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Fri, Jul 26, 15:28

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<lb n="3" xml:id="a33r_lb3"/>der That gab, so war es die Klugheit, die an der That Kritik übte: – in der That müssen wir die eigentliche <hi rend="underline">Wirkung</hi>
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<lb n="7" xml:id="a33r_lb7"/>Vermehrung der Furcht, die Verschärfung der Klugheit, die Bemeisterung der Begierden: damit <hi rend="underline">zähmt</hi> die Strafe den
<lb n="8" xml:id="a33r_lb8"/>Menschen, aber sie macht ihn nicht „besser“, – man dürfte mit mehr Recht noch das Gegentheil behaupten. <add xml:id="substAdd1a_a33r" place="inline" seq="1">(„Scha<pc force="weak">-</pc></add>
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<lb n="11" rend="indent" xml:id="a33r_lb11"/>An dieser Stelle ist es nun nicht mehr zu umgehn, meiner eignen Hypothese über den Ursprung des „schlechten Ge<pc force="weak">-</pc>
<lb n="12" xml:id="a33r_lb12"/>wissens“ zu einem ersten vorläufigen Ausdrucke zu verhelfen: sie ist nicht leicht zu Gehör zu bringen und will
<lb n="13" xml:id="a33r_lb13"/>lange bedacht, bewacht und beschlafen sein. Ich nehme das schlechte Gewissen als die tiefe Erkrankung, <del rend="hatching" instant="true">der</del> welcher der
<lb n="14" xml:id="a33r_lb14"/>Mensch unter dem Druck jener gründlichsten aller Veränderungen verfallen mußte, die er überhaupt erlebt hat – je<pc force="weak">-</pc>
<lb n="15" xml:id="a33r_lb15"/>ner Veränderung, als er sich endgültig in den Bann der Gesellschaft und des Friedens eingeschlossen fand. Nicht anders
<lb n="16" xml:id="a33r_lb16"/>als es den Wasserthieren ergangen sein muß als sie gezwungen wurden, entweder Landthiere zu werden oder zu Grunde
<lb n="17" xml:id="a33r_lb17"/>zu gehn, so gieng es diesen der Wildniß, dem Kriege, dem Herumschweifen, dem Abenteuer glücklich angepaßten
<lb n="18" xml:id="a33r_lb18"/>Halbthieren – mit Einem Male waren alle ihre Instinkte entwerthet und „ausgehängt“. Sie sollten nunmehr auf
<lb n="19" xml:id="a33r_lb19"/>den Füßen gehn und „sich selber tragen“, wo sie bisher vom <milestone unit="page" edRef="#Ed" n="77"/>Wasser getragen wurden: eine entsetzliche Schwere lag
<lb n="20" xml:id="a33r_lb20"/>auf ihnen. Zu den einfachsten Verrichtungen fühlten sie sich ungelenk, sie hatten für diese neue unbekannte Welt
<lb n="21" xml:id="a33r_lb21"/>ihre alten Führer nicht mehr, die regulirenden unbewußt-sicherführenden Triebe – sie waren auf Denken, Schließen, Be<pc force="weak">-</pc>
<lb n="22" xml:id="a33r_lb22"/>rechnen, Combiniren von Ursachen und Wirkungen reduzirt, diese Unglücklichen, auf ihr „Bewußtsein“, auf ihr<del rend="strikethrough">e</del> ärm<pc force="weak">-</pc>
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<lb n="26" xml:id="a33r_lb26"/>mußten sie sich neue und gleichsam unterirdische Befriedigungen suchen. Alle Instinkte, welche sich nicht nach außen
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<lb n="28" xml:id="a33r_lb28"/>erst das an den Menschen heran, was man später seine „Seele“ nennt. Die ganze innere Welt, ursprünglich dünn
<lb n="29" xml:id="a33r_lb29"/>wie zwischen zwei Häute eingespannt, ist in dem Maaße auseinander- und aufgegangen, hat Tiefe, Breite, Höhe bekom<pc force="weak">-</pc>
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<lb n="32" xml:id="a33r_lb32"/>brachten zu Wege, daß alle jene Instinkte des wilden freien schweifenden Menschen sich rückwärts, sich <hi rend="underline">gegen</hi> <hi rend="underline">den</hi> <hi rend="underline">Men<pc force="weak">-</pc>
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<lb n="34" xml:id="a33r_lb34"/>Zerstörung – Alles das gegen die Inhaber solcher In<milestone unit="page" edRef="#Ed" n="78"/>stinkte sich wendend: das ist der Ursprung des „schlechten Gewissens“.
<lb n="35" xml:id="a33r_lb35"/>Der Mensch, der sich, aus Mangel an äußeren Feinden und Widerständen, eingezwängt in eine drückende Enge und Regel<pc force="weak">-</pc>
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