblichen wider die Götter!</p><p>
<lb n="22" rend="indent" xml:id="a38r_lb22"/>„<hi rend="underline">Nur</hi> <hi rend="underline">von</hi> <hi rend="underline">uns</hi> <hi rend="underline">sei</hi> <hi rend="underline">Böses</hi>, vermeinen sie; aber sie selber</p><p>
<lb n="23" rend="indent" xml:id="a38r_lb23"/>„Schaffen durch Unverstand, auch gegen Geschick, sich das Elend.“</p><p>
<lb n="24" xml:id="a38r_lb24"/><subst xml:id="a38r_subst_d2e247"><add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e248">Doch hört und sieht man hier zugleich,</add><del>Aber man sieht</del></subst>, auch dieser olympische Zuschauer und Richter ist ferne davon, ihnen deshalb gram zu sein und
<lb n="25" xml:id="a38r_lb25"/>böse von ihnen zu denken: „was sie <hi rend="underline">thöricht</hi> sind!“ so denkt er bei den Unthaten der Sterblichen – und „Thor<pc force="weak">-</pc>
<lb n="26" xml:id="a38r_lb26"/>heit“, „Unverstand“, ein wenig „Störung im Kopfe“, so viel haben auch die <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="91"/>Griechen der stärksten, tapfersten Zeit
<lb n="27" xml:id="a38r_lb27"/>selbst bei sich <hi rend="underline">zugelassen</hi> als Grund von vielem Schlimmen und Verhängnißvollen – Thorheit, <hi rend="underline">nicht</hi> Sünde! ver<pc force="weak">-</pc>
<lb n="28" xml:id="a38r_lb28"/>steht ihr das?… <del rend="strikethrough">„</del>Selbst aber diese Störung im Kopfe <add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e282">war ein Problem</add> – „ja, <subst xml:id="a38r_subst_d2e285"><add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e286">wie ist sie auch nur möglich? woher mag sie eigentlich</add><del rend="hatching">woher mag sie nur</del></subst> gekommen sein, <subst xml:id="a38r_subst_d2e291"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a38r_add_d2e292"><subst seq="2" xml:id="a38r_subst_d2e293"><del rend="overwritten">in</del><add place="superimposed" xml:id="a38r_add_d2e296">bei</add></subst> <del rend="hatching" seq="2">einem</del><add place="above" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a38r_add_d2e301">Köpfen,</add></add><del rend="hatching" seq="1">bei <hi rend="underline">unsern</hi></del>
<lb n="29" xml:id="a38r_lb29"/><del rend="hatching" seq="1">Köpfen, bei den Köpfen von</del><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a38r_add_d2e311"><del rend="hatching" seq="2">Kopf</del>, wie <hi rend="underline">wir</hi> <subst seq="2" xml:id="a38r_subst_d2e318"><del rend="overwritten">ihn</del><add place="superimposed" xml:id="a38r_add_d2e321">sie</add></subst> haben, wir</add></subst> Menschen <add xml:id="substAdd1a_a38r" place="above" rend="insM" seq="1">der<add xml:id="substAdd1b_a38r" place="inline" rend="insMExt" seq="2"> edlen</add></add><del xml:id="substDel1_a38r" rend="hatching" seq="2">gute<subst xml:id="subst1_a38r" seq="1" cert="unknown"><del rend="overwritten">r</del><add place="superimposed" xml:id="a38r_add_d2e334">n</add></subst></del> Abkunft, des Glücks, der Wohlgerathenheit, <add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e339">der besten Gesellschaft,</add> der Vornehmheit, der Tu<pc force="weak">-</pc>
<lb n="30" xml:id="a38r_lb30"/>gend<subst xml:id="a38r_subst_d2e347"><add place="inline" xml:id="a38r_add_d2e348">?“</add><del rend="hatching">, wie <hi rend="underline">wir</hi> sind?“</del></subst> – so fragte sich Jahrhunderte lang der vornehme Grieche Angesichts jedes ihm unverständli<pc force="weak">-</pc>
<lb n="31" xml:id="a38r_lb31"/>chen Greuels und Frevel’s, mit dem <add xml:id="substAdd2_a38r" place="above" rend="insM" seq="1">sich</add> Einer von seines Gleichen befleckt <subst xml:id="subst2_a38r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="a38r_add_d2e366">hatte.</add><del rend="hatching">schien</del></subst>. „Es muß ihn wohl ein <hi rend="underline">Gott</hi>
<lb n="32" xml:id="a38r_lb32"/>bethört haben“, sagte er sich endlich<subst xml:id="a38r_subst_d2e376"><del rend="overwritten" seq="1">…</del><add place="superimposed" seq="1" xml:id="a38r_add_d2e379">, </add><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="a38r_add_d2e381">den Kopf schüttelnd…<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="a38r_add_d2e383"> Dieser Ausweg ist <hi rend="underline">typisch</hi> für Griechen<subst seq="3" xml:id="a38r_subst_d2e388"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="a38r_add_d2e391">…</add></subst> <del rend="hatching" seq="3">– –</del></add></add></subst> Dergestalt dienten damals die Götter dazu, den Menschen bis zu einem
<lb n="33" xml:id="a38r_lb33"/>gewissen Grade auch im Schlimmen zu rechtfertigen<add place="inline" xml:id="a38r_add_d2e401">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="a38r_add_d2e403">sie dienten als Ursachen des Bösen</add></add> – damals nahmen sie nicht die Strafe auf sich, sondern,
<lb n="34" xml:id="a38r_lb34"/>wie es <hi rend="underline">vornehmer</hi> ist, die Schuld…
<lb n="1" xml:id="a39r_lb1"/>werden muß<add xml:id="substAdd1_a39r" place="inline">te</add>? Damit ein Heiligthum aufgerichtet werden kann, <hi rend="underline">muß</hi> <hi rend="underline">ein</hi> <hi rend="underline">Heiligthum</hi> <hi rend="underline">zerbrochen</hi> <hi rend="underline">werden</hi>: das ist
<lb n="2" xml:id="a39r_lb2"/>das Gesetz – man zeige mir den Fall, wo es nicht erfüllt ist!… Wir modernen Men<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="92"/>schen, wir sind die
<lb n="3" xml:id="a39r_lb3"/>Erben der Gewissens-Vivisektion und Selbstkreuzigung von Jahrtausenden: darin haben wir unsre längste Übung,
<lb n="4" xml:id="a39r_lb4"/>unsre Meisterschaft vielleicht, in jedem Fall unser Raffinement, unsre Geschmacks-Verwöhnung. Der Mensch hat all<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="a39r_lb5"/>zulange seine natürlichen Hänge mit „bösem Blick“ betrachtet, so daß sie sich in ihm schließlich mit dem „schlechten
<lb n="6" xml:id="a39r_lb6"/>Gewissen“ verschwistert haben. Ein umgekehrter Versuch wäre <hi rend="underline">an</hi> <hi rend="underline">sich</hi> möglich – aber wer ist stark genug dazu? – näm<pc force="weak">-</pc>
<lb n="7" xml:id="a39r_lb7"/>lich die <hi rend="underline">unnatürlichen</hi> Hänge, alle jene Aspirationen zum Jenseitigen, Sinnenwidrigen, Denkwidrigen, Naturwidrigen,
<lb n="8" xml:id="a39r_lb8"/>Thierwidrigen, kurz die bisherigen Ideale, die allesammt lebensfeindliche Ideale, Weltverleumder-Ideale sind, mit
<lb n="9" xml:id="a39r_lb9"/>dem schlechten Gewissen zu verschwistern. An wen sich heute mit <hi rend="underline">solchen</hi> Hoffnungen und Ansprüchen wenden?…
<lb n="10" xml:id="a39r_lb10"/><del xml:id="substDel2_a39r" rend="hatching" instant="true">Es bedürfte dazu einer andren Art Geister, als gerade in diesem Zeitalter wahrscheinlich sind</del> Gerade die <hi rend="underline">guten</hi>
<lb n="11" xml:id="a39r_lb11"/>Menschen hätte man damit gegen sich; dazu, wie billig, die bequemen, die versöhnten, die eitlen, die selbst<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="a39r_lb12"/>zufried<subst xml:id="a39r_subst_d2e137"><add place="above" rend="insM" xml:id="a39r_add_d2e138">nen</add><del rend="hatching">en</del></subst>, die müden… Was beleidigt tiefer, was trennt so gründlich ab als etwas von der Strenge und Höhe
<lb n="13" xml:id="a39r_lb13"/>merken zu lassen, mit der man sich selbst behandelt? Und wiederum – wie entgegenkommend, wie liebreich zeigt
<lb n="14" xml:id="a39r_lb14"/>sich alle Welt gegen uns, sobald wir es machen, wie alle Welt und uns „gehen lassen“ wie alle Welt!…
<lb n="15" xml:id="a39r_lb15"/><seg xml:id="substAddSeg2_a39r">Es bedürfte zu jenem Ziele einer <hi rend="underline">andren</hi> Art Geister, als gerade in diesem Zeitalter wahrscheinlich sind</seg>: Gei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="16" xml:id="a39r_lb16"/>ster, durch Kriege und Siege gekräftigt, denen die Eroberung, das Abenteuer, die Gefahr, der Schmerz sogar zum
<lb n="17" xml:id="a39r_lb17"/>Bedürfniß geworden ist; es bedürfte dazu der Gewöhnung an scharfe hohe Luft, an winterliche Wanderungen,
<lb n="18" xml:id="a39r_lb18"/>an Eis und Gebirge in jedem Sinne, es bedürfte dazu einer Art sublimer Bosheit selbst, eines letzten selbst<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="a39r_lb19"/>gewissesten Muth<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="93"/>willens der Erkenntniß, welcher zur <restore type="strikethrough"><hi rend="underline">großen</hi></restore> <restore type="strikethrough"><hi rend="underline">Gesundheit</hi></restore> gehört, es bedürfte, kurz und schlimm
<lb n="20" xml:id="a39r_lb20"/>genug, eben dieser <hi rend="underline">großen</hi> <hi rend="underline">Gesundheit</hi>!… Ist diese gerade heute auch nur möglich?… Aber irgendwann,
<lb n="21" xml:id="a39r_lb21"/>in einer stärkeren Zeit, als diese morsche, selbstzweiflerische Gegenwart ist, muß er uns doch kommen, der
<lb n="22" xml:id="a39r_lb22"/><hi rend="underline">erlösende</hi> Mensch der großen Liebe und Verachtung, der schöpferische Geist, den seine drängende Kraft aus
<lb n="23" xml:id="a39r_lb23"/>allem Abseits und Jenseits immer wieder wegtreibt, dessen Einsamkeit vom Volke mißverstanden wird,
<lb n="24" xml:id="a39r_lb24"/>wie als ob sie eine Flucht <hi rend="underline">vor</hi> der Wirklichkeit sei –: <subst xml:id="subst3a_a39r"><add hand="#typesetter_black1" place="above" xml:id="a39r_add_d2e206">während</add><del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">aber</del></subst> sie <del xml:id="substDel3a_a39r" hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">ist</del> nur seine Versenkung, Vergrabung,
<lb n="25" xml:id="a39r_lb25"/>Vertiefung <hi rend="underline">in</hi> die Wirklichkeit<add xml:id="substAdd3a_a39r" hand="#typesetter_black1" place="inline"> ist</add>, <subst xml:id="subst3b_a39r"><add hand="#typesetter_black1" place="above" xml:id="a39r_add_d2e224">damit er einst aus ihr</add><del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">bis sie zuletzt</del></subst>, wenn er <del rend="hatching">einst</del> wieder ans Licht kommt, <del xml:id="substDel3b_a39r" hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">eben</del> die
<lb n="26" xml:id="a39r_lb26"/><hi rend="underline">Erlösung</hi> dieser Wirklichkeit <add hand="#typesetter_black1" place="inline" xml:id="a39r_add_d2e240"><metamark xml:id="mark1a_a39r" target="#mark1b_a39r #substAdd3b_a39r">╘</metamark></add> <subst xml:id="a39r_subst_d2e244"><add place="above" rend="insM" xml:id="a39r_add_d2e245"><del xml:id="substDel3c_a39r" hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">wird</del></add><del rend="hatching">ist</del></subst><delSpan xml:id="substDelSpan3_a39r" type="delPassage" hand="#typesetter_black1" spanTo="#delEnd1_a39r"/>… Dieser Mensch der Zukunft, der uns von dem bisherigen Ideale er<pc force="weak">-</pc>
<lb n="27" xml:id="a39r_lb27"/>löst, der Besieger <del rend="strikethrough">„</del>Gottes<del rend="strikethrough">“</del> – er <hi rend="underline">muß</hi> einst kommen. –<anchor xml:id="delEnd1_a39r"/>
<lb n="28" rend="centered" xml:id="a39r_lb28"/>x x x<anchor xml:id="appAnchor_a39r28"/>
<lb n="1" xml:id="b3r_lb1"/>leicht <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="99"/>in Nichts größer als gerade darin, den Muth zu seiner <hi rend="underline">Sinnlichkeit</hi> gehabt zu
<lb n="2" xml:id="b3r_lb2"/>haben<subst xml:id="b3r_subst_d2e52"><del rend="strikethrough" cause="insM">.</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="b3r_add_d2e56">(– man hieß sie damals, zart genug, die „evangelische Freiheit“…)</add></subst> Selbst aber in jenem Falle, wo es wirklich jenen Gegensatz zwischen Keuschheit
<lb n="3" xml:id="b3r_lb3"/>und Sinnlichkeit giebt, braucht es glücklicher Weise noch lange kein tragischer Gegensatz
<lb n="4" xml:id="b3r_lb4"/>zu sein. Dies dürfte wenigstens für alle wohlgeratheneren, wohlgemutheren Sterbli<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="b3r_lb5"/>chen gelten, welche ferne davon sind, ihr labiles Gleichgewicht zwischen „Thier und
<lb n="6" xml:id="b3r_lb6"/>Engel“ ohne Weiteres zu den Gegengründen des Daseins zu rechnen<subst instant="true" xml:id="b3r_subst_d2e71"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="b3r_add_d2e74">,</add></subst> – die Feinsten
<lb n="7" xml:id="b3r_lb7"/>und Hellsten, gleich Goethen, gleich Hafis, haben darin sogar einen Lebensreiz <hi rend="underline">mehr</hi>
<lb n="8" xml:id="b3r_lb8"/>gesehn. Solche „Widersprüche“ gerade verführen zum Dasein… Andrerseits versteht es
<lb n="9" xml:id="b3r_lb9"/>sich nur zu gut, daß wenn einmal die verunglückten Schweine dazu gebracht werden,
<lb n="10" xml:id="b3r_lb10"/>die Keuschheit anzubeten – und es giebt solche Schweine! – sie in ihr nur ihren Ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="11" xml:id="b3r_lb11"/>gensatz, den Gegensatz zum verunglückten Schweine sehn und anbeten<subst xml:id="b3r_subst_d2e95"><del rend="strikethrough" cause="insM">*;</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="b3r_add_d2e100">werden –</add></subst> oh mit was für
<lb n="12" xml:id="b3r_lb12"/>einem tragischen Gegrunz und Eifer<subst xml:id="subst1a_b3r" seq="1"><del rend="overwritten">,</del><add place="superimposed" xml:id="b3r_add_d2e108">!</add></subst> man kann es sich denken<subst xml:id="subst1b_b3r" seq="1" instant="true"><del rend="strikethrough">!</del><add place="inline" xml:id="b3r_add_d2e114">:</add> <del rend="hatching">–</del></subst> jenen peinlichen
<lb n="13" xml:id="b3r_lb13"/>und überflüssigen Gegensatz, den Richard Wagner unbestreitbar am Ende seines Le<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="b3r_lb14"/>bens noch hat in Musik setzen und auf die Bühne stellen wollen. <hi rend="underline">Wozu</hi> <hi rend="underline">doch</hi>?
<lb n="15" xml:id="b3r_lb15"/>wie man billig fragen darf. Denn was giengen ihn, was gehen uns <del rend="hatching">–</del> die Schwei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" rend="indent" xml:id="b3r_lb18"/>Dabei ist freilich jene andre Frage nicht zu umgehn, was ihn eigentlich jene männ<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="b3r_lb19"/>liche (ach, so unmännliche) „Einfalt vom Lande“ angieng, jener arme Teufel und Natur<pc force="weak">-</pc>
<lb n="20" xml:id="b3r_lb20"/>bursch Parsifal, der von ihm mit so verfänglichen Mitteln schließlich katholisch gemacht
<lb n="21" xml:id="b3r_lb21"/>wird – wie? war dieser Parsifal überhaupt <hi rend="underline">ernst</hi> ge<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="100"/>meint? Man könnte näm<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="b3r_lb22"/>lich versucht sein, das Umgekehrte zu muthma<restore type="dotUnderline"><del rend="strikethrough">a</del></restore>ßen, selbst zu wünschen, – daß der
<lb n="23" xml:id="b3r_lb23"/>Wagnersche Parsifal heiter gemeint sei, gleichsam als Schlußstück und Satyrdrama,
<lb n="24" xml:id="b3r_lb24"/>mit dem der Tragiker Wagner auf eine gerade ihm gebührende und würdige Weise von
<lb n="1" xml:id="b7r_lb1"/>Schutzwehr, einen Rückhalt, eine bereits begründete Autorität: die Künstler stehen
<lb n="2" xml:id="b7r_lb2"/>nie für sich, das Alleinstehn geht wi<del rend="strikethrough">e</del>der ihre tiefsten Instinkte. So nahm zum Bei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="3" xml:id="b7r_lb3"/>spiel Richard Wagner den Philosophen Schopenhauer<add place="inline" seq="1" xml:id="b7r_add_d2e80"><del rend="strikethrough" seq="2">,</del> <add place="above" rend="insM" seq="1" instant="true" xml:id="b7r_add_d2e84">als „die Zeit gekommen war“,</add></add> zu seinem Vordermann, zu
<lb n="4" xml:id="b7r_lb4"/>seiner Schutzwehr: – wer möchte es auch nur für <subst xml:id="b7r_subst_d2e89"><add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e90">denkbar</add><del rend="hatching">möglich</del></subst> halten, daß er den
<lb n="5" xml:id="b7r_lb5"/><hi rend="underline">Muth</hi> zu einem asketischen Ideal gehabt hätte, ohne den Rückhalt, den ihm
<lb n="6" xml:id="b7r_lb6"/>die Philosophie Schopenhauer’s bot, ohne die in den siebziger Jahren in Europa <hi rend="underline">zum</hi>
<lb n="7" xml:id="b7r_lb7"/><hi rend="underline">Übergewicht</hi> <restore type="strikethrough"><hi rend="underline">gelangende</hi></restore> Autorität Schopenhauers? <add xml:id="substAdd8a_b7r" place="above" rend="insM">(dabei noch nicht in An<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="104"/>schlag gebracht, ob im <hi rend="underline">neuen</hi> Deutschland <add place="inline" rend="red-marking" instant="true" xml:id="b7r_add_d2e120"><metamark xml:id="mark1a_b7r" target="#mark1b_b7r #substAdd8b_b7r">(+)</metamark></add></add> – Und damit sind wir <subst xml:id="subst1a_b7r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e125">bei der</add><del rend="hatching">auf die</del>
<lb n="9" xml:id="b7r_lb9"/><del xml:id="substDel2b_b7r" rend="hatching" seq="1">hauer</del> dem asketischen Ideale huldigt, ein wirklich auf sich gestellter Geist<subst xml:id="subst2_b7r" seq="1"><del rend="hatching">,</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e163">wie <hi rend="latin">Schopen</hi>hauer</add></subst> ein
<lb n="10" xml:id="b7r_lb10"/>Mann und Ritter mit erzenem Blick, der den Muth zu sich selber hat<add place="inline" xml:id="b7r_add_d2e171">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b7r_add_d2e173">der allein zu stehn weiß</add></add> und
<lb n="11" xml:id="b7r_lb11"/><subst xml:id="subst3_b7r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e178">nicht erst auf</add><del rend="hatching">keine</del></subst> Vordermänner <subst xml:id="b7r_subst_d2e183"><add xml:id="substAdd3_b7r" place="above" rend="insM" seq="1"><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b7r_add_d2e185">und höhere Winke </add>wartet</add><del xml:id="substDel3_b7r" rend="hatching" seq="1">braucht</del></subst>? – Erwägen wir hier sofort die merkwürdige und für
<lb n="12" xml:id="b7r_lb12"/>manche Art Mensch selbst fascinirende Stellung Schopenhauers zur <hi rend="underline">Kunst</hi>: denn sie
<lb n="13" xml:id="b7r_lb13"/>ist es ersichtlich gewesen, um derentwillen <hi rend="underline">zunächst</hi> Richard Wagner zu Schopenhauern
<lb n="14" xml:id="b7r_lb14"/>übertrat <add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e204">(überredet dazu durch einen Dichter, wie man weiß, durch Herwegh)</add> und dies bis <choice xml:id="b7r_choice_d2e208"><sic>zum</sic><corr>zu</corr></choice> dem Maaße, daß <add xml:id="substAdd4_b7r" place="above" rend="insM" seq="1">sich</add> damit ein vollkommner <restore type="hatching"><hi rend="underline">theoretischer</hi></restore>
<lb n="16" xml:id="b7r_lb16"/>riß, – erstere<add xml:id="substAdd6a_b7r" place="inline" seq="2">r</add> zum Beispiel in „Oper und Drama“ ausgedrückt, letztere<add xml:id="substAdd6b_b7r" place="inline" seq="2">r</add> in den Schriften,
<lb n="17" xml:id="b7r_lb17"/>die er von 1870 an <subst xml:id="b7r_subst_d2e263"><add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e264">herausgab.</add><del rend="hatching">herausgegeben hat.</del></subst> <subst xml:id="b7r_subst_d2e269"><add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e270">In Sonderheit</add><del rend="hatching">Namentlich</del></subst> änderte Wagner<add place="inline" xml:id="b7r_add_d2e275">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b7r_add_d2e277">was vielleicht am meisten befremdet</add></add> von da an
<lb n="18" xml:id="b7r_lb18"/><add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e282">rücksichtslos </add>sein Urtheil über Werth und Stellung der <hi rend="underline">Musik</hi> selbst: was lag ihm daran, daß er
<lb n="19" xml:id="b7r_lb19"/>bisher aus ihr ein Mittel, ein Medium, ein „Weib“ gemacht hatte, das schlech<pc force="weak">-</pc>
<lb n="21" xml:id="b7r_lb21"/>mit Einem Male, daß mit der Schopenhauerschen Theorie und Neuerung <hi rend="underline">mehr</hi> zu
<lb n="22" xml:id="b7r_lb22"/>machen sei <hi rend="latin">in majorem musicae gloriam</hi>, – nämlich mit der <hi rend="underline">Souverainetät</hi> der Mu<pc force="weak">-</pc>
<lb n="23" xml:id="b7r_lb23"/>sik, so wie sie Schopenhauer begriff: die Musik abseits gestellt gegen alle übri<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="b7r_lb24"/>gen Künste, <add place="above" rend="insM" xml:id="b7r_add_d2e382">die unabhängige Kunst an sich,</add> <hi rend="underline">nicht</hi>, wie diese, Abbilder der Phänomenalität <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="105"/>bietend, vielmehr die
<lb n="1" xml:id="b14r_lb1"/>wären – was hat diese Art Mensch mit Tugenden zu schaffen! – sondern als die ei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="2" xml:id="b14r_lb2"/>gentlichsten und natürlichsten Bedingungen ihres <hi rend="underline">besten</hi> Daseins, ihrer <hi rend="underline">schönsten</hi> Fruchtbar<pc force="weak">-</pc>
<lb n="3" xml:id="b14r_lb3"/>keit. Dabei ist es ganz wohl möglich, daß ihre dominirende Geistigkeit vorerst einem un<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b14r_lb4"/>bändigen und reizbaren Stolze oder einer muthwilligen Sinnlichkeit Zügel anzulegen hatte oder
<lb n="5" xml:id="b14r_lb5"/>daß sie ihren Willen zur „Wüste“ vielleicht <del xml:id="substDel1_b14r" rend="hatching">schwer genug</del> gegen einen Hang zum Luxus
<lb n="7" xml:id="b14r_lb7"/>recht <subst xml:id="subst3a_b14r"><add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e127">erhielt.</add><del rend="hatching">erhält</del></subst>. Aber sie <subst xml:id="subst3b_b14r"><add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e133">that</add><del rend="hatching">thut</del></subst> es, eben als der <hi rend="underline">dominirende</hi> Instinkt, der seine Forde<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="b14r_lb8"/>rungen bei allen andren Instinkten durchsetzt<add xml:id="substAdd3a_b14r" place="inline">e</add><add xml:id="substAdd3b_b14r" place="above" rend="insM"> – sie thut es noch</add>; thäte sie’s nicht, so dominirte sie eben
<lb n="9" xml:id="b14r_lb9"/>nicht. Daran ist also nichts von „Tugend“. Die <hi rend="underline">Wüste</hi> <subst xml:id="b14r_subst_d2e157"><add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e158">übrigens, von welcher ich eben sprach</add><del rend="hatching">andrerseits</del></subst>, in die sich die
<lb n="10" xml:id="b14r_lb10"/>starken, unabhängig gearteten Geister zurückziehn<add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b14r_add_d2e166"> und vereinsamen</add>, <subst seq="2" xml:id="b14r_subst_d2e169"><del rend="hatching">sieht ganz anders aus als es sich</del><del rend="none"> </del><add xml:id="b14r_add_d2e174">– oh wie anders sieht sie aus als die Ge<pc force="weak">-</pc></add>
<lb n="11" xml:id="b14r_lb11"/><add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e180">bildeten sich eine Wüste träumen! – unter Umständen sind sie es nämlich selbst, <milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen8"/><milestone unit="page" edRef="#Ed" n="113"/>diese Gebildeten. Und</add><del rend="hatching">der Pöbel vorstellt; und</del></subst> gewiß ist es, daß alle Schauspieler des Geistes es schlechterdings
<lb n="12" xml:id="b14r_lb12"/>nicht in ihr aushielten, – für sie ist sie lange nicht romantisch und syrisch genug, lange
<lb n="13" xml:id="b14r_lb13"/>nicht Theater-Wüste genug! Es fehlt allerdings auch in ihr nicht an Kameelen: dar<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="b14r_lb14"/>auf aber beschränkt sich die <add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e198">ganze</add> Ähnlichkeit. Eine willkürliche Obskurität vielleicht; ein
<lb n="15" xml:id="b14r_lb15"/>Aus-dem-Wege-Gehn<add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e203"> vor sich selber</add>; eine Scheu vor Lärm, Verehrung, Zeitung, Einfluß; ein kleines
<lb n="17" xml:id="b14r_lb17"/>Gethier und Geflügel, dessen Anblick erholt; <add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e240">ein Gebirge zur Gesellschaft, aber kein todtes, eins mit <hi rend="underline">Augen</hi> (das heißt mit Seeen);</add> unter Umständen selbst ein Zimmer in einem
<lb n="18" xml:id="b14r_lb18"/>vollen <add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e248">Allerwelts-</add>Gasthof, wo man sicher ist, verwechselt zu werden und ungestraft mit Jedermann
<lb n="19" xml:id="b14r_lb19"/>reden kann, – das ist hier „Wüste“: oh sie ist einsam genug, glaubt es mir! Wenn
<lb n="20" xml:id="b14r_lb20"/>Heraklit sich in die Freihöfe und Säulengänge des ungeheuren Artemistempels zurück<pc force="weak">-</pc>
<lb n="21" xml:id="b14r_lb21"/>zog, so war diese „Wüste“ würdiger, ich gebe es zu: weshalb <hi rend="underline">fehlen</hi> uns solche Tem<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="b14r_lb22"/>pel?<del xml:id="substDel4_b14r" rend="hatching">..</del> <add xml:id="substAdd4a_b14r" place="above" rend="insM" seq="1">(– sie fehlen uns vielleicht<del xml:id="substDel5a_b14r" rend="hatching" seq="2">: eben gedenke ich</del> <add place="inline" rend="red-marking" instant="true" seq="1" xml:id="b14r_add_d2e278"><metamark xml:id="mark1a_b14r" target="#mark1b_b14r #mark4c_b14r #substAdd4b_b14r">(+)</metamark></add></add> Das aber, dem <subst xml:id="b14r_subst_d2e282"><add place="below" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e283">Heraklit</add><del rend="hatching">er</del></subst> <choice xml:id="b14r_choice_d2e288"><sic>aus wich</sic><corr>auswich</corr></choice><anchor xml:id="appAnchor_b14r22"/>, ist das Gleiche noch<subst xml:id="b14r_subst_d2e293"><add place="inline" xml:id="b14r_add_d2e294">, </add><add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e296">dem <hi rend="underline">wir</hi> jetzt aus dem Wege gehn</add><del rend="hatching">wie heute</del></subst>: der Lärm und das
<lb n="23" xml:id="b14r_lb23"/>Demokraten-Geschwätz der Ephesier, ihre Politik, <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b14r_add_d2e307">ihre Neuigkeiten vom „Reich“<subst seq="2" xml:id="b14r_subst_d2e309"><del rend="overwritten">,</del><add place="superimposed" xml:id="b14r_add_d2e312"> (</add></subst><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b14r_add_d2e314">Persien, man versteht mich)</add></add> ihr Markt-Kram von „Heute“, – denn
<lb n="24" xml:id="b14r_lb24"/>wir Philosophen brauchen zu allererst vor Einem Ruhe: vor <subst xml:id="b14r_subst_d2e319"><add place="above" rend="insM" xml:id="b14r_add_d2e320">allem</add><del rend="hatching">dem</del></subst> „Heute“. Wir verehren <pb xml:id="b20r" corresp="#contents_b20r #folDesc_b20rv #addDesc_b20r #N_black2" facs="#D-20b_19a" change="#GM03firstVersion #GM03completion #GM03finalVersion #proofreadingCb8"/>
<lb n="1" xml:id="b20r_lb1"/>Leibe auf: was liegt uns noch am „Heil“ der Seele! Hinterdrein heilen wir uns
<lb n="2" xml:id="b20r_lb2"/>selber: kranksein ist lehrreich, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="119"/>wir zweifeln nicht daran<add place="inline" xml:id="b20r_add_d2e65">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b20r_add_d2e67">lehrreicher noch als Gesundsein</add></add> – die <hi rend="underline">Krankmacher</hi> schei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="3" xml:id="b20r_lb3"/>nen uns heute nöthiger selbst als irgend welche Medizinmänner und „Heilande“.
<lb n="4" xml:id="b20r_lb4"/><del xml:id="substDel1_b20r" hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#proofreadingCb8" status="excessEnd">Wir knacken heute an uns herum, <add place="above" rend="insM" xml:id="b20r_add_d2e82">wir Nußknacker der Seele,</add> als ob wir nichts als <add place="above" rend="insM" xml:id="b20r_add_d2e85">Nüsse und</add> Räthsel wären; gewiß
<lb n="5" xml:id="b20r_lb5"/>ist, daß wir <hi rend="underline">eben</hi> <hi rend="underline">damit</hi> uns täglich räthselreicher werden, daß wir das Leben
<lb n="6" xml:id="b20r_lb6"/>selb<subst instant="unknown" xml:id="b20r_subst_d2e99"><del rend="overwritten">er</del><add place="superimposed" xml:id="b20r_add_d2e102">st</add></subst> immer zärtlicher um unsrer Räthselmann-Natur <add place="above" rend="insM" xml:id="b20r_add_d2e105">willen lieben –</add> lieben <hi rend="underline">lernen</hi>!<add place="inline" xml:id="b20r_add_d2e111">…</add></del> Alle guten<anchor xml:id="appAnchor_b20r6"/>
<lb n="7" xml:id="b20r_lb7"/>Dinge waren ehemals schlimme Dinge<subst xml:id="b20r_subst_d2e119"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="b20r_add_d2e122">;</add> <add place="above" rend="insM" xml:id="b20r_add_d2e125">aus jeder Erbsünde ist eine Erbtugend geworden.</add></subst> Die Ehe zum Beispiel schien lange eine Ver<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="b20r_lb8"/>sündigung am Rechte der Gemeinde; man hat einst Buße dafür gezahlt, so unbe<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="b20r_lb9"/>scheiden zu sein und sich ein Weib für sich anzumaaßen (dahin gehört <subst xml:id="b20r_subst_d2e138"><add place="above" rend="insM" xml:id="b20r_add_d2e139">zum Beispiel</add><del rend="hatching">noch</del></subst> das <hi rend="latin">jus
<lb n="10" xml:id="b20r_lb10"/>primae noctis</hi><add xml:id="substAdd2a_b20r" place="inline">,<add place="above" rend="red-marking" instant="true" xml:id="b20r_add_d2e151"><metamark xml:id="mark1a_b20r" target="#mark1b_b20r #substAdd2b_b20r">(+)</metamark></add></add>) Die sanften <add place="above" rend="insM" xml:id="b20r_add_d2e155">wohlwollenden</add> nachgiebigen mitleidigen Gefühle <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b20r_add_d2e158">– <subst xml:id="b20r_subst_d2e160"><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="b20r_add_d2e161">nachgerade</add><del rend="hatching" seq="2">heute</del></subst> so hoch im Werthe, daß sie fast „die Werthe an sich“ sind –</add> hatten die längste
<lb n="11" xml:id="b20r_lb11"/>Zeit <add place="above" rend="insM" xml:id="b20r_add_d2e169">gerade</add> die Selbstverachtung gegen sich: man schämte sich der Milde, wie man sich heute
<lb n="12" xml:id="b20r_lb12"/>der Härte schämt (Vergl. „<hi rend="latin">Jenseits von Gut und Böse</hi>“ S. 232) Die Unterwerfung unter
<lb n="13" xml:id="b20r_lb13"/>das <hi rend="underline">Recht</hi>: – oh mit was für Gewissens-Widerstande haben die vornehmen Geschlech<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="b20r_lb14"/>ter überall auf Erden ihrerseits Verzicht auf <hi rend="latin"><subst xml:id="b20r_subst_d2e190"><del rend="overwritten">v</del><add place="superimposed" xml:id="b20r_add_d2e193">V</add></subst>endetta</hi> geleistet und dem Recht über
<lb n="15" xml:id="b20r_lb15"/>sich Gewalt eingeräumt! Das „Recht“ war lange ein <hi rend="latin">vetitum</hi>, ein Frevel, eine
<lb n="16" xml:id="b20r_lb16"/>Neuerung; es trat mit Gewalt auf, <hi rend="underline">als</hi> Gewalt, der man sich nur mit Scham vor
<lb n="17" xml:id="b20r_lb17"/>sich selber fügte. Jeder kleinste Schritt auf der Erde ist ehedem mit geistigen und
<lb n="18" xml:id="b20r_lb18"/>körperlichen Martern erstritten worden: dieser ganze Gesichtspunkt, „daß nicht
<lb n="19" xml:id="b20r_lb19"/>nur das Vorwärtsschreiten, nein! <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="120"/>das Schreiten, die Bewegung, die Veränderung ihre
<lb n="20" xml:id="b20r_lb20"/>unzähligen Märtyrer nöthig gehabt hat“, klingt gerade heute uns so fremd, – ich habe
<lb n="21" xml:id="b20r_lb21"/>ihn in der „Morgenröthe“ S. 17 ff. ans Licht gestellt. „Nichts ist theurer erkauft, heißt
<lb n="22" xml:id="b20r_lb22"/>es daselbst S. 19, als das Wenige von menschlicher Vernunft und vom Gefühle der Frei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="23" xml:id="b20r_lb23"/>heit, was jetzt unsern Stolz ausmacht. Dieser Stolz aber ist es, dessentwegen es uns
<lb n="24" xml:id="b20r_lb24"/>jetzt fast unmöglich wird, mit jenen ungeheuren Zeitstrecken der „Sittlichkeit der Sitte“
<lb n="1" xml:id="b28r_lb1"/>ist der fleisch<milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen9"/><milestone unit="page" edRef="#Ed" n="129"/>gewordne Wunsch nach einem Anders-sein, Anderswo-sein, <add place="above" rend="insM" xml:id="b28r_add_d2e46">und zwar der höchste Grad dieses Wunsches,</add> dessen eigent<pc force="weak">-</pc>
<lb n="2" xml:id="b28r_lb2"/>liche Inbrunst und Leidenschaft: aber eben die <hi rend="underline">Macht</hi> seines Wünschens ist die Fessel,
<lb n="3" xml:id="b28r_lb3"/>die ihn hier anbindet, eben damit wird er zum Werkzeug, das daran arbeiten muß,
<lb n="4" xml:id="b28r_lb4"/>günstigere Bedingungen für das Hier-sein und Mensch-sein zu schaffen<add place="inline" xml:id="b28r_add_d2e62">,</add> – eben mit die<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="b28r_lb5"/>ser <hi rend="underline">Macht</hi> hält er die ganze Heerde der Mißrathnen, Verstimmten, Schlechtweggekomm<pc force="weak">-</pc>
<lb n="6" xml:id="b28r_lb6"/>nen, Verunglückten, An-sich-Leidenden jeder Art am Dasein fest, <subst xml:id="b28r_subst_d2e79"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b28r_add_d2e80">indem er <subst xml:id="b28r_subst_d2e82"><add place="above" rend="insM" seq="3" xml:id="b28r_add_d2e83">ihnen</add><del rend="hatching" seq="3">ih<subst xml:id="b28r_subst_d2e87"><del rend="overwritten" seq="2">r</del><add place="superimposed" seq="2" xml:id="b28r_add_d2e90">nen</add></subst></del></subst> instinktiv</add> <del rend="hatching">der er</del></subst> als Hirt vor<pc force="weak">-</pc>
<lb n="7" xml:id="b28r_lb7"/>angeht. Man versteht mich <add place="above" rend="insM" xml:id="b28r_add_d2e104">bereits</add>: dieser asketische Priester, dieser anscheinende Feind des
<lb n="8" xml:id="b28r_lb8"/>Lebens, dieser <hi rend="underline">Verneinende</hi><add hand="#N_pencil" place="inline" xml:id="b28r_add_d2e111">,</add> – er gerade gehört zu den ganz großen <hi rend="underline">conservirenden</hi>
<lb n="9" xml:id="b28r_lb9"/>und Ja-<hi rend="underline">schaffenden</hi> Gewalten des Lebens… Woran sie hängt, jene Krankhaftigkeit?
<lb n="10" xml:id="b28r_lb10"/>Denn der Mensch ist kränker, unsicherer, wechselnder, unfestgestellter als irgend ein
<lb n="11" xml:id="b28r_lb11"/>Thier sonst, daran ist kein Zweifel, – er ist <hi rend="underline">das</hi> kranke Thier: woher kommt das? Si<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="b28r_lb12"/>cherlich hat er auch mehr gewagt, geneuert, getrotzt, das Schicksal herausgefordert als alle
<lb n="13" xml:id="b28r_lb13"/>übrigen Thiere zusammen genommen: er, der große Experimentator mit sich, der Un<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="b28r_lb14"/>befriedigte, Ungesättigte, der um die letzte Herrschaft mit Thier, Natur und Göttern ringt,
<lb n="15" xml:id="b28r_lb15"/>– er, der immer noch Unbezwungne, der ewig-Zukünftige, der vor seiner eignen drän<pc force="weak">-</pc>
<lb n="16" xml:id="b28r_lb16"/>genden Kraft keine Ruhe mehr findet, so daß ihm seine Zukunft unerbittlich wie
<lb n="17" xml:id="b28r_lb17"/>ein Sporn im Fleische <subst xml:id="b28r_subst_d2e153"><add place="above" rend="insM" xml:id="b28r_add_d2e154">jeder</add><del rend="hatching">der</del></subst> Gegenwart wühlt: – wie sollte ein solches muthiges und rei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="b28r_lb18"/>ches Thier nicht auch das am Meisten gefährdete, das am Längsten und Tiefsten kran<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="b28r_lb19"/>ke unter allen <subst instant="true" xml:id="b28r_subst_d2e170"><del rend="overwritten">K</del><add place="superimposed" xml:id="b28r_add_d2e173">k</add></subst>ranken Thieren sein?… Der Mensch hat es satt, oft genug, es giebt
<lb n="20" xml:id="b28r_lb20"/>ganze <subst xml:id="b28r_subst_d2e178"><add place="above" rend="insM" xml:id="b28r_add_d2e179"><hi rend="latin">Epidemien</hi></add><del rend="hatching">Jahrhunderte</del></subst> dieses Satthabens<add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b28r_add_d2e185"> (– so um 1<subst seq="999" xml:id="b28r_subst_d2e187"><del rend="overwritten">8</del><add place="superimposed" xml:id="b28r_add_d2e190">3</add></subst>48 herum, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="130"/>der Zeit de<retrace>s</retrace> <del rend="hatching" seq="2">schwarzen</del> Tode<subst xml:id="b28r_subst_d2e200"><del rend="overwritten" seq="2">s</del><add place="superimposed" seq="2" xml:id="b28r_add_d2e203">n</add><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="b28r_add_d2e205">tanzes<note type="editorial" xml:id="b28r_note_d2e207">20: Todentanzes] unvollständige Korrektur, lies „Todtentanzes“</note></add> <del rend="hatching" seq="2">und</del> <del rend="overwritten" seq="2">d</del><add place="superimposed" seq="2" xml:id="b28r_add_d2e215">)</add><del rend="hatching" seq="2">es <hi rend="latin">danse</hi> von <hi rend="latin">Saint-Guy</hi>)</del></subst></add>: aber selbst noch dieser Ekel, diese Müdigkeit,
<lb n="21" xml:id="b28r_lb21"/>dieser Verdruß an sich selbst – Alles tritt an ihm so mächtig heraus, daß es sofort
<lb n="22" xml:id="b28r_lb22"/>wieder zu einer neuen Fessel wird. Sein Nein, das er zum Leben spricht, bringt wie
<lb n="23" xml:id="b28r_lb23"/>durch einen Zauber eine Fülle zarterer Ja’s ans Licht; ja wenn er sich <hi rend="underline">verwundet</hi>,
<lb n="24" xml:id="b28r_lb24"/>dieser Meister der Zerstörung, Selbstzerstörung, – hinterdrein ist es die Wunde selbst, die
<lb n="1" xml:id="b34r_lb1"/><add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e57">jederzeit</add> Herr zu werden. Er bringt <subst xml:id="subst1_b34r" seq="2"><add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e61">Salben und Balsam mit, es ist kein Zweifel; aber erst hat er</add><del rend="hatching">Balsam: dazu hat er</del></subst> nöthig<add place="inline" seq="1" xml:id="b34r_add_d2e66">, <add place="above" rend="insM" seq="1" instant="true" xml:id="b34r_add_d2e68"><del xml:id="substDel1_b34r" rend="hatching" seq="2">erst heimlich</del></add></add> zu verwunden<add place="inline" xml:id="b34r_add_d2e72">, <add place="below" rend="insM" instant="true" xml:id="b34r_add_d2e74">um Arzt zu sein</add></add><subst xml:id="b34r_subst_d2e76"><del rend="overwritten">,</del><add place="superimposed" xml:id="b34r_add_d2e79">;</add></subst> <del rend="hatching">und</del> indem er <subst xml:id="b34r_subst_d2e86"><add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e87"><add place="inline" rend="insMExt" xml:id="b34r_add_d2e88">dann </add>den Schmerz stillt,<add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e91"> den die Wunde macht,</add></add><del rend="hatching">heilt</del></subst>,
<lb n="2" xml:id="b34r_lb2"/><subst xml:id="b34r_subst_d2e97"><del rend="hatching" seq="1">bändigt er</del><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b34r_add_d2e100"><hi rend="underline">vergiftet</hi> <hi rend="underline">er</hi> <hi rend="underline">zugleich</hi> <hi rend="underline">die</hi> <hi rend="underline">Wunde</hi> –<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b34r_add_d2e116"> darauf vor Allem <add place="above" rend="insM" seq="3" xml:id="b34r_add_d2e118">nämlich</add> versteht er sich,</add></add></subst>, dieser<anchor xml:id="appAnchor_b34r2"/> Zauberer und Raubthier-Bändiger, in dessen <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="137"/>Umkreis alles Gesunde <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e127">nothwendig</add> krank
<lb n="3" xml:id="b34r_lb3"/>und alles Kranke <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e132">nothwendig</add> zahm wird. Er vertheidigt in der That <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e135">gut genug</add> seine kranke Heerde, <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e138">dieser seltsame Hirt</add> – er verthei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b34r_lb4"/>digt sie auch gegen sich, gegen die in der Heerde <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e147">selbst</add> glimmende Schlechtigkeit, Tücke, Böswilligkeit
<lb n="5" xml:id="b34r_lb5"/><retrace>u</retrace>nd was <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e153">sonst</add> allen Süchtigen und Kranken <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e156">unter einander</add> zu eigen ist, er kämpft <subst xml:id="b34r_subst_d2e160"><add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e161">klug, hart und heimlich<del rend="strikethrough">,</del></add><del rend="hatching">beständig</del></subst> mit der Anarchie
<lb n="7" xml:id="b34r_lb7"/>fährlichste Spreng- und Explosivstoff, das <hi rend="underline"><hi rend="latin">Ressentiment</hi></hi>, sich beständig häuft und häuft. Die<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="b34r_lb8"/>sen Sprengstoff so zu entladen, daß er nicht die Heerde und nicht den Hirten zersprengt,
<lb n="9" xml:id="b34r_lb9"/>das ist sein eigentliches Kunststück, auch seine oberste Nützlichkeit; wollte man den Werth
<lb n="10" xml:id="b34r_lb10"/>der priesterlichen Existenz in die kürzeste Formel fassen, so wäre geradewegs zu sagen:
<lb n="11" xml:id="b34r_lb11"/>der Priester ist der <hi rend="underline">Richtungs</hi>-<hi rend="underline">Veränderer</hi> des <hi rend="latin">Ressentiment</hi>. Jeder Leidende nämlich sucht
<lb n="12" xml:id="b34r_lb12"/>instinktiv zu seinem Leid eine Ursache; genauer noch, einen Thäter, noch bestimmter, einen
<lb n="13" xml:id="b34r_lb13"/>für Leid empfänglichen <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e227"><hi rend="underline">schuldigen</hi></add> Thäter, – kurz, irgend etwas Lebendiges, an dem er seine Affekte
<lb n="14" xml:id="b34r_lb14"/>thätlich oder <hi rend="latin">in effigie</hi> <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e236">auf irgend einen Vorwand hin</add> entladen kann: denn die Affekt-Entladung ist der größte Erleich<pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="b34r_lb15"/>terungs- nämlich <choice xml:id="b34r_choice_d2e245"><sic>-</sic><corr/></choice><hi rend="underline">Betäubungs</hi>-Versuch des Leidenden, sein unwillkürlich begehrtes <hi rend="latin">Narcoticum</hi>
<lb n="17" xml:id="b34r_lb17"/>Ursächlichkeit des <hi rend="latin">Ressentiment</hi>, der Rache und ihrer Verwandten, <add xml:id="substAdd2_b34r" place="above" rend="insM" seq="1">zu finden,</add> in einem Verlangen also
<lb n="19" xml:id="b34r_lb19"/><add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e307">wie mich dünkt, in dem </add></subst>Defensiv-Gegenschlag, einer bloßen Schutzmaßregel <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="138"/><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b34r_add_d2e312">der Reaktion<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b34r_add_d2e314">, einer „Reflexbewegung“</add></add> im Falle irgend einer plötzlichen Schädigung
<lb n="20" xml:id="b34r_lb20"/>und Gefährdung<subst xml:id="b34r_subst_d2e319"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="b34r_add_d2e322">,</add><add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e324"> von der Art, wie sie ein Frosch ohne Kopf noch vollzieht, um eine ätzende Säure loszuwerden.</add></subst> Aber die Verschiedenheit ist fundamental: im Einen Falle will man weiteres
<lb n="21" xml:id="b34r_lb21"/>Beschädigtwerden hindern, <del rend="hatching">oft genug</del> <del rend="hatching">selbst noch ohne Bewußtsein vom Schmerz*;</del><add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e335"><del rend="hatching">@@@@@@@ und der @@@@@@@</del></add> im anderen
<lb n="22" xml:id="b34r_lb22"/>Falle will man einen <subst xml:id="b34r_subst_d2e342"><del rend="hatching">heftigen</del><add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e345">quälenden heimlichen</add></subst> unerträglich-werdenden Schmerz durch eine <del rend="hatching">noch</del> heftigere
<lb n="23" xml:id="b34r_lb23"/>Emotion <add place="above" rend="insM" xml:id="b34r_add_d2e354">irgend welcher Art</add> <hi rend="underline">betäuben</hi> und <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b34r_add_d2e360"><subst xml:id="b34r_subst_d2e361"><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="b34r_add_d2e362"><del rend="hatching" seq="2">@@</del></add> <del rend="hatching">sich</del></subst> für den Augenblick wenigstens</add> aus dem Bewußtsein schaffen, – dazu braucht man einen <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b34r_add_d2e371"><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b34r_add_d2e372">Affekt, einen </add>möglichst</add> wilden
<lb n="24" xml:id="b34r_lb24"/>Affekt und, zu dessen Erregung, den ersten besten Vorwand. „Irgend Jemand muß schuld
<lb n="1" xml:id="b35r_lb1"/>daran sein, daß ich mich schlecht befinde“ – diese Art zu schließen ist allen Krankhaften ei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="2" xml:id="b35r_lb2"/>gen, und zwar je mehr ihnen die wahre Ursache ihres Sich-Schlecht-Befindens<add place="inline" xml:id="b35r_add_d2e55">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b35r_add_d2e57">die physiologische</add></add> verborgen bleibt
<lb n="3" xml:id="b35r_lb3"/>(– sie kann etwa in einer Erkrankung des <hi rend="latin">nervus sympathicus</hi> liegen oder in einer übermä<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b35r_lb4"/>ßigen Gallen-Absonderung <add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e71">oder an einer Armut des Blutes an schwefel- und phosphorsaurem <hi rend="latin">Kali</hi></add> oder in Druckzuständen des Unterleibs, welche den Blutumlauf
<lb n="5" xml:id="b35r_lb5"/>stauen oder in Entartung der Eierstöcke und dergleichen)<subst xml:id="b35r_subst_d2e78"><del rend="hatching" seq="1">;</del> <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b35r_add_d2e82">Die <del rend="hatching">Krankhaften</del><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b35r_add_d2e86"> Leidenden</add></add><del rend="hatching" seq="1">sie</del></subst> sind allesammt von einer
<lb n="6" xml:id="b35r_lb6"/>entsetzlichen Bereitwilligkeit und Erfindsamkeit in Vorwänden zu <subst xml:id="b35r_subst_d2e94"><add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e95">schmerzhaften</add><del rend="hatching">wilden</del></subst> Affekten; <subst xml:id="b35r_subst_d2e100"><add xml:id="substAdd1a_b35r" place="above" rend="insM" seq="2">sie ge<pc force="weak">-</pc></add><del xml:id="substDel1a_b35r" rend="hatching" seq="2">letzte<pc force="weak">-</pc></del>
<lb n="7" xml:id="b35r_lb7"/><add xml:id="substAdd1b_b35r" place="above" seq="2">nießen ihren Argwohn schon, das Grübeln über Schlechtigkeiten und scheinbare Beeinträchtigungen, sie </add><del xml:id="substDel1b_b35r" rend="hatching" seq="2">ren nachzuhängen, argwöhnisch <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b35r_add_d2e115"><del rend="hatching" seq="2">nach Gründen derselben</del></add> zu suchen und zu spüren, ihr Gedächtniß darauf hin zu durch<pc force="weak">-</pc></del>
<lb n="8" xml:id="b35r_lb8"/><add xml:id="substAdd1c_b35r" place="above" rend="insM" seq="2">durch</add></subst>wühlen die Eingeweide ihrer Vergangenheit und Gegenwart nach dunklen fragwürdigen Ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="b35r_lb9"/>schichten, wo es ihnen freisteht, in einem <subst xml:id="b35r_subst_d2e131"><add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e132">quälerischen</add><del rend="hatching">schmerzhaften</del></subst> Verdachte zu schwelgen und am eignen
<lb n="10" xml:id="b35r_lb10"/>Gifte <add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e140">der Bosheit</add> sich <del rend="hatching">wollüstig</del> zu berauschen<subst xml:id="b35r_subst_d2e146"><del rend="strikethrough" cause="insM">.</del><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b35r_add_d2e149"> – sie reißen die ältesten Wunden auf<subst xml:id="b35r_subst_d2e151"><del rend="overwritten" seq="2">.</del><add place="superimposed" seq="2" xml:id="b35r_add_d2e154">, </add></subst><add place="inline" seq="2" xml:id="b35r_add_d2e156"> sie verbluten sich an längst ausgeheilten Narben<subst xml:id="b35r_subst_d2e158"><del xml:id="substDel2_b35r" rend="overwritten" seq="3">.</del><add xml:id="substAdd2a_b35r" place="superimposed" seq="3">,</add></subst><add xml:id="substAdd2b_b35r" place="inline" rend="insMExt" seq="3"> sie machen Übelthäter <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="139"/>aus <add place="inline" rend="red-marking" seq="3" instant="true" xml:id="b35r_add_d2e167"><metamark xml:id="mark1a_b35r" target="#mark1b_b35r #substAdd2c_b35r">(+)</metamark></add></add></add></add></subst> „Ich leide: daran muß irgend Jemand schuld sein“ – also
<lb n="11" xml:id="b35r_lb11"/>denkt jedes krank<subst xml:id="b35r_subst_d2e173"><del rend="overwritten">e</del><add place="superimposed" xml:id="b35r_add_d2e176">hafte</add></subst> Schaf. Aber sein Hirt, der asketische Priester, sagt zu ihm: „Recht so!
<lb n="12" xml:id="b35r_lb12"/>mein Schaf! irgend wer muß daran schuld sein: aber du selbst bist dieser Irgend-Wer, <add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e182">du selbst bist daran allein schuld, –</add>
<lb n="13" xml:id="b35r_lb13"/><hi rend="underline">du</hi> <hi rend="underline">se<del rend="strikethrough" instant="true">l</del>lbst</hi> <hi rend="underline">bist</hi> <subst xml:id="b35r_subst_d2e199"><del rend="hatching"><hi rend="underline">daran</hi></del><add place="above" xml:id="b35r_add_d2e203">an dir</add></subst> <hi rend="underline">allein</hi> <hi rend="underline">schuld</hi>!“… <subst xml:id="subst3a_b35r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e213">Das ist kühn genug, falsch genug: aber Eins ist damit <add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e215">wenigstens</add> erreicht<subst xml:id="b35r_subst_d2e218"><del rend="overwritten"> –</del><add place="superimposed" xml:id="b35r_add_d2e221">,</add></subst></add> <del rend="overwritten">D</del><add place="superimposed" xml:id="b35r_add_d2e226">d</add></subst>amit <subst xml:id="subst3b_b35r" seq="1"><del rend="hatching">verändert er</del><add place="inline" xml:id="b35r_add_d2e232">ist</add></subst>, wie gesagt, die <restore type="hatching"><hi rend="underline">Richtung</hi></restore>
<lb n="18" xml:id="b35r_lb18"/>Man <subst xml:id="b35r_subst_d2e283"><add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e284">erräth</add><del rend="hatching">versteht</del></subst> nunmehr, was <add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e289">nach meiner Vorstellung</add> der Heilkünstler-Instinkt des Lebens durch den asketischen Prie<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="b35r_lb19"/>ster zum Mindesten <hi rend="underline">versucht</hi> hat und wozu <add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e301">ihm</add> eine zeitweilige Tyrannei solcher paradoxer und
<lb n="20" xml:id="b35r_lb20"/>paralogischer Begriffe wie „Schuld“ „Sünde“ „Sündhaftigkeit“ „Verderbniß“ „Verdammniß“ hat dienen
<lb n="21" xml:id="b35r_lb21"/>müssen: die Kranken bis zu einem gewissen Grade <hi rend="underline">unschädlich</hi> zu machen, die Unheilba<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="b35r_lb22"/>ren durch sich selbst zu zerstören, den Milder-Erkrankten streng die Richtung auf sich
<lb n="23" xml:id="b35r_lb23"/>selbst<add place="inline" xml:id="b35r_add_d2e319">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b35r_add_d2e321">eine Rückwärts-Richtung ihres <hi rend="latin">Ressentiments</hi></add></add> zu geben („Eins ist noth“ –) und die schlechten Instinkte aller Leidenden <add place="above" rend="insM" xml:id="b35r_add_d2e326">dergestalt</add> zum Zweck der
<lb n="24" xml:id="b35r_lb24"/>Selbstdisciplinirung, Selbstüberwachung, Selbstüberwindung <hi rend="underline">auszunützen</hi>. Es kann sich, wie
<lb n="25" xml:id="b35r_lb25"/>sich von selbst versteht, mit einer „Medikation“ dieser Art, einer bloßen Affekt-Me<pc force="weak">-</pc>
<lb n="1" xml:id="b38r_lb1"/>Stellen der Erde fast nothwendig ein <hi rend="underline">physiologisches</hi> <hi rend="underline">Hemmungsgefühl</hi> <subst xml:id="b38r_subst_d2e71"><add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e72">über breite Massen Herr</add><del rend="hatching">epidemisch</del></subst> werden
<lb n="2" xml:id="b38r_lb2"/>muß, welches aber, aus Mangel an physiologischem Wissen, nicht als solches <subst instant="unknown" xml:id="b38r_subst_d2e80"><add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e81">ins Bewußtsein tritt,</add><del rend="hatching">verstanden wird</del></subst>
<lb n="3" xml:id="b38r_lb3"/>so daß dessen „Ursache“, dessen Remedur <add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e88">auch</add> nur psychologisch-moralisch gesucht und versucht wer<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b38r_lb4"/>den kann (– dies <add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e96">nämlich</add> ist meine allgemeinste Formel für das, was gemeinhin eine „Reli<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="b38r_lb5"/>gion“ genannt wird) Ein solches Hemmungsgefühl kann verschiedenster Abkunft sein: etwa
<lb n="6" xml:id="b38r_lb6"/>als Folge der Kreuzung von zu fremdartigen Rassen (oder von Ständen – Stände drücken im<pc force="weak">-</pc>
<lb n="7" xml:id="b38r_lb7"/>mer auch Abkunfts- und Rassen-Differenzen aus: d<subst instant="unknown" xml:id="b38r_subst_d2e112"><del rend="overwritten">ie</del><add place="superimposed" xml:id="b38r_add_d2e115">er</add></subst> europäische „Weltschmerz“, der „Pessimis<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="b38r_lb8"/>mus“ des neunzehnten Jahrhunderts ist wesentlich die Folge einer unsinnig plötzlichen Stände-
<lb n="9" xml:id="b38r_lb9"/>Mischung); oder bedingt durch eine fehlerhafte Emigration – eine Rasse in ein Clima ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="10" xml:id="b38r_lb10"/>rathen, für das <choice xml:id="b38r_choice_d2e131"><sic>seine</sic><corr>ihre</corr></choice> Anpassungskraft nicht ausreicht (der Fall der Inder in Indien); oder die
<lb n="11" xml:id="b38r_lb11"/>Nachwirkung von Alter und Ermüdung der Rasse<add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e138"> (Pariser Pessimismus von 1850 an)</add>; oder einer falschen Diät (Alcoholismus
<lb n="12" xml:id="b38r_lb12"/>des Mittelalters<add xml:id="substAdd1a_b38r" place="inline" seq="1">;<add xml:id="substAdd1b_b38r" place="above" rend="insM" seq="1" instant="true"> der Unsinn der Vege<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="143"/>tari<subst xml:id="b38r_subst_d2e149"><del rend="hatching">er</del><add place="above" rend="insM" seq="999" xml:id="b38r_add_d2e152">ans</add></subst>, welche freilich die Autorität des Junker Christoph bei Shakespeare für sich haben <add place="inline" rend="red-marking" seq="1" xml:id="b38r_add_d2e155"><del xml:id="substDel2a_b38r" rend="hatching" seq="2"><metamark xml:id="mark1a_b38r" target="#mark1b_b38r #substAdd1c_b38r">(+)</metamark></del></add><add xml:id="substAdd2_b38r" place="inline" rend="insM" seq="2">)</add></add></add>); oder von Blutverderbniß, Malaria, Syphilis und dergleichen (deutsche De<pc force="weak">-</pc>
<lb n="13" xml:id="b38r_lb13"/>pression nach dem dreißigjährigen Kriege, welcher halb Deutschland mit schlechten Krankheiten
<lb n="14" xml:id="b38r_lb14"/>durchseuchte<add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b38r_add_d2e170"><subst xml:id="b38r_subst_d2e171"><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b38r_add_d2e172"> und <add place="above" seq="3" xml:id="b38r_add_d2e174"><del rend="hatching"><metamark>(+)</metamark></del></add><del rend="hatching" seq="3"><unclear reason="illegible" agent="hatching" cert="low">dh.<anchor xml:id="appAnchor_b37r14"/></unclear> </del></add><del rend="hatching" seq="3">in Servilität und Kleinmuth transfigurirte.)</del> <add place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="b38r_add_d2e185">damit den Boden für deutsche Servilität, <del rend="hatching" seq="999">für</del> deutschen Kleinmuth vorbereitete.)</add></subst></add>) <subst xml:id="b38r_subst_d2e191"><del rend="hatching" seq="5">Hier wird also</del><add place="below" rend="insM" seq="999" xml:id="b38r_add_d2e194"><retrace>I</retrace>n einem solchen Falle wird</add></subst> jedes Mal im größten Stil ein <hi rend="underline">Kampf</hi> <hi rend="underline">mit</hi> <hi rend="underline">dem</hi> <hi rend="underline">Unlustgefühl</hi>
<lb n="15" xml:id="b38r_lb15"/><subst xml:id="b38r_subst_d2e212"><add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e213">versucht</add><del rend="hatching">unternommen</del></subst>; unterrichten wir uns kurz über <subst xml:id="subst3_b38r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e219">dessen</add><del rend="hatching">seine</del></subst> wichtigste<del xml:id="substDel3_b38r" rend="strikethrough" seq="1">n</del> Praktiken und Formen (Ich
<lb n="16" xml:id="b38r_lb16"/>lasse<del rend="strikethrough" instant="true">n</del> <add xml:id="substAdd4_b38r" place="above" rend="insM" seq="1">hier, wie billig,</add> den eigentlichen <hi rend="underline">Philosophen</hi>-Kampf<add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e239"> gegen das Unlustgefühl</add>, der immer gleichzeitig zu sein pflegt, <subst xml:id="subst4_b38r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e243">ganz</add><del rend="hatching">hier</del></subst> bei Seite
<lb n="17" xml:id="b38r_lb17"/>– er ist interessant genug, aber zu absurd, zu praktisch-gleichgültig, <add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e251">zu spinneweberisch und eckensteherhaft,</add> etwa wenn <del xml:id="substDel5a_b38r" rend="hatching" seq="1">sie</del> de<subst xml:id="subst5a_b38r" seq="1"><del rend="overwritten">n</del><add place="superimposed" xml:id="b38r_add_d2e260">r</add></subst> Schmerz
<lb n="18" xml:id="b38r_lb18"/>als ein<del xml:id="substDel5b_b38r" rend="hatching" seq="1">en</del> Irrthum <subst xml:id="subst5b_b38r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e269">bewiesen werden soll,</add><del rend="hatching">zu beweisen suchen</del></subst>, unter der naiven Voraussetzung, daß der Schmerz schwin<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="b38r_lb19"/>den <hi rend="underline">müsse</hi>, wenn <add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e283">erst</add> der Irrthum in ihm erkannt ist<subst xml:id="b38r_subst_d2e286"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="b38r_add_d2e289"> –</add><add place="above" rend="insM" xml:id="b38r_add_d2e291"> aber sieh<add place="inline" xml:id="b38r_add_d2e293">e</add> da! er hütete sich, zu schwinden…</add></subst>) Man bekämpft <hi rend="underline">erstens</hi> jene dominiren<pc force="weak">-</pc>
<lb n="20" xml:id="b38r_lb20"/>de Unlust durch Mittel, <add xml:id="substAdd6_b38r" place="above" rend="insM" seq="1">welche</add> das Lebensgefühl überhaupt auf den niedrigsten Punkt herab<del xml:id="substDel6_b38r" rend="hatching" seq="1">zu</del><pc force="weak">-</pc>
<lb n="21" xml:id="b38r_lb21"/>setzen. Womöglich überhaupt kein Wollen, kein Wunsch mehr; allem, was Affekt macht,
<lb n="1" xml:id="b39r_lb1"/>physiologisch ausgedrückt, <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e74">Hypnotisirung, –</add> der Versuch etwas für den Menschen <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e77">annähernd</add> zu erreichen, was der <hi rend="underline">Win</hi><pc force="weak">-</pc>
<lb n="2" xml:id="b39r_lb2"/><hi rend="underline">terschlaf</hi> für einige Thierarten, der <hi rend="underline">Sommerschlaf</hi> für viele Pflan<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="144"/>zen <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e95">der heißen Klimaten</add> ist, ein <hi rend="latin"><subst xml:id="b39r_subst_d2e99"><del rend="overwritten">m</del><add hand="#brown2" place="superimposed" xml:id="b39r_add_d2e102">M</add></subst>inimum</hi>
<lb n="3" xml:id="b39r_lb3"/>von Stoffverbrauch und Stoffwechsel, bei dem das Leben gerade noch besteht, ohne ei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b39r_lb4"/>gentlich <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e114">noch</add> ins Bewußtsein zu treten. <add xml:id="substAdd1a_b39r" hand="#brown2" place="above" rend="insM" seq="2">Auf dieses Ziel ist eine erstaunliche Menge menschlicher Energie verwandt worden –</add><del xml:id="substDel1a_b39r" rend="hatching" seq="3">(Die Prozeduren der meisten Wüsten-Heiligen<add place="inline" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e121">, <add place="above" rend="insM" seq="1" instant="true" xml:id="b39r_add_d2e123"><del xml:id="substDel1aa_b39r" rend="hatching" seq="3">beiläufig gesagt</del></add></add> geht</del>
<lb n="5" xml:id="b39r_lb5"/><del xml:id="substDel1b_b39r" rend="hatching" seq="3">auf dies Ideal hinaus<add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e132"><del xml:id="substDel1c_b39r" rend="hatching" seq="3"> – und viele von ihnen haben es erreicht –</del><add place="inline" rend="insMExt" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e135"><del xml:id="substDel1d_b39r" rend="hatching" seq="3">: auf</del></add></add>: die absolute Langeweile,<add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e139"><add place="inline" rend="insMExt" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e140"><del xml:id="substDel1dd_b39r" rend="hatching" seq="3">also</del></add> , <del xml:id="substDel1e_b39r" rend="hatching" seq="3"><subst xml:id="b39r_subst_d2e145"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e146"><del rend="hatching" seq="1">diese</del></add><del xml:id="substDel2_b39r" rend="hatching" seq="1">aber</del></subst></del><del xml:id="substDel1ee_b39r" rend="hatching" seq="3"> zum Ideal </del><del xml:id="substDel1f_b39r" rend="hatching" seq="3">erhoben, eine solche</del><add xml:id="substAdd2_b39r" place="inline" rend="insMExt" seq="1"><subst xml:id="b39r_subst_d2e156"> <del rend="hatching" seq="1">aber</del> <add place="inline" rend="insMExt" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e161"><del xml:id="substDel1ff_b39r" rend="hatching" seq="3">natürlich</del></add></subst></add></add> die nicht mehr als </del><subst xml:id="b39r_subst_d2e165"><add place="below" rend="insM" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e166"><del xml:id="substDel1g_b39r" rend="hatching" seq="3">Langeweile</del></add><del rend="hatching" seq="1">solche</del></subst><del xml:id="substDel1h_b39r" rend="hatching" seq="3"> empfunden</del>
<lb n="7" xml:id="b39r_lb7"/><del xml:id="substDel1p_b39r" rend="hatching" seq="3">Sänger singt<anchor xml:id="appAnchor_b39r7-1"/>.)</del><add xml:id="substAdd1_b39r" place="above" rend="insM" seq="3">umsonst etwa?…<anchor xml:id="appAnchor_b39r7-2"/></add> Daß solche <hi rend="latin">sportsmen</hi> der „Heiligkeit“<add place="inline" xml:id="b39r_add_d2e236">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b39r_add_d2e238">an denen alle Zeiten, fast alle Völker reich sind,</add></add> in der That eine wirkliche Erlösung von
<lb n="8" xml:id="b39r_lb8"/>dem gefunden haben, was sie mit eine<subst xml:id="subst4a_b39r" seq="1"><del rend="overwritten">r</del><add place="superimposed" xml:id="b39r_add_d2e247">m</add></subst> so rigorösen <subst xml:id="subst4b_b39r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e251"><hi rend="latin">training</hi></add><del rend="hatching"><hi rend="latin">drainage</hi></del></subst> bekämpften, daran darf
<lb n="9" xml:id="b39r_lb9"/>man durchaus nicht zweifeln, – sie kamen von jener tiefen <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e260">physiologischen</add> Depression mit Hülfe <subst xml:id="b39r_subst_d2e263"><add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e264">ihres</add><del rend="hatching">eines</del></subst>
<lb n="10" xml:id="b39r_lb10"/>Systems von Hypnotisirungs-Mitteln <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e272">in unzähligen Fällen</add> wirklich <hi rend="underline">los</hi><subst xml:id="b39r_subst_d2e277"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="b39r_add_d2e280">:</add></subst> <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e283">weshalb ihre Methodik zu den allgemeinsten <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e285">ethnologischen</add> Thatsachen <subst instant="true" xml:id="b39r_subst_d2e288"><add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e289">zählt.</add><del rend="hatching">*uns</del></subst></add> Insgleichen fehlt jede Erlaubniß dazu, um
<lb n="11" xml:id="b39r_lb11"/>schon <add xml:id="substAdd5_b39r" place="above" rend="insM">an sich</add> eine solche Absicht auf Aushungerung der Leiblichkeit und der Begierde <del xml:id="substDel5_b39r" rend="hatching">an sich schon</del> <subst xml:id="subst6_b39r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e304">unter die</add><del rend="hatching">zu den</del></subst>
<lb n="12" xml:id="b39r_lb12"/>Irrsinns-Symptome<del xml:id="substDel6_b39r" rend="strikethrough" seq="1">n</del> zu rechnen (wie es eine täppische Art von Beefsteak-fressenden „Freigei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="13" xml:id="b39r_lb13"/>stern“ <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e320">und Junker Christophen</add> zu thun beliebt) Um so sicherer ist es, daß sie den <hi rend="underline">Weg</hi> zu allerhand geistigen
<lb n="14" xml:id="b39r_lb14"/>Störungen abgiebt, <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e328">abgeben kann,</add> zu „inneren Lichtern“ zum Beispiel<add place="inline" xml:id="b39r_add_d2e331">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b39r_add_d2e333">wie bei den Hesychasten vom Berge Athos,</add></add>, zu <choice xml:id="b39r_choice_d2e336"><sic>Klang<add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e339"> und Gestalt-</add>hallucinationen</sic><corr>Klang- und Gestalt-Hallucinationen</corr></choice>, zu
<lb n="15" xml:id="b39r_lb15"/>wollüstigen Überströmungen und Ekstasen<add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e347"> der Sinnlichkeit<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b39r_add_d2e349"> (Geschichte der heiligen Therese)</add></add>. Die Auslegung, welche derartigen Zuständen
<lb n="16" xml:id="b39r_lb16"/>von den mit ihnen Behafteten gegeben wird, ist immer so schwärmerisch-falsch wie möglich ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="17" xml:id="b39r_lb17"/>wesen<add place="inline" xml:id="b39r_add_d2e359">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b39r_add_d2e361">dies versteht sich von selbst</add></add>: nur überhöre man den Ton überzeugtester Dankbarkeit nicht, der eben schon im
<lb n="18" xml:id="b39r_lb18"/><hi rend="underline">Willen</hi> zu einer solchen Interpretations-Art zum Erklingen kommt. Der höchste Zustand, <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e369">die <hi rend="underline">Erlösung</hi> selbst,</add> jene
<lb n="19" xml:id="b39r_lb19"/>endlich erreichte Gesammt-Hypnotisirung und Stille, gilt ihnen <milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen10"/><milestone unit="page" edRef="#Ed" n="145"/><add place="below" rend="insM" seq="2" xml:id="b39r_add_d2e379">immer</add> als das Geheimniß an sich<add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e383"> zu dessen Ausdruck auch die höchsten Symbole nicht ausreichen,</add>, als
<lb n="20" xml:id="b39r_lb20"/>unio mystica mit dem Grund der Dinge, als Freiwerden von allem Wahne, <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b39r_add_d2e388"><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b39r_add_d2e389"><add place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="b39r_add_d2e390">als „Wissen“, </add>als „Wahrheit“, </add>als „Sein“,</add> als Los<pc force="weak">-</pc>
<lb n="21" xml:id="b39r_lb21"/>kommen von jedem Ziele, jedem Wunsche, <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e400">jedem Thun,</add> als ein Jensei<retrace>ts</retrace> auch von Gut und Böse. <del rend="hatching">(</del>„Gu<pc force="weak">-</pc>
<lb n="23" xml:id="b39r_lb23"/>und Ungethanes<add place="inline" xml:id="b39r_add_d2e447">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b39r_add_d2e449">sagt der Gläubige des Vedânta,</add></add> schafft ihm keinen Schmerz; <add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e452">das Gute und das Böse schüttelt er als ein Weiser von sich;</add> sein Reich leidet durch keine That<add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e455"> mehr</add>; über Gutes
<lb n="24" xml:id="b39r_lb24"/>und Böses, über Beides <subst xml:id="b39r_subst_d2e461"><add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e462">gieng</add><del rend="hatching">geht</del></subst> er hinaus“: – eine gesammt-indische Auffassung<add place="above" rend="insM" xml:id="b39r_add_d2e467"> also</add>, ebenso brah<pc force="weak">-</pc>
<lb n="1" xml:id="b45r_lb1"/>gezeichnet. Der <subst xml:id="b45r_subst_d2e65"><add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e66">tüchtige</add><del rend="hatching">ausgezeichnete</del></subst> Amerikaner Thayer, der Biograph Beethovens, hat mit Ei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="2" xml:id="b45r_lb2"/>nem Male <add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e76">in seiner Arbeit</add> Halt gemacht: an irgend einem Punkte dieses ehrwürdigen und naiven Lebens
<lb n="3" xml:id="b45r_lb3"/><add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e81">an</add>gelangt, hielt er dasselbe nicht mehr aus… Moral: welcher kluge Mann schriebe heu<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b45r_lb4"/>te noch ein ehrliches Wort über sich? <add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e89">– er müßte denn zum Orden der heiligen Tollkühnheit gehören.</add> Man verspricht uns eine Selbstbiographie Ri<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="b45r_lb5"/>chard Wagners: wer zweifelt daran, daß es eine <hi rend="underline">kluge</hi> Selbstbiographie sein wird?…
<lb n="6" xml:id="b45r_lb6"/>Gedenken wir noch des komischen Entsetzens, welches der katholische Priester Janssen mit
<lb n="7" xml:id="b45r_lb7"/>seinem über alle Begriffe viereckig und harmlos gerathenen Bilde der deutschen Reforma<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="b45r_lb8"/>tions-Bewegung in Deutschland erregt hat<subst xml:id="b45r_subst_d2e111"><del rend="overwritten">:</del><add place="superimposed" xml:id="b45r_add_d2e114">;</add></subst> was würde man <subst xml:id="b45r_subst_d2e117"><add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e118">erst beginnen</add><del rend="hatching">thun</del></subst>, wenn uns Je<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="b45r_lb9"/>mand diese <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="153"/>Bewegung einmal <hi rend="underline">anders</hi> erzählte, wenn uns einmal ein wirklicher Psy<pc force="weak">-</pc>
<lb n="10" xml:id="b45r_lb10"/>cholog einen wirklichen Luther <subst xml:id="b45r_subst_d2e139"><add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e140">erzählte</add><del rend="hatching">zeigte</del></subst>, nicht mehr mit der moralistischen Einfalt eines Land<pc force="weak">-</pc>
<lb n="11" xml:id="b45r_lb11"/>geistlichen, nicht mehr mit der süßlichen und rücksichtsvollen Schamhaftigkeit protestanti<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="b45r_lb12"/>scher Historiker, sondern etwa mit einer <hi rend="underline"><hi rend="latin">Taine</hi></hi>’<hi rend="underline">schen</hi> Unerschrockenheit, aus einer <hi rend="underline">Stärke</hi>
<lb n="13" xml:id="b45r_lb13"/><hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Seele</hi> heraus und nicht aus einer <subst xml:id="b45r_subst_d2e174"><add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e175">klugen</add><del rend="hatching">feigen</del></subst> Indulgenz gegen die Stärke?… (Die
<lb n="14" xml:id="b45r_lb14"/>Deutschen, anbei gesagt, haben den klassischen Typus der letzteren <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b45r_add_d2e182">zuletzt noch<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b45r_add_d2e184"> schön genug</add></add> her<subst xml:id="b45r_subst_d2e187"><del rend="overwritten">vor</del><add place="superimposed" xml:id="b45r_add_d2e190">aus</add></subst>gebracht, – sie
<lb n="15" xml:id="b45r_lb15"/>dürfen ihn sich sc<retrace>ho</retrace>n zurechnen<add place="inline" seq="1" xml:id="b45r_add_d2e198">, <add place="above" rend="insM" seq="1" instant="true" xml:id="b45r_add_d2e200"><subst xml:id="b45r_subst_d2e201"><add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b45r_add_d2e202"><del rend="hatching" seq="3">sich selbst</del></add><del rend="hatching" seq="2">sich</del></subst> zu Gute rechnen</add></add><subst xml:id="subst1a_b45r"><del rend="hatching" seq="3">: ich meine</del><add place="above" rend="insMExt" seq="3" xml:id="b45r_add_d2e211">: nämlich in ihrem</add></subst> Leopold Ranke, diese<subst xml:id="subst1b_b45r" seq="3"><del rend="overwritten">n</del><add place="superimposed" xml:id="b45r_add_d2e217">m</add></subst> gebornen <add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e220">klassischen</add> <hi rend="latin">advo<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="b45r_lb19"/><add place="above" seq="2" xml:id="b45r_add_d2e296">Aber man wird mich schon verstanden haben: </add>– Grund genug<subst xml:id="b45r_subst_d2e299"><add place="inline" seq="1" xml:id="b45r_add_d2e300">, </add><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b45r_add_d2e302"><add place="below" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b45r_add_d2e303">nicht wahr, </add>Alles in Allem,</add><del rend="strikethrough" cause="insM">,</del></subst> daß wir Psychologen heutzutage einiges Mißtrauen <hi rend="underline">gegen</hi> <hi rend="underline">uns</hi> <hi rend="underline">selb<subst xml:id="b45r_subst_d2e317"><add place="superimposed" xml:id="b45r_add_d2e318">st</add><del rend="overwritten">er</del></subst></hi> nicht
<lb n="20" xml:id="b45r_lb20"/>los werden<subst seq="2" xml:id="b45r_subst_d2e326"><add place="superimposed" xml:id="b45r_add_d2e327">?… W</add><del rend="overwritten">: w</del></subst>ahrscheinlich sind <add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e332">auch</add> wir <add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e335">noch</add> „zu gut“ für unser Handwerk, wahrscheinlich sind <add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e338">auch</add> wir <add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e341">noch</add> die
<lb n="21" xml:id="b45r_lb21"/>Opfer<subst xml:id="b45r_subst_d2e347"><add place="inline" xml:id="b45r_add_d2e348">, </add><add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e350">die Beute, die <hi rend="underline">Kranken</hi></add><del rend="hatching">selbst</del></subst> dieses vermoralisi<retrace>rt</retrace>en Zeitgeschmacks, so sehr wir <add xml:id="substAdd2a_b45r" place="above" rend="insM" seq="1">uns</add> auch <add xml:id="substAdd2b_b45r" place="above" rend="insM" seq="1"><del rend="hatching">als</del><add xml:id="substAdd2bb_b45r" place="inline" rend="insMExt" seq="1" instant="unknown"> als</add></add> dessen Verächte<retrace>r</retrace> <subst xml:id="subst2_b45r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b45r_add_d2e372">fühlen</add><del rend="hatching">sind</del></subst>, –
<lb n="22" xml:id="b45r_lb22"/>wahrscheinlich inficirt er auch noch <hi rend="underline">uns</hi>. Wovor warnte doch jener Diplomat, als er zu seines
<lb n="23" xml:id="b45r_lb23"/>Gleichen redete? „<subst xml:id="b45r_subst_d2e384"><del rend="overwritten">m</del><add place="superimposed" xml:id="b45r_add_d2e387">M</add></subst>ißtrauen wir<add xml:id="substAdd3_b45r" place="above" rend="insM" seq="2"> vor Allem</add>, meine Herrn, <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b45r_add_d2e394"><del xml:id="substDel3_b45r" rend="hatching" seq="2"><unclear reason="illegible" agent="hatching" cert="medium">Allem,</unclear> – vor Allem aber</del></add>unsren ersten Regungen! sagte er, <hi rend="underline">sie</hi>
<lb n="24" xml:id="b45r_lb24"/><hi rend="underline">sind</hi> <hi rend="underline">fast</hi> <hi rend="underline">immer</hi> <hi rend="underline">gut</hi>“… So sollte auch jeder Psycholog heute zu seines Gleichen reden<subst xml:id="b45r_subst_d2e417"><del rend="overwritten">.</del><add place="superimposed" xml:id="b45r_add_d2e420">…</add></subst> <del rend="hatching">–</del>
<lb n="1" xml:id="b48r_lb1"/>die Agonie des gemarterten Herzens, <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e50">die Krämpfe eines unbekannten Glücks,</add> der Schrei nach „Erlösung“. In der That, mit diesem
<lb n="3" xml:id="b48r_lb3"/><add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e100">glühend, verkohlt, </add>erschöpft und doch nicht müde – so nahm sich der Mensch aus, <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e103">„der Sünder“,</add> der in <hi rend="underline">diese</hi> Mysterien ein<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b48r_lb4"/>geweiht war. Dieser <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e115">alte</add> große Zauberer im Kampf mit der Unlust, der asketische Priester – <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="157"/>er hat<del rend="strikethrough" seq="1">te</del><add xml:id="substAdd2a_b48r" place="below" seq="2">te</add> <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e125">ersichtlich</add>
<lb n="5" xml:id="b48r_lb5"/>gesiegt<subst xml:id="b48r_subst_d2e131"><add place="inline" seq="1" xml:id="b48r_add_d2e132">,</add><del rend="strikethrough" cause="insM" seq="1">:</del><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b48r_add_d2e136"> <del xml:id="substDel2a_b48r" rend="strikethrough" seq="2">man sehe sich nur um</del><subst xml:id="subst2a_b48r"><del rend="overwritten" seq="2">:</del><add place="superimposed" seq="2" xml:id="b48r_add_d2e143"><hi rend="underline">s</hi></add></subst><add xml:id="substAdd2aa_b48r" place="inline" rend="insMExt" seq="2"><hi rend="underline">ein</hi> Reich war gekommen:</add></add></subst> schon klagt<add xml:id="substAdd2b_b48r" place="inline" seq="2">e</add> man nicht mehr <hi rend="underline">gegen</hi> den Schmerz, man <hi rend="underline">lechzt</hi><add xml:id="substAdd2c_b48r" place="inline" seq="2">e</add> nach dem Schmerz; „<hi rend="underline">mehr</hi>
<lb n="8" xml:id="b48r_lb8"/>Erfindsamkeit der Hölle <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e255">selbst</add> – Alles <subst xml:id="subst2g_b48r" seq="2"><add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e259">war nunmehr</add><del rend="hatching">ist</del></subst> entdeckt<add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e264"> errathen, ausgenützt,</add>, Alles <subst xml:id="subst2h_b48r" seq="2"><add place="below" xml:id="b48r_add_d2e268">stand</add><del rend="hatching">steht</del></subst> dem Zauberer zu Diensten, Alles
<lb n="9" xml:id="b48r_lb9"/>dient<add xml:id="substAdd2g_b48r" place="inline" seq="2">e</add> <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e279"><subst xml:id="subst2i_b48r" seq="2"><del rend="hatching">*zuletzt</del> <add place="inline" rend="insMExt" xml:id="b48r_add_d2e285">fürderhin</add></subst></add> dem Siege seines Ideals, des asketischen Ideals… „Mein Reich<add place="inline" xml:id="b48r_add_d2e288">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b48r_add_d2e290"><del xml:id="substDel2b_b48r" rend="hatching" seq="2">hat er ein Recht zu sagen,</del></add></add> ist nicht von <hi rend="underline">dieser</hi> Welt“ *–
<lb n="10" xml:id="b48r_lb10"/><add xml:id="substAdd2h_b48r" place="above" rend="insM">redete er nach wie vor: </add>hatte er wirklich das Recht noch, so zu reden?… <add xml:id="substAdd3a_b48r" place="inline">Goethe hat behauptet, es gäbe nur sechs und <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b48r_add_d2e304">dreißig tragische Situationen: man erräth daraus, wenn man’s </add></add>
<lb type="addLine" n="11" xml:id="b48r_lb11"/><add xml:id="substAdd3b_b48r" place="inline">sonst <del rend="hatching">es</del> nicht wüßte, daß er <hi rend="underline">kein</hi> asketischer Priester, daß er ein <hi rend="underline">Heide</hi> war. –</add>
<lb n="13" rend="indent" xml:id="b48r_lb13"/>In Hinsicht auf <hi rend="underline">diese</hi> <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e341">ganze</add> Art der priesterlichen Medikation, die „schuldige“ Art, ist jedes Wort
<lb n="14" xml:id="b48r_lb14"/>Kritik zu viel. Daß eine solche Ausschweifung des Gefühls, wie sie in diesem Falle der
<lb n="15" xml:id="b48r_lb15"/>asketische Priester seinen Kranken zu verordnen pflegt (unter den heiligsten Namen, wie
<lb n="16" xml:id="b48r_lb16"/>sich von selbst versteht, insgleichen durchdrungen von der Heiligkeit <subst xml:id="b48r_subst_d2e351"><add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e352">seines</add><del rend="hatching">des</del></subst> Zwecks) irgend einem
<lb n="17" xml:id="b48r_lb17"/>Kranken wirklich <hi rend="underline">genützt</hi> habe, wer hätte wohl Lust, eine Behauptung der Art aufrecht zu
<lb n="18" xml:id="b48r_lb18"/>halten? Zum Mindesten sollte man sich über das Wort „nützen“ verstehn. Will man da<pc force="weak">-</pc>
<lb n="19" xml:id="b48r_lb19"/>mit ausdrücken, ein solches System von Behandlung habe den Menschen <hi rend="underline">verbessert</hi>, so wider<pc force="weak">-</pc>
<lb n="20" xml:id="b48r_lb20"/>spreche ich nicht: nur daß ich hinzufüge, was bei mir „verbessert“ heißt – ebenso viel wie
<lb n="21" xml:id="b48r_lb21"/>„ge<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="158"/>zähmt“, „geschwächt“, „entmuthigt“, „raffinirt“, „verzärtlicht“, „entmannt“ (<add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e383">also </add>beinahe so viel als <del rend="strikethrough">„</del><hi rend="underline">geschä</hi><pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="b48r_lb22"/><hi rend="underline">digt</hi><del rend="strikethrough">“</del>…) Wenn es sich aber <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e399">in der Hauptsache</add> um Kranke, Verstimmte, Deprimirte handelt, so macht <choice xml:id="b48r_choice_d2e403"><sic>eine</sic><corr>ein</corr></choice> sol<pc force="weak">-</pc>
<lb n="23" xml:id="b48r_lb23"/>ches System den Kranken <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e412">gesetzt selbst, daß es ihn „besser“ machte, unter allen Umständen</add> <hi rend="underline">kränker</hi>; man frage nur die Irrenärzte, was eine methodi<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="b48r_lb24"/>sche Anwendung von Buß-Quälereien, Zerknirschungen und Erlösungskrämpfen<add place="inline" xml:id="b48r_add_d2e424"><del rend="hatching">,</del></add> <add place="above" rend="insM" xml:id="b48r_add_d2e428">immer</add> mit sich führt.
<lb n="25" xml:id="b48r_lb25"/>Insgleichen befrage man die Geschichte: überall, wo der asketische Priester diese Kranken<pc force="weak">-</pc>
<lb n="1" xml:id="b49r_lb1"/>behandlung durchgesetzt hat, ist jedes Mal die Krankhaftigkeit unheimlich schnell in die Tiefe
<lb n="2" xml:id="b49r_lb2"/>und Breite gewachsen. Was war immer der „Erfolg“? Ein zerrüttetes Nervensystem, hinzu
<lb n="3" xml:id="b49r_lb3"/>zu dem, was sonst schon krank war; und das im Größten <subst xml:id="b49r_subst_d2e57"><add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e58">wie</add><del rend="hatching">und</del></subst> im Kleinsten, bei Ein<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b49r_lb4"/>zelnen <subst xml:id="b49r_subst_d2e69"><add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e70">wie</add><del rend="hatching">und</del></subst> bei Massen. Wir finden im Gefolge des Buß- und Erlösungs-<hi rend="latin">training</hi> un<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="b49r_lb5"/>geheure epileptische Epidemien, <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e83">die größten, von denen die Geschichte weiß,</add> wie die der <hi rend="latin">St. Veit</hi>- und <hi rend="latin">St.</hi> Johann-Tänzer <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e93">des Mittelalters; <add place="inline" rend="insMExt" xml:id="b49r_add_d2e95"><metamark xml:id="mark1a_b49r" rend="red-marking" target="#mark1b_b49r #substAdd1_b49r">(+)</metamark></add></add> – hier<pc force="weak">-</pc>
<lb n="6" xml:id="b49r_lb6"/>her gehört auch die Hexen-Hysterie, etwas dem Somnambulismus Verwandtes <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e104">(acht große epidemische Ausbrüche derselben allein zwischen 1564 <choice xml:id="b49r_choice_d2e106"><abbr>u</abbr><expan>und</expan></choice> 1605)</add> –; wir fin<pc force="weak">-</pc>
<lb n="7" xml:id="b49r_lb7"/>den in seinem Gefolge <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e117">insgleichen</add> jene todsüchtigen Massen-Delirien, deren entsetzlicher Schrei
<lb n="8" xml:id="b49r_lb8"/>„<hi rend="latin">evviva la morte</hi>“ über ganz Europa weg gehört wurde, unterbrochen bald von wol<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="b49r_lb9"/>lüstigen, bald von zerstörungswüthigen <subst xml:id="b49r_subst_d2e131"><add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e132">Idiosynkrasien</add><del rend="hatching">Gelüsten</del></subst>: wie der gleiche Affektwechsel, <subst xml:id="subst2a_b49r" seq="1"><add place="above" xml:id="b49r_add_d2e138">mit</add><del rend="hatching">die</del>
<lb n="10" xml:id="b49r_lb10"/><add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e144">den </add></subst>gleichen Intermittenzen <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e147"><milestone unit="page" edRef="#Ed" n="159"/>und Umsprüngen,</add> auch heute noch überall beobachtet <subst xml:id="subst2b_b49r" seq="1"><add place="above" xml:id="b49r_add_d2e152">wird,</add><del rend="hatching">werden</del></subst><add place="inline" xml:id="b49r_add_d2e156">,<add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b49r_add_d2e158"> in jedem Falle</add></add>, wo die asketische
<lb n="11" xml:id="b49r_lb11"/>Sündenlehre <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b49r_add_d2e164">es <del xml:id="substDel3_b49r" rend="hatching" seq="2">einmal</del> wieder<add xml:id="substAdd3_b49r" place="inline" rend="insMExt" seq="2"> einmal</add></add> zu einem großen Erfolge <subst xml:id="b49r_subst_d2e172"><add place="above" xml:id="b49r_add_d2e173">bringt</add><del rend="hatching">kommt</del></subst> (die religiöse Neurose <subst xml:id="b49r_subst_d2e178"><add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e179"><hi rend="underline">erscheint</hi> als eine</add><del rend="hatching">ist</del></subst> eine Form des
<lb n="12" xml:id="b49r_lb12"/>„bösen Wesens“: daran ist kein Zweifel<subst xml:id="b49r_subst_d2e188"><add place="inline" xml:id="b49r_add_d2e189">.</add><add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e191"> Was sie ist? <hi rend="latin">Quaeritur</hi>.)</add><del rend="hatching">)</del></subst> In’s Große gerechnet, <subst xml:id="b49r_subst_d2e200"><add xml:id="substAdd4a_b49r" place="above" rend="insM" seq="2">so hat sich</add><del xml:id="substDel4a_b49r" rend="hatching" seq="2">was soll ein Arzt </del><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b49r_add_d2e205">das</add><del rend="hatching" seq="1"> vom</del></subst>
<lb n="14" xml:id="b49r_lb14"/>stematisirung aller Mittel der Gefühls-Ausschweifung<subst xml:id="b49r_subst_d2e255"><add place="inline" xml:id="b49r_add_d2e256">,</add><add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e258"> unter dem Schutz heiliger Absichten,</add><del rend="hatching">?</del></subst> auf eine furchtbare <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e263">und unvergeßliche</add> Weise in
<lb n="15" xml:id="b49r_lb15"/>die <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e268">ganze</add> Geschichte des Menschen eingeschrieben*; und <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e274">leider</add> <hi rend="underline">nicht</hi> <hi rend="underline">nur</hi> in seine Geschichte… Ich wüßte
<lb n="16" xml:id="b49r_lb16"/>kaum noch etwas Anderes geltend zu machen, was dermaaßen zerstörerisch der <hi rend="underline">Gesundheit</hi>
<lb n="17" xml:id="b49r_lb17"/>und Rassen-Kräftigkeit namentlich der Europäer zugesetzt hat als dies Ideal; man darf
<lb n="18" xml:id="b49r_lb18"/>es ohne alle Übertreibung <hi rend="underline">das</hi> <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e296"><hi rend="underline">eigentliche</hi></add> <hi rend="underline">Verhängniß</hi> in der Gesundheitsgeschichte des europäischen
<lb n="19" xml:id="b49r_lb19"/>Menschen nennen. Höchstens, daß seinem Einflusse noch der spezifisch-germanische Einfluß gleich<pc force="weak">-</pc>
<lb n="20" xml:id="b49r_lb20"/>zusetzen wäre: ich meine die Alcohol-Vergiftung Europa’s, welche streng mit dem politischen
<lb n="21" xml:id="b49r_lb21"/>und <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e313"><del rend="hatching">*dem</del></add> Rassen-Übergewicht <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e317"><del rend="hatching">oder @@@@</del></add> der Germanen bisher Schritt gehalten hat<add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e322"> (– wo sie ihr Blut einimpften, impften sie auch ihr Laster ein.)</add>. – Zudritt in der Reihe
<lb n="22" xml:id="b49r_lb22"/>wäre die Syphilis zu nennen, – <hi rend="latin">magno sed proxima intervallo</hi>.
<lb n="24" xml:id="b49r_lb24"/>Der asketische Priester hat die seelische Gesundheit verdorben, wo er auch nur zur Herr<pc force="weak">-</pc><add place="below" instant="true" xml:id="b49r_add_d2e352">schaft</add>
<lb n="1" xml:id="b54r_lb1"/>daß die Wissenschaft als Ganzes heute ein Ziel, einen Willen, ein Ideal, eine Leidenschaft
<lb n="2" xml:id="b54r_lb2"/>des großen Glaubens habe. Das Gegentheil, wie gesagt, ist der Fall: wo sie nicht die jüngste
<lb n="3" xml:id="b54r_lb3"/>Erscheinungsform des asketischen Ideals ist, – es handelt sich da um zu seltne, vornehme, aus<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b54r_lb4"/>gesuchte Fälle, als daß damit das Gesammturtheil umgebogen werden könnte – ist die Wissenschaft
<lb n="5" xml:id="b54r_lb5"/>heute ein <hi rend="underline">Versteck</hi> für alle Art Mißmuth, Unglauben, Nagewurm, <hi rend="latin">despectio sui</hi>, schlechtes Ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="6" xml:id="b54r_lb6"/>wissen, – sie ist die <hi rend="underline">Unruhe</hi> der Ideallosigkeit selbst, das Leiden am <hi rend="underline">Mangel</hi> der großen
<lb n="7" xml:id="b54r_lb7"/>Liebe, das Ungenügen an einer <hi rend="underline">unfreiwilligen</hi> Genügsamkeit. Oh was verbirgt heute nicht
<lb n="8" xml:id="b54r_lb8"/>Alles Wissenschaft! wie viel <hi rend="underline">soll</hi> sie mindestens verbergen! Die Tüchtigkeit unsrer besten
<lb n="9" xml:id="b54r_lb9"/>Gelehrten, ihr besinnungsloser Fleiß, ihr Tag und Nacht rauchender Kopf, ihre Handwerks-Mei<pc force="weak">-</pc>
<lb n="10" xml:id="b54r_lb10"/>sterschaft selbst – wie oft hat das Alles seinen eigentlichen Sinn darin, <add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e94">sich selbst</add> irgend Etwas nicht <add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e97">mehr</add>
<lb n="11" xml:id="b54r_lb11"/>sichtbar werden zu lassen! Die Wissenschaft als Mittel der Selbst-Betäubung: <hi rend="underline">kennt</hi> <hi rend="underline">ihr</hi>
<lb n="12" xml:id="b54r_lb12"/><hi rend="underline">das</hi>?… Man verwundet <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b54r_add_d2e113"><add xml:id="substAdd1_b54r" place="inline" rend="insMExt" seq="2">sie </add>– <subst xml:id="b54r_subst_d2e117"><del rend="overwritten">j</del><add place="superimposed" xml:id="b54r_add_d2e120">J</add></subst>eder erfährt es, der mit Gelehrten umgeht –</add> mitunter durch ein harmloses Wort <add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e124"><del xml:id="substDel1_b54r" rend="hatching" seq="2">sie</del></add> bis auf d<subst xml:id="b54r_subst_d2e128"><del rend="overwritten">ie</del><add place="superimposed" xml:id="b54r_add_d2e131">en</add></subst> Knochen, man er<pc force="weak">-</pc>
<lb n="13" xml:id="b54r_lb13"/>bittert <subst xml:id="b54r_subst_d2e141"><add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e142">seine gelehrten Freunde</add><del rend="hatching">Menschen</del></subst> gegen sich, <subst xml:id="b54r_subst_d2e147"><add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e148">im Augenblick, wo man sie zu ehren meint,</add><del rend="hatching">indem man sie ehrt</del></subst>, man bringt sie außer Rand und Band, bloß
<lb n="14" xml:id="b54r_lb14"/>weil man zu grob war, um zu errathen, mit wem man es eigentlich zu thun hat<del rend="hatching">te</del>, mit <hi rend="underline">Lei</hi><pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="b54r_lb15"/><hi rend="underline">denden</hi>, die es sich selbst nicht eingestehn wollen, was sie sind, mit Betäubten und Besinnungs<pc force="weak">-</pc>
<lb n="16" xml:id="b54r_lb16"/>losen, die nur Eins fürchten: <hi rend="underline">zum</hi> <hi rend="underline">Bewußtsein</hi> <hi rend="underline">zu</hi> <hi rend="underline">kommen</hi>…
</p>
<ab xml:id="b49r_ab_d2e358">
<add xml:id="substAdd1_b49r">
<lb n="25" xml:id="b49r_lb25"/><add place="inline" rend="red-marking" instant="true" xml:id="b49r_add_d2e363"><metamark xml:id="mark1b_b49r" target="#mark1a_b49r">(+) </metamark></add>wir finden <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e367">als andre Form <subst xml:id="b49r_subst_d2e369"><add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e370">seines</add><del rend="hatching">@@@</del></subst> Nachspiels</add> furchtbare Lähmungen und <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e377">Dauer-</add>Depressionen, mit denen unter Umständen d<subst xml:id="b49r_subst_d2e380"><del rend="overwritten">er</del><add place="superimposed" xml:id="b49r_add_d2e383">as</add></subst> <add place="below" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e386">Temperament</add><del rend="hatching">Charakter</del> eines Volks oder
<lb n="26" xml:id="b49r_lb26"/>einer Stadt (Genf, Basel) <add place="above" rend="insM" xml:id="b49r_add_d2e394">ein für alle Mal</add> in sein Gegentheil u*mschlägt</add>
<lb n="18" rend="indent" xml:id="b54r_lb18"/>– Und nun sehe man sich dagegen jene seltneren Fälle an, von denen ich sprach, die letzten
<lb n="19" xml:id="b54r_lb19"/>Idealisten, die es heute unter Philosophen und Gelehrten giebt: hat man in ihnen vielleicht
<lb n="20" xml:id="b54r_lb20"/>die <add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e203">gesuchten</add> <hi rend="underline">Gegner</hi> des asketischen Ideals, seine <hi rend="underline">Gegen-Idealisten</hi>? In der That, sie <hi rend="underline">glauben</hi> sich
<lb n="21" xml:id="b54r_lb21"/>als solche, diese „Ungläubigen“ (denn das sind sie allesammt), es scheint gerade das ihr letzte<subst xml:id="b54r_subst_d2e218"><del rend="overwritten">r</del><add place="superimposed" xml:id="b54r_add_d2e221">s</add> <add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e224">Stück</add></subst>
<lb n="22" xml:id="b54r_lb22"/>Glaube, <subst xml:id="b54r_subst_d2e229"><add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e230">Gegner dieses Ideals zu sein, so ernsthaft sind sie an dieser Stelle, so leidenschaftlich wird da gerade ihr Wort, ihre Gebärde:</add><del rend="hatching">so ernsthaft ist er, so leidenschaftlich äußert er sich mitunter</del></subst> – brauchte e<subst xml:id="b54r_subst_d2e236"><del rend="overwritten">r</del><add place="superimposed" xml:id="b54r_add_d2e239">s</add></subst> deshalb schon
<lb n="23" xml:id="b54r_lb23"/><hi rend="underline">wahr</hi> zu sein<add place="inline" xml:id="b54r_add_d2e248">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b54r_add_d2e250">was sie glauben</add></add>?… Wir „Erkennenden“ sind <add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e253">nachgerade</add> mißtrauisch gegen alle Art Gläubige; unser Miß<pc force="weak">-</pc>
<lb n="24" xml:id="b54r_lb24"/>trauen hat <subst xml:id="b54r_subst_d2e262"><add place="above" rend="insM" xml:id="b54r_add_d2e263">uns</add><del rend="hatching">sich</del></subst> allmählich darauf eingeübt, umgekehrt zu schließen, als man ehedem schloß:
<lb n="1" xml:id="b57r_lb1"/>insofern er diese „andre Welt“ bejaht, wie? muß er nicht eben damit ihr Gegenstück, diese
<lb n="2" xml:id="b57r_lb2"/>Welt, <hi rend="underline">unsre</hi> Welt <add place="inline" xml:id="b57r_add_d2e48">–</add> verneinen?… Es ist immer noch ein <hi rend="underline">metaphysischer</hi> <hi rend="underline">Glaube</hi>, auf dem un<pc force="weak">-</pc>
<lb n="3" xml:id="b57r_lb3"/>ser Glaube an die Wissenschaft ruht, – auch wir Erkennenden von Heute, wir Gottlosen und
<lb n="4" xml:id="b57r_lb4"/>Antimetaphysiker, auch wir nehmen <hi rend="underline">unser</hi> Feuer noch von jenem Brande, den ein Jahr<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="b57r_lb5"/>tausende alter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato’s
<lb n="6" xml:id="b57r_lb6"/>war, daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit <hi rend="underline">göttlich</hi> ist… Aber wie, wenn <subst xml:id="b57r_subst_d2e79"><add place="above" rend="insM" xml:id="b57r_add_d2e80">dies</add><del rend="hatching">Dies</del></subst>
<lb n="7" xml:id="b57r_lb7"/>gerade immer mehr unglaubwürdig wird, wenn Nichts sich mehr als göttlich erweist, es sei
<lb n="8" xml:id="b57r_lb8"/>denn der Irrthum, die Blindheit, die Lüge, – wenn Gott selbst sich als unsre <hi rend="underline">längste</hi>
<lb n="9" xml:id="b57r_lb9"/><hi rend="underline">Lüge</hi> erweist?“ – – An dieser Stelle thut es Noth, Halt zu machen und sich lange zu be<pc force="weak">-</pc>
<lb n="10" xml:id="b57r_lb10"/>sinnen. Die Wissenschaft selber <hi rend="underline">bedarf</hi> nunmehr einer Rechtfertigung<subst xml:id="b57r_subst_d2e106"><del rend="strikethrough" cause="insM">.</del><add place="above" rend="insM" xml:id="b57r_add_d2e109"> (womit noch nicht einmal gesagt sein soll, daß es eine solche für sie giebt).</add> <del rend="hatching">Es gab bisher keine </del><add place="above" xml:id="b57r_add_d2e114">Man sehe sich auf </add>
<lb n="11" xml:id="b57r_lb11"/><del rend="hatching">Philosophie, welche im Stande gewesen wäre, dies Bedürfniß, daß</del><add place="above" rend="insM" xml:id="b57r_add_d2e120">diese Frage die ältesten und die jüngsten Philosophien an: in ihnen allen fehlt ein Bewußtsein darüber, inwiefern</add></subst> der Wille zur Wahr<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="b57r_lb12"/>heit <add place="above" rend="insM" xml:id="b57r_add_d2e128">selbst erst</add> einer <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="170"/>Rechtfertigung bedarf, <del rend="hatching">zu begreifen<add place="inline" xml:id="b57r_add_d2e135">*;</add></del> <add place="above" rend="insM" xml:id="b57r_add_d2e139">hier ist eine Lücke in jeder Philosophie</add> – woher k<subst xml:id="b57r_subst_d2e142"><del rend="overwritten">a</del><add place="superimposed" xml:id="b57r_add_d2e145">o</add></subst>m<add place="inline" xml:id="b57r_add_d2e148">mt</add> das? Weil das asketische
<lb n="13" xml:id="b57r_lb13"/>Ideal über alle Philosophie bisher <hi rend="underline">Herr</hi> war, weil Wahrheit als Sein, als Gott, als o<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="b57r_lb14"/>berste Instanz selbst gesetzt wurde, weil Wahrheit gar nicht Problem sein <hi rend="underline">durfte</hi>. Ver<pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="b57r_lb15"/>steht man dies „durfte“? – Von dem Augenblick an, wo der Glaube an den Gott
<lb n="16" xml:id="b57r_lb16"/>des asketischen Ideals verneint ist, <hi rend="underline">giebt</hi> <hi rend="underline">es</hi> <hi rend="underline">auch</hi> <hi rend="underline">ein</hi> <hi rend="underline">neues</hi> <hi rend="underline">Problem</hi>: das vom <hi rend="underline">Wer</hi><pc force="weak">-</pc>
<lb n="17" xml:id="b57r_lb17"/><hi rend="underline">the</hi> der Wahrheit. – Der Wille zur Wahrheit bedarf einer Kritik<subst xml:id="b57r_subst_d2e201"><del rend="strikethrough" cause="insM">,</del><add place="above" rend="insM" xml:id="b57r_add_d2e204"> – bestimmen wir hiermit unsre eigene Aufgabe –,</add></subst> der Werth der
<lb n="18" xml:id="b57r_lb18"/>Wahrheit ist <add place="above" rend="insM" xml:id="b57r_add_d2e209">versuchsweise</add> einmal <hi rend="underline">in</hi> <hi rend="underline">Frage</hi> <hi rend="underline">zu</hi> <hi rend="underline">stellen</hi>… <subst xml:id="b57r_subst_d2e225"><add place="inline" seq="1" change="version0" xml:id="b57r_add_d2e226"><subst xml:id="b57r_subst_d2e227"><del rend="hatching" seq="2">(Ich bitte hierzu</del><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="b57r_add_d2e230">(Wem dies zu kurz gesagt <subst xml:id="b57r_subst_d2e232"><del rend="overwritten" seq="3">ist,</del><add place="superimposed" seq="3" xml:id="b57r_add_d2e235">scheint,</add></subst> dem sei empfohlen, <add place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="b57r_add_d2e238">*jenen</add></add></subst> <del rend="hatching" seq="3">den</del> <del rend="hatching" seq="3">ganzen</del> Abschnitt </add>
<lb n="19" xml:id="b57r_lb19"/><add place="inline" seq="1" change="version0" xml:id="b57r_add_d2e249">der „fröhlichen Wissenschaft“ nachzulesen, <subst xml:id="b57r_subst_d2e251"><add place="above" rend="insM" seq="3" xml:id="b57r_add_d2e252">welcher</add><del rend="hatching" seq="3">der </del></subst></add><del rend="hatching" seq="1" change="version0"><seg type="head">25.</seg></del><add place="inline" seq="1" change="version0" xml:id="b57r_add_d2e259"> den Titel trägt: „Inwiefern auch wir noch </add>
<lb type="addLine" n="20" xml:id="b57r_lb20"/><add place="inline" seq="1" change="version0" xml:id="b57r_add_d2e263">fromm sind“<del rend="hatching">.</del> S. 260 ff.<subst xml:id="b57r_subst_d2e268"><del rend="hatching" seq="2">)</del> <add place="inline" seq="2" xml:id="b57r_add_d2e272"><add place="above" rend="insM" seq="3" xml:id="b57r_add_d2e273">am besten das ganze fünfte Buch des genannten Werks,</add> insgleichen die Vorrede zur „Morgenröthe“.)</add></subst></add></subst>
<lb n="22" rend="indent" xml:id="b57r_lb22"/>Nein! Man komme mir nicht mit der Wissenschaft, wenn ich nach dem natürlichen Anta<pc force="weak">-</pc>
<lb n="23" xml:id="b57r_lb23"/>gonisten des asketischen Ideals suche, wenn ich frage: „<hi rend="underline">wo</hi> ist der gegnerische Wille, in dem
<lb n="24" xml:id="b57r_lb24"/>sich sein <hi rend="underline">gegnerisches</hi> <hi rend="underline">Ideal</hi> ausdrückt?“ Dazu steht die Wissenschaft lange nicht genug
<lb n="4" xml:id="b60r_lb4"/>keineswegs nur die Astronomie, über deren demüthigende und <restore type="hatching"><hi rend="underline">herunterbringende</hi></restore> Wirkung
<lb n="50" xml:id="b60r_lb50"/>Kant ein bemerkenswerthes Geständniß gemacht hat „sie vernichtet meine Wichtigkeit..“) <subst xml:id="b60r_subst_d2e94"><add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e95">alle</add><del rend="hatching">ist heu<pc force="weak">-</pc></del>
<lb n="6" xml:id="b60r_lb6"/><add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e103">Wissenschaft, die natürliche sowohl wie die <hi rend="underline">unnatürliche</hi> – so heiße ich die Erkenntniß-Selbstkritik – ist heute</add><del rend="hatching">te</del></subst> darauf aus, dem Menschen seine bisherige Achtung <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="174"/>vor sich auszureden, wie als ob dieselbe
<lb n="7" xml:id="b60r_lb7"/>nichts als ein bizarrer Eigendünkel gewesen sei; man könnte <subst xml:id="b60r_subst_d2e115"><add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e116">sogar</add><del rend="hatching">selbst</del></subst> sagen, sie habe ihren
<lb n="8" xml:id="b60r_lb8"/>eigenen Stolz, ihre <add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e123">eigene</add> herbe Form <subst xml:id="subst1a_b60r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e128">von</add><del rend="hatching">der</del></subst> stoische<subst xml:id="subst1b_b60r" seq="1"><del rend="overwritten">n</del><add place="superimposed" xml:id="b60r_add_d2e136">r</add></subst> Ataraxie darin, diese mühsam errungene
<lb n="9" xml:id="b60r_lb9"/><hi rend="underline">Selbstverachtung</hi> des Menschen als dessen letzten, ernstesten Anspruch auf Achtung bei sich <add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e143">selbst</add>
<lb n="10" xml:id="b60r_lb10"/>aufrecht zu erhalten (mit Recht, in der That: denn der Verachtende ist immer noch
<lb n="11" xml:id="b60r_lb11"/>einer, der „das Achten nicht verlernt hat“…) Wird damit dem asketischen Ideale <add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e151">eigentlich</add> <hi rend="underline">ent</hi><pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="b60r_lb12"/><hi rend="underline">gegengearbeitet</hi>? <del rend="hatching">–</del> Meint man <subst xml:id="b60r_subst_d2e167"><add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e168">wirklich alles Ernstes<add place="inline" rend="insMExt" xml:id="b60r_add_d2e170"> noch<add place="inline" rend="insMExt" xml:id="b60r_add_d2e172"> (wie es die Theologen eine Zeit lang sich einbildeten)</add></add></add><del rend="hatching">ernsthaft</del></subst>, daß etwa Kants <hi rend="underline">Sieg</hi> über die theologische
<lb n="14" xml:id="b60r_lb14"/>habe? – wobei es uns einstweilen nichts angehn soll<del rend="hatching" instant="true">en</del>, ob <subst xml:id="b60r_subst_d2e187"><add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e188">Kant</add><del rend="hatching">er</del></subst> selber etwas Derartiges
<lb n="15" xml:id="b60r_lb15"/>überhaupt <add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e196">auch nur</add> in Absicht gehabt hat. Gewiß ist, daß alle Art Transcendentalisten seit Kant
<lb n="16" xml:id="b60r_lb16"/>wieder gewonnenes Spiel haben, – sie sind von den Theologen emancipirt: welches Glück! –
<lb n="17" xml:id="b60r_lb17"/>er hat ihnen jenen Schleichweg verrathen, auf dem sie nunmehr <add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e203">auf eigne Faust und</add> mit dem besten wis<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="b60r_lb18"/>senschaftlichen Anstande den „Wünschen ihres Herzens“ nachgehn dürfen<subst instant="true" change="version0" xml:id="b60r_subst_d2e212"><add place="inline" xml:id="b60r_add_d2e213">.</add><add place="above" rend="insM" xml:id="b60r_add_d2e215"> Insgleichen: wer dürfte </add><del rend="hatching"> – welchen Wünschen?</del></subst>
<lb n="19" xml:id="b60r_lb19"/>es nunmehr den Agnostikern verargen, wenn sie<add place="above" xml:id="b60r_add_d2e222"><del xml:id="substDel2_b60r" rend="hatching"> *jetzt</del></add>, als die Verehrer des Unbekannten
<lb n="21" xml:id="b60r_lb21"/>Alles, was der Mensch „erkennt“, seinen Wünschen nicht genugthut, ihnen vielmehr wi<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="b60r_lb22"/>derspricht und Schauder macht, welche göttliche Ausflucht, die <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="175"/>Schuld davon nicht im
<lb n="23" xml:id="b60r_lb23"/>„Wünschen“, sondern im „Erkennen“ suchen zu dürfen!… „Es giebt kein „Erkennen“:
<lb n="2" rend="indent" xml:id="b61r_lb2"/>– Oder zeigte vielleicht die gesammte moderne Geschichtsschreibung eine lebensgewissere, ideal<pc force="weak">-</pc>
<lb n="3" xml:id="b61r_lb3"/>gewissere Haltung? Ihr vornehmster Anspruch geht <add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e76">jetzt</add> dahin, <hi rend="underline">Spiegel</hi> zu sein; sie lehnt alle Te<pc force="weak">-</pc>
<lb n="4" xml:id="b61r_lb4"/>leologie ab; sie will nichts mehr „beweisen“; sie verschmäht es, den Richter <retrace>z</retrace>u spielen und
<lb n="5" xml:id="b61r_lb5"/>hat darin ihren guten Geschmack, – sie bejaht so wenig als sie verneint, sie stellt fest,
<lb n="6" xml:id="b61r_lb6"/>sie „beschreibt“… Dies Alles ist in einem hohen Grade asketisch; es ist aber zugleich in
<lb n="7" xml:id="b61r_lb7"/>einem noch höheren Grade <hi rend="underline">nihilistisch</hi>, darüber täusche man sich nicht! Man sieht einen
<lb n="8" xml:id="b61r_lb8"/>traurigen, harten, aber entschlossenen Blick, – ein Auge, das <hi rend="underline">hinausschaut</hi>, wie ein ver<pc force="weak">-</pc>
<lb n="9" xml:id="b61r_lb9"/>einsamter Nordpolfahrer hinausschaut (vielleicht um nicht hineinzuschauen? um nicht zu<pc force="weak">-</pc>
<lb n="10" xml:id="b61r_lb10"/>rückzuschauen?…) Hier ist Schnee, hier ist das Leben verstummt; die letzten Krä<pc force="weak">-</pc>
<lb n="11" xml:id="b61r_lb11"/>hen, die hier laut<del rend="hatching">en</del> werden, heißen „<subst xml:id="b61r_subst_d2e124"><del rend="overwritten">w</del><add place="superimposed" xml:id="b61r_add_d2e127">W</add></subst>ozu?“, „<subst xml:id="b61r_subst_d2e130"><del rend="overwritten">u</del><add place="superimposed" xml:id="b61r_add_d2e133">U</add></subst>msonst!“, „Nada!“ – hier gedeiht
<lb n="12" xml:id="b61r_lb12"/>und wächst <subst xml:id="b61r_subst_d2e139"><del rend="overwritten">n</del><add place="superimposed" xml:id="b61r_add_d2e142">N</add></subst>ichts mehr, höchstens Petersburger Metaphysik <subst xml:id="b61r_subst_d2e145"><del rend="strikethrough" cause="insM">.</del><add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e148"> und <hi rend="latin">Dostoijewsky</hi>.</add></subst> <subst xml:id="b61r_subst_d2e154"><del rend="hatching">Und, was</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e158">Was aber jene</add> <del rend="hatching">eine</del></subst> andre Art
<lb n="13" xml:id="b61r_lb13"/>von Historikern betrifft, eine vielleicht noch „modernere“ Art, eine genüßliche<del xml:id="substDel1a_b61r" rend="hatching" seq="1">re</del>, wol<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="b61r_lb14"/>lüstige<del xml:id="substDel1b_b61r" rend="hatching" seq="1">re</del>, <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b61r_add_d2e178">mit dem Leben <add place="above" rend="red-marking" seq="2" xml:id="b61r_add_d2e180"><metamark xml:id="mark1a_b61r" target="#mark1b_b61r #substAdd2_b61r">(+)</metamark></add> liebäugelnde<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b61r_add_d2e184"> Art,</add></add> welche <subst xml:id="subst3a_b61r" seq="2"><del rend="hatching">mit dem</del><add place="below" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e190">das</add></subst> Wort „Artist“ <subst xml:id="subst3b_b61r" seq="2"><add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e194">als Handschuh gebraucht<anchor xml:id="appAnchor_b61r14"/></add><del rend="hatching">Mißbrauch treibt</del></subst> und <subst xml:id="b61r_subst_d2e201"><add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e202">heute</add><del rend="hatching">frech genug</del></subst> das Lob der
<lb n="15" xml:id="b61r_lb15"/>Contemplation ganz und gar für sich in Pacht genommen hat: oh welchen Durst erregen<add place="above" xml:id="b61r_add_d2e209"><del rend="hatching">gerade</del></add>
<lb n="16" xml:id="b61r_lb16"/>diese <del rend="hatching">süßlichen</del> <del rend="hatching">Feiglinge</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e222">süßen Geistreichen</add> <add place="above" xml:id="b61r_add_d2e225">selbst noch</add> nach Asketen und Winterlandschaften! Nein! <del rend="hatching">gegen</del> dies „be<pc force="weak">-</pc>
<lb n="17" xml:id="b61r_lb17"/>schau<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="176"/>liche“ Volk mag <add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e240">sich</add> der Teufel holen! Um wie viel lieber will ich noch <subst xml:id="b61r_subst_d2e243"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b61r_add_d2e244">mit jenen <del rend="hatching" seq="3">And<add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="b61r_add_d2e248"><del rend="hatching" seq="3">@@@</del></add><del rend="hatching">*eren</del></del></add> <del rend="hatching" seq="3">durch die</del>
<lb n="18" xml:id="b61r_lb18"/><add place="above" rend="insM" seq="3" xml:id="b61r_add_d2e259">historischen Nihilisten durch die </add></subst>düstersten grauen <add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e262">kalten</add> Nebel wande<subst xml:id="b61r_subst_d2e265"><add place="above" rend="insM" xml:id="b61r_add_d2e266">rn</add><del rend="hatching">ln</del></subst><add place="inline" xml:id="b61r_add_d2e270">!</add><del rend="hatching">;</del><add place="inline" xml:id="b61r_add_d2e275"> –</add> ja, es soll mir nicht darauf ankommen, gesetzt,
<lb n="22" xml:id="b61r_lb22"/>mer sind die „Beschaulichen“ –: ich wüßte Nichts, was so sehr Ekel machte, als solch ein
<lb n="23" xml:id="b61r_lb23"/>„objektiver“ Lehnstuhl, solch ein duftender Genüßling vor der Historie, halb Pfaff, halb
<lb n="24" xml:id="b61r_lb24"/>Satyr, Parf<subst xml:id="b61r_subst_d2e375"><del rend="overwritten">ü</del><add place="superimposed" xml:id="b61r_add_d2e378">u</add></subst>m <hi rend="latin">Renan</hi>, der schon mit dem hohen Falsett seines Beifalls verräth,
<lb n="1" xml:id="b66r_lb1"/><del xml:id="substDel1a_b66r" hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#GM0326belatedMod"><del rend="hatching">zugleich<anchor xml:id="appAnchor_b66r1a"/></del> krank ist.<subst xml:id="b66r_subst_d2e94"><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b66r_add_d2e95"><del xml:id="substDel1b_b66r" hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#GM0326belatedMod">„<hi rend="latin">Cette race douce énergique meditative et passioné</hi>“<anchor xml:id="appAnchor_b66r1b"/> – wo ist sie hin! wo </del><subst xml:id="b66r_subst_d2e103"><add place="above" rend="insM" seq="2" xml:id="b66r_add_d2e104"><del xml:id="substDel1bb_b66r" hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#GM0326belatedMod">sind die Deutschen hin!<add place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="b66r_add_d2e107">…</add></del></add><del rend="hatching" seq="2">ist sie hin!…)</del></subst></add><del rend="hatching" seq="1">)</del><del rend="hatching" seq="1">Dergleichen</del><add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b66r_add_d2e115">Der idealistische Schwindel</add></subst> verdirbt nicht nur in Deutschland die Luft, es verdirbt</del>
<lb n="2" xml:id="b66r_lb2"/><del xml:id="substDel1c_b66r" hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#GM0326belatedMod">heute in ganz Europa die Luft, – Europa ist auf eine peinliche Weise heute fruchtbar in</del>
<lb n="3" xml:id="b66r_lb3"/><del xml:id="substDel1d_b66r" hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#GM0326belatedMod"><hi rend="underline">Übelriechendem</hi></del>. Ich möchte wissen, <seg xml:id="copiedSeg1_b66r" corresp="#copy2_b65r">wie viele Schiffsladungen von <choice xml:id="b66r_choice_d2e131"><sic>nachgemachten</sic><corr>nachgemachtem</corr></choice> Idealis<pc force="weak">-</pc>
<lb n="5" xml:id="b66r_lb5"/>christlich<subst xml:id="b66r_subst_d2e197"><add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e198">-moralischen</add><del rend="hatching">en</del></subst> Ideals heute aus Europa exportirt werden müßten, damit seine Luft wie<pc force="weak">-</pc>
<lb n="8" xml:id="b66r_lb8"/>hat Muth genug dazu? <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b66r_add_d2e273">– wir haben es in der <hi rend="underline">Hand</hi>, die ganze Erde zu „idealisiren“!<add place="inline" rend="insMExt" seq="2" xml:id="b66r_add_d2e278">…</add></add> – Aber was rede ich von Muth: hier thut Eins nur Noth, <add place="above" rend="insM" seq="3" xml:id="b66r_add_d2e281">eben die Hand, </add>
<lb n="25" xml:id="b61r_lb25"/><add place="inline" rend="red-marking" seq="2" instant="true" xml:id="b61r_add_d2e391"><metamark xml:id="mark1b_b61r" target="#mark1a_b61r">(+)</metamark></add> ebenso sehr als mit dem asketischen Ideal</add></ab>
<lb n="11" xml:id="b66r_lb11"/>– <subst xml:id="b66r_subst_d2e327"><add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e328">Genug! Genug! Lassen</add><del rend="hatching">Aber lassen</del></subst> wir diese Curiositäten und Complexitäten des modernsten Geistes, <add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e333">an denen ebensoviel zum Lachen als zum Verdrießen ist*:</add><del xml:id="substDel7a_b66r" rend="hatching" seq="1">deren</del>
<lb n="12" xml:id="b66r_lb12"/>gerade <hi rend="underline">unser</hi> Problem <add xml:id="substAdd7_b66r" place="above" rend="insM" seq="1">kann deren</add> entrathen<add place="inline" seq="2" xml:id="b66r_add_d2e347">, <add xml:id="substAdd8a_b66r" place="above" rend="insM" seq="2" instant="true">das Problem von der <hi rend="underline">Bedeutung</hi> des asketischen Ideals, – was hat dasselbe mit</add></add> <del xml:id="substDel7b_b66r" rend="hatching" seq="1">kann</del><del xml:id="substDel8a_b66r" rend="hatching" seq="2">, als ein Problem, das nicht von</del> Gestern und Heute
<lb n="13" xml:id="b66r_lb13"/><subst xml:id="b66r_subst_d2e361"><add xml:id="substAdd8b_b66r" place="above" rend="insM" seq="2">zu thun? <add place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="b66r_add_d2e364">Jene Dinge</add> <add xml:id="substDel9_b66r" place="inline" rend="insMExt" seq="4">sollen</add></add><del xml:id="substDel8b_b66r" rend="hatching" seq="2">ist:</del> <del rend="hatching" seq="3">dieselben</del> <del xml:id="substAdd9a_b66r" rend="hatching" seq="4">werden</del></subst> von mir in einem andren Zusammenhange gründlicher und härter ange<pc force="weak">-</pc>
<lb n="14" xml:id="b66r_lb14"/>faßt <add xml:id="substAdd9b_b66r" place="above" rend="insM" seq="4">werden</add> (unter dem Titel „Zur Gesc<retrace>h</retrace>ichte des europäischen Nihilismus“<subst xml:id="subst10a_b66r" seq="1"><del rend="overwritten">,</del><add place="superimposed" xml:id="b66r_add_d2e392">;</add></subst> <subst xml:id="subst10b_b66r" seq="1"><add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e397">ich verweise dafür auf mein in</add> <del rend="hatching">als zehntes Capitel meines</del>
<lb n="15" xml:id="b66r_lb15"/><add xml:id="b66r_add_d2e404">Vorbereitung befindliches</add><del rend="hatching">noch nicht veröffentlichten</del></subst> Hauptwerk<del xml:id="substDel10_b66r" rend="hatching" seq="1">s</del>: <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Wille</hi> <hi rend="underline">zur</hi> <hi rend="underline">Macht</hi>. Versuch einer Umwerthung aller
<lb n="16" xml:id="b66r_lb16"/>Werthe) Worauf es mir allein ankommt <add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e427">hier</add> <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="179"/>hingewiesen zu haben, ist dies: das asketische
<lb n="17" xml:id="b66r_lb17"/>Ideal hat auch in der geistigsten Sphäre einstweilen immer nur noch Eine Art von wirkli<pc force="weak">-</pc>
<lb n="18" xml:id="b66r_lb18"/>chen <add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e439">Feinden und</add> <hi rend="underline">Schädigern</hi>: das sind die Komödianten dieses Ideals, – denn sie wecken Mißtrauen.
<lb n="19" xml:id="b66r_lb19"/>Überall sonst, wo der Geist <add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e448">heute</add> streng, mächtig und ohne Fal<retrace>s</retrace>chmünzerei am Werke ist, <restore type="hatching"><hi rend="underline">entbehrt</hi></restore>
<lb n="20" xml:id="b66r_lb20"/><restore type="hatching"><hi rend="underline">er</hi></restore> <restore type="hatching"><hi rend="underline">jetzt</hi></restore> <add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e467"><restore type="hatching"><hi rend="underline">überhaupt</hi></restore></add> <restore type="hatching"><hi rend="underline">des</hi></restore> <restore type="hatching"><hi rend="underline">Ideals</hi></restore><add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e479"> – der populäre Ausdruck für diese Abstinenz ist „Atheismus“ –</add>: <hi rend="underline">abgerechnet</hi> <subst xml:id="b66r_subst_d2e486"><del rend="overwritten" seq="1"><hi rend="underline"><del rend="strikethrough" seq="1">des</del></hi></del><add place="superimposed" seq="1" xml:id="b66r_add_d2e491"><hi rend="underline">seines</hi></add></subst> <hi rend="underline">Willens</hi> <hi rend="underline">zur</hi> <hi rend="underline">Wahrheit</hi>. Dieser <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b66r_add_d2e504">Wille</add> aber, <add xml:id="substAdd11_b66r" place="above" rend="insM" seq="4">dieser <hi rend="underline">Rest</hi> <add place="inline" seq="4" xml:id="b66r_add_d2e513">von</add> Ideal, ist</add> wenn man mir
<lb n="21" xml:id="b66r_lb21"/>glauben will, <del xml:id="substDel11_b66r" rend="hatching" seq="4">ist</del> <add xml:id="substAdd12a_b66r" place="above" rend="insM" seq="2">jenes <seg xml:id="copiedSeg2a_b66r">Ideal selbst in seiner </seg><add place="below" rend="red-marking" seq="2" xml:id="b66r_add_d2e526"><metamark xml:id="mark3a_b66r" target="#mark3b_b66r #add2_b66r">(+)</metamark></add></add><del xml:id="substDel12a_b66r" rend="hatching" seq="2">selbst eine <hi rend="underline">Ausgeburt</hi> <hi rend="underline">jenes</hi> <hi rend="underline">Ideals</hi></del><add place="above" seq="1" xml:id="b66r_add_d2e539"><del xml:id="substDel12b_b66r" rend="hatching" seq="2"> – er ist seine <hi rend="underline">nothwendige</hi></del></add>. <seg xml:id="substDelSeg13b_b66r">Der unbedingte redliche Atheismus <add place="above" rend="insM" seq="1" xml:id="b66r_add_d2e551"><del rend="hatching" seq="2">die scheinbare Ideallosigkeit*,</del></add> –
<lb n="22" xml:id="b66r_lb22"/>und <hi rend="underline">seine</hi> Luft allein athmen wir, wir geistigeren Menschen dieses Zeitalters<subst xml:id="b66r_subst_d2e561"><add place="inline" xml:id="b66r_add_d2e562">!</add><del rend="hatching">,</del></subst> –</seg> <seg xml:id="copiedSeg3_b66r">steht</seg> <add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e571">demgemäß</add> <hi rend="underline">nicht</hi>
<lb n="23" xml:id="b66r_lb23"/>im Gegensatze zu jenem Ideale, wie <subst xml:id="b66r_subst_d2e579"><add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e580">es den Anschein hat</add><del rend="hatching">die Tölpel und Freigeister wähnen</del></subst>; er ist vielmehr
<lb n="24" xml:id="b66r_lb24"/>nur eine seiner <add place="above" rend="insM" xml:id="b66r_add_d2e588">letzten</add> Entwicklungsphasen, eine seiner Schlußformen und inneren Folgerichtig<pc force="weak">-</pc>
<lb n="1" xml:id="b69r_lb1"/>Leiden <hi rend="underline">ausgelegt</hi>; die ungeheure Leere schien ausgefüllt; die Thür schloß sich vor allem
<lb n="2" xml:id="b69r_lb2"/>selbstmörderischen <hi rend="latin">Nihilismus</hi><subst xml:id="b69r_subst_d2e65"><del rend="strikethrough" cause="insM">.</del><add place="above" rend="insM" xml:id="b69r_add_d2e68"> zu.</add></subst> Die Auslegung – es ist kein Zweifel – brachte neues
<lb n="3" xml:id="b69r_lb3"/>Leiden mit sich, tieferes, innerlicheres, giftigeres, am Leben nagenderes: sie brachte
<lb n="4" xml:id="b69r_lb4"/>alles Leiden unter die Perspektive der <hi rend="underline">Schuld</hi>… Aber trotzalledem – der Mensch war
<lb n="5" xml:id="b69r_lb5"/>damit <hi rend="underline">gerettet</hi>, er hatte einen <hi rend="underline">Sinn</hi>, er war fürderhin nicht mehr wie ein Blatt
<lb n="6" xml:id="b69r_lb6"/>im Winde, ein Spielball des Unsinns, des „Ohne-Sinns“, er konnte nunmehr etwas
<lb n="8" xml:id="b69r_lb8"/><hi rend="underline">gerettet</hi>. Man kann sich <add place="above" rend="insM" xml:id="b69r_add_d2e111">schlechterdings</add> nicht verbergen, <hi rend="underline">was</hi> eigentlich jenes ganze Wollen ausdrückt,
<lb n="9" xml:id="b69r_lb9"/>das vom asketischen Ideale her seine Richtung bekommen hat: dieser Haß gegen das
<lb n="10" xml:id="b69r_lb10"/>Menschliche, <seg xml:id="trans1_b69r">noch</seg> <metamark function="transposition" rend="transLine"/> <seg xml:id="trans2_b69r">mehr</seg> gegen das Thierische, <seg xml:id="trans3_b69r">noch</seg> <metamark function="transposition" rend="transLine"/> <seg xml:id="trans4_b69r">mehr</seg> gegen das Stoffliche, <del xml:id="substDel1a_b69r" rend="hatching" instant="true" change="#version0">dies Verlangen</del>
<lb n="11" xml:id="b69r_lb11"/><del xml:id="substDel1b_b69r" rend="hatching" instant="true" change="#version0">hinweg aus</del>, dieser Abscheu vor den Sinnen, vor der Vernunft selbst, diese Furcht vor
<lb n="12" xml:id="b69r_lb12"/>dem Glück<subst xml:id="b69r_subst_d2e148"><del rend="strikethrough" cause="insM">,</del><add place="above" rend="insM" xml:id="b69r_add_d2e151"> und der Schönheit,</add></subst> <seg xml:id="substAddSeg1_b69r">dieses Verlangen hinweg aus</seg> allem Schein, Wechsel, Werden, Tod, Wunsch, <subst xml:id="b69r_subst_d2e158"><add place="above" rend="insM" xml:id="b69r_add_d2e159">Ver<pc force="weak">-</pc></add><del rend="hatching">Wil</del><del rend="none"><pc force="weak">-</pc></del>
<lb n="13" xml:id="b69r_lb13"/><del rend="hatching">len</del> <add place="above" rend="insM" xml:id="b69r_add_d2e173">langen selbst</add></subst> – das Alles bedeutet<add place="inline" xml:id="b69r_add_d2e176">, <add place="above" rend="insM" instant="true" xml:id="b69r_add_d2e178"><del rend="strikethrough">,</del> daran ist nicht zu zweifeln,</add></add> einen <hi rend="underline">Willen</hi> <hi rend="underline">zum</hi> <hi rend="underline">Nichts</hi>, einen Widerwillen gegen das
<lb n="14" xml:id="b69r_lb14"/>Leben, <add place="above" rend="insM" xml:id="b69r_add_d2e195">eine Auflehnung</add> gegen die grundsätzlichsten Voraussetzungen des Lebens, aber es ist und bleibt
<lb n="15" xml:id="b69r_lb15"/>ein <hi rend="underline">Wille</hi>!… Und, um es noch zum Schluß zu sagen, was ich Anfangs sagte:
<lb n="16" xml:id="b69r_lb16"/>lieber will noch der Mensch <hi rend="underline">das</hi> <hi rend="underline">Nichts</hi> wollen als <hi rend="underline">nicht</hi> wollen…
<hi rend="separatingLine"/>
</p>
<ab xml:id="b66r_ab_d2e600">
<add xml:id="substAdd12b_b66r" seq="2">
<lb n="26" xml:id="b66r_lb26"/><add place="inline" rend="red-marking" seq="2" instant="true" xml:id="b66r_add_d2e605"><metamark xml:id="mark3b_b66r" target="#mark3a_b66r">(+)</metamark></add> <seg xml:id="copiedSeg2b_b66r">strengsten, geistigsten Formulirung,</seg> <subst xml:id="b66r_subst_d2e612"><add place="above" rend="insM" seq="3" xml:id="b66r_add_d2e613"><seg xml:id="substDelSeg13a_b66r"><add place="inline" rend="insMExt" seq="3" xml:id="b66r_add_d2e615"><subst xml:id="subst11_b66r"><add place="inline" rend="insMExt" seq="4" xml:id="b66r_add_d2e617">somit nicht sein Rest, sondern sein Kern </add><del xml:id="substDel11b_b66r" rend="hatching" seq="4">*somit</del><add place="inline" seq="4" xml:id="b66r_add_d2e621">,</add></subst></add> ganz und gar esoterisch, alles Aussenwerks entkleidet.</seg></add><del rend="hatching" seq="3">als dessen eigentlicher Esoterismus.</del></subst></add>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb3" start="#a2r_lb3" rend="indent" n="3">Wir sind uns unbekannt, wir Erkennenden, wir selbst uns selbst: das hat seinen guten Grund. Wir haben nie
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb4" start="#a2r_lb4" n="4">nach uns gesucht, – wie sollte es geschehn, daß wir eines Tags uns <hi rend="underline">fänden</hi>? Mit Recht hat man gesagt: „wo euer
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb5" start="#a2r_lb5" n="5">Schatz ist, da ist auch euer Herz“; <hi rend="underline">unser</hi> Schatz ist, wo die Bienenkörbe unsrer Erkenntniß stehn. Wir sind immer
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb6" start="#a2r_lb6" n="6">dazu unterwegs, als geborne Flügelthiere und Honigsammler des Geistes, wir kümmern uns von Herzen eigentlich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb7" start="#a2r_lb7" n="7">nur um Eins – etwas „heimzubringen“. Was das Leben sonst, die sogenannten „Erlebnisse“ angeht, – wer von uns
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb8" start="#a2r_lb8" n="8">hat dafür auch nur Ernst genug? Oder Zeit genug? Bei solchen Sachen waren wir, fürchte ich, nie recht „bei
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb9" start="#a2r_lb9" n="9">der Sache“: wir haben eben unser Herz nicht dort<del rend="overwritten" cause="#a2r_add_d2e80">
<del rend="strikethrough">,</del>
</del>
<add place="superimposed" corresp="#a2r_add_d2e80"> –</add> und nicht einmal unser Ohr! Vielmehr wie ein Göttlich-
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb10" start="#a2r_lb10" n="10">Zerstreuter und In-sich-Versenkter, dem die Glocke eben mit aller Macht ihre zwölf Schläge des Mittags in’s
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb11" start="#a2r_lb11" n="11">Ohr gedröhnt hat, mit Einem Male aufwacht und sich fragt „was hat es da eigentlich geschlagen?“ so reiben
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb12" start="#a2r_lb12" n="12">auch wir uns mitunter <hi rend="underline">hinterdrein</hi> die Ohren und fragen, ganz erstaunt, ganz betreten „was haben wir da
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb13" start="#a2r_lb13" n="13">eigentlich erlebt? mehr noch: wer <hi rend="underline">sind</hi> wir eigentlich?“ und zählen nach, hinterdrein, wie gesagt, alle <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="IV"/>die
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb14" start="#a2r_lb14" n="14">zitternden zwölf Glockenschläge unsres Erlebnisses, unsres Lebens, unsres <hi rend="underline">Seins</hi> – ach! und verzählen uns da<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb15" start="#a2r_lb15" n="15">bei… Wir bleiben uns eben nothwendig fremd, wir verstehn uns nicht, wir <hi rend="underline">müssen</hi> uns verwechseln, für
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb16" start="#a2r_lb16" n="16">uns heißt der Satz in alle Ewigkeit „Jeder ist sich selbst der Fernste“, – für uns sind wir keine „Erkennen<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb19" start="#a2r_lb19" n="19">– Meine Gedanken über die <hi rend="underline">Herkunft</hi> unsrer moralischen Vorurtheile – denn um sie handelt es sich in dieser Streit<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb20" start="#a2r_lb20" n="20">schrift – haben ihren ersten, sparsamen und vorläufigen Ausdruck in jener Aphorismen-Sammlung erhalten, die den
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb21" start="#a2r_lb21" n="21">Titel trägt „Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister<del rend="strikethrough" cert="high">.</del>“ und deren Niederschrift in Sorrent begonnen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb22" start="#a2r_lb22" n="22">wurde, während eines Winters, welcher es mir erlaubte, Halt zu machen wie ein Wandrer Halt macht, und das weite
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb23" start="#a2r_lb23" n="23">und gefährliche Land zu überschauen, durch das mein Geist bis dahin gewandert war. Dies geschah im Winter 1876
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb24" start="#a2r_lb24" n="24">-77; die Gedanken selbst sind älter. Es waren in der Hauptsache schon die gleichen Gedanken, die ich in den
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb25" start="#a2r_lb25" n="25">vorliegenden Abhandlungen wieder aufnehme: – hoffen wir, daß die lange Zwischenzeit ihnen gut gethan hat,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb26" start="#a2r_lb26" n="26">daß sie reifer, heller, stärker, vollkommner geworden sind! <hi rend="underline">Daß</hi> ich aber heute noch an ihnen festhalte, daß sie
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb27" start="#a2r_lb27" n="27">sich selber inzwischen immer fester an einander gehalten haben, ja in einander gewachsen und verwachsen sind, das
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb28" start="#a2r_lb28" n="28">stärkt in mir die frohe Zuversichtlichkeit, sie möchten von Anfang an in mir nicht einzeln, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="V"/>nicht beliebig, nicht spo<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb29" start="#a2r_lb29" n="29">radisch entstanden sein, sondern aus einer gemeinsamen Wurzel heraus, aus einem in der Tiefe gebietenden, im<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb30" start="#a2r_lb30" n="30">mer bestimmter redenden, immer Bestimmteres verlangenden <hi rend="underline">Grundwillen</hi> der Erkenntniß. So allein nämlich ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb31" start="#a2r_lb31" n="31">ziemt es sich bei einem Philosophen. Wir haben kein Recht darauf, irgend worin <hi rend="underline">einzeln</hi> zu sein: wir dürfen weder
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb32" start="#a2r_lb32" n="32">einzeln irren, noch einzeln die Wahrheit treffen. Vielmehr mit der Nothwendigkeit, mit der ein Baum seine
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb33" start="#a2r_lb33" n="33">Früchte trägt, wachsen aus uns unsre Gedanken, unsre Werthe, un<retrace>s</retrace>re Ja’s und Nein’s und Wenn’s und Ob’s –
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb34" start="#a2r_lb34" n="34">verwandt und bezüglich allesammt unter einander und Zeugnisse Eines Willens, Einer Gesundheit, Eines Erd<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb35" start="#a2r_lb35" n="35">reichs, Einer Sonne. – Ob sie <hi rend="underline">euch</hi> schmecken, diese unsre Früchte? – Aber was geht das die Bäume an!
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb36" start="#a2r_lb36" n="36">Was geht das <hi rend="underline">uns</hi> an, uns Philosophen!…
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb38" start="#a2r_lb38" n="38">Bei einer mir eignen Bedenklichkeit, die ich ungern eingestehe – sie bezieht sich nämlich auf die <hi rend="underline">Moral</hi>,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a2r_lb39" start="#a2r_lb39" n="39">auf Alles, was bisher auf Erden als Moral gefeiert worden ist –, einer Bedenklichkeit, <del rend="hatching">die</del> welche in meinem </line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb1" start="#a3r_lb1" n="1">abliegt (in der <hi rend="latin">Dr. Rée</hi>, gleich allen englischen Moralgenealogen, die moralische Werthungsweise <hi rend="underline">an</hi> <hi rend="underline">sich</hi> sieht); ins<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb2" start="#a3r_lb2" n="2">gleichen S. <del>29</del>74. <hi rend="latin">Wand.</hi> S. 29. <metamark xml:id="srcD_metamark_a3r_add_d2e64" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a3r_add_d2e64">
<hi rend="latin">Morgenr.</hi> S. 99</add>
</metamark> über die Herkunft der Gerechtigkeit als eines Ausgleichs zwischen ungefähr Gleich-
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb3" start="#a3r_lb3" n="3">Mächtigen (Gleichgewicht als Voraussetzung aller Verträge, folglich alles Rechts); insgleichen über die Herkunft der Strafe
<hi rend="latin">Wand.</hi> S. 25. 34. für die der terroristische Zweck, <metamark xml:id="srcD_metamark_a3r_add_d2e76" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb7" start="#a3r_lb7" rend="indent" n="7">Im Grunde lag mir gerade damals etwas viel Wichtigeres am Herzen als eignes oder fremdes Hypothesenwesen über den
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb8" start="#a3r_lb8" n="8">Ursprung der Moral (oder vielmehr: das letztere nur um eines Zweckes willen, zu dem es eins unter vielen Mit<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb9" start="#a3r_lb9" n="9">teln war) Es handelte sich für mich um den <hi rend="underline">Werth</hi> der Moral, – und darüber hatte ich mich fast allein mit meinem
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb10" start="#a3r_lb10" n="10">großen Lehrer Schopenhauer auseinanderzusetzen, an den wie an einen Gegenwärtigen jenes Buch, die Leidenschaft <choice corresp="#a3r_choice_d2e115">
</choice> der geheime Widerspruch jenes Buchs sich wendet <add place="inline" corresp="#a3r_add_d2e122">(</add>– denn auch jenes Buch war eine „Streitschrift.“) Es handelte sich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb12" start="#a3r_lb12" n="12">in Sonderheit um den Werth des „Unegoistischen“, der Mitleids- Selbstverläugnungs- Selbstopferungs-Instinkte, welche
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb13" start="#a3r_lb13" n="13">gerade Schopenhauer so lange vergoldet, vergöttlicht und verjenseitigt hatte, bis sie ihm schließlich als die „Werthe an
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb14" start="#a3r_lb14" n="14">sich“ übrig blieben, auf Grund deren er zum Leben, auch zu sich selbst, <hi rend="underline">Nein</hi> <hi rend="underline">sagte</hi>. Aber gerade gegen <hi rend="underline">diese</hi> In<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb15" start="#a3r_lb15" n="15">stinkte redete aus mir ein immer grundsätzlicherer Argwohn, eine immer tiefer grabende Skepsis! Gerade hier sah
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb16" start="#a3r_lb16" n="16">ich die <hi rend="underline">große</hi> Gefahr der Menschheit, ihre <choice corresp="#a3r_choice_d2e152">
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb17" start="#a3r_lb17" n="17">hier sah ich den Anfang vom Ende, das Stehenbleiben, die nihilistische Müdigkeit, den Willen <hi rend="underline">gegen</hi> das Leben
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb18" start="#a3r_lb18" n="18">sich wendend, die letzte Krankheit sich zärtlich und schwermüthig ankündigend: ich <metamark xml:id="srcD_metamark_a3r_add_d2e164" function="insertion">
<del rend="hatching">begriff</del> die immer mehr um sich grei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb19" start="#a3r_lb19" n="19">fende Mitleids-Moral, welche selbst die Philosophen ergriff und krank machte, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="X"/>als das unheimlichste Symptom einer
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb20" start="#a3r_lb20" n="20">unheimlich gewordnen europäischen Cultur, als ihren Umweg – zum Nihilismus?… Zu einem neuen Buddhis<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb21" start="#a3r_lb21" n="21">mus, einem Zukunfts-Buddhismus?… Diese moderne Philosophen-Bevorzugung und Überschätzung des Mitlei<metamark xml:id="srcD_metamark_a3r_add_d2e186" function="insertion" rend="inWord">
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb22" start="#a3r_lb22" n="22">nämlich etwas Neues: gerade über den <hi rend="underline">Unwerth</hi> des Mitleidens waren bisher die Philosophen übereingekommen.
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb23" start="#a3r_lb23" n="23">Ich nenne nur Plato, Spinoza, <choice corresp="#a3r_choice_d2e198">
<seg corresp="#trans1_a3r">Eins</seg> <metamark function="transposition" rend="transLine"/> <seg corresp="#trans2_a3r">in Einem</seg>: in der Geringschätzung des Mitleidens. –
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb26" start="#a3r_lb26" rend="indent" n="26">Dies Problem vom <hi rend="underline">Werthe</hi> des Mitleids und der Mitleids-Moral <metamark xml:id="srcD_metamark_a3r_add_d2e237" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#a3r_add_d2e237" style="left:-7.5em;">(– <add corresp="#a3r_add_d2e240" style="left:0em;top:-3.0274em;" place="above" hand="#typesetter_black1">ich bin ein Gegner der schändlichen modernen Gefühlsverweichlichung –</add>
</metamark> scheint zunächst nur etwas Vereinzeltes, ein Frage<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb27" start="#a3r_lb27" n="27">zeichen für sich; wer aber einmal hier hängen bleibt, hier fragen <hi rend="underline">lernt</hi>, dem wird es gehn, wie es mir ergangen ist –
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb28" start="#a3r_lb28" n="28">eine ungeheure neue Aussicht thut sich ihm auf, eine Möglichkeit faßt ihn wie ein Schwindel, jede Art Mißtrauen,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb29" start="#a3r_lb29" n="29">Argwohn, Furcht springt hervor, der Glaube an die Moral, an alle Moral wankt, – endlich wird eine neue Forderung
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb30" start="#a3r_lb30" n="30">laut. Sprechen wir sie aus, diese <hi rend="underline">neue</hi> <hi rend="underline">Forderung</hi>: wir haben eine <hi rend="underline">Kritik</hi> der moralischen Werthe nöthig, <hi rend="underline">der</hi>
<hi rend="underline">Werth</hi> <hi rend="underline">dieser</hi> <hi rend="underline">Werthe</hi> <hi rend="underline">ist</hi> <hi rend="underline">selbst</hi> <hi rend="underline">erst</hi> <hi rend="underline">einmal</hi> <hi rend="underline">in</hi> <hi rend="underline">Frage</hi> <hi rend="underline">zu</hi> <hi rend="underline">stellen</hi> – und dazu thut eine Kenntniß der Bedingungen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb32" start="#a3r_lb32" n="32">und Umstände noth, aus denen sie gewachsen, unter denen sie sich ent<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="XI"/>wickelt und verschoben haben (Moral als
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb33" start="#a3r_lb33" n="33">Folge, als Symptom, als Maske, als Tartüfferie, als Krankheit, als Mißverständniß, aber auch Moral als Ursache, als
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb34" start="#a3r_lb34" n="34">Heilmittel, als <hi rend="latin">Stimulans</hi>, als Hemmung, als Gift), wie eine solche Kenntniß weder bis jetzt da war, noch auch nur
</line>
<line xml:id="srcD_line_a3r_lb35" start="#a3r_lb35" n="35">begehrt worden ist. Man nahm den <hi rend="underline">Werth</hi> dieser „Werthe“ als gegeben, als thatsächlich, als jenseits aller In-Fra<pc force="weak">-</pc>
<add place="superimposed" corresp="#a3r_add_d2e358">St</add>ellung; man hat bisher auch nicht im Entferntesten daran gezweifelt und geschwankt, <add place="inline" corresp="#a3r_add_d2e362">„</add>den <del rend="strikethrough">„</del>Guten“ <metamark xml:id="srcD_metamark_a3r_add_d2e369" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb3" start="#a4r_lb3" rend="indent" hand="#N_black2" n="3">– Wenn diese Schrift irgend Jemandem unverständlich ist und schlecht zu Ohren geht,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb4" start="#a4r_lb4" hand="#N_black2" n="4">so liegt die Schuld, wie mich dünkt, nicht nothwendig an mir. Sie ist deutlich genug,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb5" start="#a4r_lb5" hand="#N_black2" n="5">vorausgesetzt, was ich voraussetze, daß man zuerst meine früheren Schriften <del corresp="#substDel1a_a4r" rend="hatching">Zeile für</del>
<del corresp="#substDel1b_a4r" rend="hatching">Zeile</del> gelesen und einige Mühe dabei nicht gespart hat: diese sind in der That nicht
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb7" start="#a4r_lb7" hand="#N_black2" n="7">leicht zugänglich. Was zum Beispiel meinen „Zarathustra“ anbetrifft, so lasse ich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb8" start="#a4r_lb8" hand="#N_black2" n="8">Niemanden als dessen Kenner gelten, den nicht jedes seiner Worte irgendwann
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb10" start="#a4r_lb10" hand="#N_black2" n="10">len macht die aphoristische Form Schwierigkeit: sie liegt darin, daß man diese
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb11" start="#a4r_lb11" hand="#N_black2" n="11">Form heute <hi rend="underline">nicht</hi> <hi rend="underline">schwer</hi> <hi rend="underline">genug</hi> nimmt. Ein Aphorismus, rechtschaffen geprägt und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb12" start="#a4r_lb12" hand="#N_black2" n="12">ausgegossen, ist damit noch nicht „entziffert“, daß er abgelesen ist; vielmehr hat
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb13" start="#a4r_lb13" hand="#N_black2" n="13">nun erst dessen <hi rend="underline">Auslegung</hi> zu beginnen, zu der es einer Kunst der Auslegung
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb14" start="#a4r_lb14" hand="#N_black2" n="14">bedarf. Ich habe in der dritten Abhandlung dieses Buchs ein Muster von dem dar<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb15" start="#a4r_lb15" hand="#N_black2" n="15">geboten, was ich in einem solchen Falle „Auslegung“ nenne: – dieser Abhandlung ist
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb16" start="#a4r_lb16" hand="#N_black2" n="16">ein Aphorismus vorangestellt, sie selbst ist dessen Commentar. Freilich thut, um
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb17" start="#a4r_lb17" hand="#N_black2" n="17">dergestalt das Lesen als <hi rend="underline">Kunst</hi> zu üben, Eins vor Allem Noth, was heutzu<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb18" start="#a4r_lb18" hand="#N_black2" n="18">tage gerade am Besten verlernt worden ist – und darum hat es noch Zeit bis
</line>
<line xml:id="srcD_line_a4r_lb19" start="#a4r_lb19" hand="#N_black2" n="19">zur „Lesbarkeit“ meiner Schriften –, wozu man beinahe Kuh und jedenfalls
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb1" start="#a8r_lb1" n="1">Das dafür ausgeprägte Wort <hi rend="grc">ἐσϑλός</hi> bedeutet der Wurzel nach Einen, der <hi rend="underline">ist</hi>, der Realität hat, der wirklich ist, der wahr ist;
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb2" start="#a8r_lb2" n="2">dann, mit einer subjektiven Wendung, den Wahren als den Wahrhaftigen: in dieser Phase der Begriffs-Verwandlung wird
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb3" start="#a8r_lb3" n="3">es zum Schlag- und Stichwort des Adels und geht ganz und gar in den Sinn „adelig“ über, zur Abgrenzung vom <hi rend="underline">lügenhaften</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb4" start="#a8r_lb4" n="4">gemeinen Manne, so wie <hi rend="latin">Theognis</hi> ihn nimmt <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="8"/>und schildert – bis endlich das Wort, nach dem Niedergange des Adels, zur
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb5" start="#a8r_lb5" n="5">Bezeichnung der seelischen <hi rend="latin">noblesse</hi> übrig bleibt und gleichsam reif und süß wird. Im Worte <hi rend="grc">κακός</hi> <metamark xml:id="srcD_metamark_a8r_add_d2e92" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a8r_add_d2e92">wie in <hi rend="grc">δειλός</hi>
</add>
</metamark> (der Plebejer im
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb6" start="#a8r_lb6" n="6">Gegensatz zum <hi rend="grc">ἀγαϑός</hi>) ist die Feigheit unterstrichen: dies giebt vielleicht einen Wink, in welcher Richtung man die
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb7" start="#a8r_lb7" n="7">etymologische Herkunft des mehrfach deutbaren <hi rend="grc">ἀγαϑός</hi> zu suchen hat. Im lateinischen <hi rend="latin">malus</hi> (dem ich <hi rend="grc">μέλας</hi> zur Seite
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb8" start="#a8r_lb8" n="8">stelle) könnte der gemeine Mann als der Dunkelfarbige, vor allem als der Schwarzhaarige („<hi rend="latin">hic niger est</hi> –“) gekennzeich<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb9" start="#a8r_lb9" n="9">net sein, als der vorarische Insasse des italischen Bodens, der sich von der herrschend gewordnen blonden, nämlich arischen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb10" start="#a8r_lb10" n="10">Eroberer-Rasse durch die Farbe am deutlichsten abhob; wenigstens bot mir das Irische den genau entsprechenden Fall –
</hi> (zum Beispiel im Namen <hi rend="latin">Fin-Gal</hi>) das abzeichnende Wort des Adels, ursprünglich der Blondkopf, zuletzt der Gute,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb12" start="#a8r_lb12" n="12">Edle, Reine, im Gegensatz zu den dunklen schwarzhaarigen Ureinwohnern. Die Kelten, beiläufig gesagt, waren durch<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb13" start="#a8r_lb13" n="13">aus eine blonde Rasse; man thut Unrecht, wenn man jene Streifen einer wesentlich dunkel<del rend="hatching" instant="true">farbigen</del>haarigen Bevölke<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb14" start="#a8r_lb14" n="14">rung, die sich auf sorgfältigen ethnographischen Karten Deutschlands bemerkbar machen, mit irgend <choice corresp="#a8r_choice_d2e153">
<sic>welchen</sic>
<corr>welcher</corr>
</choice> keltischen Her<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb15" start="#a8r_lb15" n="15">kunft und Blutmischung in Zusammenhang bringt, wie dies noch <hi rend="latin">Virchow</hi> thut: vielmehr schlägt an diesen Stellen die
<hi rend="underline">vorarische</hi> Bevölkerung Deutschlands vor. (Das Gleiche gilt beinahe für ganz Europa: im Wesentlichen hat die unter<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb17" start="#a8r_lb17" n="17">worfne Rasse schließlich <metamark xml:id="srcD_metamark_a8r_add_d2e176" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> wieder die Oberhand bekommen, in Farbe, Kürze des Schädels, vielleicht sogar in den in<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb18" start="#a8r_lb18" n="18">tellektuellen und socialen Instinkten: wer steht uns dafür, <metamark xml:id="srcD_metamark_a8r_add_d2e185" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a8r_add_d2e193">der noch modernere</add>
</metamark> <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="9"/>Anarchismus und namentlich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb19" start="#a8r_lb19" n="19">jener Hang zur „<hi rend="latin">commune</hi>“, zur primitivsten Gesellschafts-Form, der allen Socialisten Europa’s <metamark xml:id="srcD_metamark_a8r_add_d2e204" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb21" start="#a8r_lb21" n="21">nische <hi rend="latin">bonus</hi> glaube ich als „den Krieger“ auslegen <del rend="overwritten" cause="#a8r_add_d2e276">d</del>
<add place="superimposed" corresp="#a8r_add_d2e276" instant="true">zu</add> dürfen: vorausgesetzt, daß ich mit Recht <hi rend="latin">bonus</hi> auf ein
<hi rend="latin">Bonus</hi> somit als Mann des Zwistes, der Entzweiung (<hi rend="latin">duo</hi>), als Kriegsmann: man sieht, was im alten Rom
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb24" start="#a8r_lb24" n="24">an einem Manne seine „Güte“ ausmachte. Unser deutsches „Gut“ selbst: sollte es nicht „den Göttlichen“, den
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb25" start="#a8r_lb25" n="25">Mann göttlichen Geschlechts bedeuten? Und mit dem Volks- (ursprünglich Adels-)Namen der Gothen identisch
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb26" start="#a8r_lb26" n="26">sein? Die Gründe zu dieser Vermuthung gehören nicht hierher. –
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb28" start="#a8r_lb28" n="28">Von dieser Regel, daß der politische Vorrangs-Begriff sich immer in einen seelischen Vorrangs-Begriff auslöst, macht es
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb29" start="#a8r_lb29" n="29">zunächst noch keine Ausnahme (obgleich es Anlaß zu Ausnahmen giebt), wenn die höchste Kaste zugleich die <hi rend="underline">priesterliche</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb30" start="#a8r_lb30" n="30">Kaste ist und folglich zu ihrer Gesammt-Bezeichnung ein Prädikat bevorzugt, <choice corresp="#a8r_choice_d2e348">
<sic>daß</sic>
<corr>das</corr>
</choice> an ihre priesterliche Funktion er<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb31" start="#a8r_lb31" n="31">innert. Da tritt zum Beispiel „rein“ und „unrein“ sich zum ersten Male als Ständeabzeichen gegenüber; und auch hier
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb32" start="#a8r_lb32" n="32">kommt später ein „gut“ und ein „schlecht“ in einem nicht mehr ständischen Sinne zur Entwicklung. Im Übrigen sei
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb33" start="#a8r_lb33" n="33">man davor gewarnt, diese Begriffe „rein“ und „unrein“ nicht von vornherein zu schwer, zu weit oder gar symbolisch zu neh<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb34" start="#a8r_lb34" n="34">men: alle Begriffe <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="10"/>der älteren Menschheit sind vielmehr <metamark xml:id="srcD_metamark_a8r_add_d2e370" function="insertion" rend="inSpatium">
<del rend="hatching">zu verstehen</del>. Der „Reine“ ist von Anfang an bloß ein Mensch, der sich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb36" start="#a8r_lb36" n="36">wäscht, der sich gewisse Speisen verbietet, die Hautkrankheiten nach sich zieh<del rend="overwritten" cause="#a8r_add_d2e398">t</del>
<add place="superimposed" corresp="#a8r_add_d2e398" instant="true">n</add>, der nicht mit den schmutzigen Weibern
<add place="above" instant="true" corresp="#a8r_add_d2e406">der einen Abscheu vor Blut hat<anchor corresp="#appAnchor_a8r37"/>
</add>
</metamark>
</add> – nicht mehr, nicht viel mehr! Andrerseits erhellt es freilich aus der ganzen Art einer
</line>
<line xml:id="srcD_line_a8r_lb38" start="#a8r_lb38" n="38">wesentlich priesterlichen Aristokratie, warum hier gerade frühzeitig sich die Werthungs-Gegensätze <del rend="hatching">leicht</del> auf eine ge<pc force="weak">-</pc>
</metamark> Klüfte zwischen Mensch und Mensch aufgerissen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb2" start="#a9r_lb2" n="2">worden, über die selbst ein Achill der Freigeisterei nicht <del rend="hatching">mehr</del> ohne Schauder hinwegsetzen wird. Es ist <metamark xml:id="srcD_metamark_a9r_add_d2e87" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a9r_add_d2e87">von Anfang an</add>
<del rend="hatching">Methoden!</del> Denken wir zum Beispiel an gewisse Diätformen (Ver<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb8" start="#a9r_lb8" n="8">meidung des Fleisches), an das Fasten, an die geschlechtliche Enthaltsamkeit, an die Flucht „in die Wüste“ (<hi rend="latin">Weir Mit</hi>
<hi rend="latin">chell</hi>’sche Isolirung, freilich ohne die <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="11"/>darauf folgende Mastkur und Überernährung, in der das wirksamste Gegenmittel
</metamark> des Fakirs und Brahmanen <metamark xml:id="srcD_metamark_a9r_add_d2e240" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#a9r_add_d2e240" style="left:-8.125em;">– <hi rend="latin">Brahman</hi> als gläserner Knopf und fixe Idee benutzt –</add>
</metamark> und das schließliche <del rend="hatching" instant="true">allgemeine Satthaben und Verlangen nach einer <hi rend="latin">unio my</hi>
<pc force="weak">-</pc>
</del>
<add corresp="#a9r_add_d2e253" style="left:-20em;top:-1.5em;" place="above" instant="true">nur zu begreifliche allgemeine Satthaben mit seiner <choice corresp="#a9r_choice_d2e255">
<add place="above" instant="true" corresp="#a9r_add_d2e261">dem <hi rend="underline">Nich<retrace>t</retrace>s</hi> (oder Gott: – das Verlangen nach einer <hi rend="latin">unio mystica</hi> mit Gott ist das Verlangen des Buddhisten ins Nichts, <hi rend="latin">Nirvâna</hi>
<add place="inline" rend="insMExt" instant="false" corresp="#a9r_add_d2e278"> und nicht mehr!</add>
</add>
</metamark>
<del rend="hatching" instant="true">
<hi rend="latin">stica</hi>, sei es mit Gott, sei es mit dem Nichts (– es ist Ein Verlangen*)</del> <space unit="char" quantity="100"/> Bei den Priestern
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb14" start="#a9r_lb14" n="14">Billigkeit ließe sich allerdings auch hinzufügen, daß erst auf dem Boden dieser <hi rend="underline">wesentlich</hi> <hi rend="underline">gefährlichen</hi> Daseinsform des
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb15" start="#a9r_lb15" n="15">Menschen, der priesterlichen, der Mensch überhaupt <hi rend="underline">ein</hi> <metamark xml:id="srcD_metamark_a9r_add_d2e314" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a9r_add_d2e314">
<hi rend="underline">interessantes</hi>
</add>
</metamark>
<del rend="hatching">krankes</del> <hi rend="underline">Thier</hi> geworden ist, <del rend="hatching">–</del> daß erst hier die menschliche Seele
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb16" start="#a9r_lb16" n="16">in einem höheren Sinne <hi rend="underline">Tiefe</hi> bekommen hat und <hi rend="underline">böse</hi> geworden ist <del rend="hatching">(</del>
<add place="above" corresp="#a9r_add_d2e338">– und das sind <add place="inline" rend="insMExt" corresp="#a9r_add_d2e340">ja </add>
</add>
</metamark>die beiden Grundformen der bisherigen Überlegen<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb17" start="#a9r_lb17" n="17">heit des Menschen über <metamark xml:id="srcD_metamark_a9r_add_d2e350" function="insertion">
<add place="inline" corresp="#a9r_add_d2e381">– </add>Man wird bereits errathen haben, wie leicht sich die priesterliche Werthungs-Weise <del rend="hatching">sich</del> von der ritterlich-aristokratischen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb20" start="#a9r_lb20" n="20">abzweigen und <del rend="hatching">unter Umständen sich</del>
</metamark> Die ritterlich-aristokratischen Werthurtheile <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="12"/>haben zu ihrer Voraussetzung eine mächtige Leiblich<pc force="weak">-</pc>
<add place="inline" corresp="#a9r_add_d2e425">,</add> selbst überschäumend<restore corresp="#substRestore5_a9r" rend="dotUnderline">
<del rend="strikethrough">e</del>
</restore> <del corresp="#substDel5_a9r" rend="hatching">reiche</del> Gesundheit, sammt dem, was deren Erhaltung bedingt, Krieg, Abenteuer,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb24" start="#a9r_lb24" n="24">Jagd, Tanz, Kampfspiele und alles überhaupt, was starkes <metamark xml:id="srcD_metamark_a9r_add_d2e440" function="insertion">
</metamark> Handeln in sich schließt. Die priesterlich-vornehme Werthungs-
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb25" start="#a9r_lb25" n="25">Weise hat – wir sahen es – andre Voraussetzungen: schlimm genug für sie, wenn es sich um Krieg handelt! Die Prie<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb26" start="#a9r_lb26" n="26">ster sind, wie bekannt, die <hi rend="underline">bösesten</hi> <hi rend="underline">Feinde</hi> – weshalb doch? Weil sie die ohnmächtigsten sind. Aus der Ohnmacht wächst
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb27" start="#a9r_lb27" n="27">bei ihnen der Haß ins Ungeheure und Unheimliche, ins Geistigste und Giftigste. Die ganz großen Hasser in der Weltgeschichte
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb28" start="#a9r_lb28" n="28">sind immer Priester gewesen, auch die geistreichsten Hasser: – gegen den Geist der priesterlichen Rache kommt überhaupt
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb29" start="#a9r_lb29" n="29">aller übrige Geist kaum in Betracht. Die menschliche Geschichte wäre eine gar zu dumme Sache ohne den Geist, der von
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb30" start="#a9r_lb30" n="30">den Ohnmächtigen her in sie gekommen ist: – nehmen wir sofort das größte Beispiel. Alles, was auf Erden gegen „die
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb31" start="#a9r_lb31" n="31">Vornehmen“, „die Gewaltigen“, „die Herren“, „die Machthaber“ gethan worden ist, ist nicht der Rede werth im Vergleich mit dem,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb32" start="#a9r_lb32" n="32">was <hi rend="underline">die</hi> <hi rend="underline">Juden</hi> gegen sie gethan haben: die Juden, jenes priesterliche<del rend="strikethrough" instant="true">n</del> Volk, das sich an seinen Feinden und Überwäl<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb33" start="#a9r_lb33" n="33">tigern zuletzt nur durch eine radikale Umwerthung von deren Werthen, also durch einen Akt der <hi rend="underline">geistigsten</hi> <hi rend="underline">Rache</hi> Genug<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb34" start="#a9r_lb34" n="34">thuung zu schaffen wußte. So allein war es eben einem priesterlichen Volke gemäß, dem Volke der zurückgetretensten prie<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb35" start="#a9r_lb35" n="35">sterlichen Rachsucht. Die Juden sind es gewesen, die gegen die aristokratische Werthgleichung (gut = vornehm = mächtig = schön
</metamark> mit einer furchteinflößenden <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="13"/>Folgerichtigkeit die Umkehrung gewagt und mit den Zähnen des abgründlichsten Has<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb37" start="#a9r_lb37" n="37">ses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten haben, nämlich „die Elenden sind allein die Guten, die Armen, Ohnmächtigen,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a9r_lb38" start="#a9r_lb38" n="38">Niedrigen sind allein die Guten, die Leidenden <metamark xml:id="srcD_metamark_a9r_add_d2e521" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb1" start="#a10r_lb1" n="1">allein giebt es Seligkeit<add place="inline" cert="high" corresp="#a10r_add_d2e51">,</add> – dagegen ihr, ihr Vornehmen und Gewaltigen, ihr seid in alle Ewigkeit die Bösen, die Grausamen,<anchor corresp="#appAnchor_a10r1"/>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb2" start="#a10r_lb2" n="2">die Lüsternen, die Unersättlichen, die Gottlosen, ihr werdet auch ewig die Unseligen, Verfluchten und Verdammten sein!“…
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb3" start="#a10r_lb3" n="3">Man weiß, <hi rend="underline">wer</hi> die Erbschaft dieser jüdischen Umwerthung gemacht hat… Ich erinnere in Betreff der ungeheuren und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb4" start="#a10r_lb4" n="4">über alle Maaßen verhängnißvollen Initiative, welche die Juden mit dieser grundsätzlichsten aller Kriegserklärungen ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb5" start="#a10r_lb5" n="5">geben haben, an den Satz, auf den ich bei einer andren Gelegenheit gekommen bin („<hi rend="latin">Jenseits von Gut und Böse</hi>“ <hi rend="latin">p.</hi> 118)
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb6" start="#a10r_lb6" n="6">– daß nämlich mit den Juden <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Sklavenaufstand</hi> <hi rend="underline">in</hi> <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Moral</hi> beginnt: jener Aufstand, welcher eine zweitausendjährige
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb7" start="#a10r_lb7" n="7">Geschichte hinter sich hat und der uns heute nur deshalb aus den Augen gerückt ist, weil er – siegreich gewesen
<add place="inline" corresp="#a10r_add_d2e116">– </add>Aber ihr versteht das nicht? Ihr habt keine Augen für Etwas, das zwei Jahrtausende gebraucht hat, um zum Siege zu kom<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb11" start="#a10r_lb11" n="11">men?… Daran ist Nichts zum Verwundern: alle langen Dinge sind schwer zu sehn, zu übersehn. <hi rend="underline">Das</hi> aber ist das Ereigniß:
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb12" start="#a10r_lb12" n="12">aus dem Stamme jene<retrace>s</retrace> Baums der Rache und des Hasses, des jüdischen Hasses – des tiefsten und sublimsten, nämlich Ideale
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb13" start="#a10r_lb13" n="13">schaffenden, Werthe umschaffenden Hasses, <milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="14"/>dessen Gleichen nie auf Erden dagewesen ist – wuchs etwas ebenso Unvergleichliches
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb14" start="#a10r_lb14" n="14">heraus, eine <hi rend="underline">neue</hi> <hi rend="underline">Liebe</hi>, die tiefste und sublimste aller Arten Liebe: – und aus welchem andren Stamme hätte sie auch
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb15" start="#a10r_lb15" n="15">wachsen können?… Daß man aber ja nicht vermeine, sie sei etwa als die eigentliche Verneinung jenes Durstes nach Ra<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb16" start="#a10r_lb16" n="16">che, als der Gegensatz des jüdischen Hasses emporgewachsen! Nein, das Umgekehrte ist die Wahrheit! Diese Liebe wuchs
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb17" start="#a10r_lb17" n="17">aus ihm heraus, als seine Krone, als die triumphirende, in der reinsten Helle und Sonnenfülle sich breit und breiter entfalten<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb18" start="#a10r_lb18" n="18">de Krone, welche mit demselben Drange gleichsam im Reiche des Lichts und der Höhe auf die Ziele jenes Hasses, auf Sieg,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb19" start="#a10r_lb19" n="19">auf Beute, auf Verführung aus war, mit dem die Wurzeln jenes Hasses sich immer gründlicher und begehrlicher in Alles,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb20" start="#a10r_lb20" n="20">was Tiefe hatte und böse war, hinunter senkten. Dieser Jesus von Nazareth, als das leibhafte Evangelium der Liebe,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb21" start="#a10r_lb21" n="21">dieser den Armen, den Kranken, den Sündern die Seligkeit und den Sieg bringende „Erlöser“ – war er nicht gerade die
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb22" start="#a10r_lb22" n="22">Verführung in ihrer unheimlichsten und unwiderstehlichsten Form, die Verführung und der Umweg zu eben jenen <hi rend="underline">jüdischen</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb23" start="#a10r_lb23" n="23">Werthen und Neuerungen des Ideals? Hat Israel nicht gerade auf dem Umwege dieses „Erlösers“, dieses scheinbaren
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb24" start="#a10r_lb24" n="24">Widersachers und Auflösers Israel’s, das letzte Ziel seiner sublimen Rachsucht <hi rend="underline">erreicht</hi>? Gehört es nicht in die geheime
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb25" start="#a10r_lb25" n="25">schwarze Kunst einer wahrhaft <hi rend="underline">
<retrace>g</retrace>roßen</hi> Politik der Rache, einer weitsichtigen, unterirdischen, langsam-<retrace>g</retrace>reifenden und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb26" start="#a10r_lb26" n="26">vorausrechnenden Rache, daß Israel selber das <del rend="hatching" instant="true">W</del> eigentliche Werkzeug seiner Rache vor aller Welt wie etwas Todfeind<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb27" start="#a10r_lb27" n="27">liches verleugnen und an’s Kreuz schlagen mußte, damit „alle Welt“, nämlich alle Gegner Israels unbedenklich ge<milestone unit="page" edRef="#Cb #Ed" n="15"/>rade
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb28" start="#a10r_lb28" n="28">an diesen Köder einbeißen konnten? Und wüßte man sich andrerseits, aus allem Raffinement des Geistes heraus,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb29" start="#a10r_lb29" n="29">überhaupt noch einen <hi rend="underline">gefährlicheren</hi> Köder auszudenken? Etwas, das an verlockender berauschender betäubender verderben<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb30" start="#a10r_lb30" n="30">der Kraft jenem Symbol des „heiligen Kreuzes“ gleichkäme, jener schauerlichen Paradoxie eines „Gottes am Kreuze“,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb31" start="#a10r_lb31" n="31">jenem Mysterium einer unausdenkbaren letzten äußersten Grausamkeit und Selbstkreuzigung Gottes <hi rend="underline">zum</hi> <hi rend="underline">Heile</hi> <hi rend="underline">des</hi> <hi rend="underline">Men</hi>
<hi rend="underline">schen</hi>?… Gewiß ist wenigstens, daß <hi rend="latin">sub hoc signo</hi> Israel mit seiner Rache und Umwerthung aller Werthe bisher über
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb33" start="#a10r_lb33" n="33">alle anderen Ideale, über alle <hi rend="underline">vornehmeren</hi> Ideale immer wieder triumphirt hat. – –
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb35" start="#a10r_lb35" n="35">– „Aber was reden <del rend="overwritten" cause="#a10r_add_d2e263">s</del>
<add place="superimposed" corresp="#a10r_add_d2e263">S</add>ie noch von <hi rend="underline">vornehmeren</hi> Idealen! Fügen wir uns in die Thatsachen: das Volk hat gesiegt – oder „die
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb36" start="#a10r_lb36" n="36">Sklaven“ oder „der Pöbel“ oder „die Heerde“ oder wie Sie es zu nennen belieben – wenn dies durch die Juden geschehn
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb37" start="#a10r_lb37" n="37">ist, wohlan! so hatte nie ein Volk eine welthistorischere Mission. „Die Herren“ sind abgethan; die Moral des gemeinen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a10r_lb38" start="#a10r_lb38" n="38">Mannes hat gesiegt. Man mag diesen Sieg zugleich als eine Blutvergiftung nehmen <metamark xml:id="srcD_metamark_a10r_add_d2e276" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a10r_add_d2e276">(er hat die Rassen durch einander gemengt)</add>
</metamark> – ich widerspreche nicht; unzweifel<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb1" start="#a11r_lb1" n="1">ist aber diese Intoxikation <hi rend="underline">gelungen</hi>! Die „Erlösung“ des Menschengeschlechts <metamark xml:id="srcD_metamark_a11r_add_d2e61" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a11r_add_d2e61">(nämlich von „den Herren“)</add>
</metamark> ist auf dem besten Wege; Alles verjüdelt oder ver<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb2" start="#a11r_lb2" n="2">christlicht oder verpöbelt sich zusehends (was liegt an Worten!) Der Gang dieser Vergiftung, durch den ganzen Leib der Mensch<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb3" start="#a11r_lb3" n="3">heit hindurch, scheint unaufhaltsam, ihr <hi rend="latin">tempo</hi> und Schritt darf sogar von nun an immer langsamer, feiner, unhörbarer, be<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb4" start="#a11r_lb4" n="4">sonnener <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="16"/>sein – man hat ja Zeit… Kommt der Kirche in die<milestone unit="page" edRef="#Cb" n="16"/>ser Absicht heute noch eine <hi rend="underline">nothwendige</hi> Aufgabe, überhaupt noch
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb5" start="#a11r_lb5" n="5">ein Recht auf Dasein zu? Oder könnte man ihrer entrathen? <hi rend="latin">Quaeritur</hi>. Es scheint, daß sie jenen Gang eher hemmt und zu<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb6" start="#a11r_lb6" n="6">rückhält, <del rend="hatching" instant="true">als</del> statt ihn zu beschleunigen? Nun, eben das könnte ihre Nützlichkeit sein… Sicherlich ist sie nachgerade Etwas Gröb<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb7" start="#a11r_lb7" n="7">liches und Bäurisches, das einer zarteren Intelligenz, einem eigentlich modernen Geschmacke widersteht. Sollte sie sich zum
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb8" start="#a11r_lb8" n="8">Mindesten nicht etwas raffinieren?… Sie entfremdet heute mehr als daß sie verführte… Wer von uns würde wohl Freigeist
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb9" start="#a11r_lb9" n="9">sein, wenn es nicht die Kirche gäbe? Die Kirche widersteht uns, <hi rend="underline">nicht</hi> ihr Gift… Von der Kirche abgesehn lieben auch wir
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb10" start="#a11r_lb10" n="10">das Gift…“ – Dies der Epilog eines „Freigeistes“ zu meiner Rede, eines ehrlichen Thiers, wie er reichlich verrathen hat,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb11" start="#a11r_lb11" n="11">überdies eines Demokraten; er hatte mir bis dahin zugehört und hielt es nicht aus, mich schweigen zu hören. Für mich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb12" start="#a11r_lb12" n="12">nämlich giebt es an dieser Stelle <metamark xml:id="srcD_metamark_a11r_add_d2e125" function="insertion">
<hi rend="latin">Ressentiment</hi> solcher Wesen, denen die eigentliche <hi rend="latin">Reaction</hi>, die durch die That, versagt ist und sich durch eine imaginäre Rache schad<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb16" start="#a11r_lb16" n="16">los halten. Während alle vornehme Moral aus einem triumphirenden Ja-sagen zu sich selber herauswächst, sagt die Sklaven-Moral
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb17" start="#a11r_lb17" n="17">von vornherein Nein zu<del rend="strikethrough" instant="true">m</del> einem „Außerhalb“, zu einem „Anders“, zu einem „Nicht-selbst“: und <hi rend="underline">dies</hi> Nein ist ihre schöpferi<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb18" start="#a11r_lb18" n="18">sche That. Diese Umkehrung des werthe-setzenden Blicks – diese <hi rend="underline">nothwendige</hi> Richtung nach <del rend="overwritten" cause="#a11r_add_d2e191">a</del>
<add place="superimposed" corresp="#a11r_add_d2e191">A</add>ußen statt zurück auf sich <milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen2"/>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb19" start="#a11r_lb19" n="19">gehört eben zum <hi rend="latin">Ressentiment</hi>: die Sklaven-Moral bedarf, um zu entstehn, immer zuerst einer Gegen- und Auß<retrace>en</retrace>welt, sie
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb20" start="#a11r_lb20" n="20">bedarf, physiologisch gesprochen, äußerer Reize, um überhaupt zu agiren – ihre Aktion ist von Grund aus Reaktion. Das
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb21" start="#a11r_lb21" n="21">Umgekehrte ist bei der Vornehmen Werthungsweise der Fall: sie <metamark xml:id="srcD_metamark_a11r_add_d2e209" function="insertion">
</metamark> wächst spontan, sie sucht ihren Gegensatz nur auf, um
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb22" start="#a11r_lb22" n="22">zu sich selber noch dankbarer, noch frohlockender Ja zu sagen – ihr negativer Begriff „niedrig“ „gemein“ „schlecht“ ist nur ein
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb23" start="#a11r_lb23" n="23">nachgebornes blasses Contrastbild im Verhältniß zu ihrem positiven, durch und durch mit Leben und Leidenschaft durchtränk<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb24" start="#a11r_lb24" n="24">ten Grundbegriff „wir Vornehmen, wir Guten, wir Schönen, wir Glücklichen!“ Wenn die vornehme Werthungsweise sich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb25" start="#a11r_lb25" n="25">vergreift und an der Realität versündigt, so geschieht dies in Bezug auf die Sphäre, welche ihr <hi rend="underline">nicht</hi> genügend bekannt
<add place="superimposed" corresp="#a11r_add_d2e233" instant="true">ja</add> gegen deren wirkliches Kennen sie sich spröde zur Wehre setzt: sie verkennt unter Umständen die von ihr verach<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb27" start="#a11r_lb27" n="27">tete Sphäre, die des gemeinen Manns, des niedren Volks; andrerseits erwäge man, daß jedenfalls der Affekt der Verachtung,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb28" start="#a11r_lb28" n="28">des Herabblickens, des Überlegen-Blickens, gesetzt, daß er das Bild des Verachteten <hi rend="underline">fälscht</hi>, bei weitem hinter der Fälschung
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb29" start="#a11r_lb29" n="29">zurückbleiben wird, mit der der zurückgetretene Haß, die Rache des Ohnmächtigen sich an seinem Gegner – <hi rend="latin">in effigie</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb30" start="#a11r_lb30" n="30">natürlich – vergreifen wird. In der That ist in der Verachtung zu viel Nachlässigkeit, zu viel Leicht-Nehmen, zu viel
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb31" start="#a11r_lb31" n="31">Wegblicken und Ungeduld mit eingemischt, selbst zu viel eignes Frohgefühl, als daß sie im Stande wäre, ihr Objekt zum
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb32" start="#a11r_lb32" n="32">eigentlichen Zerrbild und Scheusal umzuwandeln. Man überhöre doch die beinahe wohlwollenden <hi rend="latin">nuances</hi> nicht, welche zum
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb33" start="#a11r_lb33" n="33">Beispiel der griechische Adel <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="18"/>in alle Worte legt, mit denen er das niedere Volk von sich abhebt; wie sich fortwährend eine
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb34" start="#a11r_lb34" n="34">Art Bedauern, Rücksicht, Nachsicht einmischt und anzuckert, bis zu dem Ende, daß fast alle Worte, die dem gemeinen Man<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb35" start="#a11r_lb35" n="35">ne zukommen, schließlich als Ausdrücke für „unglücklich“ „bedauernswürdig“ übrig geblieben sind (vergleiche <hi rend="grc">δειλός</hi> <hi rend="grc">δείλαιος</hi>
<hi rend="grc">πονηρός</hi>, <hi rend="grc">μοχϑηρός</hi>, letztere zwei eigentlich den gemeinen Mann als Arbeitssklaven und Lastthier kennzeichnend) – und wie andrer<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb37" start="#a11r_lb37" n="37">seits „schlecht“ „niedrig“ „unglücklich“ nie wieder aufgehört haben, für das griechische Ohr in Einen Ton auszuklingen<add place="inline" corresp="#a11r_add_d2e292">, <metamark xml:id="srcD_metamark_a11r_add_d2e294" function="insertion" rend="endOfLine" style="top:-0.15625em;height:1.48438em;">
<add place="above" instant="true" corresp="#a11r_add_d2e294" style="left:-16.875em;">mit einer Klangfarbe, in der „unglücklich“ überwiegt</add>
</metamark>
</add>: dies als
</line>
<line xml:id="srcD_line_a11r_lb38" start="#a11r_lb38" n="38">Erbstück der alten <metamark xml:id="srcD_metamark_a11r_add_d2e300" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a20r_add_d2e99">der vornehmen Werthungsweise aller <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="36"/>Dinge</add>
</metamark>
<del rend="strikethrough" cause="insM">:</del>
<add place="inline" corresp="#a20r_add_d2e105">:</add> Rom selber bewegte sich wie ein aufgeweckter Schein<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb4" start="#a20r_lb4" n="4">todter unter dem Druck des <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd9a_a20r" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a20r_add_d2e237"> über das klassische Ideal</add>
</metamark>: die letzte politische Vornehmheit, die es in Europa gab, die des siebzehnten und achtzehnten <hi rend="underline">französischen</hi> Jahr<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb9" start="#a20r_lb9" n="9">hunderts brach unter den volksthümlichen Ressentiments-Instinkten zusammen – es wurde niemals auf Erden ein
</add> gehört! Zwar geschah mitten darin das Ungeheuerste<add place="inline" corresp="#a20r_add_d2e256">, <metamark xml:id="srcD_metamark_a20r_add_d2e258" function="insertion">
</metamark> trat <hi rend="underline">leibhaft</hi> <metamark xml:id="srcD_metamark_a20r_add_d2e268" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a20r_add_d2e268">und mit unerhörter Pracht</add>
</metamark> vor Auge und Ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb11" start="#a20r_lb11" n="11">wissen der Menschheit – und <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd2_a20r" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#substAdd2_a20r">noch einmal, stärker, einfacher, eindringlicher als je, erscholl,</add>
</metamark> gegenüber der alten Lügen-Losung des Ressentiment<del rend="strikethrough">s</del> <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd3a_a20r" function="insertion" rend="beforePunctuation">
</metamark>, gegenüber dem Willen zur Nie<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb12" start="#a20r_lb12" n="12">derung, zur Erniedrigung, zur Ausgleichung, zum Abwärts und Abendwärts des Menschen <del corresp="#substDel2_a20r" rend="hatching">erscholl</del> die furchtbare und
<add place="superimposed" corresp="#a20r_add_d2e323">W</add>ie ein letzter Fingerzeig zum <hi rend="underline">andren</hi> Wege erschien <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd6a_a20r" function="insertion">
<add place="above" corresp="#substAdd6a_a20r">
<hi rend="latin">Napoleon</hi>,</add>
</metamark> jener einzelnste und spätestgeborne
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb14" start="#a20r_lb14" n="14">Mensch, den es jemals gab, <del corresp="#substDel6a_a20r" rend="hatching">
<hi rend="latin">Napoleon</hi>,</del> und in ihm das fleischgewordne Problem <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd5a_a20r" function="insertion">
<add place="below" corresp="#substAdd7a_a20r">– man überlege wohl, <hi rend="underline">was</hi> es für ein <add corresp="#substAdd7b_a20r" place="below" instant="true">
<add place="inline" corresp="#a20r_add_d2e443">– </add>War es damit vorbei? Wurde jener größte aller Ideal-Gegensätze damit für alle Zeiten <hi rend="latin">ad acta</hi> gelegt? Oder
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb18" start="#a20r_lb18" n="18">nur vertagt, auf lange vertagt?… Sollte es nicht irgendwann einmal ein noch viel furchtbareres, viel länger vor<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb19" start="#a20r_lb19" n="19">bereitetes Auflodern des alten Brandes geben müssen? Mehr noch: wäre nicht gerade <hi rend="underline">das</hi> aus allen Kräften
<add place="superimposed" corresp="#a20r_add_d2e465">s</add>elbst zu wollen? selbst zu fördern?… Wer an dieser Stelle anfängt, gleich meinen Lesern, nach<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb21" start="#a20r_lb21" n="21">zudenken, weiter zu denken, der wird schwerlich bald damit zu Ende kommen – Grund genug für mich, selbst zu Ende
</metamark> Losung will, welche meinem letzten Buche auf den Leib geschrieben ist „<hi rend="underline">Jenseits</hi> <hi rend="underline">von</hi> <hi rend="underline">Gut</hi> <hi rend="underline">und</hi> <choice corresp="#a20r_choice_d2e503">
<sic>
<hi rend="underline">Böse</hi>
</sic>
<corr>
<hi rend="underline">Böse</hi>“</corr>
</choice>…
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb24" start="#a20r_lb24" n="24">Dies heißt zum Mindesten <hi rend="underline">nicht</hi> „Jenseits von Gut und Schlecht“. – –
</line>
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb25" start="#a20r_lb25" rend="centered" n="25">x x x
<line xml:id="srcD_line_a20r_lb26" style="bottom:4em;" start="#a20r_lb26" hand="#N_black1" n="26">Hierauf ein leeres <hi rend="underline">Blatt</hi>, auf dem nur die
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb4" start="#a21r_lb4" hand="#N_brown1" n="4">Ein Thier heranzüchten, das <hi rend="underline">versprechen</hi> <hi rend="underline">darf</hi> – ist das nicht gerade jene paradoxe Aufgabe selbst, welche sich die Natur in Hin<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb5" start="#a21r_lb5" hand="#N_brown1" n="5">sicht auf den Menschen gestellt hat? ist es nicht das eigentliche Problem <hi rend="underline">vom</hi> Menschen?… Daß dies Problem bis zu einem
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb6" start="#a21r_lb6" hand="#N_brown1" n="6">hohen Grad gelöst ist, muß dem um so erstaunlicher erscheinen, der die entgegenwirkende Kraft, die der <hi rend="underline">Vergeßlichkeit</hi>, voll<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb7" start="#a21r_lb7" hand="#N_brown1" n="7">auf zu würdigen weiß. Vergeßlichkeit ist keine bloße <hi rend="latin">vis inertiae</hi>, wie die Oberflächlichen glauben, sie ist vielmehr ein ak<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb8" start="#a21r_lb8" hand="#N_brown1" n="8">tives, im strengsten Sinne positives Hemmungsvermögen, dem es zuzuschreiben ist, daß was nur von uns erlebt, erfahren,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb9" start="#a21r_lb9" hand="#N_brown1" n="9">in uns hineingenommen wird, uns im Zustande der Verdauung (man dürfte ihn „Einverseelung“ nennen) ebenso wenig ins
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb10" start="#a21r_lb10" hand="#N_brown1" n="10">Bewußtsein tritt, als der ganze tausendfältige Prozeß, mit dem sich unsre leibliche Ernährung, die sogenannte „Einverleibung“
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb11" start="#a21r_lb11" hand="#N_brown1" n="11">abspielt. Die Thüren und Fenster des Bewußtseins zeitweilig schließen; von dem Lärm und Kampf, mit dem unsre Un<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb12" start="#a21r_lb12" hand="#N_brown1" n="12">terwelt von dienstbaren Organen für und gegen einander arbeitet, unbehelligt bleiben; ein wenig Stille, ein wenig
<add place="superimposed" instant="true" corresp="#a21r_add_d2e111"> d</add>es Bewußtseins, damit wieder Platz wird für Neues, vor Allem für die vornehmeren Funktionen und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb14" start="#a21r_lb14" hand="#N_brown1" n="14">Funktionäre, für Regieren, Voraussehn, Vorausbestimmen (denn unser Organismus ist oligarchisch eingerichtet) – das
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb15" start="#a21r_lb15" hand="#N_brown1" n="15">ist der Nutzen der, wie gesagt, aktiven Vergeßlichkeit, einer Thürwärterin gleichsam, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="42"/>einer Aufrechterhalterin der seeli<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb16" start="#a21r_lb16" hand="#N_brown1" n="16">schen Ordnung, der Ruhe, der Etiquette: womit sofort abzusehn ist, inwiefern es kein Glück, keine Heiterkeit, keine
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb17" start="#a21r_lb17" hand="#N_brown1" n="17">Hoffnung, keinen Stolz, keine <hi rend="underline">Gegenwart</hi> geben könnte ohne Vergeßlichkeit. Der Mensch, in dem dieser Hemmungsappa<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb18" start="#a21r_lb18" hand="#N_brown1" n="18">rat beschädigt wird und aussetzt, ist einem Dyspeptiker zu vergleichen und nicht nur zu vergleichen – er wird mit Nichts
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb19" start="#a21r_lb19" hand="#N_brown1" n="19">„fertig“… Eben dieses nothwendig vergeßliche Thier, an dem das Vergessen eine Kraft, eine Form der <hi rend="underline">starken</hi> Gesundheit dar<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb20" start="#a21r_lb20" hand="#N_brown1" n="20">stellt, hat sich nun ein Gegenvermögen angezüchtet, ein Gedächtniß, mit Hülfe dessen für gewisse Fälle die Vergeßlichkeit
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb21" start="#a21r_lb21" hand="#N_brown1" n="21">ausgehängt wird, – für die Fälle nämlich, daß versprochen werden soll: somit keineswegs bloß ein passivisches Nicht-wieder-los--
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb22" start="#a21r_lb22" hand="#N_brown1" n="22">werden-können des einmal eingeritzten Eindrucks, nicht bloß die Indigestion an einem ein Mal verpfändeten Wort, mit dem
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb23" start="#a21r_lb23" hand="#N_brown1" n="23">man n*icht wieder fertig wird, sondern ein aktives <del rend="overwritten" cause="#a21r_add_d2e159">n</del>
<add place="superimposed" corresp="#a21r_add_d2e159">N</add>icht-wieder-los-werden-<hi rend="underline">wollen</hi>, ein Fort- und Fortwollen des ein Mal
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb24" start="#a21r_lb24" hand="#N_brown1" n="24">Gewollten, ein eigentliches <hi rend="underline">Gedächtniß</hi> <hi rend="underline">des</hi> <hi rend="underline">Willens</hi>: so daß zwischen das ursprüngliche „ich will“ „ich werde thun“ und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb25" start="#a21r_lb25" hand="#N_brown1" n="25">die eigentliche Entladung des Willens, seinen Akt unbedenklich eine Welt von neuen fremden Dingen, Umständen, selbst
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb26" start="#a21r_lb26" hand="#N_brown1" n="26">Willensakten dazwischengelegt werden darf, ohne daß diese lange Kette des Willens springt. Was setzt das aber Alles voraus!
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb27" start="#a21r_lb27" hand="#N_brown1" n="27">Wie muß der Mensch, um dermaaßen über die Zukunft vorauszuverfügen, erst gelernt haben, das nothwendige vom zufälligen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb28" start="#a21r_lb28" hand="#N_brown1" n="28">Geschehen scheiden, causal denken, das Ferne wie gegenwärtig sehn und vorwegnehmen, was Zweck ist, was Mittel <metamark xml:id="srcD_metamark_a21r_add_d2e186" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb29" start="#a21r_lb29" hand="#N_brown1" n="29">Sicherheit ansetzen, überhaupt rechnen, berechnen können – wie muß dazu der Mensch selbst vorerst <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="43"/>
<hi rend="underline">ßig</hi>,<hi rend="underline"> nothwendig</hi> geworden sein, auch sich selbst für seine eigne Vorstellung, um endlich dergestalt, wie es ein Versprechender
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb31" start="#a21r_lb31" hand="#N_brown1" n="31">thut, für sich <hi rend="underline">als</hi> <hi rend="underline">Zukunft</hi> gut sagen zu können!
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb33" start="#a21r_lb33" hand="#N_brown1" n="33">Eben das ist die lange Geschichte von der Herkunft der <hi rend="underline">Verantwortlichkeit</hi>. Jene Aufgabe, ein Thier heranzuzüchten, das
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb34" start="#a21r_lb34" hand="#N_brown1" n="34">versprechen darf, schließt, wie wir bereits begriffen haben, als Bedingung und Vorbereitung die nähere Aufgabe in sich, den
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb35" start="#a21r_lb35" hand="#N_brown1" n="35">Menschen zuerst bis zu einem gewissen Grade nothwendig, einförmig, gleich unter Gleichen, regelmäßig und folglich berechen<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb36" start="#a21r_lb36" hand="#N_brown1" n="36">bar zu <hi rend="underline">machen</hi>. Die ungeheure Arbeit dessen, was von mir „Sittlichkeit der Sitte“ genannt worden ist (vergl. <hi rend="latin">Morgen</hi>
<hi rend="latin">röthe</hi> S. 7. 13. 16) – die eigentliche Arbeit des Menschen an sich selber in der längsten Zeitdauer des Menschengeschlechts, seine
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb38" start="#a21r_lb38" hand="#N_brown1" n="38">ganze <hi rend="underline">vorhistorische</hi> Arbeit hat hierin ihren Sinn, ihre große Rechtfertigung, wie viel ihr auch von Härte, Tyrannei, Stumpf<pc force="weak">-</pc>
<add place="superimposed" corresp="#a21r_add_d2e267">d</add>er Mensch wurde mit Hülfe der Sittlichkeit der Sitte und der socialen Zwangsjacke wirk<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb40" start="#a21r_lb40" hand="#N_brown1" n="40">lich berechenbar <hi rend="underline">gemacht</hi>. Stellen wir uns dagegen ans Ende des ungeheuren Prozesses, dorthin, wo der Baum endlich seine
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb41" start="#a21r_lb41" hand="#N_brown1" n="41">Früchte zeitigt, wo die Societät und ihre Sittlichkeit der Sitte endlich zu Tage bringt, <hi rend="underline">wozu</hi> sie nur das Mittel war: so
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb42" start="#a21r_lb42" hand="#N_brown1" n="42">finden wir <metamark xml:id="srcD_metamark_a21r_add_d2e286" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a21r_add_d2e286">als reifste Frucht an ihrem Baume</add>
</metamark> das <hi rend="underline">souveraine</hi> <hi rend="underline">Individuum</hi>, das nur sich selbst gleiche, das von der Sittlichkeit der Sitte <metamark xml:id="srcD_metamark_a21r_add_d2e295" function="insertion" rend="inSpatium">
</del> (denn „autonom“ und „sittlich“ sind Gegensätze), kurz den Menschen des eignen unabhän<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb44" start="#a21r_lb44" hand="#N_brown1" n="44">gigen langen Willens, der <hi rend="underline">ver<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="44"/>sprechen</hi> <hi rend="underline">darf</hi> – und in ihm ein stolzes, in allen Muskeln zuckendes Bewußtsein davon,
<hi rend="underline">was</hi> da endlich errungen und in ihm leibhaft geworden ist, ein eigentliches Macht- und Freiheits-Bewußtsein, ein Vol<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb46" start="#a21r_lb46" hand="#N_brown1" n="46">lendungs-Gefühl des Menschen überhaupt. Dieser Freigewordne, der wirklich versprechen <hi rend="underline">darf</hi>, dieser Herr des <hi rend="underline">freien</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb47" start="#a21r_lb47" hand="#N_brown1" n="47">Willens, dieser Souverain – wie sollte er es nicht wissen, welche Überlegenheit er damit vor Allem voraus hat,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb48" start="#a21r_lb48" hand="#N_brown1" n="48">was nicht versprechen und für sich selbst gut sagen darf, wie viel Vertrauen, wie viel Furcht, wie viel Ehrfurcht er
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb49" start="#a21r_lb49" hand="#N_brown1" n="49">erweckt – er <hi rend="underline">verdient</hi> alles Dreies – und wie ihm, mit dieser Herrschaft über sich, auch die Herrschaft über die Umstände,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb50" start="#a21r_lb50" hand="#N_brown1" n="50">über die Natur und alle willenskürzeren und unzuverlässigeren Creaturen nothwendig in die Hand gegeben ist? Der
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb51" start="#a21r_lb51" hand="#N_brown1" n="51">„freie“ Mensch, der Inhaber eines langen unzerbrechlichen Willens, hat in diesem Besitz auch sein <hi rend="underline">Werthmaaß</hi>: von sich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb52" start="#a21r_lb52" hand="#N_brown1" n="52">aus nach den Andern hinblickend, ehrt er oder verachtet er; und eben so nothwendig als er die ihm Gleichen, die Starken
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb53" start="#a21r_lb53" hand="#N_brown1" n="53">und Zuverlässigen (die welche versprechen <hi rend="underline">dürfen</hi>) ehrt – also Jedermann, der wie ein Souverain verspricht, schwer, sel<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb54" start="#a21r_lb54" hand="#N_brown1" n="54">ten, langsam, der mit seinem Vertrauen geizt, der <hi rend="underline">auszeichnet</hi>, wenn er vertraut, der sein Wort giebt als etwas, auf
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb55" start="#a21r_lb55" hand="#N_brown1" n="55">das Verlaß ist, weil er sich stark genug weiß, es selbst gegen Unfälle, selbst „gegen das Schicksal“ aufrecht zu halten –:
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb56" start="#a21r_lb56" hand="#N_brown1" n="56">eben so nothwendig wird er seinen Fußtritt für die schmächtigen Windhunde bereit halten, welche versprechen, ohne es
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb57" start="#a21r_lb57" hand="#N_brown1" n="57">zu dürfen, und seine Zuchtruthe für den Lügner, der sein Wort bricht, im Augenblick schon, wo er es im Munde hat.
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb58" start="#a21r_lb58" hand="#N_brown1" n="58">Das stolze Wissen um das außerordentliche Privilegium der <hi rend="underline">Verantwortlichkeit</hi>, das Bewußtsein <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="45"/>dieser seltenen Frei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb59" start="#a21r_lb59" hand="#N_brown1" n="59">heit, dieser Macht über sich und das Geschick hat sich bei ihm bis in seine unterste Tiefe hinabgesenkt und ist
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb60" start="#a21r_lb60" hand="#N_brown1" n="60">zum Instinkt geworden, zum <choice corresp="#a21r_choice_d2e407">
<sic>domirenden</sic>
<corr>dominirenden</corr>
</choice> Instinkt: – wie wird er ihn nennen, diesen dominirenden Instinkt, ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a21r_lb61" start="#a21r_lb61" hand="#N_brown1" n="61">setzt, daß er ein Wort dafür bei sich nöthig hat? Aber es ist kein Zweifel: dieser souveraine Mensch nennt ihn
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb3" start="#a22r_lb3" hand="#N_black1" n="3">reits eine lange Geschichte und Form-Verwandlung hinter sich hat. Für sich gut sagen dürfen und mit Stolz<add place="inline" corresp="#a22r_add_d2e107">, <metamark xml:id="srcD_metamark_a22r_add_d2e109" function="insertion" rend="endOfLine" style="top:-0.15625em;height:1.48438em;">
<add place="above" instant="true" corresp="#a22r_add_d2e109" style="left:-6.25em;">also auch zu sich <hi rend="underline">Ja</hi> <hi rend="underline">sagen</hi> <hi rend="underline">dürfen</hi>
</add>
</metamark>
</add> – das ist, wie
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb4" start="#a22r_lb4" hand="#N_black1" n="4">gesagt, eine reife Frucht, aber auch eine <hi rend="underline">späte</hi> Frucht: – wie lange mußte diese Frucht herb und sauer am Baume hän<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb5" start="#a22r_lb5" hand="#N_black1" n="5">gen! Und eine noch viel längere Zeit war von einer solchen Frucht gar nichts zu sehn – Niemand hätte sie versprechen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb6" start="#a22r_lb6" hand="#N_black1" n="6">dürfen, so gewiß auch Alles am Baume vorbereitet und <metamark xml:id="srcD_metamark_a22r_add_d2e133" function="insertion">
</metamark> stumpfen, theils faseligen Augenblicks-Verstande, dieser leibhaften
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb8" start="#a22r_lb8" hand="#N_black1" n="8">Vergeßlichkeit etwas so ein, daß es gegenwärtig bleibt?“… Dies uralte Problem ist, wie man denken kann, nicht ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb9" start="#a22r_lb9" hand="#N_black1" n="9">rade mit zarten <metamark xml:id="srcD_metamark_a22r_add_d2e152" function="insertion">
</metamark> Mitteln gelöst worden; vielleicht ist sogar nichts furchtbarer und unheimlicher an der ganzen Vorgeschichte
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb10" start="#a22r_lb10" hand="#N_black1" n="10">des Menschen, als seine <hi rend="underline">Mnemotechnik</hi>. „Man brennt Etwas ein, damit es im Gedächtniß bleibt: nur was nicht auf<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb11" start="#a22r_lb11" hand="#N_black1" n="11">hört, <hi rend="underline">weh zu thun</hi>, bleibt im Gedächtniß“ – das ist ein <metamark xml:id="srcD_metamark_a22r_add_d2e170" function="insertion">
<del rend="hatching">Satz</del> aus der allerältesten (leider <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="46"/>auch allerlängsten) Psycho<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb12" start="#a22r_lb12" hand="#N_black1" n="12">logie auf Erden. Man möchte selbst sagen, daß es überall, wo es jetzt noch auf Erden Feierlichkeit, Ernst, Geheim<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb13" start="#a22r_lb13" hand="#N_black1" n="13">niß, düstere Farben im Leben von Mensch und Volk giebt, Etwas von der Schrecklichkeit <hi rend="underline">nachwirkt</hi>, mit der ehemals
<add place="above" corresp="#a22r_add_d2e193">überall auf Erden</add>
</metamark>
<del rend="hatching">auf</del> <del rend="hatching">Erden</del> versprochen, <seg corresp="#trans1_a22r">verpfändet,</seg> <metamark function="transposition" rend="transLine"/> <seg corresp="#trans2_a22r">gelobt</seg> worden ist: die Vergangenheit, die längste tiefste härteste Vergangenheit, haucht
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb15" start="#a22r_lb15" hand="#N_black1" n="15">uns an und quillt in uns herauf, wenn wir „ernst“ werden. Es gieng niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb16" start="#a22r_lb16" hand="#N_black1" n="16">der Mensch es nöthig hielt, sich ein Gedächtniß zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlings<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb17" start="#a22r_lb17" hand="#N_black1" n="17">opfer gehören), die widerlichsten Verstümmelungen (zum Beispiel die Castrationen), die grausamsten Ritualformen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb18" start="#a22r_lb18" hand="#N_black1" n="18">aller religiösen Culte <del rend="hathching">–</del> (und alle Religionen sind auf dem untersten Grunde Systeme von Grausamkeiten) – Alles Das
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb19" start="#a22r_lb19" hand="#N_black1" n="19">hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste Hülfsmittel der Mnemonik errieth. In
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb20" start="#a22r_lb20" hand="#N_black1" n="20">einem gewissen Sinne gehört die ganze Asketik hierher: ein paar Ideen sollen unauslöschlich, allgegenwärtig,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb21" start="#a22r_lb21" hand="#N_black1" n="21">unvergeßbar, „fix“ gemacht werden, zum Zweck der Hypnotisirung des ganzen nervösen und intellektuellen Sy<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb22" start="#a22r_lb22" hand="#N_black1" n="22">stems durch diese „fixen Ideen“ – und die as<del rend="overwritten" cause="#a22r_add_d2e240">s</del>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb23" start="#a22r_lb23" hand="#N_black1" n="23">aus der Concurrenz mit allen übrigen Ideen zu lösen, um sie „unvergeßlich“ zu machen. Je schlechter die Mensch<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb24" start="#a22r_lb24" hand="#N_black1" n="24">heit „bei Gedächtniß“ war, um so furchtbarer ist immer der Aspekt ihrer Bräuche; die Härte der Strafgesetze giebt
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb25" start="#a22r_lb25" hand="#N_black1" n="25">in Sonderheit einen Maßstab dafür ab, wie <retrace>v</retrace>iel Mühe sie hatte, gegen die Vergeßlichkeit zum Sieg zu kom<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb26" start="#a22r_lb26" hand="#N_black1" n="26">men und ein paar primitive Erfordernisse des socialen Zusammenlebens diesen Augenblicks-Sklaven des Affekts
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb27" start="#a22r_lb27" hand="#N_black1" n="27">und der Be<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="47"/>gierde <hi rend="underline">gegenwärtig</hi> zu erhalten. Wir Deutschen betrachten uns gewiß nicht als ein besonders grausa<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb28" start="#a22r_lb28" hand="#N_black1" n="28">mes und hartherziges Volk, noch weniger als besonders leichtfertig und in-den-Tag-hineinleberisch; aber man sehe
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb29" start="#a22r_lb29" hand="#N_black1" n="29">nur unsre alten Strafordnungen an, um dahinter zu kommen, was es auf Erden für Mühe hat, ein „Volk von
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb30" start="#a22r_lb30" hand="#N_black1" n="30">Denkern“ heranzuzüchten (will sagen: <hi rend="underline">das</hi> Volk Europa’s, unter dem auch heute noch das Maximum von Zu<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb31" start="#a22r_lb31" hand="#N_black1" n="31">trauen, Ernst, Geschmacklosigkeit und Sachlichkeit zu finden ist und das mit diesen Eigenschaften ein Anrecht dar<pc force="weak">-</pc>
<del rend="hatching">abzugeben</del>) Diese Deutschen haben sich mit furchtbaren Mitteln ein Ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb33" start="#a22r_lb33" hand="#N_black1" n="33">dächtniß gemacht, um über ihre pöbelhaften <metamark xml:id="srcD_metamark_a22r_add_d2e333" function="insertion">
</metamark> deutschen Strafen, <metamark xml:id="srcD_metamark_a22r_add_d2e347" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a22r_add_d2e347">zum Beispiel an</add>
</metamark> das S*teinigen<metamark xml:id="srcD_metamark_a22r_add_d2e350" function="insertion" rend="beforePunctuation">
<add place="above" corresp="#a22r_add_d2e350"> (– schon die Sage läßt den Mühlstein auf das Haupt des Schuldigen fallen)</add>
</metamark>, das Rädern (die eigenste Erfindung und Spezialität des deutschen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a22r_lb35" start="#a22r_lb35" hand="#N_black1" n="35">Genius im Reich der Strafe!), das Werfen mit dem Pfahle, das Zerreißen- oder Zertretenlassen durch Pferde<add place="inline" corresp="#a22r_add_d2e356">, <metamark xml:id="srcD_metamark_a22r_add_d2e358" function="insertion" rend="beforePunctuation">
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb1" start="#a23r_lb1" n="1">Sieden des Verbrechers in Öl oder Wein (<metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd1_a23r" function="insertion" rend="inWord">
<add place="above" corresp="#substAdd1_a23r">noch im </add>
<add place="superimposed" corresp="#a23r_add_d2e71">n</add> und fünfzehnte<del rend="overwritten" cause="#a23r_add_d2e77">s</del>
<add place="superimposed" corresp="#a23r_add_d2e77">n</add> Jahrhundert), das beliebte Schinden („Riemen<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb2" start="#a23r_lb2" n="2">schneiden“), das Herausschneiden des Fleisches aus der Brust; auch wohl daß man den Übelthäter mit Honig
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb3" start="#a23r_lb3" n="3">bestrich und bei brennender Sonne den Fliegen überließ. Mit Hülfe solcher Bilder und Vorgänge behält man end<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb4" start="#a23r_lb4" n="4">lich fünf, sechs „ich will nicht“ im Gedächtnisse, in Bezug auf welche man sein <hi rend="underline">Versprechen</hi> gegeben hat, um unter
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb5" start="#a23r_lb5" n="5">den Vortheilen der Societät zu leben – und wirklich! mit Hülfe dieser Art von Gedächtniß kam man endlich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb6" start="#a23r_lb6" n="6">„zur Vernunft“! – Ah, die Vernunft, der Ernst, die Herrschaft <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="48"/>über die Affekte, diese ganze düstere Sache, welche
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb7" start="#a23r_lb7" n="7">Nachdenken heißt, alle diese Vorrechte und Prunkstücke des Menschen: wie theuer haben sie sich gezahlt gemacht!
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb8" start="#a23r_lb8" n="8">wie viel Blut und Grausen ist auf dem Grunde aller „guten Dinge“!…
<add place="above" corresp="#a23r_add_d2e120">wie ist denn jene andre „düstre Sache“, das Bewußtsein der Schuld, das ganze „schlechte Gewissen“ auf Erden entstanden? – Und hiermit</add>
</metamark> kommen wir auf unsre Genealogen der Moral zurück. Nochmals gesagt – oder habe ich’s noch gar nicht gesagt? – sie tau<pc force="weak">-</pc>
</metamark> Erfahrung; kein Wissen, kein Wille zum Wissen<metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e132" function="insertion" rend="beforePunctuation">
<add place="above" corresp="#a23r_add_d2e132"> des Vergangnen</add>
</metamark>; noch weniger ein historischer In<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb13" start="#a23r_lb13" n="13">Wahrheit in einem nicht bloß spröden Verhältnisse stehn. Haben sich diese bisherigen Genealogen der Moral auch nur von
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb14" start="#a23r_lb14" n="14">Ferne etwas davon träumen lassen, daß zum Beispiel <metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e165" function="insertion">
<del rend="hatching">Begriff</del> „Schuld“ seine Herkunft aus dem sehr ma<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb15" start="#a23r_lb15" n="15">teriellen Begriff „Schulden“ genommen hat? Oder daß die Strafe <metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e182" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a23r_add_d2e182">als eine <hi rend="underline">Vergeltung</hi>
</add>
</metamark> sich vollkommen abseits von jeder Voraussetzung
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb16" start="#a23r_lb16" n="16">über Freiheit oder Unfreiheit des Willens entwickelt hat? – und dies bis zu dem Grade, daß es vielmehr immer erst einer
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb17" start="#a23r_lb17" n="17">hohen Stufe der <del rend="strikethrough">„</del>Vermenschlichung<del rend="strikethrough">“</del> bedarf, damit <metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e199" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb18" start="#a23r_lb18" n="18">lässig“ „zufällig“ „zurechnungsfähig“ und deren Gegensätze zu machen und bei der Zumessung der Strafe in Anschlag zu bringen.
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb19" start="#a23r_lb19" n="19">Jener jetzt so wohlfeile und <milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen4"/>
<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="49"/>scheinbar so natürliche, so unvermeidliche Gedanke, der wohl gar zur Erklärung, wie überhaupt das
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb20" start="#a23r_lb20" n="20">Gerechtigkeitsgefühl auf Erden zu Stande gekommen ist, hat herhalten müssen „der Verbrecher verdient Strafe, <hi rend="underline">weil</hi> er
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb21" start="#a23r_lb21" n="21">hätte anders handeln können“ ist thatsächlich eine überaus spät erreichte, ja raffinirte Form des menschlichen Urtheilens
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb22" start="#a23r_lb22" n="22">und Schließens; wer sie in die Anfänge verlegt, vergreift sich mit groben Fingern an der Psychologie der älteren Mensch<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb23" start="#a23r_lb23" n="23">heit. Es ist die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch durchaus <hi rend="underline">nicht</hi> gestraft worden, <hi rend="underline">weil</hi> man den Übelan<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb24" start="#a23r_lb24" n="24">stifter für seine That verantwortlich machte, also <hi rend="underline">nicht</hi> <metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e245" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a23r_add_d2e245">unter der Voraussetzung, daß nur der Schuldige zu strafen sei</add>
</metamark>
<del rend="hatching">zur</del> <del rend="hatching">Vergebung einer Schuld</del>: – vielmehr, so wie jetzt noch
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb25" start="#a23r_lb25" n="25">Eltern ihre Kinder strafen, aus Zorn über einen erlittenen Schaden, <metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e256" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a23r_add_d2e256">der sich am Schädiger ausläßt –</add>
</metamark> dieser Zorn aber in Schranken gehalten und mo<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb26" start="#a23r_lb26" n="26">difizirt durch <del rend="hatching" instant="true">jene</del> die Idee, daß jeder Schaden <metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e267" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> sein <hi rend="underline">Äquivalent</hi> habe und wirklich abgezahlt werden könne – sei es
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb27" start="#a23r_lb27" n="27">selbst durch einen Schmerz des Schädigers<del rend="overwritten" cause="#a23r_add_d2e279">.</del>
<add place="superimposed" corresp="#a23r_add_d2e279">. –</add> Woher diese uralte, tiefgewurzelte, vielleicht jetzt nicht mehr ausrottbare
<add place="above" corresp="#substAdd3b_a23r">die <retrace>I</retrace>dee einer Äquivalenz von Schaden und <del rend="hatching">Leid?</del> <add place="inline" rend="insMExt" corresp="#a23r_add_d2e299">Schmerz?</add>
</add>
</metamark>
<del corresp="#substDel3b_a23r" rend="hatching">?</del> Ich habe es bereits verrathen: in dem Vertragsverhältniß zwischen <hi rend="underline">Gläubiger</hi> und
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb32" start="#a23r_lb32" n="32">Die Vergegenwärtigung dieser Vertragsverhältnisse weckt allerdings, wie es nach dem <metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e328" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb33" start="#a23r_lb33" n="33">von vornherein zu erwarten steht, gegen die ältere <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="50"/>Menschheit, die sie schuf oder gestattete, mancherlei Verdacht
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb34" start="#a23r_lb34" n="34">und Widerstand. Hier gerade wird <hi rend="underline">versprochen</hi>; hier gerade handelt es sich darum, dem, der verspricht, ein Gedächt<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb35" start="#a23r_lb35" n="35">niß zu <hi rend="underline">machen</hi>; hier gerade, so darf man argwöhnen, wird eine Fundstätte für Hartes, Grausames, Peinliches sein. Der
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb36" start="#a23r_lb36" n="36">Schuldner, um Vertrauen für sein Versprechen der Zurückbezahlung einzuflößen, um eine Bürgschaft für den Ernst und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb37" start="#a23r_lb37" n="37">die Heiligkeit seines Versprechens zu geben, um bei sich selbst die Zurechtbezahlung als Pflicht, Verpflichtung seinem
</line>
<line xml:id="srcD_line_a23r_lb38" start="#a23r_lb38" n="38">Gewissen einzuschärfen, verpfändet Kraft eines Vertrags dem Gläubiger für den Fall, daß er nicht zahlt, etwas, das <metamark xml:id="srcD_metamark_a23r_add_d2e358" function="insertion" rend="inSpatium">
<add corresp="#substAdd3b_a30r" hand="#N_brown1" place="inline">Hier noch ein Wort über Ursprung und Zweck der Strafe – zwei Probleme, die auseinander fallen<del rend="overwritten" cause="#a30r_add_d2e188">.</del>
<del corresp="#substDel4i_a30r" hand="#N_brown1" rend="hatching">, wie es bisher die Moral-Genealogen</del> <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd2b_a30r" function="insertion" rend="endOfLine">
<add place="above" corresp="#substAdd2b_a30r">
<del hand="#N_brown1" corresp="#substDel4j_a30r">in Betreff der Strafe</del>
</metamark> Der „<retrace>Z</retrace>weck<anchor corresp="#appAnchor_a30r6a"/> im Rechte“ ist <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd2j_a30r" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#substAdd1f_a30r">es für alle Art Historie gar keinen wichtigeren Satz<metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd1g_a30r" function="insertion" rend="beforePunctuation">
<add place="above" corresp="#substAdd1g_a30r"> als jenen</add>
</metamark>, der mit solcher Mühe errungen ist, aber auch wirklich errungen <hi rend="underline">sein</hi> <hi rend="underline">sollte</hi> – daß nämlich </add>
</metamark>
<del corresp="#substDel1q_a30r" rend="hatching">lich</del> die Ursache der Entstehung eines Dings <del rend="hatching">von</del>
</add> Verwendung und Einord<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb10" start="#a30r_lb10" n="10">nung in ein System von Zwecken <hi rend="latin">toto coelo</hi> auseinander liegen; daß etwas Vorhandenes, irgendwie Zu-Stande-Gekom<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb11" start="#a30r_lb11" n="11">menes immer wieder von einer ihm überlegnen Macht auf <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e514" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb12" start="#a30r_lb12" n="12">Nutzen umgebildet und umgerichtet wird; daß alles Geschehen <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd7_a30r" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#substAdd7_a30r">in der organischen Welt</add>
</metamark> ein <hi rend="underline">Überwältigen</hi>, <hi rend="underline">Herrwerden</hi> und daß wiederum alles
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb13" start="#a30r_lb13" n="13">Überwältigen und Herrwerden <del corresp="#substDel7a_a30r" rend="hatching">in der organischen und</del> <del corresp="#substDel7b_a30r" rend="hatching">unorganischen Welt</del> ein Neu-Interpretieren, ein Zurechtmachen ist,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb14" start="#a30r_lb14" n="14">bei dem der bisherige „Sinn“ <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e551" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> nothwendig verdunkelt oder ganz ausgelöscht werden muß. Wenn man die <hi rend="underline">Nützlichkeit</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb15" start="#a30r_lb15" n="15">von irgend welchem physiologischen Organ (oder auch einer Rechts-Institution, einer <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e560" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a30r_add_d2e573">Künsten oder im</add>
</metamark> religiösen Cultus) noch so gut begriffen hat, so hat man damit noch nichts in Betreff seiner Entstehung<del rend="hatching">, noch nicht ein</del>
<del rend="hatching">mal in Betreff seiner bisherigen</del> <del rend="hatching">Entwicklung</del> begriffen: so unbequem und unangenehm dies älteren Ohren klingen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb18" start="#a30r_lb18" n="18">mag, – denn <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e595" function="insertion">
<del rend="hatching">bisher</del> hatte man in dem nachweisbaren Zwecke<add place="inline" corresp="#a30r_add_d2e600">, <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e602" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" instant="true" corresp="#a30r_add_d2e602">in der Nützlichkeit</add>
</metamark>
</add> eines Dings, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="68"/>einer Form, einer Einrichtung auch <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e608" function="insertion">
<del rend="hatching">aus dem</del> Greifen.<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#a30r_add_d2e640"> So hat man sich auch die Strafe vorgestellt als erfunden <hi rend="underline">zum</hi> Strafen.</add>
</add>
</metamark> Aber alle Zwecke, alle Nützlichkeiten sind nur <hi rend="underline">Anzeichen</hi> davon, daß <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e649" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a30r_add_d2e649">
<del rend="hatching">wieder</del>
</add>
</metamark> ein Wille zur
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb20" start="#a30r_lb20" n="20">Macht über etwas weniger Mächtiges Herr geworden ist und ihm von sich aus den Sinn einer Funktion aufgeprägt hat; und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb21" start="#a30r_lb21" n="21">die ganze Geschichte eines „Dings“ <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e657" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a30r_add_d2e657">eines Organs, eines Brauchs</add>
</metamark> kann dergestalt eine fortgesetzte <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e661" function="insertion">
</metamark>Kette von immer neuen Interpretationen und Zurechtma<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb22" start="#a30r_lb22" n="22">chungen sein, deren Ursachen selbst unter sich nicht im Zusammenhange zu sein brauchen, vielmehr <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd8_a30r" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a30r_add_d2e679">eines Dings<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#a30r_add_d2e681">, eines Brauchs<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#a30r_add_d2e683">, eines Organs</add>
</add>
</add>
</metamark> ist demgemäß nichts weniger als sein <hi rend="latin">progressus</hi> auf ein Ziel hin, noch weni<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb24" start="#a30r_lb24" n="24">ger ein logischer und kürzester, mit dem kleinsten Aufwand von Kraft und Kosten erreichter <hi rend="latin">progressus</hi>, – sondern die Auf<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb25" start="#a30r_lb25" n="25">einanderfolge von mehr oder minder tiefgehenden, mehr oder minder von einander unabhängigen <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd9_a30r" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#substAdd9_a30r">
<add corresp="#substAdd11_a30r" place="inline" rend="insMExt">an ihm sich abspielenden<space unit="char" quantity="5"/>
</add> <del corresp="#substDel11a_a30r" rend="hatching">an irgend etwas Festerem und Widerstehenden </del>
<del corresp="#substDel14g_a30r" rend="strikethrough">muß sich auch seinerseits, so schwach es auch sein mag</del>,</add>
</metamark> <del corresp="#substDel13b_a30r" rend="hatching">bewegt sich auch seinerseits</del> <del corresp="#substDel14h_a30r" rend="strikethrough">von innen her nach außen<metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd13d_a30r" function="insertion" rend="beforePunctuation">
<del corresp="#substDel14j_a30r" rend="strikethrough">ßen“ zu bethätigen und zu bereichern, um es in sich hineinzunehmen und ihm <hi rend="underline">sein</hi> Gesetz, <hi rend="underline">seinen</hi> Sinn aufzuprägen. </del>
<add place="above" corresp="#substAdd13e_a30r">Die Form ist flüssig, der „Sinn“ ist es <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e827" function="insertion">
</metamark> innerhalb jedes einzelnen Organismus steht es nicht anders: mit jedem wesentlichen Wachsthum des Ganzen verschiebt sich auch
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb31" start="#a30r_lb31" n="31">der „Sinn“ der einzelnen Organe, – unter Umständen kann deren theilweises Zu-Grunde-Gehn, deren Zahl-Verminderung (zum
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb32" start="#a30r_lb32" n="32">Beispiel durch Vernichtung der Mittel<metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e837" function="insertion" rend="inWord">
<del hand="#N_brown1" rend="hatching">bildungen</del>) ein Zeichen wachsender Kraft und <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="69"/>Vollkommenheit sein. Ich wollte sagen: auch
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb33" start="#a30r_lb33" n="33">das theilweise <hi rend="underline">Unnützlichwerden</hi>, das Verkümmern und Entarten, das Verlustiggehn von Sinn und Zweckmäßigkeit gehört <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e850" function="insertion">
</metamark> wirklichen <hi rend="latin">progressus</hi>: als welcher immer in Gestalt eines Willens und Wegs zu <hi rend="underline">größerer</hi> <hi rend="underline">Macht</hi> erscheint und immer auf
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb35" start="#a30r_lb35" n="35">Unkosten zahlreicher kleinerer Mächte durchgesetzt wird. Die Größe eines „Fortschritts“ <hi rend="underline">bemißt</hi> sich <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e885" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb37" start="#a30r_lb37" n="37">welcher lieber sich noch mit der absoluten Zufälligkeit, ja <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e954" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> Unsinnigkeit alles Geschehens <del instant="unknown">sich</del> vertragen würde als mit der The<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb38" start="#a30r_lb38" n="38">orie eines in allem Geschehen sich abspielenden <hi rend="underline">Macht-Willens</hi>. D<del rend="overwritten" cause="#a30r_add_d2e972">er</del>
</add> <del rend="hatching">und in ihnen Unfug</del> <add hand="#N_brown1" place="inline" rend="insMExt" corresp="#a30r_add_d2e1074">eindringen <hi rend="underline">darf</hi>;</add>
</add>
</metamark>
<del rend="hatching">sein Unwesen</del> <del rend="hatching">treibt;</del> ja er scheint mir <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e1086" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb41" start="#a30r_lb41" n="41">vom Leben <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd18_a30r" function="insertion">
<add place="above" corresp="#substAdd18_a30r">Herr geworden zu sein<add hand="#N_brown1" place="inline" rend="insMExt" corresp="#a30r_add_d2e1100">, zu ihrem Schaden, wie sich von selbst versteht,</add>
</add>
</metamark>
<del corresp="#substDel18_a30r" rend="hatching">in eine falsche Richtung gedrängt zu haben</del>, indem er ihr <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e1106" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a30r_add_d2e1106">einen Grundbegriff, den der</add>
</metamark>
<del rend="hatching">den Begriff</del> der eigentlichen <hi rend="underline">Aktivität</hi>, <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e1115" function="insertion">
<del rend="hatching">eskamotirt</del>. Man stellt dagegen <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e1124" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a30r_add_d2e1124">unter dem Druck jener Idiosynkrasie</add>
</metamark> die „Anpassung“ in den Vordergrund<metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e1128" function="insertion" rend="beforePunctuation">
<add place="above" corresp="#a30r_add_d2e1128"> das heißt eine Aktivität zweiten Ranges, <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="70"/>eine bloße Reaktivität</add>
</metamark>, ja man hat das Leben selbst als eine immer zweckmäßigere
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb43" start="#a30r_lb43" n="43">innere Anpassung an äußere Umstände definirt (<hi rend="latin">Herbert Spencer</hi>) Damit ist aber das Wesen des Lebens verkannt, sein <hi rend="underline">Wille</hi> <hi rend="underline">zur</hi>
<hi rend="underline">Macht</hi>; damit ist der principielle Vorrang übersehn, den die spontanen, angreifenden, übergreifenden, neu-auslegenden, neu-richtenden
</line>
<line xml:id="srcD_line_a30r_lb45" start="#a30r_lb45" n="45">und gestaltenden Kräfte haben, auf deren Wirkung erst die „Anpassung“ folgt; <metamark xml:id="srcD_metamark_a30r_add_d2e1152" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a30r_add_d2e1152">damit ist im Organismus selbst die herrschaftliche Rolle der höchsten </add>
</metamark>
<del rend="hatching">als eine Reaktion und Unterwerfungsform dessen, was</del>
<add corresp="#a30r_add_d2e1158" place="above">Funktionäre abgeleugnet, in denen der Wille zum Leben aktiv und aggressiv erscheint. Man erinnert sich, was <hi rend="latin">Huxley Spencer’n</hi> zum Vorwurf gemacht hat – seinen „<hi rend="latin">admini<pc force="weak">-</pc>
</hi>
</add>
<del rend="hatching">zu schwach ist, um über den Feind Herr zu werden, und eben noch stark genug, um sein Sonderdasein aufrecht zu erhalten</del>
<add corresp="#a30r_add_d2e1169" place="below">
<hi rend="latin">strativen Nihilismus</hi>“: aber es handelt sich noch um <hi rend="underline">mehr</hi> als um’s „Administriren“…</add>
<add place="inline" corresp="#a31r_add_d2e67">– </add>Man hat also, um zur Sache, nämlich zur <hi rend="underline">Strafe</hi> zurückzukehren, zweierlei an ihr zu unterscheiden: einmal das relativ
</metamark> Abfolge von Prozeduren, andrerseits das <hi rend="underline">Flüssige</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb4" start="#a31r_lb4" n="4">an ihr, den Sinn, den <retrace>Z</retrace>weck, die Erwartung, welche sich an die Ausführung solcher Prozeduren knüpft. Hierbei wird
<del rend="hatching">muß</del>, daß letztere<del corresp="#substDel1_a31r" rend="strikethrough">r</del> erst in die <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e155" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a31r_add_d2e155">(längst vorhandene, aber in einem anderen Sinne übliche)</add>
</metamark> Prozedur <hi rend="underline">hineingelegt</hi>, hineingedeutet worden ist,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb7" start="#a31r_lb7" n="7">kurz, daß es <hi rend="underline">nicht</hi> so steht, wie unsre naiven Moral- und Rechtsgenealogen bisher annahmen, welche sich <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e167" function="insertion" rend="inSpatium">
</add>, ihren „Sinn“, so stellt in einem sehr späten Zustan<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb10" start="#a31r_lb10" n="10">de der Cultur (zum Beispiel im heutigen Europa) der Begriff <del rend="overwritten" cause="#a31r_add_d2e230">d</del>
<add place="superimposed" instant="true" corresp="#a31r_add_d2e230">„S</add>trafe“ in der That <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e233" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark>, die Geschichte ihrer Ausnützung zu den verschiedensten Zwecken
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb12" start="#a31r_lb12" n="12">krystallisirt sich zuletzt in eine Art von Einheit, welche schwer löslich, schwer zu analysiren und<add place="inline" corresp="#a31r_add_d2e253">, <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e255" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" instant="true" corresp="#a31r_add_d2e255">was man hervorheben muß,</add>
</metamark>
</add> ganz und gar <hi rend="underline">unde</hi>
<del corresp="#substDel4_a31r" rend="hatching">Alle</del> Begriffe, in denen <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd3b_a31r" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> ein ganzer Prozeß semiotisch zusammen<del corresp="#substDel3b_a31r" rend="hatching">ge</del>faßt <del corresp="#substDel3c_a31r" rend="hatching">wird</del>, entziehn sich der Defini<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb14" start="#a31r_lb14" n="14">tion; definirbar ist nur das, was keine Geschichte hat.<add corresp="#substAdd4_a31r" place="inline">)</add>
<del corresp="#substDel3d_a31r" rend="hatching">)</del> In einem früheren Stadium erscheint dagegen jene Synthesis
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb15" start="#a31r_lb15" n="15">von „Sinnen“ noch löslicher, auch noch verschiebbarer; man kann <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e316" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> wahrnehmen, wie für jeden einzelnen Fall die Elemen<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb16" start="#a31r_lb16" n="16">te der Synthesis <del rend="hatching">noch</del> ihre Werthigkeit verändern und sich demgemäß umordnen, so daß bald dies, bald jenes Element
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb17" start="#a31r_lb17" n="17">auf Kosten der übrigen hervortritt und dominirt, ja unter Umständen Ein Element (etwa der Zweck der Abschreckung)
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb18" start="#a31r_lb18" n="18">den ganzen Rest von Elementen aufzuheben scheint. Um wenigstens eine Vorstellung davon zu geben, wie unsicher,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb19" start="#a31r_lb19" n="19">wie nachträglich, wie accidentiell „der Sinn“ der Strafe ist und wie ein und dieselbe Prozedur auf grundverschiedne Ab<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb20" start="#a31r_lb20" n="20">sichten hin benützt, gedeutet, zurechtgemacht werden kann: so stehe hier das Schema, das sich mir selbst auf Grund
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb21" start="#a31r_lb21" n="21">eines verhältnißmäßig kleinen und zufälligen Materials ergeben hat. Strafe als Unschädlichmachen, als Verhinderung wei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb22" start="#a31r_lb22" n="22">teren Schädigens. Strafe <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="72"/>als Abzahlung des Schadens an den Geschädigten, in irgend einer Form (auch in der <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e350" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb23" start="#a31r_lb23" n="23">Compensation) Strafe als Isolirung einer Gleichgewichts-Störung, um ein Weitergreifen der Störung zu verhüten. Strafe
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb24" start="#a31r_lb24" n="24">als Furchteinflößen vor denen, welche die Strafe bestimmen und <choice corresp="#a31r_choice_d2e360">
<sic>Exekutiren</sic>
<corr>exekutiren</corr>
</choice>. Strafe als eine Art Ausgleich für die Vortheile,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb25" start="#a31r_lb25" n="25">welche der Verbrecher bis dahin genossen hat (zum Beispiel wenn er als Bergwerkssklave nutzbar gemacht wird). Strafe
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb26" start="#a31r_lb26" n="26">als Ausscheidung eines entartenden Elementes (unter Umständen eines ganzen Zweigs, wie nach chinesischem Rechte:
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb27" start="#a31r_lb27" n="27">somit als Mittel zur Reinerhaltung der Rasse oder <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e370" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> eines socialen Typus). Strafe als Fest, nämlich als Verge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb28" start="#a31r_lb28" n="28">waltigung und Verhöhnung eines endlich niedergeworfnen Feindes. Strafe als ein Gedächtniß-machen, sei es für den,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb29" start="#a31r_lb29" n="29">der die Strafe erleidet – die sogenannte „Besserung“, sei es für die Zeugen der Exekution. Strafe als <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e382" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a31r_add_d2e382">Zahlung eines Honorars</add>
<del hand="#N_brown1" rend="hatching">die</del> Macht, welche den Übelthäter vor den Ausschweifungen der Rache schützt<del rend="strikethrough">e</del>. <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e407" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a31r_add_d2e407">Strafe als Compromiß mit<add corresp="#substAdd5a_a31r" place="inline" rend="insMExt"> dem Naturzustand<del rend="strikethrough">*e</del>
</metamark> aufrecht erhalten und als Privilegium in Anspruch <choice corresp="#a31r_choice_d2e434">
<sic>genomen</sic>
<corr>genommen</corr>
</choice> wird. Strafe als Kriegserklärung <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e439" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
</metamark> Gesetzes, der Ordnung, der Obrigkeit, den man als gefährlich für das Gemeinwesen, als vertragsbrüchig
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb33" start="#a31r_lb33" n="33">in Hinsicht auf dessen Voraussetzungen, als einen Empörer, Verräther <choice corresp="#a31r_choice_d2e456">
<abbr>u</abbr>
<expan>und</expan>
</choice> Friedensbrecher mit <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e461" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb36" start="#a31r_lb36" rend="indent" hand="#N_brown1" n="36">Diese Liste ist gewiß nicht vollständig; ersichtlich ist die Strafe mit Nützlichkeiten aller Art überladen. <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="73"/>Um so eher darf
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb37" start="#a31r_lb37" hand="#N_brown1" n="37"> man von ihr eine <hi rend="underline">vermeintliche</hi> Nützlichkeit in Abzug bringen, die allerdings im populären Bewußtsein als ihre wesentlich<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb38" start="#a31r_lb38" hand="#N_brown1" n="38">ste gilt, – der Glaube an die Strafe, der heute aus mehreren Gründen wackelt, findet <del rend="hatching">heute</del> <metamark xml:id="srcD_metamark_a31r_add_d2e508" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a31r_lb39" start="#a31r_lb39" hand="#N_brown1" n="39"> seine kräftigste Stütze. Die Strafe soll den Werth haben, das <hi rend="underline">Gefühl</hi> <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Schuld</hi> im Schuldigen aufzuwecken, man sucht in
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb1" start="#a33r_lb1" n="1">oder einem Unglücke oder dem Tode unterwirft, mit jenem beherzten Fatalismus ohne Revolte, durch den zum Beispiel heute
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb2" start="#a33r_lb2" n="2">noch die Russen in der Handhabung des Lebens gegen uns Westländer im Vortheil sind. Wenn es damals eine Kritik
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb3" start="#a33r_lb3" n="3">der That gab, so war es die Klugheit, die an der That Kritik übte: – in der That müssen wir die eigentliche <hi rend="underline">Wirkung</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb4" start="#a33r_lb4" n="4">der Strafe vor Allem in einer Verschärfung der Klugheit suchen, <metamark xml:id="srcD_metamark_a33r_add_d2e58" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a33r_add_d2e58">in einer Verlängerung des <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="76"/>Gedächtnisses,</add>
</metamark> in einem Willen, fürderhin vorsichtiger, mißtrauischer, heim<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb5" start="#a33r_lb5" n="5">licher zu Werke zu gehn, in der Einsicht, daß man für Vieles ein-für-alle-Mal zu schwach sei, in einer Art Verbesse<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb6" start="#a33r_lb6" n="6">rung der Selbstbeurtheilung. Das, was durch die Strafe im Großen erreicht werden kann, bei Mensch und Thier, ist die
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb7" start="#a33r_lb7" n="7">Vermehrung der Furcht, die Verschärfung der Klugheit, die Bemeisterung der Begierden: damit <hi rend="underline">zähmt</hi> die Strafe den
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb8" start="#a33r_lb8" n="8">Menschen, aber sie macht ihn nicht „besser“, – man dürfte mit mehr Recht noch das Gegentheil behaupten. <add corresp="#substAdd1a_a33r" place="inline">(„Scha<pc force="weak">-</pc>
<del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">der Pöbel</del>: soweit er klug macht, macht er auch schlecht<del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">)</del>
<add hand="#typesetter_black1" place="inline" corresp="#a33r_add_d2e98">. Glücklicher Weise macht er oft genug dumm.)</add>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb11" start="#a33r_lb11" rend="indent" n="11">An dieser Stelle ist es nun nicht mehr zu umgehn, meiner eignen Hypothese über den Ursprung des „schlechten Ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb12" start="#a33r_lb12" n="12">wissens“ zu einem ersten vorläufigen Ausdrucke zu verhelfen: sie ist nicht leicht zu Gehör zu bringen und will
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb13" start="#a33r_lb13" n="13">lange bedacht, bewacht und beschlafen sein. Ich nehme das schlechte Gewissen als die tiefe Erkrankung, <del rend="hatching" instant="true">der</del> welcher der
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb14" start="#a33r_lb14" n="14">Mensch unter dem Druck jener gründlichsten aller Veränderungen verfallen mußte, die er überhaupt erlebt hat – je<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb15" start="#a33r_lb15" n="15">ner Veränderung, als er sich endgültig in den Bann der Gesellschaft und des Friedens eingeschlossen fand. Nicht anders
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb16" start="#a33r_lb16" n="16">als es den Wasserthieren ergangen sein muß als sie gezwungen wurden, entweder Landthiere zu werden oder zu Grunde
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb17" start="#a33r_lb17" n="17">zu gehn, so gieng es diesen der Wildniß, dem Kriege, dem Herumschweifen, dem Abenteuer glücklich angepaßten
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb18" start="#a33r_lb18" n="18">Halbthieren – mit Einem Male waren alle ihre Instinkte entwerthet und „ausgehängt“. Sie sollten nunmehr auf
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb19" start="#a33r_lb19" n="19">den Füßen gehn und „sich selber tragen“, wo sie bisher vom <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="77"/>Wasser getragen wurden: eine entsetzliche Schwere lag
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb20" start="#a33r_lb20" n="20">auf ihnen. Zu den einfachsten Verrichtungen fühlten sie sich ungelenk, sie hatten für diese neue unbekannte Welt
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb21" start="#a33r_lb21" n="21">ihre alten Führer nicht mehr, die regulirenden unbewußt-sicherführenden Triebe – sie waren auf Denken, Schließen, Be<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb22" start="#a33r_lb22" n="22">rechnen, Combiniren von Ursachen und Wirkungen reduzirt, diese Unglücklichen, auf ihr „Bewußtsein“, auf ihr<del rend="strikethrough">e</del> ärm<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb23" start="#a33r_lb23" n="23">lichstes und fehlgreifendstes Organ! Ich glaube, daß niemals auf Erden ein solches Elends-Gefühl, ein solches blei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb24" start="#a33r_lb24" n="24">ernes Mißbehagen dagewesen ist – und dabei <choice corresp="#a33r_choice_d2e165">
<sic>hatte</sic>
<corr>hatten</corr>
</choice> jene alten Instinkte nicht mit Einem Male aufgehört, ihre For<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb25" start="#a33r_lb25" n="25">derungen zu stellen! Nur war es schwer und <del rend="strikethrough">nur</del> selten möglich, ihnen zu Willen zu sein: in der Hauptsache
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb26" start="#a33r_lb26" n="26">mußten sie sich neue und gleichsam unterirdische Befriedigungen suchen. Alle Instinkte, welche sich nicht nach außen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb27" start="#a33r_lb27" n="27">entladen, <hi rend="underline">wenden</hi> <hi rend="underline">sich</hi> <hi rend="underline">nach</hi> <hi rend="underline">innen</hi> – dies ist das, was ich die <hi rend="underline">Verinnerlichung</hi> des Menschen nenne: damit wächst
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb28" start="#a33r_lb28" n="28">erst das an den Menschen heran, was man später seine „Seele“ nennt. Die ganze innere Welt, ursprünglich dünn
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb29" start="#a33r_lb29" n="29">wie zwischen zwei Häute eingespannt, ist in dem Maaße auseinander- und aufgegangen, hat Tiefe, Breite, Höhe bekom<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb30" start="#a33r_lb30" n="30">men, als die Entladung des Menschen nach außen <hi rend="underline">gehemmt</hi> worden ist. Jene furchtbaren Bollwerke, mit denen sich
<del rend="hatching">feindliche</del> Organisation gegen die alten Instinkte <metamark xml:id="srcD_metamark_a33r_add_d2e219" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> schützte – die Strafen gehören vor Allem zu diesen Bollwerken –
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb32" start="#a33r_lb32" n="32">brachten zu Wege, daß alle jene Instinkte des wilden freien schweifenden Menschen sich rückwärts, sich <hi rend="underline">gegen</hi> <hi rend="underline">den</hi> <hi rend="underline">Men</hi>
<hi rend="underline">schen</hi> <hi rend="underline">selbst</hi> wandten. Die Feindschaft, die Grausamkeit, die Lust an der Verfolgung, am Überfall, am Wechsel, an der
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb34" start="#a33r_lb34" n="34">Zerstörung – Alles das gegen die Inhaber solcher In<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="78"/>stinkte sich wendend: das ist der Ursprung des „schlechten Gewissens“.
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb35" start="#a33r_lb35" n="35">Der Mensch, der sich, aus Mangel an äußeren Feinden und Widerständen, eingezwängt in eine drückende Enge und Regel<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb36" start="#a33r_lb36" n="36">mäßigkeit der Sitte, ungeduldig selbst zerriß, verfolgte, annagte, aufstörte, mißhandelte, dies an den Gitterstangen seines
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb37" start="#a33r_lb37" n="37">Käfigs sich wund <metamark xml:id="srcD_metamark_a33r_add_d2e257" function="insertion">
<del rend="hatching">reibende</del> Thier, das man „zähmen“ will, dieser Entbehrende und vom Heimweh der Wüste Verzehrte,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a33r_lb38" start="#a33r_lb38" n="38">der aus sich selbst eine Wildniß, eine Folterstätte, eine unsichere und gefährliche Wüste schaffen mußte – dieser Mensch,
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb2" start="#a37r_lb2" rend="indent" n="2">Dies vorläufig im Kurzen und Groben über den Zusammenhang <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e67" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a37r_add_d2e67">der Begriffe „Schuld“, „Pflicht“ mit religiösen Voraussetzungen:</add>
</metamark>
<del rend="hatching">in der Geschichte des</del> <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e72" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb3" start="#a37r_lb3" n="3">ich habe absichtlich die eigentliche Moralisirung dieser Begriffe (die Zurückschiebung derselben ins Gewissen, noch bestimmter,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb4" start="#a37r_lb4" n="4">die Verwicklung des <hi rend="underline">schlechten</hi> Gewissens mit dem Gottesbegriffe) bisher bei Seite gelassen und am Schluß des vorigen Ab<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb5" start="#a37r_lb5" n="5">schnittes sogar geredet, wie als ob es diese Moralisirung gar nicht gäbe, folglich, wie als ob es mit jenen Begriffen nun<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb6" start="#a37r_lb6" n="6">mehr nothwendig zu <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e98" function="insertion">
<del rend="hatching">E*he</del> gienge, nachdem deren Voraussetzung gefallen ist, der Glaube an unsern „Gläubiger“, an
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb7" start="#a37r_lb7" n="7">Gott. Der Thatbestand weicht davon in einer furchtbaren Weise ab. Mit der Moralisirung der Begriffe Schuld und
<add place="above" instant="true" corresp="#a37r_add_d2e110">mit ihrer Zurückschiebung ins <hi rend="underline">schlechte</hi> Gewissen</add>
</metamark>
</add> ist ganz eigentlich der Versuch gegeben, die Richtung der eben beschriebenen Entwicklung <hi rend="underline">umzukehren</hi>, min<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb9" start="#a37r_lb9" n="9">destens ihre Bewegung stillzustellen: jetzt <hi rend="underline">soll</hi> gerade die Aussicht auf eine <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="87"/>endgültige Ablösung ein-für-
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb10" start="#a37r_lb10" n="10">alle-Mal sich <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e132" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb11" start="#a37r_lb11" n="11">jene Begriffe „Schuld“ und „Pflicht“ sich rückwärts wenden – gegen <hi rend="underline">wen</hi>
<del rend="hatching">die</del> Breite und Tiefe wächst, bis endlich
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb13" start="#a37r_lb13" n="13">mit der Unlösbarkeit der Schuld auch die Unlösbarkeit der Bu<retrace>ß</retrace>e, <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd1a_a37r" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb14" start="#a37r_lb14" n="14">pirt ist –<del rend="overwritten" cause="#a37r_add_d2e206">:</del>
<add place="superimposed" corresp="#a37r_add_d2e206">;</add> endlich aber sogar gegen den „Gläubiger“, <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e209" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a37r_add_d2e209">an die <hi rend="latin">causa prima</hi> des Menschen,</add>
</metamark> denke man dabei nun an den <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e217" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a37r_add_d2e217">Anfang des menschlichen Geschlechts und seine*n <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e219" function="insertion">
</metamark> mit einem Fluche behaftet wird („Adam“, „Erbsünde“, „Unfreiheit des Willens“) oder an die Natur, aus deren
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb16" start="#a37r_lb16" n="16">Schooß der Mensch entsteht und in die nunmehr das böse Princip hineingelegt wird („Verteufelung der Natur“) oder
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb17" start="#a37r_lb17" n="17">an das Dasein überhaupt, das als <hi rend="underline">unwerth</hi> <hi rend="underline">an</hi> <hi rend="underline">sich</hi> übrig bleibt (nihilistische Abkehr von ihm, Verlangen ins Nichts
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb18" start="#a37r_lb18" n="18">oder Verlangen in seinen „Gegensatz“, <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e245" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a37r_add_d2e245">in ein Anders-sein</add>
</metamark> Buddhismus und Verwandtes) – bis wir mit Einem Male vor dem para<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb19" start="#a37r_lb19" n="19">doxen und entsetzlichen Auskunftsmittel stehn, an dem die <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e254" function="insertion">
<del rend="hatching">blitz</del> des <hi rend="underline">Christenthums</hi>: Gott selbst sich für die Schuld des Menschen opfernd, Gott selbst sich an
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb21" start="#a37r_lb21" n="21">sich selbst bezahlt machend, Gott als der Einzige, der vom Menschen ablösen kann, was für den Menschen selbst un<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb24" start="#a37r_lb24" n="24">Man wird bereits errathen haben, <hi rend="underline">was</hi> eigentlich <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e347" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a37r_add_d2e347">mit dem Allen und <hi rend="underline">unter</hi> dem Allen</add>
</metamark> geschehen ist: jener Wille zur Selbstpeinigung, jene zurückge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb25" start="#a37r_lb25" n="25">tretene Grausamkeit des innerlich gemachten, in sich selbst zurückgescheuchten Thiermenschen, <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e359" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a37r_add_d2e359">des zum Zweck der Zähmung in den „Staat“ Eingesperrten,</add>
</metamark> der das schlechte Gewissen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb26" start="#a37r_lb26" n="26">erfunden hat, um sich wehe zu thun, nachdem der <hi rend="underline">natürlichere</hi> Ausweg dieses Wehe-thun-wollens verstopft war, <del rend="overwritten" cause="#a37r_add_d2e370">d</del>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb27" start="#a37r_lb27" n="27">dieser Mensch des schlechten Gewissens hat sich der religiösen Voraussetzung bemächtigt, um seine Selbstmarterung
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb28" start="#a37r_lb28" n="28">bis zu ihrer schauerlichsten Härte und Schärfe zu treiben. <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e380" function="insertion">
<add place="above" corresp="#a37r_add_d2e380">Eine Schuld gegen <hi rend="underline">Gott</hi>: dieser Gedanke wird ihm zum Folterwerkzeug.<add corresp="#substAdd5_a37r" place="inline" rend="insMExt"> Er ergreift in „Gott“</add>
</add>
</metamark>
<del corresp="#substDel5_a37r" rend="hatching">Er ergreift</del> die letzten Gegensätze, die er zu seinen ei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb29" start="#a37r_lb29" n="29">gentlichen und unablöslichen Thier-Instinkten zu finden vermag, <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd2a_a37r" function="insertion">
<add place="above" corresp="#substAdd2a_a37r">er deutet diese Thier-Instinkte selbst um als Schuld gegen Gott (als Feindschaft, Auflehnung, Aufruhr <add place="inline" rend="*red-marking" instant="true" corresp="#a37r_add_d2e397">
</metamark> er spannt sich in den Widerspruch „Gott“ und „Teufel“,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb30" start="#a37r_lb30" n="30">er wirft alles Nein, das er zu sich selbst, zur Natur, Natürlichkeit, Thatsächlichkeit seines Wesens sagt, aus sich her<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb31" start="#a37r_lb31" n="31">aus als ein Ja, als seiend, leibhaft, wirklich, als Gott, als Heiligkeit Gottes, als Richterthum Gottes, als Henker<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb32" start="#a37r_lb32" n="32">thum Gottes, als Jenseits, als Ewigkeit, als Marter ohne Ende, als Hölle, als Unausmeßbarkeit von Strafe und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb33" start="#a37r_lb33" n="33">von Schuld. Dies ist eine Art <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e416" function="insertion">
<hi rend="underline">Wille</hi> des Menschen, sich schuldig und verwerflich zu finden bis zur Unsühnbarkeit, <metamark xml:id="srcD_metamark_a37r_add_d2e428" function="insertion">
<del rend="hatching">der</del> <hi rend="underline">Wille</hi>, sich bestraft zu
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb35" start="#a37r_lb35" n="35">denken, ohne daß die Strafe je der Schuld äquivalent werden könne, <add corresp="#a37r_add_d2e440" place="above">sein</add>
<del rend="hatching">der</del> <hi rend="underline">Wille</hi>, den unter<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="89"/>sten Grund der Dinge
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb36" start="#a37r_lb36" n="36">mit dem Problem von Strafe und Schuld zu inficiren und giftig zu machen, um sich aus diesem Labyrinth <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd4_a37r" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a37r_add_d2e473">ein für alle Mal</add>
</metamark> den <del rend="hatching">letzten</del> Ausweg abzuschneiden, <add corresp="#a37r_add_d2e480" place="above">sein</add>
<del rend="strikethrough">der</del> <hi rend="underline">Wille</hi>, ein Ideal aufzurichten – das des „heiligen Gottes“ – um An<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb38" start="#a37r_lb38" n="38">gesichts desselben seiner absoluten Unwürdigkeit handgreiflich gewiß zu sein. Oh über diese wahnsinnige traurige
</line>
<line xml:id="srcD_line_a37r_lb39" start="#a37r_lb39" n="39">Bestie Mensch! Welche Einfälle kommen ihr, welche Widernatur, welche Paroxysmen des Unsinns, welche
</metamark>, wenn sie nur ein wenig verhindert wird, <hi rend="underline">Bestie</hi> <hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">That</hi> zu sein!… Dies Alles ist
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb2" start="#a38r_lb2" n="2">interessant bis zum Übermaaß, aber auch von einer schwarzen düsteren <metamark xml:id="srcD_metamark_a38r_add_d2e80" function="insertion">
</metamark> Traurigkeit, daß man es sich gewaltsam
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb3" start="#a38r_lb3" n="3">verbieten muß, zu lange in diese Abgründe zu blicken. Hier ist <hi rend="underline">Krankheit</hi>, es ist kein Zweifel, die furchtbarste
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb4" start="#a38r_lb4" n="4">Krankheit, die bis jetzt im Menschen gewüthet hat: – und wer es noch zu <restore type="strikethrough">
<hi rend="underline">hören</hi>
</restore> vermag (aber man hat heute nicht
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb5" start="#a38r_lb5" n="5">mehr die Ohren dafür! –) wie in dieser Nacht von Marter und Widersinn der Schrei <del rend="strikethrough">„</del>
<hi rend="underline">Liebe</hi>
<del rend="strikethrough">“</del>, der Schrei des sehn<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb6" start="#a38r_lb6" n="6">süchtigsten Entzückens, der Erlösung in der <hi rend="underline">Liebe</hi> geklungen hat, der wendet sich ab, von einem unbesieglichen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb7" start="#a38r_lb7" n="7">Grausen erfaßt… Im Menschen ist so viel Entsetzliches!… Die Erde war <metamark xml:id="srcD_metamark_a38r_add_d2e116" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb9" start="#a38r_lb9" rend="indent" n="9">Dies genüge ein für alle Mal über die Herkunft des „heiligen Gottes“. – Daß <hi rend="underline">an</hi> <hi rend="underline">sich</hi> die Conception von Göttern
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb10" start="#a38r_lb10" n="10">nicht nothwendig zu dieser Verschlechterung der Phantasie führen muß, deren Vergegenwärtigung wir uns für einen
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb11" start="#a38r_lb11" n="11">Augenblick nicht erlassen durften, daß es <hi rend="underline">vornehmere</hi> Arten giebt, sich der <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="90"/>Erdichtung von Göttern zu bedienen, als zu
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb12" start="#a38r_lb12" n="12">dieser Selbstkreuzigung und Selbstschändung des Menschen, in der die letzten Jahrtausende Europa’s ihre Meisterschaft
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb13" start="#a38r_lb13" n="13">gehabt haben – das läßt sich zum Glück aus jedem Blick noch abnehmen, den man auf die <hi rend="underline">griechischen</hi> <hi rend="underline">Götter</hi> wirft,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb14" start="#a38r_lb14" n="14">diese Wiederspiegelungen vornehmer und selbstherrlicher Menschen, in denen das <hi rend="underline">Thier</hi> im Menschen sich vergöttlicht
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb15" start="#a38r_lb15" n="15">fühlte und <hi rend="underline">nicht</hi> sich selbst zerriß, <hi rend="underline">nicht</hi> gegen sich selber wüthete! Diese Griechen haben sich die längste Zeit ihrer
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb16" start="#a38r_lb16" n="16">Götter bedient, gerade um sich das „schlechte Gewissen“ vom Leibe zu halten, um ihrer Freiheit der Seele froh
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb17" start="#a38r_lb17" n="17">bleiben zu dürfen: also in einem umgekehrten Verstande als das Christenthum Gebrauch von seinem Gotte ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb18" start="#a38r_lb18" n="18">macht hat. Sie giengen darin <hi rend="underline">sehr</hi> <hi rend="underline">weit</hi>, diese prachtvollen und <metamark xml:id="srcD_metamark_a38r_add_d2e190" function="insertion">
<del rend="hatching">über</del>müthigen Kindsköpfe; und keine geringere
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb19" start="#a38r_lb19" n="19">Autorität als die des homerischen Zeus <metamark xml:id="srcD_metamark_a38r_add_d2e198" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> giebt es ihnen hier und da zu verstehn, daß sie es sich zu leicht ma<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb20" start="#a38r_lb20" n="20">chen. „Wunder! sagt er einmal – es handelt sich um den Fall des Ägisthos<add place="inline" corresp="#a38r_add_d2e207">,</add> <del rend="hatching">–</del> um einen <hi rend="underline">sehr</hi> schlimmen Fall –
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb21" start="#a38r_lb21" rend="indent" n="21">„Wunder, wie sehr doch klagen die Sterblichen wider die Götter!
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb22" start="#a38r_lb22" rend="indent" n="22">„<hi rend="underline">Nur</hi> <hi rend="underline">von</hi> <hi rend="underline">uns</hi> <hi rend="underline">sei</hi> <hi rend="underline">Böses</hi>, vermeinen sie; aber sie selber
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb23" start="#a38r_lb23" rend="indent" n="23">„Schaffen durch Unverstand, auch gegen Geschick, sich das Elend.“
<add place="above" corresp="#a38r_add_d2e248">Doch hört und sieht man hier zugleich,</add>
</metamark>
<del>Aber man sieht</del>, auch dieser olympische Zuschauer und Richter ist ferne davon, ihnen deshalb gram zu sein und
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb25" start="#a38r_lb25" n="25">böse von ihnen zu denken: „was sie <hi rend="underline">thöricht</hi> sind!“ so denkt er bei den Unthaten der Sterblichen – und „Thor<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb26" start="#a38r_lb26" n="26">heit“, „Unverstand“, ein wenig „Störung im Kopfe“, so viel haben auch die <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="91"/>Griechen der stärksten, tapfersten Zeit
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb27" start="#a38r_lb27" n="27">selbst bei sich <hi rend="underline">zugelassen</hi> als Grund von vielem Schlimmen und Verhängnißvollen – Thorheit, <hi rend="underline">nicht</hi> Sünde! ver<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb28" start="#a38r_lb28" n="28">steht ihr das?… <del rend="strikethrough">„</del>Selbst aber diese Störung im Kopfe <metamark xml:id="srcD_metamark_a38r_add_d2e282" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#a38r_add_d2e282">war ein Problem</add>
<del rend="hatching">, wie <hi rend="underline">wir</hi> sind?“</del> – so fragte sich Jahrhunderte lang der vornehme Grieche Angesichts jedes ihm unverständli<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb31" start="#a38r_lb31" n="31">chen Greuels und Frevel’s, mit dem <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd2_a38r" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb36" start="#a38r_lb36" rend="indent" n="36">– Ich schließe mit drei Fragezeichen<del rend="overwritten" cause="#a38r_add_d2e426">.</del>
<line xml:id="srcD_line_a38r_lb38" start="#a38r_lb38" n="38">det und verkannt, wie viel Lüge geheiligt, wie viel Gewissen verstört, wie viel „Gott“ jedes Mal geopfert
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb1" start="#a39r_lb1" n="1">werden muß<add corresp="#substAdd1_a39r" place="inline">te</add>? Damit ein Heiligthum aufgerichtet werden kann, <hi rend="underline">muß</hi> <hi rend="underline">ein</hi> <hi rend="underline">Heiligthum</hi> <hi rend="underline">zerbrochen</hi> <hi rend="underline">werden</hi>: das ist
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb2" start="#a39r_lb2" n="2">das Gesetz – man zeige mir den Fall, wo es nicht erfüllt ist!… Wir modernen Men<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="92"/>schen, wir sind die
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb3" start="#a39r_lb3" n="3">Erben der Gewissens-Vivisektion und Selbstkreuzigung von Jahrtausenden: darin haben wir unsre längste Übung,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb4" start="#a39r_lb4" n="4">unsre Meisterschaft vielleicht, in jedem Fall unser Raffinement, unsre Geschmacks-Verwöhnung. Der Mensch hat all<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb5" start="#a39r_lb5" n="5">zulange seine natürlichen Hänge mit „bösem Blick“ betrachtet, so daß sie sich in ihm schließlich mit dem „schlechten
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb6" start="#a39r_lb6" n="6">Gewissen“ verschwistert haben. Ein umgekehrter Versuch wäre <hi rend="underline">an</hi> <hi rend="underline">sich</hi> möglich – aber wer ist stark genug dazu? – näm<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb7" start="#a39r_lb7" n="7">lich die <hi rend="underline">unnatürlichen</hi> Hänge, alle jene Aspirationen zum Jenseitigen, Sinnenwidrigen, Denkwidrigen, Naturwidrigen,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb8" start="#a39r_lb8" n="8">Thierwidrigen, kurz die bisherigen Ideale, die allesammt lebensfeindliche Ideale, Weltverleumder-Ideale sind, mit
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb9" start="#a39r_lb9" n="9">dem schlechten Gewissen zu verschwistern. An wen sich heute mit <hi rend="underline">solchen</hi> Hoffnungen und Ansprüchen wenden?…
<del corresp="#substDel2_a39r" rend="hatching" instant="true">Es bedürfte dazu einer andren Art Geister, als gerade in diesem Zeitalter wahrscheinlich sind</del> Gerade die <hi rend="underline">guten</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb11" start="#a39r_lb11" n="11">Menschen hätte man damit gegen sich; dazu, wie billig, die bequemen, die versöhnten, die eitlen, die selbst<pc force="weak">-</pc>
<del rend="hatching">en</del>, die müden… Was beleidigt tiefer, was trennt so gründlich ab als etwas von der Strenge und Höhe
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb13" start="#a39r_lb13" n="13">merken zu lassen, mit der man sich selbst behandelt? Und wiederum – wie entgegenkommend, wie liebreich zeigt
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb14" start="#a39r_lb14" n="14">sich alle Welt gegen uns, sobald wir es machen, wie alle Welt und uns „gehen lassen“ wie alle Welt!…
<seg corresp="#substAddSeg2_a39r">Es bedürfte zu jenem Ziele einer <hi rend="underline">andren</hi> Art Geister, als gerade in diesem Zeitalter wahrscheinlich sind</seg>: Gei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb16" start="#a39r_lb16" n="16">ster, durch Kriege und Siege gekräftigt, denen die Eroberung, das Abenteuer, die Gefahr, der Schmerz sogar zum
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb17" start="#a39r_lb17" n="17">Bedürfniß geworden ist; es bedürfte dazu der Gewöhnung an scharfe hohe Luft, an winterliche Wanderungen,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb18" start="#a39r_lb18" n="18">an Eis und Gebirge in jedem Sinne, es bedürfte dazu einer Art sublimer Bosheit selbst, eines letzten selbst<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb19" start="#a39r_lb19" n="19">gewissesten Muth<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="93"/>willens der Erkenntniß, welcher zur <restore type="strikethrough">
<hi rend="underline">großen</hi>
</restore> <restore type="strikethrough">
<hi rend="underline">Gesundheit</hi>
</restore> gehört, es bedürfte, kurz und schlimm
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb20" start="#a39r_lb20" n="20">genug, eben dieser <hi rend="underline">großen</hi> <hi rend="underline">Gesundheit</hi>!… Ist diese gerade heute auch nur möglich?… Aber irgendwann,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb21" start="#a39r_lb21" n="21">in einer stärkeren Zeit, als diese morsche, selbstzweiflerische Gegenwart ist, muß er uns doch kommen, der
<hi rend="underline">erlösende</hi> Mensch der großen Liebe und Verachtung, der schöpferische Geist, den seine drängende Kraft aus
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb23" start="#a39r_lb23" n="23">allem Abseits und Jenseits immer wieder wegtreibt, dessen Einsamkeit vom Volke mißverstanden wird,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb24" start="#a39r_lb24" n="24">wie als ob sie eine Flucht <hi rend="underline">vor</hi> der Wirklichkeit sei –: <add corresp="#a39r_add_d2e206" place="above" hand="#typesetter_black1">während</add>
<del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">aber</del> sie <del corresp="#substDel3a_a39r" hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">ist</del> nur seine Versenkung, Vergrabung,
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb25" start="#a39r_lb25" n="25">Vertiefung <hi rend="underline">in</hi> die Wirklichkeit<add corresp="#substAdd3a_a39r" hand="#typesetter_black1" place="inline"> ist</add>, <add corresp="#a39r_add_d2e224" place="above" hand="#typesetter_black1">damit er einst aus ihr</add>
<del hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">bis sie zuletzt</del>, wenn er <del rend="hatching">einst</del> wieder ans Licht kommt, <del corresp="#substDel3b_a39r" hand="#typesetter_black1" rend="strikethrough">eben</del> die
<delSpan corresp="#substDelSpan3_a39r" type="delPassage" hand="#typesetter_black1" spanTo="#delEnd1_a39r"/>… Dieser Mensch der Zukunft, der uns von dem bisherigen Ideale er<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb27" start="#a39r_lb27" n="27">löst, der Besieger <del rend="strikethrough">„</del>Gottes<del rend="strikethrough">“</del> – er <hi rend="underline">muß</hi> einst kommen. –<anchor corresp="#delEnd1_a39r"/>
</line>
<line xml:id="srcD_line_a39r_lb28" start="#a39r_lb28" rend="centered" n="28">x x x<anchor corresp="#appAnchor_a39r28"/>
</add> heimbringe: ihre Erlösung von dem<anchor corresp="#appAnchor_a39r29"/> Fluche, den das bisherige <add hand="#typesetter_blue" place="inline" instant="true" corresp="#a39r_add_d2e287">
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb1" start="#b3r_lb1" n="1">leicht <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="99"/>in Nichts größer als gerade darin, den Muth zu seiner <hi rend="underline">Sinnlichkeit</hi> gehabt zu
<add place="above" corresp="#b3r_add_d2e56">(– man hieß sie damals, zart genug, die „evangelische Freiheit“…)</add>
</metamark> Selbst aber in jenem Falle, wo es wirklich jenen Gegensatz zwischen Keuschheit
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb3" start="#b3r_lb3" n="3">und Sinnlichkeit giebt, braucht es glücklicher Weise noch lange kein tragischer Gegensatz
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb4" start="#b3r_lb4" n="4">zu sein. Dies dürfte wenigstens für alle wohlgeratheneren, wohlgemutheren Sterbli<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb5" start="#b3r_lb5" n="5">chen gelten, welche ferne davon sind, ihr labiles Gleichgewicht zwischen „Thier und
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb6" start="#b3r_lb6" n="6">Engel“ ohne Weiteres zu den Gegengründen des Daseins zu rechnen<del rend="overwritten" cause="#b3r_add_d2e74">.</del>
<add place="superimposed" corresp="#b3r_add_d2e74" instant="true">,</add> – die Feinsten
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb7" start="#b3r_lb7" n="7">und Hellsten, gleich Goethen, gleich Hafis, haben darin sogar einen Lebensreiz <hi rend="underline">mehr</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb8" start="#b3r_lb8" n="8">gesehn. Solche „Widersprüche“ gerade verführen zum Dasein… Andrerseits versteht es
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb9" start="#b3r_lb9" n="9">sich nur zu gut, daß wenn einmal die verunglückten Schweine dazu gebracht werden,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb10" start="#b3r_lb10" n="10">die Keuschheit anzubeten – und es giebt solche Schweine! – sie in ihr nur ihren Ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb11" start="#b3r_lb11" n="11">gensatz, den Gegensatz zum verunglückten Schweine sehn und anbeten<del rend="strikethrough" cause="insM">*;</del> <metamark xml:id="srcD_metamark_b3r_add_d2e100" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb13" start="#b3r_lb13" n="13">und überflüssigen Gegensatz, den Richard Wagner unbestreitbar am Ende seines Le<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb14" start="#b3r_lb14" n="14">bens noch hat in Musik setzen und auf die Bühne stellen wollen. <hi rend="underline">Wozu</hi> <hi rend="underline">doch</hi>?
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb15" start="#b3r_lb15" n="15">wie man billig fragen darf. Denn was giengen ihn, was gehen uns <del rend="hatching">–</del> die Schwei<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb18" start="#b3r_lb18" rend="indent" n="18">Dabei ist freilich jene andre Frage nicht zu umgehn, was ihn eigentlich jene männ<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb19" start="#b3r_lb19" n="19">liche (ach, so unmännliche) „Einfalt vom Lande“ angieng, jener arme Teufel und Natur<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb20" start="#b3r_lb20" n="20">bursch Parsifal, der von ihm mit so verfänglichen Mitteln schließlich katholisch gemacht
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb21" start="#b3r_lb21" n="21">wird – wie? war dieser Parsifal überhaupt <hi rend="underline">ernst</hi> ge<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="100"/>meint? Man könnte näm<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb22" start="#b3r_lb22" n="22">lich versucht sein, das Umgekehrte zu muthma<restore type="dotUnderline">
<del rend="strikethrough">a</del>
</restore>ßen, selbst zu wünschen, – daß der
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb23" start="#b3r_lb23" n="23">Wagnersche Parsifal heiter gemeint sei, gleichsam als Schlußstück und Satyrdrama,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b3r_lb24" start="#b3r_lb24" n="24">mit dem der Tragiker Wagner auf eine gerade ihm gebührende und würdige Weise von
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb1" start="#b7r_lb1" n="1">Schutzwehr, einen Rückhalt, eine bereits begründete Autorität: die Künstler stehen
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb2" start="#b7r_lb2" n="2">nie für sich, das Alleinstehn geht wi<del rend="strikethrough">e</del>der ihre tiefsten Instinkte. So nahm zum Bei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb3" start="#b7r_lb3" n="3">spiel Richard Wagner den Philosophen Schopenhauer<add place="inline" corresp="#b7r_add_d2e80">
<add place="above" instant="true" corresp="#b7r_add_d2e84">als „die Zeit gekommen war“,</add>
</metamark>
</add> zu seinem Vordermann, zu
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb4" start="#b7r_lb4" n="4">seiner Schutzwehr: – wer möchte es auch nur für <metamark xml:id="srcD_metamark_b7r_add_d2e90" function="insertion">
<hi rend="underline">Muth</hi> zu einem asketischen Ideal gehabt hätte, ohne den Rückhalt, den ihm
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb6" start="#b7r_lb6" n="6">die Philosophie Schopenhauer’s bot, ohne die in den siebziger Jahren in Europa <hi rend="underline">zum</hi>
<add place="above" corresp="#substAdd8a_b7r" style="left:-19.2969em;">(dabei noch nicht in An<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="104"/>schlag gebracht, ob im <hi rend="underline">neuen</hi> Deutschland <add place="inline" rend="red-marking" instant="true" corresp="#b7r_add_d2e120">
<del corresp="#substDel2b_b7r" rend="hatching">hauer</del> dem asketischen Ideale huldigt, ein wirklich auf sich gestellter Geist<del rend="hatching">,</del> <metamark xml:id="srcD_metamark_b7r_add_d2e163" function="insertion" rend="endOfLine">
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb10" start="#b7r_lb10" n="10">Mann und Ritter mit erzenem Blick, der den Muth zu sich selber hat<add place="inline" corresp="#b7r_add_d2e171">, <metamark xml:id="srcD_metamark_b7r_add_d2e173" function="insertion" rend="endOfLine">
<add place="above" instant="true" corresp="#b7r_add_d2e173">der allein zu stehn weiß</add>
<del corresp="#substDel3_b7r" rend="hatching">braucht</del>? – Erwägen wir hier sofort die merkwürdige und für
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb12" start="#b7r_lb12" n="12">manche Art Mensch selbst fascinirende Stellung Schopenhauers zur <hi rend="underline">Kunst</hi>: denn sie
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb13" start="#b7r_lb13" n="13">ist es ersichtlich gewesen, um derentwillen <hi rend="underline">zunächst</hi> Richard Wagner zu Schopenhauern
<del rend="hatching">Theorie</del> <del corresp="#substDel5_b7r" rend="hatching">und seiner späteren</del> auf<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb16" start="#b7r_lb16" n="16">riß, – erstere<add corresp="#substAdd6a_b7r" place="inline">r</add> zum Beispiel in „Oper und Drama“ ausgedrückt, letztere<add corresp="#substAdd6b_b7r" place="inline">r</add> in den Schriften,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb17" start="#b7r_lb17" n="17">die er von 1870 an <metamark xml:id="srcD_metamark_b7r_add_d2e264" function="insertion">
</metamark>sein Urtheil über Werth und Stellung der <hi rend="underline">Musik</hi> selbst: was lag ihm daran, daß er
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb19" start="#b7r_lb19" n="19">bisher aus ihr ein Mittel, ein Medium, ein „Weib“ gemacht hatte, das schlech<pc force="weak">-</pc>
<add place="superimposed" corresp="#b7r_add_d2e352">E</add>r begriff
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb21" start="#b7r_lb21" n="21">mit Einem Male, daß mit der Schopenhauerschen Theorie und Neuerung <hi rend="underline">mehr</hi> zu
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb22" start="#b7r_lb22" n="22">machen sei <hi rend="latin">in majorem musicae gloriam</hi>, – nämlich mit der <hi rend="underline">Souverainetät</hi> der Mu<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b7r_lb23" start="#b7r_lb23" n="23">sik, so wie sie Schopenhauer begriff: die Musik abseits gestellt gegen alle übri<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb1" start="#b14r_lb1" n="1">wären – was hat diese Art Mensch mit Tugenden zu schaffen! – sondern als die ei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb2" start="#b14r_lb2" n="2">gentlichsten und natürlichsten Bedingungen ihres <hi rend="underline">besten</hi> Daseins, ihrer <hi rend="underline">schönsten</hi> Fruchtbar<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb3" start="#b14r_lb3" n="3">keit. Dabei ist es ganz wohl möglich, daß ihre dominirende Geistigkeit vorerst einem un<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb4" start="#b14r_lb4" n="4">bändigen und reizbaren Stolze oder einer muthwilligen Sinnlichkeit Zügel anzulegen hatte oder
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb5" start="#b14r_lb5" n="5">daß sie ihren Willen zur „Wüste“ vielleicht <del corresp="#substDel1_b14r" rend="hatching">schwer genug</del> gegen einen Hang zum Luxus
<add place="above" corresp="#substAdd3b_b14r"> – sie thut es noch</add>
</metamark>; thäte sie’s nicht, so dominirte sie eben
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb9" start="#b14r_lb9" n="9">nicht. Daran ist also nichts von „Tugend“. Die <hi rend="underline">Wüste</hi> <metamark xml:id="srcD_metamark_b14r_add_d2e158" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b14r_add_d2e158">übrigens, von welcher ich eben sprach</add>
</metamark>
<del rend="hatching">andrerseits</del>, in die sich die
<add place="above" corresp="#b14r_add_d2e180">bildeten sich eine Wüste träumen! – unter Umständen sind sie es nämlich selbst, <milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen8"/>
<del rend="hatching">der Pöbel vorstellt; und</del> gewiß ist es, daß alle Schauspieler des Geistes es schlechterdings
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb12" start="#b14r_lb12" n="12">nicht in ihr aushielten, – für sie ist sie lange nicht romantisch und syrisch genug, lange
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb13" start="#b14r_lb13" n="13">nicht Theater-Wüste genug! Es fehlt allerdings auch in ihr nicht an Kameelen: dar<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb14" start="#b14r_lb14" n="14">auf aber beschränkt sich die <metamark xml:id="srcD_metamark_b14r_add_d2e198" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb17" start="#b14r_lb17" n="17">Gethier und Geflügel, dessen Anblick erholt; <metamark xml:id="srcD_metamark_b14r_add_d2e240" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b14r_add_d2e240">ein Gebirge zur Gesellschaft, aber kein todtes, eins mit <hi rend="underline">Augen</hi> (das heißt mit Seeen);</add>
</metamark> unter Umständen selbst ein Zimmer in einem
</metamark>Gasthof, wo man sicher ist, verwechselt zu werden und ungestraft mit Jedermann
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb19" start="#b14r_lb19" n="19">reden kann, – das ist hier „Wüste“: oh sie ist einsam genug, glaubt es mir! Wenn
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb20" start="#b14r_lb20" n="20">Heraklit sich in die Freihöfe und Säulengänge des ungeheuren Artemistempels zurück<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb21" start="#b14r_lb21" n="21">zog, so war diese „Wüste“ würdiger, ich gebe es zu: weshalb <hi rend="underline">fehlen</hi> uns solche Tem<pc force="weak">-</pc>
<add place="above" corresp="#b14r_add_d2e296">dem <hi rend="underline">wir</hi> jetzt aus dem Wege gehn</add>
</metamark>
<del rend="hatching">wie heute</del>: der Lärm und das
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb23" start="#b14r_lb23" n="23">Demokraten-Geschwätz der Ephesier, ihre Politik, <metamark xml:id="srcD_metamark_b14r_add_d2e307" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b14r_add_d2e307">ihre Neuigkeiten vom „Reich“<del rend="overwritten" cause="#b14r_add_d2e312">,</del>
<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#b14r_add_d2e314">Persien, man versteht mich)</add>
</add>
</metamark> ihr Markt-Kram von „Heute“, – denn
</line>
<line xml:id="srcD_line_b14r_lb24" start="#b14r_lb24" n="24">wir Philosophen brauchen zu allererst vor Einem Ruhe: vor <metamark xml:id="srcD_metamark_b14r_add_d2e320" function="insertion">
<del hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#proofreadingCb8" status="excessEnd">ist, daß wir <hi rend="underline">eben</hi> <hi rend="underline">damit</hi> uns täglich räthselreicher werden, daß wir das Leben
<add place="above" corresp="#b20r_add_d2e125">aus jeder Erbsünde ist eine Erbtugend geworden.</add>
</metamark> Die Ehe zum Beispiel schien lange eine Ver<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb8" start="#b20r_lb8" n="8">sündigung am Rechte der Gemeinde; man hat einst Buße dafür gezahlt, so unbe<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb9" start="#b20r_lb9" n="9">scheiden zu sein und sich ein Weib für sich anzumaaßen (dahin gehört <metamark xml:id="srcD_metamark_b20r_add_d2e139" function="insertion">
</metamark> die Selbstverachtung gegen sich: man schämte sich der Milde, wie man sich heute
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb12" start="#b20r_lb12" n="12">der Härte schämt (Vergl. „<hi rend="latin">Jenseits von Gut und Böse</hi>“ S. 232) Die Unterwerfung unter
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb13" start="#b20r_lb13" n="13">das <hi rend="underline">Recht</hi>: – oh mit was für Gewissens-Widerstande haben die vornehmen Geschlech<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb14" start="#b20r_lb14" n="14">ter überall auf Erden ihrerseits Verzicht auf <hi rend="latin">
<add place="superimposed" corresp="#b20r_add_d2e193">V</add>endetta</hi> geleistet und dem Recht über
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb15" start="#b20r_lb15" n="15">sich Gewalt eingeräumt! Das „Recht“ war lange ein <hi rend="latin">vetitum</hi>, ein Frevel, eine
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb16" start="#b20r_lb16" n="16">Neuerung; es trat mit Gewalt auf, <hi rend="underline">als</hi> Gewalt, der man sich nur mit Scham vor
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb17" start="#b20r_lb17" n="17">sich selber fügte. Jeder kleinste Schritt auf der Erde ist ehedem mit geistigen und
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb18" start="#b20r_lb18" n="18">körperlichen Martern erstritten worden: dieser ganze Gesichtspunkt, „daß nicht
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb19" start="#b20r_lb19" n="19">nur das Vorwärtsschreiten, nein! <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="120"/>das Schreiten, die Bewegung, die Veränderung ihre
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb20" start="#b20r_lb20" n="20">unzähligen Märtyrer nöthig gehabt hat“, klingt gerade heute uns so fremd, – ich habe
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb21" start="#b20r_lb21" n="21">ihn in der „Morgenröthe“ S. 17 ff. ans Licht gestellt. „Nichts ist theurer erkauft, heißt
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb22" start="#b20r_lb22" n="22">es daselbst S. 19, als das Wenige von menschlicher Vernunft und vom Gefühle der Frei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb23" start="#b20r_lb23" n="23">heit, was jetzt unsern Stolz ausmacht. Dieser Stolz aber ist es, dessentwegen es uns
</line>
<line xml:id="srcD_line_b20r_lb24" start="#b20r_lb24" n="24">jetzt fast unmöglich wird, mit jenen ungeheuren Zeitstrecken der „Sittlichkeit der Sitte“
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb1" start="#b28r_lb1" n="1">ist der fleisch<milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen9"/>
<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="129"/>gewordne Wunsch nach einem Anders-sein, Anderswo-sein, <metamark xml:id="srcD_metamark_b28r_add_d2e46" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#b28r_add_d2e46" style="left:-9.29688em;">und zwar der höchste Grad dieses Wunsches,</add>
</metamark> dessen eigent<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb2" start="#b28r_lb2" n="2">liche Inbrunst und Leidenschaft: aber eben die <hi rend="underline">Macht</hi> seines Wünschens ist die Fessel,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb3" start="#b28r_lb3" n="3">die ihn hier anbindet, eben damit wird er zum Werkzeug, das daran arbeiten muß,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb4" start="#b28r_lb4" n="4">günstigere Bedingungen für das Hier-sein und Mensch-sein zu schaffen<add place="inline" corresp="#b28r_add_d2e62">,</add> – eben mit die<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb5" start="#b28r_lb5" n="5">ser <hi rend="underline">Macht</hi> hält er die ganze Heerde der Mißrathnen, Verstimmten, Schlechtweggekomm<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb6" start="#b28r_lb6" n="6">nen, Verunglückten, An-sich-Leidenden jeder Art am Dasein fest, <metamark xml:id="srcD_metamark_b28r_add_d2e80" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:0.421875em;height:0.890625em;">
<add place="above" corresp="#b28r_add_d2e80" style="left:0em;">indem er <metamark xml:id="srcD_metamark_b28r_add_d2e83" function="insertion" style="top:0.234375em;height:1.09375em;">
</metamark>: dieser asketische Priester, dieser anscheinende Feind des
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb8" start="#b28r_lb8" n="8">Lebens, dieser <hi rend="underline">Verneinende</hi>
<add hand="#N_pencil" place="inline" corresp="#b28r_add_d2e111">,</add> – er gerade gehört zu den ganz großen <hi rend="underline">conservirenden</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb9" start="#b28r_lb9" n="9">und Ja-<hi rend="underline">schaffenden</hi> Gewalten des Lebens… Woran sie hängt, jene Krankhaftigkeit?
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb10" start="#b28r_lb10" n="10">Denn der Mensch ist kränker, unsicherer, wechselnder, unfestgestellter als irgend ein
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb11" start="#b28r_lb11" n="11">Thier sonst, daran ist kein Zweifel, – er ist <hi rend="underline">das</hi> kranke Thier: woher kommt das? Si<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb12" start="#b28r_lb12" n="12">cherlich hat er auch mehr gewagt, geneuert, getrotzt, das Schicksal herausgefordert als alle
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb13" start="#b28r_lb13" n="13">übrigen Thiere zusammen genommen: er, der große Experimentator mit sich, der Un<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb14" start="#b28r_lb14" n="14">befriedigte, Ungesättigte, der um die letzte Herrschaft mit Thier, Natur und Göttern ringt,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb15" start="#b28r_lb15" n="15">– er, der immer noch Unbezwungne, der ewig-Zukünftige, der vor seiner eignen drän<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb16" start="#b28r_lb16" n="16">genden Kraft keine Ruhe mehr findet, so daß ihm seine Zukunft unerbittlich wie
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb17" start="#b28r_lb17" n="17">ein Sporn im Fleische <metamark xml:id="srcD_metamark_b28r_add_d2e154" function="insertion">
<del rend="hatching">der</del> Gegenwart wühlt: – wie sollte ein solches muthiges und rei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb18" start="#b28r_lb18" n="18">ches Thier nicht auch das am Meisten gefährdete, das am Längsten und Tiefsten kran<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb19" start="#b28r_lb19" n="19">ke unter allen <del rend="overwritten" cause="#b28r_add_d2e173">K</del>
<add place="superimposed" corresp="#b28r_add_d2e173" instant="true">k</add>ranken Thieren sein?… Der Mensch hat es satt, oft genug, es giebt
<del rend="hatching">es <hi rend="latin">danse</hi> von <hi rend="latin">Saint-Guy</hi>)</del>
</add>
</metamark>: aber selbst noch dieser Ekel, diese Müdigkeit,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb21" start="#b28r_lb21" n="21">dieser Verdruß an sich selbst – Alles tritt an ihm so mächtig heraus, daß es sofort
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb22" start="#b28r_lb22" n="22">wieder zu einer neuen Fessel wird. Sein Nein, das er zum Leben spricht, bringt wie
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb23" start="#b28r_lb23" n="23">durch einen Zauber eine Fülle zarterer Ja’s ans Licht; ja wenn er sich <hi rend="underline">verwundet</hi>,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b28r_lb24" start="#b28r_lb24" n="24">dieser Meister der Zerstörung, Selbstzerstörung, – hinterdrein ist es die Wunde selbst, die
<hi rend="underline">vergiftet</hi> <hi rend="underline">er</hi> <hi rend="underline">zugleich</hi> <hi rend="underline">die</hi> <hi rend="underline">Wunde</hi> –<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#b34r_add_d2e116"> darauf vor Allem <add place="above">nämlich</add> versteht er sich,</add>
</add>
</metamark>, dieser<anchor corresp="#appAnchor_b34r2"/> Zauberer und Raubthier-Bändiger, in dessen <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="137"/>Umkreis alles Gesunde <metamark xml:id="srcD_metamark_b34r_add_d2e127" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb4" start="#b34r_lb4" n="4">digt sie auch gegen sich, gegen die in der Heerde <metamark xml:id="srcD_metamark_b34r_add_d2e147" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb7" start="#b34r_lb7" n="7">fährlichste Spreng- und Explosivstoff, das <hi rend="underline">
<hi rend="latin">Ressentiment</hi>
</hi>, sich beständig häuft und häuft. Die<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb8" start="#b34r_lb8" n="8">sen Sprengstoff so zu entladen, daß er nicht die Heerde und nicht den Hirten zersprengt,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb9" start="#b34r_lb9" n="9">das ist sein eigentliches Kunststück, auch seine oberste Nützlichkeit; wollte man den Werth
</line>
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb10" start="#b34r_lb10" n="10">der priesterlichen Existenz in die kürzeste Formel fassen, so wäre geradewegs zu sagen:
</line>
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb11" start="#b34r_lb11" n="11">der Priester ist der <hi rend="underline">Richtungs</hi>-<hi rend="underline">Veränderer</hi> des <hi rend="latin">Ressentiment</hi>. Jeder Leidende nämlich sucht
</line>
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb12" start="#b34r_lb12" n="12">instinktiv zu seinem Leid eine Ursache; genauer noch, einen Thäter, noch bestimmter, einen
</line>
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb13" start="#b34r_lb13" n="13">für Leid empfänglichen <metamark xml:id="srcD_metamark_b34r_add_d2e227" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b34r_add_d2e227">
<hi rend="underline">schuldigen</hi>
</add>
</metamark> Thäter, – kurz, irgend etwas Lebendiges, an dem er seine Affekte
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb17" start="#b34r_lb17" n="17">Ursächlichkeit des <hi rend="latin">Ressentiment</hi>, der Rache und ihrer Verwandten, <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd2_b34r" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b34r_add_d2e324"> von der Art, wie sie ein Frosch ohne Kopf noch vollzieht, um eine ätzende Säure loszuwerden.</add>
</metamark> Aber die Verschiedenheit ist fundamental: im Einen Falle will man weiteres
</line>
<line xml:id="srcD_line_b34r_lb21" start="#b34r_lb21" n="21">Beschädigtwerden hindern, <del rend="hatching">oft genug</del> <del rend="hatching">selbst noch ohne Bewußtsein vom Schmerz*;</del>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb1" start="#b35r_lb1" n="1">daran sein, daß ich mich schlecht befinde“ – diese Art zu schließen ist allen Krankhaften ei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb2" start="#b35r_lb2" n="2">gen, und zwar je mehr ihnen die wahre Ursache ihres Sich-Schlecht-Befindens<add place="inline" corresp="#b35r_add_d2e55">, <metamark xml:id="srcD_metamark_b35r_add_d2e57" function="insertion" rend="endOfLine">
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb3" start="#b35r_lb3" n="3">(– sie kann etwa in einer Erkrankung des <hi rend="latin">nervus sympathicus</hi> liegen oder in einer übermä<pc force="weak">-</pc>
<add place="above" corresp="#b35r_add_d2e71">oder an einer Armut des Blutes an schwefel- und phosphorsaurem <hi rend="latin">Kali</hi>
</add>
</metamark> oder in Druckzuständen des Unterleibs, welche den Blutumlauf
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb5" start="#b35r_lb5" n="5">stauen oder in Entartung der Eierstöcke und dergleichen)<del rend="hatching">;</del> <metamark xml:id="srcD_metamark_b35r_add_d2e82" function="insertion">
<del rend="hatching">sie</del> sind allesammt von einer
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb6" start="#b35r_lb6" n="6">entsetzlichen Bereitwilligkeit und Erfindsamkeit in Vorwänden zu <metamark xml:id="srcD_metamark_b35r_add_d2e95" function="insertion">
<add corresp="#substAdd1b_b35r" style="left:0em;top:-2.03128em;" place="above">nießen ihren Argwohn schon, das Grübeln über Schlechtigkeiten und scheinbare Beeinträchtigungen, sie </add>
</metamark>wühlen die Eingeweide ihrer Vergangenheit und Gegenwart nach dunklen fragwürdigen Ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb9" start="#b35r_lb9" n="9">schichten, wo es ihnen freisteht, in einem <metamark xml:id="srcD_metamark_b35r_add_d2e132" function="insertion">
<add place="inline" corresp="#b35r_add_d2e156"> sie verbluten sich an längst ausgeheilten Narben<del rend="overwritten" cause="#substAdd2a_b35r">.</del>
<add place="superimposed" corresp="#b35r_add_d2e176">hafte</add> Schaf. Aber sein Hirt, der asketische Priester, sagt zu ihm: „Recht so!
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb12" start="#b35r_lb12" n="12">mein Schaf! irgend wer muß daran schuld sein: aber du selbst bist dieser Irgend-Wer, <metamark xml:id="srcD_metamark_b35r_add_d2e182" function="insertion" rend="endOfLine" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#b35r_add_d2e182" style="left:-9.375em;">du selbst bist daran allein schuld, –</add>
<add place="above" corresp="#b35r_add_d2e213" style="left:0em;">Das ist kühn genug, falsch genug: aber Eins ist damit <metamark xml:id="srcD_metamark_b35r_add_d2e215" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:0.527343em;height:0.800782em;">
</metamark> der Heilkünstler-Instinkt des Lebens durch den asketischen Prie<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb19" start="#b35r_lb19" n="19">ster zum Mindesten <hi rend="underline">versucht</hi> hat und wozu <metamark xml:id="srcD_metamark_b35r_add_d2e301" function="insertion">
</metamark> eine zeitweilige Tyrannei solcher paradoxer und
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb20" start="#b35r_lb20" n="20">paralogischer Begriffe wie „Schuld“ „Sünde“ „Sündhaftigkeit“ „Verderbniß“ „Verdammniß“ hat dienen
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb21" start="#b35r_lb21" n="21">müssen: die Kranken bis zu einem gewissen Grade <hi rend="underline">unschädlich</hi> zu machen, die Unheilba<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb22" start="#b35r_lb22" n="22">ren durch sich selbst zu zerstören, den Milder-Erkrankten streng die Richtung auf sich
<add place="above" instant="true" corresp="#b35r_add_d2e321">eine Rückwärts-Richtung ihres <hi rend="latin">Ressentiments</hi>
</add>
</metamark>
</add> zu geben („Eins ist noth“ –) und die schlechten Instinkte aller Leidenden <metamark xml:id="srcD_metamark_b35r_add_d2e326" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb24" start="#b35r_lb24" n="24">Selbstdisciplinirung, Selbstüberwachung, Selbstüberwindung <hi rend="underline">auszunützen</hi>. Es kann sich, wie
</line>
<line xml:id="srcD_line_b35r_lb25" start="#b35r_lb25" n="25">sich von selbst versteht, mit einer „Medikation“ dieser Art, einer bloßen Affekt-Me<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb2" start="#b38r_lb2" n="2">muß, welches aber, aus Mangel an physiologischem Wissen, nicht als solches <metamark xml:id="srcD_metamark_b38r_add_d2e81" function="insertion">
</metamark> ist meine allgemeinste Formel für das, was gemeinhin eine „Reli<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb5" start="#b38r_lb5" n="5">gion“ genannt wird) Ein solches Hemmungsgefühl kann verschiedenster Abkunft sein: etwa
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb6" start="#b38r_lb6" n="6">als Folge der Kreuzung von zu fremdartigen Rassen (oder von Ständen – Stände drücken im<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb7" start="#b38r_lb7" n="7">mer auch Abkunfts- und Rassen-Differenzen aus: d<del rend="overwritten" cause="#b38r_add_d2e115">ie</del>
<add place="superimposed" corresp="#b38r_add_d2e115" instant="unknown">er</add> europäische „Weltschmerz“, der „Pessimis<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb8" start="#b38r_lb8" n="8">mus“ des neunzehnten Jahrhunderts ist wesentlich die Folge einer unsinnig plötzlichen Stände-
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb9" start="#b38r_lb9" n="9">Mischung); oder bedingt durch eine fehlerhafte Emigration – eine Rasse in ein Clima ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb10" start="#b38r_lb10" n="10">rathen, für das <choice corresp="#b38r_choice_d2e131">
<sic>seine</sic>
<corr>ihre</corr>
</choice> Anpassungskraft nicht ausreicht (der Fall der Inder in Indien); oder die
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb11" start="#b38r_lb11" n="11">Nachwirkung von Alter und Ermüdung der Rasse<metamark xml:id="srcD_metamark_b38r_add_d2e138" function="insertion" rend="beforePunctuation">
<add place="above" corresp="#b38r_add_d2e138"> (Pariser Pessimismus von 1850 an)</add>
</metamark>; oder einer falschen Diät (Alcoholismus
</metamark>, welche freilich die Autorität des Junker Christoph bei Shakespeare für sich haben <add place="inline" rend="red-marking" corresp="#b38r_add_d2e155">
</add>); oder von Blutverderbniß, Malaria, Syphilis und dergleichen (deutsche De<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb13" start="#b38r_lb13" n="13">pression nach dem dreißigjährigen Kriege, welcher halb Deutschland mit schlechten Krankheiten
<del rend="hatching">in Servilität und Kleinmuth transfigurirte.)</del> <add place="inline" rend="insMExt" corresp="#b38r_add_d2e185">damit den Boden für deutsche Servilität, <del rend="hatching">für</del> deutschen Kleinmuth vorbereitete.)</add>
</add>
</metamark>) <del rend="hatching">Hier wird also</del>
<retrace>I</retrace>n einem solchen Falle wird</add>
</metamark> jedes Mal im größten Stil ein <hi rend="underline">Kampf</hi> <hi rend="underline">mit</hi> <hi rend="underline">dem</hi> <hi rend="underline">Unlustgefühl</hi>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb17" start="#b38r_lb17" n="17">– er ist interessant genug, aber zu absurd, zu praktisch-gleichgültig, <metamark xml:id="srcD_metamark_b38r_add_d2e251" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#b38r_add_d2e251" style="left:-1.875em;">zu spinneweberisch und eckensteherhaft,</add>
</metamark> etwa wenn <del corresp="#substDel5a_b38r" rend="hatching">sie</del> de<del rend="overwritten" cause="#b38r_add_d2e260">n</del>
<del rend="hatching">N</del>icht lieben; nicht hassen;
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb23" start="#b38r_lb23" n="23">Gleichmuth; nicht sich rächen; nicht sich bereichern; nicht arbeiten; betteln; womöglich kein
</line>
<line xml:id="srcD_line_b38r_lb24" start="#b38r_lb24" n="24">Weib, oder so wenig Weib als möglich<del rend="overwritten" cause="#b38r_add_d2e337">.</del>
<hi rend="underline">terschlaf</hi> für einige Thierarten, der <hi rend="underline">Sommerschlaf</hi> für viele Pflan<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="144"/>zen <metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e95" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_b39r_lb3" start="#b39r_lb3" n="3">von Stoffverbrauch und Stoffwechsel, bei dem das Leben gerade noch besteht, ohne ei<pc force="weak">-</pc>
</metamark> ins Bewußtsein zu treten. <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd1a_b39r" function="insertion" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" hand="#brown2" corresp="#substAdd1a_b39r" style="left:-12.5em;">Auf dieses Ziel ist eine erstaunliche Menge menschlicher Energie verwandt worden –</add>
</metamark>
<del corresp="#substDel1a_b39r" rend="hatching">(Die Prozeduren der meisten Wüsten-Heiligen<add place="inline" corresp="#b39r_add_d2e121">, <metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e123" function="insertion" rend="endOfLine">
<add place="above" instant="true" corresp="#b39r_add_d2e238" style="left:0em;">an denen alle Zeiten, fast alle Völker reich sind,</add>
</metamark>
</add> in der That eine wirkliche Erlösung von
</line>
<line xml:id="srcD_line_b39r_lb8" start="#b39r_lb8" n="8">dem gefunden haben, was sie mit eine<del rend="overwritten" cause="#b39r_add_d2e247">r</del>
<add place="superimposed" corresp="#b39r_add_d2e247">m</add> so rigorösen <metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e251" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b39r_add_d2e251">
<hi rend="latin">training</hi>
</add>
</metamark>
<del rend="hatching">
<hi rend="latin">drainage</hi>
</del> bekämpften, daran darf
</line>
<line xml:id="srcD_line_b39r_lb9" start="#b39r_lb9" n="9">man durchaus nicht zweifeln, – sie kamen von jener tiefen <metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e260" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#b39r_add_d2e283" style="left:-0.625em;">weshalb ihre Methodik zu den allgemeinsten <metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e285" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:0.429688em;height:0.898437em;">
</metamark> eine solche Absicht auf Aushungerung der Leiblichkeit und der Begierde <del corresp="#substDel5_b39r" rend="hatching">an sich schon</del> <metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e304" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_b39r_lb12" start="#b39r_lb12" n="12">Irrsinns-Symptome<del corresp="#substDel6_b39r" rend="strikethrough">n</del> zu rechnen (wie es eine täppische Art von Beefsteak-fressenden „Freigei<pc force="weak">-</pc>
<add place="above" corresp="#b39r_add_d2e339"> und Gestalt-</add>
</metamark>hallucinationen</sic>
<corr>Klang- und Gestalt-Hallucinationen</corr>
</choice>, zu
</line>
<line xml:id="srcD_line_b39r_lb15" start="#b39r_lb15" n="15">wollüstigen Überströmungen und Ekstasen<metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e347" function="insertion" rend="beforePunctuation">
<add place="above" corresp="#b39r_add_d2e347"> der Sinnlichkeit<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#b39r_add_d2e349"> (Geschichte der heiligen Therese)</add>
</add>
</metamark>. Die Auslegung, welche derartigen Zuständen
</line>
<line xml:id="srcD_line_b39r_lb16" start="#b39r_lb16" n="16">von den mit ihnen Behafteten gegeben wird, ist immer so schwärmerisch-falsch wie möglich ge<pc force="weak">-</pc>
<hi rend="underline">Willen</hi> zu einer solchen Interpretations-Art zum Erklingen kommt. Der höchste Zustand, <metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e369" function="insertion" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<line xml:id="srcD_line_b39r_lb19" start="#b39r_lb19" n="19">endlich erreichte Gesammt-Hypnotisirung und Stille, gilt ihnen <milestone unit="section" type="signature" edRef="#Ed" n="Bogen10"/>
</metamark> als das Geheimniß an sich<metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e383" function="insertion" rend="beforePunctuation" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#b39r_add_d2e383" style="left:-24.7656em;"> zu dessen Ausdruck auch die höchsten Symbole nicht ausreichen,</add>
</metamark>, als
</line>
<line xml:id="srcD_line_b39r_lb20" start="#b39r_lb20" n="20">unio mystica mit dem Grund der Dinge, als Freiwerden von allem Wahne, <metamark xml:id="srcD_metamark_b39r_add_d2e388" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark>gelangt, hielt er dasselbe nicht mehr aus… Moral: welcher kluge Mann schriebe heu<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb4" start="#b45r_lb4" n="4">te noch ein ehrliches Wort über sich? <metamark xml:id="srcD_metamark_b45r_add_d2e89" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#b45r_add_d2e89">– er müßte denn zum Orden der heiligen Tollkühnheit gehören.</add>
</metamark> Man verspricht uns eine Selbstbiographie Ri<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb5" start="#b45r_lb5" n="5">chard Wagners: wer zweifelt daran, daß es eine <hi rend="underline">kluge</hi> Selbstbiographie sein wird?…
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb6" start="#b45r_lb6" n="6">Gedenken wir noch des komischen Entsetzens, welches der katholische Priester Janssen mit
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb7" start="#b45r_lb7" n="7">seinem über alle Begriffe viereckig und harmlos gerathenen Bilde der deutschen Reforma<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb8" start="#b45r_lb8" n="8">tions-Bewegung in Deutschland erregt hat<del rend="overwritten" cause="#b45r_add_d2e114">:</del>
<add place="superimposed" corresp="#b45r_add_d2e114">;</add> was würde man <metamark xml:id="srcD_metamark_b45r_add_d2e118" function="insertion">
<del rend="hatching">thun</del>, wenn uns Je<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb9" start="#b45r_lb9" n="9">mand diese <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="153"/>Bewegung einmal <hi rend="underline">anders</hi> erzählte, wenn uns einmal ein wirklicher Psy<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb10" start="#b45r_lb10" n="10">cholog einen wirklichen Luther <metamark xml:id="srcD_metamark_b45r_add_d2e140" function="insertion">
<del rend="hatching">zeigte</del>, nicht mehr mit der moralistischen Einfalt eines Land<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb11" start="#b45r_lb11" n="11">geistlichen, nicht mehr mit der süßlichen und rücksichtsvollen Schamhaftigkeit protestanti<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb12" start="#b45r_lb12" n="12">scher Historiker, sondern etwa mit einer <hi rend="underline">
<hi rend="latin">Taine</hi>
</hi>’<hi rend="underline">schen</hi> Unerschrockenheit, aus einer <hi rend="underline">Stärke</hi>
<hi rend="underline">der</hi> <hi rend="underline">Seele</hi> heraus und nicht aus einer <metamark xml:id="srcD_metamark_b45r_add_d2e175" function="insertion">
<add corresp="#b45r_add_d2e296" style="left:-0.625em;top:-2.26595em;" place="above">Aber man wird mich schon verstanden haben: </add>– Grund genug<add place="inline" corresp="#b45r_add_d2e300">, </add>
<add place="above" corresp="#b45r_add_d2e350">die Beute, die <hi rend="underline">Kranken</hi>
</add>
</metamark>
<del rend="hatching">selbst</del> dieses vermoralisi<retrace>rt</retrace>en Zeitgeschmacks, so sehr wir <metamark xml:id="srcD_metamark_substAdd2a_b45r" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_b45r_lb22" start="#b45r_lb22" n="22">wahrscheinlich inficirt er auch noch <hi rend="underline">uns</hi>. Wovor warnte doch jener Diplomat, als er zu seines
<hi rend="underline">sind</hi> <hi rend="underline">fast</hi> <hi rend="underline">immer</hi> <hi rend="underline">gut</hi>“… So sollte auch jeder Psycholog heute zu seines Gleichen reden<del rend="overwritten" cause="#b45r_add_d2e420">.</del>
<add place="above" corresp="#b48r_add_d2e50">die Krämpfe eines unbekannten Glücks,</add>
</metamark> der Schrei nach „Erlösung“. In der That, mit diesem
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb2" start="#b48r_lb2" n="2">System von Prozeduren war die <metamark xml:id="srcD_metamark_b48r_add_d2e55" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
</metamark>erschöpft und doch nicht müde – so nahm sich der Mensch aus, <metamark xml:id="srcD_metamark_b48r_add_d2e103" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> der in <hi rend="underline">diese</hi> Mysterien ein<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb4" start="#b48r_lb4" n="4">geweiht war. Dieser <metamark xml:id="srcD_metamark_b48r_add_d2e115" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> große Zauberer im Kampf mit der Unlust, der asketische Priester – <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="157"/>er hat<del rend="strikethrough">te</del>
<hi rend="underline">ein</hi> Reich war gekommen:</add>
</add>
</metamark> schon klagt<add corresp="#substAdd2b_b48r" place="inline">e</add> man nicht mehr <hi rend="underline">gegen</hi> den Schmerz, man <hi rend="underline">lechzt</hi>
<add corresp="#substAdd2c_b48r" place="inline">e</add> nach dem Schmerz; „<hi rend="underline">mehr</hi>
<add place="above" corresp="#substAdd2h_b48r">redete er nach wie vor: </add>
</metamark>hatte er wirklich das Recht noch, so zu reden?… <add corresp="#substAdd3a_b48r" place="inline">Goethe hat behauptet, es gäbe nur sechs und <metamark xml:id="srcD_metamark_b48r_add_d2e304" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.46875em;height:1.79688em;">
<add place="above" instant="true" corresp="#b48r_add_d2e304">dreißig tragische Situationen: man erräth daraus, wenn man’s </add>
<add corresp="#substAdd3b_b48r" place="inline">sonst <del rend="hatching">es</del> nicht wüßte, daß er <hi rend="underline">kein</hi> asketischer Priester, daß er ein <hi rend="underline">Heide</hi> war. –</add>
</metamark> Art der priesterlichen Medikation, die „schuldige“ Art, ist jedes Wort
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb14" start="#b48r_lb14" n="14">Kritik zu viel. Daß eine solche Ausschweifung des Gefühls, wie sie in diesem Falle der
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb15" start="#b48r_lb15" n="15">asketische Priester seinen Kranken zu verordnen pflegt (unter den heiligsten Namen, wie
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb16" start="#b48r_lb16" n="16">sich von selbst versteht, insgleichen durchdrungen von der Heiligkeit <metamark xml:id="srcD_metamark_b48r_add_d2e352" function="insertion">
<del rend="hatching">des</del> Zwecks) irgend einem
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb17" start="#b48r_lb17" n="17">Kranken wirklich <hi rend="underline">genützt</hi> habe, wer hätte wohl Lust, eine Behauptung der Art aufrecht zu
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb18" start="#b48r_lb18" n="18">halten? Zum Mindesten sollte man sich über das Wort „nützen“ verstehn. Will man da<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb19" start="#b48r_lb19" n="19">mit ausdrücken, ein solches System von Behandlung habe den Menschen <hi rend="underline">verbessert</hi>, so wider<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb20" start="#b48r_lb20" n="20">spreche ich nicht: nur daß ich hinzufüge, was bei mir „verbessert“ heißt – ebenso viel wie
<line xml:id="srcD_line_b48r_lb25" start="#b48r_lb25" n="25">Insgleichen befrage man die Geschichte: überall, wo der asketische Priester diese Kranken<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb1" start="#b49r_lb1" n="1">behandlung durchgesetzt hat, ist jedes Mal die Krankhaftigkeit unheimlich schnell in die Tiefe
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb2" start="#b49r_lb2" n="2">und Breite gewachsen. Was war immer der „Erfolg“? Ein zerrüttetes Nervensystem, hinzu
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb3" start="#b49r_lb3" n="3">zu dem, was sonst schon krank war; und das im Größten <metamark xml:id="srcD_metamark_b49r_add_d2e58" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b49r_add_d2e83">die größten, von denen die Geschichte weiß,</add>
</metamark> wie die der <hi rend="latin">St. Veit</hi>- und <hi rend="latin">St.</hi> Johann-Tänzer <metamark xml:id="srcD_metamark_b49r_add_d2e93" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb6" start="#b49r_lb6" n="6">her gehört auch die Hexen-Hysterie, etwas dem Somnambulismus Verwandtes <metamark xml:id="srcD_metamark_b49r_add_d2e104" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#b49r_add_d2e104" style="left:-23.75em;">(acht große epidemische Ausbrüche derselben allein zwischen 1564 <choice corresp="#b49r_choice_d2e106">
<abbr>u</abbr>
<expan>und</expan>
</choice> 1605)</add>
</metamark> –; wir fin<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb7" start="#b49r_lb7" n="7">den in seinem Gefolge <metamark xml:id="srcD_metamark_b49r_add_d2e117" function="insertion">
</metamark> jene todsüchtigen Massen-Delirien, deren entsetzlicher Schrei
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb8" start="#b49r_lb8" n="8">„<hi rend="latin">evviva la morte</hi>“ über ganz Europa weg gehört wurde, unterbrochen bald von wol<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb9" start="#b49r_lb9" n="9">lüstigen, bald von zerstörungswüthigen <metamark xml:id="srcD_metamark_b49r_add_d2e132" function="insertion">
</add> und gefährlichste<del corresp="#substDel4g_b49r" rend="hatching">n</del> Sy<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb14" start="#b49r_lb14" n="14">stematisirung aller Mittel der Gefühls-Ausschweifung<add place="inline" corresp="#b49r_add_d2e256">,</add>
</metamark> <hi rend="underline">nicht</hi> <hi rend="underline">nur</hi> in seine Geschichte… Ich wüßte
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb16" start="#b49r_lb16" n="16">kaum noch etwas Anderes geltend zu machen, was dermaaßen zerstörerisch der <hi rend="underline">Gesundheit</hi>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb17" start="#b49r_lb17" n="17">und Rassen-Kräftigkeit namentlich der Europäer zugesetzt hat als dies Ideal; man darf
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb18" start="#b49r_lb18" n="18">es ohne alle Übertreibung <hi rend="underline">das</hi> <metamark xml:id="srcD_metamark_b49r_add_d2e296" function="insertion" rend="inSpatium">
<add place="above" corresp="#b49r_add_d2e296">
<hi rend="underline">eigentliche</hi>
</add>
</metamark> <hi rend="underline">Verhängniß</hi> in der Gesundheitsgeschichte des europäischen
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb19" start="#b49r_lb19" n="19">Menschen nennen. Höchstens, daß seinem Einflusse noch der spezifisch-germanische Einfluß gleich<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb20" start="#b49r_lb20" n="20">zusetzen wäre: ich meine die Alcohol-Vergiftung Europa’s, welche streng mit dem politischen
<line xml:id="srcD_line_b49r_lb24" start="#b49r_lb24" n="24">Der asketische Priester hat die seelische Gesundheit verdorben, wo er auch nur zur Herr<pc force="weak">-</pc>
</add>wir finden <metamark xml:id="srcD_metamark_b49r_add_d2e367" function="insertion" rend="inSpatium" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#b49r_add_d2e367" style="left:-3.75em;">als andre Form <metamark xml:id="srcD_metamark_b49r_add_d2e370" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb1" start="#b54r_lb1" n="1">daß die Wissenschaft als Ganzes heute ein Ziel, einen Willen, ein Ideal, eine Leidenschaft
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb2" start="#b54r_lb2" n="2">des großen Glaubens habe. Das Gegentheil, wie gesagt, ist der Fall: wo sie nicht die jüngste
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb3" start="#b54r_lb3" n="3">Erscheinungsform des asketischen Ideals ist, – es handelt sich da um zu seltne, vornehme, aus<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb4" start="#b54r_lb4" n="4">gesuchte Fälle, als daß damit das Gesammturtheil umgebogen werden könnte – ist die Wissenschaft
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb5" start="#b54r_lb5" n="5">heute ein <hi rend="underline">Versteck</hi> für alle Art Mißmuth, Unglauben, Nagewurm, <hi rend="latin">despectio sui</hi>, schlechtes Ge<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb6" start="#b54r_lb6" n="6">wissen, – sie ist die <hi rend="underline">Unruhe</hi> der Ideallosigkeit selbst, das Leiden am <hi rend="underline">Mangel</hi> der großen
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb7" start="#b54r_lb7" n="7">Liebe, das Ungenügen an einer <hi rend="underline">unfreiwilligen</hi> Genügsamkeit. Oh was verbirgt heute nicht
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb8" start="#b54r_lb8" n="8">Alles Wissenschaft! wie viel <hi rend="underline">soll</hi> sie mindestens verbergen! Die Tüchtigkeit unsrer besten
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb9" start="#b54r_lb9" n="9">Gelehrten, ihr besinnungsloser Fleiß, ihr Tag und Nacht rauchender Kopf, ihre Handwerks-Mei<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb10" start="#b54r_lb10" n="10">sterschaft selbst – wie oft hat das Alles seinen eigentlichen Sinn darin, <metamark xml:id="srcD_metamark_b54r_add_d2e94" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb11" start="#b54r_lb11" n="11">sichtbar werden zu lassen! Die Wissenschaft als Mittel der Selbst-Betäubung: <hi rend="underline">kennt</hi> <hi rend="underline">ihr</hi>
<del rend="hatching">Menschen</del> gegen sich, <metamark xml:id="srcD_metamark_b54r_add_d2e148" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b54r_add_d2e148">im Augenblick, wo man sie zu ehren meint,</add>
</metamark>
<del rend="hatching">indem man sie ehrt</del>, man bringt sie außer Rand und Band, bloß
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb14" start="#b54r_lb14" n="14">weil man zu grob war, um zu errathen, mit wem man es eigentlich zu thun hat<del rend="hatching">te</del>, mit <hi rend="underline">Lei</hi>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb18" start="#b54r_lb18" rend="indent" n="18">– Und nun sehe man sich dagegen jene seltneren Fälle an, von denen ich sprach, die letzten
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb19" start="#b54r_lb19" n="19">Idealisten, die es heute unter Philosophen und Gelehrten giebt: hat man in ihnen vielleicht
</metamark> <hi rend="underline">Gegner</hi> des asketischen Ideals, seine <hi rend="underline">Gegen-Idealisten</hi>? In der That, sie <hi rend="underline">glauben</hi> sich
</line>
<line xml:id="srcD_line_b54r_lb21" start="#b54r_lb21" n="21">als solche, diese „Ungläubigen“ (denn das sind sie allesammt), es scheint gerade das ihr letzte<del rend="overwritten" cause="#b54r_add_d2e221">r</del>
<add place="above" corresp="#b54r_add_d2e230">Gegner dieses Ideals zu sein, so ernsthaft sind sie an dieser Stelle, so leidenschaftlich wird da gerade ihr Wort, ihre Gebärde:</add>
</metamark>
<del rend="hatching">so ernsthaft ist er, so leidenschaftlich äußert er sich mitunter</del> – brauchte e<del rend="overwritten" cause="#b54r_add_d2e239">r</del>
<add place="superimposed" corresp="#b54r_add_d2e239">s</add> deshalb schon
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb1" start="#b57r_lb1" n="1">insofern er diese „andre Welt“ bejaht, wie? muß er nicht eben damit ihr Gegenstück, diese
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb2" start="#b57r_lb2" n="2">Welt, <hi rend="underline">unsre</hi> Welt <add place="inline" corresp="#b57r_add_d2e48">–</add> verneinen?… Es ist immer noch ein <hi rend="underline">metaphysischer</hi> <hi rend="underline">Glaube</hi>, auf dem un<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb3" start="#b57r_lb3" n="3">ser Glaube an die Wissenschaft ruht, – auch wir Erkennenden von Heute, wir Gottlosen und
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb4" start="#b57r_lb4" n="4">Antimetaphysiker, auch wir nehmen <hi rend="underline">unser</hi> Feuer noch von jenem Brande, den ein Jahr<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb5" start="#b57r_lb5" n="5">tausende alter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato’s
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb6" start="#b57r_lb6" n="6">war, daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit <hi rend="underline">göttlich</hi> ist… Aber wie, wenn <metamark xml:id="srcD_metamark_b57r_add_d2e80" function="insertion">
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb7" start="#b57r_lb7" n="7">gerade immer mehr unglaubwürdig wird, wenn Nichts sich mehr als göttlich erweist, es sei
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb8" start="#b57r_lb8" n="8">denn der Irrthum, die Blindheit, die Lüge, – wenn Gott selbst sich als unsre <hi rend="underline">längste</hi>
<add place="above" corresp="#b57r_add_d2e109" style="left:-23.8274em;"> (womit noch nicht einmal gesagt sein soll, daß es eine solche für sie giebt).</add>
</metamark> <del rend="hatching">Es gab bisher keine </del>
<add corresp="#b57r_add_d2e114" place="above">Man sehe sich auf </add>
<add place="above" corresp="#b57r_add_d2e120" style="left:-27.8125em;">diese Frage die ältesten und die jüngsten Philosophien an: in ihnen allen fehlt ein Bewußtsein darüber, inwiefern</add>
</metamark> der Wille zur Wahr<pc force="weak">-</pc>
<add place="superimposed" corresp="#b57r_add_d2e145">o</add>m<add place="inline" corresp="#b57r_add_d2e148">mt</add> das? Weil das asketische
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb13" start="#b57r_lb13" n="13">Ideal über alle Philosophie bisher <hi rend="underline">Herr</hi> war, weil Wahrheit als Sein, als Gott, als o<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb14" start="#b57r_lb14" n="14">berste Instanz selbst gesetzt wurde, weil Wahrheit gar nicht Problem sein <hi rend="underline">durfte</hi>. Ver<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb15" start="#b57r_lb15" n="15">steht man dies „durfte“? – Von dem Augenblick an, wo der Glaube an den Gott
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb16" start="#b57r_lb16" n="16">des asketischen Ideals verneint ist, <hi rend="underline">giebt</hi> <hi rend="underline">es</hi> <hi rend="underline">auch</hi> <hi rend="underline">ein</hi> <hi rend="underline">neues</hi> <hi rend="underline">Problem</hi>: das vom <hi rend="underline">Wer</hi>
<add place="above" corresp="#b57r_add_d2e230">(Wem dies zu kurz gesagt <del rend="overwritten" cause="#b57r_add_d2e235">ist,</del>
<add place="superimposed" corresp="#b57r_add_d2e235">scheint,</add> dem sei empfohlen, <add place="inline" rend="insMExt" corresp="#b57r_add_d2e238">*jenen</add>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb22" start="#b57r_lb22" rend="indent" n="22">Nein! Man komme mir nicht mit der Wissenschaft, wenn ich nach dem natürlichen Anta<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb23" start="#b57r_lb23" n="23">gonisten des asketischen Ideals suche, wenn ich frage: „<hi rend="underline">wo</hi> ist der gegnerische Wille, in dem
</line>
<line xml:id="srcD_line_b57r_lb24" start="#b57r_lb24" n="24">sich sein <hi rend="underline">gegnerisches</hi> <hi rend="underline">Ideal</hi> ausdrückt?“ Dazu steht die Wissenschaft lange nicht genug
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb1" start="#b60r_lb1" n="1">Seit Kopernikus scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene gerathen, – er rollt immer
</line>
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb2" start="#b60r_lb2" n="2">schneller nunmehr aus dem Mittelpunkte weg – wohin? ins Nichts? ins „<hi rend="underline">durchbohrende</hi>
<add place="above" corresp="#b60r_add_d2e103">Wissenschaft, die natürliche sowohl wie die <hi rend="underline">unnatürliche</hi> – so heiße ich die Erkenntniß-Selbstkritik – ist heute</add>
</metamark>
<del rend="hatching">te</del> darauf aus, dem Menschen seine bisherige Achtung <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="174"/>vor sich auszureden, wie als ob dieselbe
</line>
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb7" start="#b60r_lb7" n="7">nichts als ein bizarrer Eigendünkel gewesen sei; man könnte <metamark xml:id="srcD_metamark_b60r_add_d2e116" function="insertion">
<hi rend="underline">Selbstverachtung</hi> des Menschen als dessen letzten, ernstesten Anspruch auf Achtung bei sich <metamark xml:id="srcD_metamark_b60r_add_d2e143" function="insertion" rend="endOfLine">
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb10" start="#b60r_lb10" n="10">aufrecht zu erhalten (mit Recht, in der That: denn der Verachtende ist immer noch
</line>
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb11" start="#b60r_lb11" n="11">einer, der „das Achten nicht verlernt hat“…) Wird damit dem asketischen Ideale <metamark xml:id="srcD_metamark_b60r_add_d2e151" function="insertion" rend="inSpatium">
<hi rend="underline">gegengearbeitet</hi>? <del rend="hatching">–</del> Meint man <metamark xml:id="srcD_metamark_b60r_add_d2e168" function="insertion">
<add place="above" corresp="#b60r_add_d2e168">wirklich alles Ernstes<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#b60r_add_d2e170"> noch<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#b60r_add_d2e172"> (wie es die Theologen eine Zeit lang sich einbildeten)</add>
</add>
</add>
</metamark>
<del rend="hatching">ernsthaft</del>, daß etwa Kants <hi rend="underline">Sieg</hi> über die theologische
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb14" start="#b60r_lb14" n="14">habe? – wobei es uns einstweilen nichts angehn soll<del rend="hatching" instant="true">en</del>, ob <metamark xml:id="srcD_metamark_b60r_add_d2e188" function="insertion">
</metamark> in Absicht gehabt hat. Gewiß ist, daß alle Art Transcendentalisten seit Kant
</line>
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb16" start="#b60r_lb16" n="16">wieder gewonnenes Spiel haben, – sie sind von den Theologen emancipirt: welches Glück! –
</line>
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb17" start="#b60r_lb17" n="17">er hat ihnen jenen Schleichweg verrathen, auf dem sie nunmehr <metamark xml:id="srcD_metamark_b60r_add_d2e203" function="insertion" rend="inSpatium">
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb21" start="#b60r_lb21" n="21">Alles, was der Mensch „erkennt“, seinen Wünschen nicht genugthut, ihnen vielmehr wi<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb22" start="#b60r_lb22" n="22">derspricht und Schauder macht, welche göttliche Ausflucht, die <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="175"/>Schuld davon nicht im
</line>
<line xml:id="srcD_line_b60r_lb23" start="#b60r_lb23" n="23">„Wünschen“, sondern im „Erkennen“ suchen zu dürfen!… „Es giebt kein „Erkennen“:
</add>den <hi rend="latin">ravages</hi>, welche <hi rend="latin">l’habitude d’<hi rend="underline">admirer</hi> l’inintelligible au lieu de rester tout simplement dans l’inconnu</hi>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb2" start="#b61r_lb2" rend="indent" n="2">– Oder zeigte vielleicht die gesammte moderne Geschichtsschreibung eine lebensgewissere, ideal<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb3" start="#b61r_lb3" n="3">gewissere Haltung? Ihr vornehmster Anspruch geht <metamark xml:id="srcD_metamark_b61r_add_d2e76" function="insertion" rend="inSpatium">
</metamark> dahin, <hi rend="underline">Spiegel</hi> zu sein; sie lehnt alle Te<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb4" start="#b61r_lb4" n="4">leologie ab; sie will nichts mehr „beweisen“; sie verschmäht es, den Richter <retrace>z</retrace>u spielen und
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb5" start="#b61r_lb5" n="5">hat darin ihren guten Geschmack, – sie bejaht so wenig als sie verneint, sie stellt fest,
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb6" start="#b61r_lb6" n="6">sie „beschreibt“… Dies Alles ist in einem hohen Grade asketisch; es ist aber zugleich in
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb7" start="#b61r_lb7" n="7">einem noch höheren Grade <hi rend="underline">nihilistisch</hi>, darüber täusche man sich nicht! Man sieht einen
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb8" start="#b61r_lb8" n="8">traurigen, harten, aber entschlossenen Blick, – ein Auge, das <hi rend="underline">hinausschaut</hi>, wie ein ver<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb9" start="#b61r_lb9" n="9">einsamter Nordpolfahrer hinausschaut (vielleicht um nicht hineinzuschauen? um nicht zu<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb10" start="#b61r_lb10" n="10">rückzuschauen?…) Hier ist Schnee, hier ist das Leben verstummt; die letzten Krä<pc force="weak">-</pc>
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb11" start="#b61r_lb11" n="11">hen, die hier laut<del rend="hatching">en</del> werden, heißen „<del rend="overwritten" cause="#b61r_add_d2e127">w</del>
<add place="above" corresp="#b61r_add_d2e178" style="left:-1.01563em;">mit dem Leben <add corresp="#b61r_add_d2e180" style="left:0em;top:-0.683586em;" place="above">
<del rend="hatching">frech genug</del> das Lob der
</line>
<line xml:id="srcD_line_b61r_lb15" start="#b61r_lb15" n="15">Contemplation ganz und gar für sich in Pacht genommen hat: oh welchen Durst erregen<add corresp="#b61r_add_d2e209" place="above">
</metamark> <add corresp="#b61r_add_d2e225" place="above">selbst noch</add> nach Asketen und Winterlandschaften! Nein! <del rend="hatching">gegen</del> dies „be<pc force="weak">-</pc>
</metamark> Dühring, der, indem er die ganze Geschichte angeifert, uns überreden möchte, <add corresp="#b61r_add_d2e317">damit</add> de<pc force="weak">-</pc>
<del corresp="#substDel1b_b66r" hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#GM0326belatedMod">„<hi rend="latin">Cette race douce énergique meditative et passioné</hi>“<anchor corresp="#appAnchor_b66r1b"/> – wo ist sie hin! wo </del>
<del corresp="#substDel1c_b66r" hand="#typesetter_blue" rend="strikethrough" change="#GM0326belatedMod">heute in ganz Europa die Luft, – Europa ist auf eine peinliche Weise heute fruchtbar in</del>
<del rend="hatching">*wie *es England in Indien <metamark xml:id="srcD_metamark_b66r_add_d2e253" function="insertion" style="top:0.136719em;height:1.19141em;">
<add place="above" corresp="#b66r_add_d2e273">– wir haben es in der <hi rend="underline">Hand</hi>, die ganze Erde zu „idealisiren“!<add place="inline" rend="insMExt" corresp="#b66r_add_d2e278">…</add>
</add>
</metamark> – Aber was rede ich von Muth: hier thut Eins nur Noth, <metamark xml:id="srcD_metamark_b66r_add_d2e281" function="insertion" rend="endOfLine">
<add place="above" corresp="#b66r_add_d2e281">eben die Hand, </add>
<del rend="hatching">Aber lassen</del> wir diese Curiositäten und Complexitäten des modernsten Geistes, <metamark xml:id="srcD_metamark_b66r_add_d2e333" function="insertion" style="top:-0.125em;height:1.4375em;">
<add place="above" corresp="#b66r_add_d2e333" style="left:-20.625em;">an denen ebensoviel zum Lachen als zum Verdrießen ist*:</add>
<add place="above" instant="true" corresp="#substAdd8a_b66r">das Problem von der <hi rend="underline">Bedeutung</hi> des asketischen Ideals, – was hat dasselbe mit</add>
<del corresp="#substDel8b_b66r" rend="hatching">ist:</del> <del rend="hatching">dieselben</del> <del corresp="#substAdd9a_b66r" rend="hatching">werden</del> von mir in einem andren Zusammenhange gründlicher und härter ange<pc force="weak">-</pc>
</metamark> <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="179"/>hingewiesen zu haben, ist dies: das asketische
</line>
<line xml:id="srcD_line_b66r_lb17" start="#b66r_lb17" n="17">Ideal hat auch in der geistigsten Sphäre einstweilen immer nur noch Eine Art von wirkli<pc force="weak">-</pc>
<line xml:id="srcD_line_b69r_lb1" start="#b69r_lb1" n="1">Leiden <hi rend="underline">ausgelegt</hi>; die ungeheure Leere schien ausgefüllt; die Thür schloß sich vor allem
</metamark> Die Auslegung – es ist kein Zweifel – brachte neues
</line>
<line xml:id="srcD_line_b69r_lb3" start="#b69r_lb3" n="3">Leiden mit sich, tieferes, innerlicheres, giftigeres, am Leben nagenderes: sie brachte
</line>
<line xml:id="srcD_line_b69r_lb4" start="#b69r_lb4" n="4">alles Leiden unter die Perspektive der <hi rend="underline">Schuld</hi>… Aber trotzalledem – der Mensch war
</line>
<line xml:id="srcD_line_b69r_lb5" start="#b69r_lb5" n="5">damit <hi rend="underline">gerettet</hi>, er hatte einen <hi rend="underline">Sinn</hi>, er war fürderhin nicht mehr wie ein Blatt
</line>
<line xml:id="srcD_line_b69r_lb6" start="#b69r_lb6" n="6">im Winde, ein Spielball des Unsinns, des „Ohne-Sinns“, er konnte nunmehr etwas
<del corresp="#substDel1b_b69r" rend="hatching" instant="true" change="#version0">hinweg aus</del>, dieser Abscheu vor den Sinnen, vor der Vernunft selbst, diese Furcht vor
</metamark> gegen die grundsätzlichsten Voraussetzungen des Lebens, aber es ist und bleibt
</line>
<line xml:id="srcD_line_b69r_lb15" start="#b69r_lb15" n="15">ein <hi rend="underline">Wille</hi>!… Und, um es noch zum Schluß zu sagen, was ich Anfangs sagte:
</line>
<line xml:id="srcD_line_b69r_lb16" start="#b69r_lb16" n="16">lieber will noch der Mensch <hi rend="underline">das</hi> <hi rend="underline">Nichts</hi> wollen als <hi rend="underline">nicht</hi> wollen…